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Kapitel 6: Drei Jahre Abstinenz

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Vor der Notaufnahme des Holy Cross Hospitals, eines hässlichen schwarzen Gebäudes am nördlichen Rand der City, hielt der Krankenwagen an. Zwei Pfleger rissen die Hecktür auf, zogen Eric von der Trage, legten ihn auf ein bereitstehendes Rollbett und jagten mit ihm in beeindruckendem Tempo durch einen nicht enden wollenden fensterlosen Gang. Elizabeth rannte tapfer hinterher. Der Pfleger am unteren Bettende tastete gleichzeitig Erics Beine ab.

„Schlimm?“ keuchte er und versprühte dabei Speicheltropfen auf Erics Sonnenbrille.

„Nicht im Geringsten“, antwortete Eric. Doch der Pfleger schien nicht verstanden zu haben, sondern beschleunigte das Tempo noch.

Im Behandlungszimmer waren Eric und Elizabeth plötzlich allein. Elizabeth ließ sich in einen der vielen Stühle fallen, die ohne Ordnung überall im Zimmer standen. Lachend schnappte sie nach Luft.

„Die glauben wohl, du liegst im Sterben“, sagte sie und wischte sich mit einem Papiertuch, das neben ihr auf dem Behandlungstisch lag, den Schweiß von der Stirn.

„Lächerlich“, murmelte Eric. Er betastete behutsam seinen Fuß, der mittlerweile ziemlich angeschwollen war. „Ein Blinder sieht, dass das keine schwere Verletzung ist.“

„Deinen Humor hast du ja nicht verloren. Sei nicht so hart. Die Sanitäter wussten nicht, dass du Albino bist. So, wie du im Sand gelegen bist, kreideweiß mit blutüberströmtem Bein, darfst du ihnen nicht übel nehmen, dass sie gewissenhaft ihren Job gemacht haben.“

Sie stand auf und trat an das Bett, um seinen Fuß genauer zu betrachten. Ihr Gesicht war härter geworden, stellte Eric fest. Wo vor drei Jahren noch weiche Formen es beinahe puppenhaft hatten erscheinen lassen, zeichneten sich nun strenge Linien ab. Die hohen Wangen waren eingefallen. Die tiefgrünen Augen unter den schweren Lidern verliehen dem Gesicht einen leicht überheblichen Ausdruck. Ihre Ungezwungenheit, die Tatsache, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm, verstärkten diese Wirkung noch. Sie war in der Tat arrogant, und wer es nicht wahrhaben wollte, bekam es früher oder später zu spüren. Überdies besaß sie ein ungezügeltes Temperament. Wer Elizabeths wahres Wesen nicht kannte, wie die vielen Männer, die sich auf jeder Party um sie scharten, glaubte, eine geheimnisvolle Diva, die Marlene Dietrich der Oper sozusagen, vor sich zu haben, die es unbedingt zu erobern galt. Ihre Verehrer merkten nicht, dass Elizabeth mit ihnen spielte. Elizabeth genoss es, umschwärmt zu werden. Wer naiv genug war zu glauben, Elizabeth eines Tages besitzen zu dürfen, unterlag einem verhängnisvollen Irrtum. Ohne sich dessen gewahr zu sein, wurde er schamlos ausgenützt. So ermöglichte sie sich ihren aufwändigen Lebensstil und hatte immer jemanden an ihrer Seite, wenn es sie danach verlangte. Diese Respektlosigkeit missfiel Eric und deshalb mochte er Elizabeth nicht besonders. Aber sie war Maryannes beste Freundin gewesen. Er hatte sich im Laufe der Jahre an ihre seltsame Freundschaft gewöhnt.

Elizabeth beugte sich über seinen Fuß. „Wenn das Blut einmal weggewaschen ist, sieht die Wunde harmlos aus“, sagte sie. Das dicke schwarze Haar fiel ihr in Wellen über den braun gebrannten Nacken. Eine Strähne klebte auf ihrer schweißnassen Haut und schimmerte im Neonlicht des Behandlungszimmers wie Seide. Das enge anthrazitfarbene Trägerkleid verhüllte die großzügigen Formen ihres tadellosen Körpers kaum.

