Читать книгу Sonnenwarm und Regensanft - Band 4 - Agnes M. Holdborg - Страница 8

Kei­nem Kraut ge­wach­sen

Оглавление

Sie fan­den tat­säch­lich einen Tag in der Wo­che, an dem sich al­le ein paar Stun­den für den Un­ter­richt frei­schau­feln konn­ten.

Le­na be­hag­te es nicht, dass es sich da­bei aus­ge­rech­net um ih­ren frei­en Mon­tag han­del­te. Als Fri­seu­rin war ihr die­ser Tag hei­lig. Des­halb ge­hör­te er ei­gent­lich al­lein Sen­tran und ihr. Da der Un­ter­richt al­ler­dings oh­ne­hin im Schloss und so­mit in der Nä­he ih­res Freun­des statt­fand, gab sie sich ge­schla­gen. Schließ­lich war sie viel zu neu­gie­rig. Im Grun­de ge­nom­men konn­te sie es gar nicht ab­war­ten, mehr über ih­re el­fi­schen Heil­kräf­te so­wie den Nut­zen der di­ver­sen Pflan­zen und Kräu­ter hier­für zu er­fah­ren. Oben­drein war es ein klei­nes Wun­der, al­le un­ter einen Hut be­kom­men zu ha­ben.

Schmun­zelnd er­in­ner­te sie sich an die Schil­de­run­gen ih­rer Ge­schwis­ter, die Re­ak­ti­on ih­rer El­tern und die äu­ßerst fri­vo­len Ge­dan­ken ei­ni­ger El­fen­män­ner:

… Jens war glü­ck­lich über das Ent­ge­gen­kom­men sei­nes Chefs, hat­te der ihm doch er­laubt, an die­sem Wo­chen­tag re­gel­mä­ßig frü­her in den Fei­er­abend zu ge­hen und die ver­lo­re­ne Ar­beits­zeit an an­de­ren Ta­gen wettz­u­ma­chen. Zwar war Jens trotz die­ses Um­stan­des und sei­ner Neu­gier­de auf den Un­ter­richt noch ein we­nig skep­tisch, denn er woll­te sei­ne Sil­vi schließ­lich auch an die­sem Ta­ge noch zu Ge­sicht be­kom­men. Aber Vi­tus hat­te ihm ver­spro­chen, ihn stets pünkt­lich heim­brin­gen zu las­sen.

An­na hat­te die Mit­glie­der ih­rer Bio-Lern­grup­pe da­zu über­re­det, den wö­chent­li­chen Ter­min von mon­tags auf mitt­wochs zu ver­le­gen. Mi­ri, An­nas ein we­nig ver­rück­te, schril­le neue Schul­freun­din, hat­te sie zwar ge­lö­chert, um den Grund hier­für zu er­fah­ren. Doch bei der Er­wäh­nung des Na­mens Vik­tor hat­te Mi­ri wis­send die Au­gen ver­dreht und ge­meint, dass sie für so ei­ne Sah­ne­schnit­te not­falls die Nacht zum Ta­ge ma­chen wür­de. An­na fing an, die un­kom­pli­zier­te Mi­ri gern­zu­ha­ben, und be­dau­er­te es zu­neh­mend, sie nicht in das El­fen­ge­heim­nis ein­wei­hen zu dür­fen.

Jo­han­nes und The­resa hat­ten sich zu­nächst nicht vor­stel­len kön­nen, fast einen gan­zen Tag in der Wo­che oh­ne ei­nes ih­rer drei Kin­der zu ver­brin­gen, sich dann aber rasch mit dem Ge­dan­ken an­ge­freun­det. Nach über zwan­zig Jah­ren lie­ße sich mit so ei­nem »kin­der­frei­en« Tag si­cher­lich et­was an­fan­gen.

Sen­tran, Ke­tu und Vik­tor wa­ren sich zu­dem ei­nig dar­über, dass die­ser Un­ter­richts­tag einen prak­ti­schen und noch da­zu äu­ßerst er­freu­li­chen Ne­ben­ef­fekt mit sich bräch­te. Denn an die­sem Tag blie­ben ih­re Freun­din­nen stets über Nacht im Schloss, so­mit letzt­end­lich bei ih­nen – und in ih­ren Bet­ten. Ein wirk­lich ver­lo­cken­der Ge­dan­ke. …

So ge­hör­te der Mon­tag­nach­mit­tag ab sech­zehn Uhr nun­mehr Vi­tus und Lo­a­na.

