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Kapitel 1: Dezember 1992

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Vor dem Bahnhof stand ein einziges Taxi. Erst nachdem es losgefahren war, bemerkte Eric Winter, in was er sich hineingesetzt hatte. Die Sitze waren klebrig, die Türverkleidungen aufgerissen und die Klimaanlage funktionierte nicht. Es war heiß und der Fahrer roch nach Urin, der Verkehr rollte stockend, weil eine Baustelle die Hälfte der Fahrspuren blockierte. Selbst der schwache Fahrtwind war heiß und vermochte den beißenden Gestank nicht zu vertreiben. Eric streckte den Kopf aus dem Fenster, die Abgase waren geradezu wohltuend.

„Waren Sie in den Ferien?“, fragte der Taxifahrer.

„So ungefähr“, antwortete Eric.

„Wo denn? Wenn ich fragen darf.“

Nicht jeder brauchte zu wissen, dass er im Mount Buller National Park gewesen war, deshalb antwortete er: „Great Ocean Road. Apollo Bay.“

„Apollo Bay!“, schwärmte der Taxifahrer. „Fantastisch. Ja, kenne ich gut. Meine Exfrau lebt dort.“ Dann erzählte er, dass sie ein Geschäft für Surfer-Kleidung führe, und fragte, ob Eric es gesehen habe. Ohne eine Antwort abzuwarten, erzählte er, dass der Regenwald in den Hügeln über Apollo Bay bald zugrunde gehen werde, wenn man ihn weiterhin rücksichtslos abholze, und dass die Dorfbewohner das Trinkwasser sogar aus Jordanien importierten, weil das eigene durch die Abholzung ungenießbar geworden sei. „Schweinehunde“, schloss er. „Schweinehunde sind das.“

Eric war nicht an einer Konversation interessiert und betrachtete stattdessen die Wolkenkratzer, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des karamelfarbenen Yarra-Flusses erhoben. Obwohl seine Augen nur milchige Silhouetten wahrnahmen, erkannte er die einzelnen Gebäude mühelos: den Rialto-Tower, das Melbourne-Central, das wie eine Nadelspitze in den Himmel stach, die beiden Regent-Türme sowie die unzähligen anderen, namenlosen Wolkenkratzer, die dicht gedrängt in schwindelnde Höhen schossen. Umgeben von den einstöckigen Wohnhäusern, die sich endlos in alle Richtungen über die weite Ebene ausbreiteten, erinnerte das Zentrum von Melbourne aus der Ferne an ein gigantisches Spukschloss, verziert mit Hunderten von Zinnen. Soweit Eric es beurteilen konnte, sah die Stadt noch genauso aus wie vor zwei Jahren. Nichts hatte sich geändert.

„Was sind sie von Beruf?“, fragte der Taxifahrer.

Eric zögerte. Über seinen Beruf hatte er in den letzten Jahren nicht nachgedacht, und er beabsichtigte auch nicht, es jetzt zu tun.

„Schriftsteller“, log er.

„Krimis?“

„So ungefähr.“

Der Taxifahrer lächelte. „Dann sind sie bestimmt ständig auf der Suche nach spannendem Material.“

Eric merkte, dass er einen Fehler gemacht hatte, und fragte sich, warum ihm keine langweiligere Lüge eingefallen war, wie Gabelstaplerfahrer oder Bibliothekar. Zu spät, der Taxifahrer hatte schon wieder zu einem Monolog angesetzt.

„Ich habe Sachen erlebt“, prahlte er, „einen Bestseller nach dem andern könnte man damit schreiben. Heißer Stoff. Huren, Drogensüchtige, Verbrecher. Ich kenne mich aus mit diesem Pack.“

Am Kings Way blieb der Verkehr stehen und die Hitze im Taxi wurde unerträglich. Autos, so weit das Auge reichte.

Plötzlich senkte der Taxifahrer warnend die Stimme: „Eins müssen Sie wissen, dieses Pack ist ganz schön hart. Und gefährlich.“ Er ließ das Steuerrad los und drehte sich zu Eric um. „Schauen Sie sich meinen Ring an.“

Seine Hand war groß und kräftig. Eine Hand, die viel Schaden anrichten würde, wenn sie zuschlug. Und um jeden seiner dicken Finger klebte ein Ring. Eric wusste nicht, welchen von ihnen der Taxifahrer ihm zeigen wollte, er sah nur, wie sich die Ringe tief ins dicke Fleisch gegraben hatten.

„Ich war mit ein paar Freunden einen trinken. In der Kings Street, im Titts Galore, Melbournes bestes Striplokal. Da kommt plötzlich dieser Riese auf mich zu, und ohne was zu sagen, packt er meine Hand und reißt an dem Silberring. Will ihn mir einfach von der Hand reißen, dieser Bastard, und bricht mir dabei den Finger.“ Er hielt inne und starrte Eric an, als wäre ein gebrochener Finger das größte Unglück, das einem Menschen widerfahren konnte.

„Wir gingen raus auf die Straße. Meine Freunde, der Riese und ein Haufen seiner Kollegen. Plötzlich zog einer eine Pistole. Und in seiner Dummheit schoss er sich selber in den großen Zeh.“ Der Taxifahrer lachte laut auf. „In die Hosen geschissen haben sie sich, die Feiglinge, und sind abgehauen.“

Jetzt rutschte Eric doch näher zu dem Taxifahrer hin. Er bat ihn, sich den Ring noch mal anschauen zu dürfen. Es war aber nicht der Ring, der ihn interessierte, sondern die Hände, die er nun eingehender betrachtete.

Der Taxifahrer sprach auf einmal leiser, als wollte er Eric in ein Geheimnis einweihen. „Nächste Woche sehen wir sie wieder. Dann wird abgerechnet.“ Er formte die fleischige Hand zu einem Pistolenlauf, zielte zum Seitenfenster hinaus und jagte einem nebenan wartenden Autofahrer eine imaginäre Kugel ins Ohr. Eric rutschte in den Sitz zurück.

„Könnten Sie einen Menschen umbringen?“, unterbrach er den Taxifahrer, bevor dieser wieder loslegte.

Der Verkehr rollte langsam an. Die Autos, die hinter dem Taxi warteten, hupten. Der Taxifahrer drehte sich verblüfft nach Eric um. Dann fluchte er über die ungeduldigen Autofahrer, und setzte seinen Wagen ebenfalls in Bewegung. Endlich hielt er den Mund, so lange, bis sie vor Erics Wohnung angelangt waren. Dort nahm er lächelnd das Fahrgeld entgegen und hielt Erics Hand mit seiner Riesenpranke fest.

„Wenn jemand verdient hat zu sterben“, sagte er betont gelassen, „muss ihm dazu verholfen werden.“ Dann setzte er ein steinernes Gesicht auf und fuhr davon.

Der harte Engel

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