Elizabeths Verehrer waren sich im Urteil über ihre üppige Figur einig. „Gut im Fleisch“, begeisterten sie sich, „die essentielle Voraussetzung für ein Klasseweib.“ Eric teilte ihre Meinung, was Elizabeths Körper anging.

Jetzt roch er den unaufdringlich frischen Parfümduft, der von ihrem breiten Rücken aufstieg. Als sie sich plötzlich aufrichtete, berührten sich ihre Körper und die Hitze ihrer Haut glühte auf seiner. Unvermittelt wich er zurück. Es war lange her, dass er eine Frau in den Armen gehalten hatte. Drei Jahre. Er hüstelte verlegen.

Elizabeth lächelte.

„Wird schon wieder, mein Armer“, sagte sie, holte ihre Handtasche vom Stuhl und legte sie neben ihm aufs Bett.

„Passt du auf sie auf? Ich muss mal aufs Klo.“

Außer den vielen Stühlen war das Behandlungszimmer spärlich eingerichtet. Neben Erics Bett stand ein Tisch und Glasschrank, der mit Verbandsstoffen, Spritzen und Medikamenten vollgestopft war. An der hinteren Wand waren in drei übereinander liegenden Reihen Haken angebracht, an schwarzen Plastikbügeln, die man normalerweise benutzt, um Hosen aufzuhängen, baumelten beigefarbene Latexhandschuhe. Eric dachte an das gerichtsmedizinische Institut, in dem er Maryanne identifiziert hatte. Dort waren die Handschuhe aus dickem rotem Gummi gewesen. Sie waren das Erste gewesen, was ihm ins Auge sprang, als er den kühlen Raum betrat. Die Leiche, die zugedeckt unter einem hellblauen Tuch auf einer flachen Chromstahlwanne lag, hatte ihn vorerst nicht interessiert. Erst auf die Frage des Kommissars, ob es sich bei der Toten um seine Frau handele, sah er genauer hin.

„Ist das Ihre Frau?“, fragte der Kommissar ein zweites Mal.

Eric antwortete nicht und wandte sich wieder den roten Gummihandschuhen zu.

Der zweite Kommissar zog Eric sanft vor die Chromstahlwanne.

„Ja, das ist meine Frau“, sagte Eric endlich. Im selben Moment dachte er, dass es nicht die Maryanne war, die er kannte und liebte. Vor ihm lag lediglich eine Leiche, ein toter Körper. Eric wunderte sich, dass sich in ihm keinerlei Gefühle regten. Wäre es die Leiche eines anderen Menschen oder der Kadaver irgendeines Tieres gewesen, hätte er vielleicht Mitleid empfinden können. Mitleid mit dem Wesen, das seine letzten Atemzüge in dieser schäbigen Hülle verbrachte. Maryannes Körper aber ließ ihn kalt, so kalt wie ihre Wange, als seine Finger sie zaghaft berührten.

Der erste Kommissar tippte Eric auf die Schulter. Er ließ sich widerstandslos zur Türe führen. Der zweite Beamte hatte sich jedoch derart ungeschickt unter den Türrahmen gezwängt, dass er den Durchgang blockierte. Als Eric und sein Begleiter gleichzeitig vorbeigehen wollten, blieben sie stecken. Ein kurzes Geschiebe und Gerangel entstand, und Eric musste lachen. So laut und heftig, dass er fürchtete, ersticken zu müssen. Die Kommissare sahen hilflos zu, wie er am Boden kauerte. Sein Lachen klang hohl, Tränen rannen über seine Wangen und er schämte sich. Doch je mehr er das schmerzhafte Lachen unterdrücken wollte, desto heftiger platzte es aus ihm heraus.