***

»El­fen­män­ner sind letzt­lich eben auch nur Män­ner«, spöt­tel­te Vik­to­ria, als Ke­tu sie an sei­nen ge­dank­li­chen Fan­tasi­en teil­ha­ben ließ. »Gibt es ei­gent­lich Au­gen­bli­cke am Tag, an de­nen ihr nicht an Sex denkt?«

Er ver­zich­te­te auf ei­ne Ant­wort. Statt­des­sen run­zel­te er die Stirn, bis die Brau­en fast gänz­lich un­ter sei­nem dich­ten brau­nen Haar ver­schwan­den, so­dass er den Ein­druck er­weck­te, an­ge­strengt nach­zu­den­ken. Das brach­te ihm einen Knuff in die Rip­pen ein.

»Al­so wirk­lich«, frot­zel­te sie wei­ter.

Wäh­rend sie ge­müt­lich durch den Schloss­gar­ten schlen­der­ten, lehn­te Vik­to­ria sich an Ke­tus Schul­ter. Sie nutz­ten die Zeit, um ein paar Son­nen­strah­len ein­zu­fan­gen und bei die­ser Ge­le­gen­heit die be­gin­nen­den Bau­a­r­bei­ten in ei­nem ab­ge­le­ge­nen Teil des Schloss­parks zu in­spi­zie­ren. Der Un­ter­richt wür­de erst in ei­ner Stun­de be­gin­nen und Ke­tu hat­te ge­ra­de Fei­er­abend.

Ein rich­ti­ger Fei­er­abend er­gab sich für ihn als kö­nig­li­chen Eli­te­wach­mann al­ler­dings eher sel­ten. Ei­gent­lich war er im­mer im Dienst, au­ßer Vi­tus gab aus­drü­ck­lich frei oder ge­neh­mig­te ein paar Ta­ge Ur­laub.

Trotz al­le­dem gab es einen Dienst­plan. Au­ßer­halb die­ses Plans be­fand sich Ke­tu, wie auch sei­ne Kol­le­gen, qua­si in Be­reit­schaft. In die­ser Zeit konn­te er sei­nen pri­va­ten In­ter­es­sen nach­ge­hen, hat­te sich je­doch auf Be­fehl des Kö­nigs oder na­tür­lich bei dro­hen­der Ge­fahr so­fort zu mel­den.

Die­sen Dienst­plan hat­te Vi­tus, seit­dem Le­na und Sen­tran ein Paar wa­ren, neu ab­ge­stimmt und da­bei ins­be­son­de­re Ke­tus und Sen­trans Schich­ten wei­test­ge­hend zu­sam­men­ge­legt. Das mach­te es Ke­tu leich­ter, die freie Zeit ge­mein­sam mit Vik­to­ria zu ge­stal­ten. Sei­ne per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se wa­ren der­art eng mit ihr, den Nell-Ge­schwis­tern und da­durch zu­sätz­lich mit Vik­tor und Sen­tran ver­wo­ben, dass es Vi­tus zu­dem wich­tig er­schien, auch Vik­tor in die­se Pla­nung mit ein­zu­be­zie­hen. Ein­mal mehr war Ke­tu er­staunt über die Um­sicht sei­nes Kö­nigs, Dienst­herrn und Freun­des.

***

Vi­tus schau­te zum Fens­ter sei­nes Ar­beits­zim­mers hin­aus auf das im par­k­ähn­li­chen Schloss­gar­ten spa­zie­ren­de Paar. Er sah die Lie­be in den Au­gen der bei­den. Un­ter­des­sen schweif­ten sei­ne Ge­dan­ken ab.

Wie schnell die Kin­der er­wach­sen ge­wor­den wa­ren.

Er war sich si­cher, dass Ke­tu und Vik­to­ria das nächs­te kö­nig­li­che Braut­paar wer­den wür­den, schließ­lich hat­ten sie sich ja auf sei­ner Hoch­zeit ver­lobt. Seit die­ser Zeit hat­ten die bei­den al­ler­dings kei­nen Ton mehr dar­über ver­lau­ten las­sen. Frei­lich, Si­stras Tod war noch nicht lang her und sei­ne Asche be­gann ge­ra­de erst auf dem Grund des el­ter­li­chen Gar­tens zu er­b­lü­hen. Trotz­dem wä­re es zwei­fel­los nicht im Sin­ne von Ke­tus Bru­der ge­we­sen, die Hei­rat sei­net­we­gen auf die lan­ge Bank zu schie­ben. Vi­tus wür­de sich un­be­dingt mit ih­nen dar­über un­ter­hal­ten müs­sen.