Er hatte nie über ihren Tod geweint. Die Wut auf den Mörder war größer als die Trauer. Der Mörder hatte ihr mit großer Wucht ein Messer in die Brust gerammt. Vom unteren Ende des Brustbeins her drang die ungefähr zwei Handbreit lange Klinge ins Herz, stach mehrere Male hinein und zerfetzte das benachbarte Gewebe. Ein Kampf hatte anscheinend nicht stattgefunden, Maryanne war von hinten überrascht worden. Das konnte die Polizei anhand der Spuren auf dem Kiesweg rekonstruieren. Am linken Oberarm hatte sie einen blauen Fleck, so groß wie ein Fünfcentstück, dessen Herkunft man sich damit erklärte, dass der Mörder Maryanne unters Gebüsch geschleift und sich an ihrem toten Körper vergangen hatte. In ihrer Scheide fand man jedoch kein Sperma oder fremdes Blut, sondern lediglich ihr eigenes und - Spuren von Baumrinde. Der fingerdicke Ast, den der Mörder für seine Tat benutzt hatte, lag in einem Blumenbeet neben dem tropischen Gewächshaus. Maryannes Brieftasche wurde neben dem Südausgang des Botanischen Gartens gefunden. Kreditkarten und Ausweispapiere waren noch da. Das Bargeld fehlte.

Die ungewöhnliche Kombination von Indizien, die nicht zueinander passen wollten, lähmte die polizeilichen Ermittlungen. Der Fall war einzigartig. So etwas hatte es noch nie gegeben: dass das Opfer zuerst getötet wurde, dann mit einem Stück Holz vergewaltigt und danach ausgeraubt. Der Mörder konnte nur verrückt sein. Auch die umfangreiche Suche nach dem dunklen Unbekannten, der Maryanne von der Tram bis zur Haustür begleitet haben soll, blieb ohne Erfolg. Die Polizei stellte die Ermittlungen ein. Früher oder später würde sich der bestialische Mörder an einem neuen Opfer vergehen und dann hoffentlich brauchbarere Spuren hinterlassen. Als Eric von dieser Entscheidung erfuhr, hätte er am liebsten das Polizeihauptquartier in die Luft gesprengt. Er wusste nicht, wohin mit seiner Wut, und stürzte sich in Gedanken immer wieder auf den Mörder. Wie ein ausgehungerter Löwe zerfetzte er ihn dann. Er zerrte so lange an dem zerfledderten Körper herum, bis er die Seele fand, sie auch in Stücke riss, bis nichts, absolut nichts mehr von ihr vorhanden war.

Inzwischen war Eric besonnener. Er würde sich zu keinen unüberlegten Handlungen hinreißen lassen. Auch wenn er sich über den heutigen Fehlschlag ärgerte. Er würde warten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war.

Elizabeth kam nach einer Weile zusammen mit einer Ärztin zurück ins Behandlungszimmer. Beide waren ins Gespräch vertieft und schenkten Eric keine Beachtung.

„Ich will sehen, ob ich welche in meiner Handtasche habe“, sagte Elizabeth. „Da bitte“, sie zog eine Autogrammkarte hervor. Mit schneller, großzügiger Schrift schrieb sie eine Widmung und überreichte der Ärztin die Karte.

„Herzlichen Dank“, sagte diese, „da wird mein Mann sich bestimmt freuen.“ Sie steckte die Karte in ihre Kitteltasche und schüttelte Elizabeth die Hand. „Es war schön, Sie kennen zu lernen. Jetzt will ich mich besser beeilen und drüben nach Ihrem Freund sehen. Wie war noch mal sein Name?“

„Eric Winter“, sagte Elizabeth und deutete auf das Bett. „Er liegt hier.“

Die Ärztin zuckte zusammen, als sie begriff, dass sich auf dem weißen Laken die Konturen eines menschlichen Körpers abzeichneten, vielmehr, dass tatsächlich ein Mensch da lag. Als sie die Fassung wiedergefunden hatte, entschuldigte sie sich, dass sie ihn nicht gesehen hatte.

„Manchmal ist man einfach blind“, meinte sie und begann endlich, sich um Erics Wunde zu kümmern. Sie zog ihm vorsichtig die Hose aus, löste den Druckverband, diagnostizierte eine harmlose Bisswunde, desinfizierte sie und spritzte ein Medikament, das die Schwellung abklingen lassen würde. Nach einer letzten Entschuldigung verließ sie das Behandlungszimmer.

„Kennst du sie?“, fragte Eric.

„Nein“, antwortete Elizabeth.

„Aber ihren Mann?“

„Vage.“

„Einer deiner Verehrer, nehme ich an.“

Elizabeth kniff die Lippen zusammen. Sie spürte, dass Eric sie noch immer nicht mochte. Sie verschwieg ihm wohl besser, wie sehr sie ihn in den vergangenen zwei Jahren vermisst hatte. Sie wusste gar nicht, wie sie die ganze Zeit ohne seine Gegenwart hatte ertragen können. Als sie ihn nach dem Streit in seiner Wohnung aufgesucht hatte, war sie zu spät gekommen. Eric war bereits verschwunden, und niemand konnte ihr verraten, wo er war. Sein Verschwinden traf sie tief, mehr noch als Maryannes Tod. „Mein Leben geht weiter“, hatte sie sich damals getröstet. Erics Verschwinden hingegen war etwas anderes. Er war ihr Lebensinhalt gewesen.

Nach Maryannes Tod hatte sie sich in den Kopf gesetzt, Eric wieder auf die Beine zu bringen. Sehr zum Missfallen ihrer Verehrer hatte sie in der ersten Zeit rund um die Uhr für ihn gesorgt. Sie schleppte ihn immer wieder in Restaurants, damit er aß, brachte ihn unter Menschen, damit er nicht vereinsamte, und hörte sich geduldig seine Klagen an. Doch an jenem Abend in dem italienischen Lokal war ihr der Kragen geplatzt. Nach so langer Zeit hatte er noch immer keine Augen für sie.

Vor allen Leuten schrie sie ihn an: „Maryanne ist tot. Gestorben. Finito. Vergangenheit. Wann geht das endlich in deinen Schädel?“

Dann schüttete sie ihm den Chianti ins Gesicht und verließ weinend das Lokal.

„Für meine Verehrer hatte ich gar keine Zeit“, sagte Elizabeth, „denn während du verschollen warst, habe ich mir die Seele aus dem Leib gearbeitet. Die Melbourne Opera nahm mich für zwei Spielzeiten unter Vertrag. Stell dir vor, ich habe die Carmen gesungen. Ein Riesenerfolg. Das Haus hat nach jeder Vorstellung getobt.“ Sie machte eine Pause. Eric reagierte nicht, also erzählte sie weiter. „Die darauf folgende Hauptrolle war Lucia di Lammermoor.“

Elizabeth verschwieg, dass diese Inszenierung ein Desaster war. Ihre Interpretation der Lucia war peinlich gewesen, eine wahre Katastrophe. Elizabeth hatte sich zur Verwirrung des Orchesters über die musikalische Reihenfolge hinweggesetzt und Lucias Wahnsinnsarie am Schluss mit Schreien und Stampfen unterbrochen, so dass sich das Publikum und die Kritiker fragten, wer denn nun verrückt war. Elizabeth aber scherte sich nicht darum. Das befreiende Gefühl und die Ruhe, die sie nach jeder Aufführung erfüllte, waren zu köstlich, als dass sie versuchte, die Anfälle zu zügeln. Stattdessen fieberte sie jeder Vorstellung geradezu entgegen. Doch die Inszenierung gefiel nicht, so dass sie nach vier schlecht besuchten Abenden abgesetzt wurde. Elizabeths Karriere konnte das nichts anhaben.

„Danach hatte ich Gastauftritte in London, Singapur und Neuseeland. Und neben einer Konzertreihe in der St.-Michaels-Kathedrale unterrichte ich Gesangsschüler. Zweimal die Woche. Ich fand nicht einmal mehr Zeit, mich morgens im Spiegel zu betrachten.“

Womit sie übertrieb, denn ihre Verehrer waren dennoch auf ihre Kosten gekommen. Allen voran Elizabeth selbst. Sie hatte sie nach Bedürfnissen und Anlässen aufgeteilt. Eine Handvoll verheirateter Männer, darunter der Kardiologe, durften Elizabeth bei ihren Einkaufsorgien begleiten und für ihre exklusiven Schnäppchen in die Tasche greifen. Für besondere Anlässe, ein Abendessen in einem schicken Restaurant oder im kleinen Kreis mit netten Bekannten, bediente sie sich eines angesehenen, mehrfach geschiedenen Auktionators. Für weniger aufregende Aktivitäten stand ihr der Alltagsverehrer zur Seite. Er war der Unaufdringlichste von allen, dafür der Langweiligste, Ronald Maze. Seine Familie hatte seit Beginn der Atomforschung in erheblichem Maße vom Uranabbau profitiert. Ronald Maze hatte seine Position im Familienbetrieb aus rein steuerlichen Gründen inne und verfügte deshalb über unbeschränkte Zeit, Elizabeth in seinem Mercedes herumzukutschieren und ihre Einkaufstaschen zu schleppen.

„Du bist der Erst, dem ich es verrate“, erzählte Elizabeth weiter, „heute Nachmittag wurde mir angeboten, eine CD zu produzieren. Der Vertrag wird bereits ausgearbeitet, und wenn alles gut geht, sollen in einem Monat die Aufnahmen beginnen.“

„Wunderbar“, sagte Eric endlich, „ich gratuliere. Was wirst du singen?“

„Liebeslieder. Über das Konzept werden wir uns noch streiten müssen. Der Musikfirma schweben Stücke von Schubert vor, ich aber will auf alle Fälle Schumann singen. Ich bin auf Lieder gestoßen, die ich unbedingt singen muss. Kleine Stücke über unerfüllte Liebe.“

„Wem hast du diesmal die Augen verdreht?“

„Niemandem“, wehrte Elizabeth ab, „das Angebot kam aus heiterem Himmel. Durch einen guten Bekannten.“

Dieser gute Bekannte war Alltagsverehrer Ronald Maze. Von ihm hatte sie am wenigsten erwartet, dass er nützliche Kontakte pflegte, doch eines Tages hatte er sie mit der Nachricht überrascht, dass die und die Leute von der und der Musikfirma an einer Aufnahme interessiert wären. Elizabeth hatte keinen Moment gezögert.

„Es sieht aus, als ob du dein Leben im Griff hast“, sagte Eric.

„Sagen wir mal, meinen Beruf.“

„Dein Beruf ist doch dein Leben.“

Elizabeth lachte. „Du befindest dich auf dem Holzweg, mein Lieber. Musik ist nicht alles im Leben. Natürlich liebe ich sie, ich verehre sie und würde für sie sogar töten. Meine Seele und mein Ego können sich nicht beklagen, die bekommen mehr als genug. Aber ich habe auch noch ein Herz und einen Körper, die befriedigt sein wollen.“

„Vielleicht solltest du dir mehr Verehrer zulegen?“

Seine Bemerkung saß, und Eric spürte, dass er zu weit gegangen war. Er wusste, dass Elizabeth normalerweise explodieren würde, und machte sich mindestens auf eine Tirade gefasst.

Elizabeth aber blieb ruhig. „Meine Verehrer mögen mich bewundern und begehren“, sagte sie, „aber keiner von ihnen liebt mich wirklich, und ohne Liebe geht bei mir nichts. Sex ohne Liebe schmeckt nach aufgeblasenem Blätterteig. Man beißt in die knusprige Haut, und was bleibt, ist ein Häuflein trockener Krümel im Mund. Darauf habe ich keine Lust. Ich stehe auf herzhafte Kost.“

Eric richtete sich auf, weil sein Fuß schmerzte. Er stützte sich auf den Ellbogen ab, ließ den Kopf nach hinten fallen und seufzte leise. Elizabeth betrachtete seinen schönen Körper. In dieser Stellung sah Eric zum Anbeißen aus. Unter dem kalten Licht der Lampe schimmerten seine nackten Beine weich wie Elfenbein, sie erinnerten an die blassen Glieder jener Marmorstatuen, die italienische Meister für Paläste schufen: aus edelstem Stein gehauen und immer wieder von bloßer Hand geschliffen, bis sie die Kraft und Geschmeidigkeit einer Gazelle hatten. Elizabeths Blick wanderte zu seinen schmalen Hüften und der dünnen, weißen Unterhose, unter der sich deutlich sein Glied abzeichnete. Das weiße Hemd war bis zum Bauchnabel aufgeknöpft und lag weich auf seiner flachen Brust und den breiten Schultern. Die nächtlichen Wanderungen durch den australischen Busch hatten ihn vermutlich so athletisch gemacht. Nur die Hände und die Nase schienen etwas groß geraten. Elizabeth fand seine Nase süß. Überhaupt fand sie alles an ihm süß, selbst die blassblauen, zitternden Augen. Sie sehnte sich nach seinem Körper, so wie damals in Waratah Bay in einem Zelt am Strand, das in der Hitze der Nachmittagssonne zu kochen schien.

„Worauf warten wir?“, fragte sie plötzlich und stand auf. Sie ging zur Tür und blickte in den Gang hinaus. Niemand war zu sehen. „Es sieht aus, als ob man uns vergessen hat.“ Dann kam sie zurück zum Bett.

„Was hast du vor?“, fragte Eric.

„Weißt du, dass du unwiderstehlich bist?“, sagte sie und griff nach seiner Hand. Sie beugte sich zu ihm und küsste seine Stirn. Ihr Angriff überraschte ihn. Er legte den Arm um ihren Rücken und drückte sie an seinen Körper. Seine Nasenspitze berührte die feuchte, weiche Haut ihrer Halsgrube. Hungrig sog er den Duft von süßlichem Schweiss und der Erinnerung an Liebkosungen ein. Er schloss seine Augen und sah Maryannes liebliche Schultern, ihre zierlichen Arme und kleinen Brüste, während er in Elizabeths pralles Fleisch griff und sie auf seinen Schoss zog.

Elizabeth presste sich an ihn und flüsterte seinen Namen. Endlich! Endlich durfte sie sein Herz an ihrem Körper schlagen fühlen. Die klaffende Wunde, die seit Waratah Bay in ihrer Brust schmerzte, schloss sich in diesem Augenblick. Nimm mich, flehte sie stumm, führte seine Hand unter ihr Kleid und presste seine Finger auf ihre Scham. Mit der anderen Hand zog sie seine Unterhose so weit herunter, dass sein Glied entblößt war, anschwoll und sich aufrichtete. Er krallte seine Finger in ihr Fleisch und drang in sie ein, schnell und tief. Sie stöhnte auf, voll Lust, vor Schmerz. Plötzlich stieß er sie mit einem Ruck von sich weg und sein Samen ergoss sich in mehreren Fontänen über sein Hemd. Eric sank ermattet zurück. Jeder war nun für sich allein. Elizabeth spannte ihren Körper an, um die entfachte Lust, die in ihr übrig geblieben war, zu erdrücken. Sie wusste nicht weshalb, aber auf einmal schämte sie sich vor Eric. Sie stieg vom Bett herunter und rückte ihr Kleid zurecht. Eric war irritiert. Es befremdete ihn, dass er Elizabeth begehrte. Zugleich war er froh, denn zum ersten Mal fühlte er wieder, dass sich etwas Leben in ihm regte.

„Das war Weltrekord“, scherzte er verlegen, „na ja, nach drei Jahren Abstinenz.“ Er lächelte unbeholfen und blickte auf sein Hemd hinunter. „Nicht nur meine Hose ist versaut, jetzt auch noch das Hemd.“

„Zieh es aus, ich stecke die Sachen in einen Kissenbezug.“

„Soll ich etwa in der Unterhose auf die Straße gehen?“

„Lieber nicht, sonst wird ganz Melbourne verrückt nach dir.“

Der harte Engel

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