Nach ei­nem letz­ten Blick hin­un­ter setz­te er sich an sei­nem Schreib­tisch, be­vor sei­ne Grü­belei­en ihn wie­der­um von der Ar­beit ab­lenk­ten:

Vik­tor war un­ter­wegs, um An­na zu ho­len. Bei der Vor­stel­lung muss­te Vi­tus un­will­kür­lich lä­cheln.

Nach wie vor war es sei­nem Sohn nicht ge­lun­gen, An­na an Ger­tus zu ge­wöh­nen. Da­bei hat­te das Pferd sie so­fort ak­zep­tiert und in sein gro­ßes El­fen­pferd­herz ge­schlos­sen. Heu­te, nach dem Abend­es­sen, wür­de er An­na ein­fach auf den Rü­cken des Tie­res set­zen.

»Wol­len doch mal se­hen, ob wir sie nicht end­lich da­zu krie­gen, ihr ei­ge­nes Pferd an­zu­er­ken­nen. Das Tier hat sei­ne Be­sit­ze­rin je­den­falls vom ers­ten Au­gen­blick an ge­liebt. Nun müs­sen wir ihr nur noch bei­brin­gen, das Glei­che für ihn zu emp­fin­den.«

Zu­frie­den mit sei­nem Vor­ha­ben mach­te er sich nun an sei­ne Ar­beit und be­gann da­mit, sämt­li­che An­trä­ge und Be­schwer­den nach dem ihm ei­ge­nen Sys­tem zu sor­tie­ren und zu ord­nen, um sie da­nach ge­nau­er in Au­gen­schein zu neh­men. Da­bei er­regte be­son­ders ei­ne Be­schwer­de aus der Re­gi­on sei­nes Bru­ders Estra sei­ne Auf­merk­sam­keit.

»Ei­ne gu­te Ge­le­gen­heit, Estra, Isi­nis und die Kin­der mal wie­der zu be­su­chen«, über­leg­te er. »Vik­tor und Vik­to­ria ha­ben ih­re Zieh­el­tern seit mei­ner Hei­rat nicht mehr ge­se­hen. Gut, ich wer­de auch An­na fra­gen, ob sie nächs­tes Wo­chen­en­de Zeit hat, um uns dort­hin zu be­glei­ten.«

Er mach­te sich ein paar ge­dank­li­che No­ti­zen, un­ter­schrieb meh­re­re Schrift­stü­cke und reich­te sie ei­nem sei­ner Be­ra­ter, der ge­ra­de zur Tür her­ein­kam.

»Das wä­re al­les für heu­te, An­sa. Geh zu dei­ner Frau und grü­ße sie von mir. Bis mor­gen.«

»Mein Kö­nig«, ant­wor­te­te An­sa in der ty­pisch el­fi­schen Form knapp und re­spekt­voll, nahm die Pa­pie­re, be­vor er sich lei­se zu­rück­zog.

Als Vi­tus plötz­lich die hel­le, leicht ge­reiz­te Stim­me sei­ner Frau wahr­nahm, wur­de ihm warm uns Herz.

»Sie strei­tet sich mal wie­der mit Wo­nu«, flüs­ter­te er ver­gnügt. »Du mei­ne Gü­te, was ist denn nun schon wie­der los?«

Oh­ne sei­nen Ar­beits­raum ei­nes wei­te­ren Bli­ckes zu wür­di­gen, stand er auf und lief hin­aus. Jetzt hat­te er nur noch Oh­ren und Sin­ne für sei­ne be­zau­bern­de Ehe­frau, folg­te da­her ih­ren schnel­len bre­to­ni­schen Flü­chen und Schimpf­ti­ra­den. Wie er rich­tig ver­mu­tet hat­te, lan­de­te er in der Kü­chen­tür, wo er fas­zi­niert ste­hen blieb, um in al­ler Ru­he Lo­a­nas Streit mit dem Ers­ten Koch des Schlos­ses zu ver­fol­gen:

»Das ist doch bloß ein Kraut, Wo­nu. Bloß ein harm­lo­ses, ge­sun­des Kraut, das du für den Rot­wein­sud ver­wen­den sollst. Ich ver­lan­ge ja nichts Un­mög­li­ches. Die­ses Kraut soll nur in den ver­damm­ten Sud. Man kann es nicht schme­cken oder rie­chen. Dei­ner So­ße pas­siert al­so nichts. Aber da­mit kann ich Le­na zei­gen, wie man man­che Din­ge nutzt, oh­ne dass an­de­re es be­mer­ken. Das ist wich­tig, ver­stehst du?« Lo­a­na fuch­tel­te wild mit ei­nem Bün­del, das nach Vi­tus‘ Ein­druck wie ge­trock­ne­tes Gras aus­sah, vor Wo­nus Na­se her­um. »Ach, weißt du was, du Koch­löf­fel­schwin­ger? Ich kann dich nicht im­mer mit Woll­hand­schu­hen an­fas­sen, hörst du? Ich bin dei­ne Kö­ni­gin und du han­delst ge­fäl­ligst nach mei­nen Bo­ten!«

Wü­tend hielt sie dem gleich­sam wü­ten­den Koch das Bü­schel un­schein­ba­ren Krauts hin. Der nahm es ihr mit spit­zen Fin­gern und ei­nem de­mon­s­tra­tiv lau­ten, da­zu ein­deu­tig pro­tes­tie­ren­den Schnau­ben ab.

»Wir wer­den ja se­hen, ob es mei­nem Ge­richt scha­det oder nicht«, me­cker­te er. »Du trägst die Ver­ant­wor­tung da­für. Bis­her sind mir mei­ne Spei­sen im­mer sehr gut ge­lun­gen, mei­ne Kö­ni­gin.« Er blitz­te Lo­a­na mit sei­nen klei­nen schwa­r­zen Kä­ferau­gen bö­se an. »Das soll auch so blei­ben!«

In ih­rem Zorn hat­ten sie bei­de nicht be­merkt, dass Vi­tus im Tür­rah­men stand. Des­halb stapf­te Wo­nu nun mit dem Bü­schel in der Hand in Rich­tung Spü­le. Da­bei brum­mel­te er laut vor sich hin, frag­te sich noch da­zu, was das mit den »Woll­hand­schu­hen« und »Bo­ten« wohl wie­der mal zu be­deu­ten hät­te. Derb flu­chend wa­rf das Kraut zum Wa­schen ins Be­cken.

Die Hän­de zu Fäus­ten in die Hüf­ten ge­stemmt dreh­te sich Lo­a­na der­weil mit sicht­lich zu­frie­de­ner Mie­ne um und stieß ge­ra­de­wegs mit ih­rem Mann zu­sam­men. So­fort ver­dun­kel­te sich ihr Blick. Sie press­te die Lip­pen zu ei­nem schma­len Strich zu­sam­men, wäh­rend sie ein paar edel­stein­grü­ne Fun­ken auf ihn ab­feu­er­te. »Mit Woll­hand­schu­hen kommt man bei dem nun mal nicht wei­ter, ge­nau wie beim Gärt­ner. Da­bei bin ich ei­gent­lich über­haupt nicht der Typ für Bo­ten. Das weißt du ge­nau, mein Kö­nig.«

Vi­tus mus­ter­te sei­ne wun­der­schö­ne Frau von oben bis un­ten. Im­mer aufs Neue er­staun­ten, ja, er­reg­ten ihn ihr An­blick und ihr Geist. Dann setz­te er zu ei­nem schie­fen Grin­sen an und sag­te nur drei Wor­te: »Samt-hand­schu­he und Ge-bo­te.«

»Oh«, war ih­re schlich­te Ant­wort.

Lo­a­nas Mie­ne wur­de sanft, ihr Mund wie­der voll und sinn­lich. Sie sah Vi­tus mit ei­nem sü­ßen Lä­cheln an, stell­te sich auf die Ze­hen­spit­zen und gab ihm einen klei­nen Kuss. Er hielt sie fest, hob sie hoch, als sie sich von ihm lö­sen woll­te, und ver­tief­te den Kuss, bis sie nach Atem rang. Da­nach stell­te er sie auf die Fü­ße zu­rück.

»Du willst uns al­so zum Abend­es­sen ein Kraut un­ter­ju­beln?«, er­kun­dig­te er sich.

»Das ist ein sehr gu­tes Kraut. Ich hab es ge­sam­melt, als wir an der bre­to­ni­schen Küs­te an Land ge­gan­gen sind. Es wächst bis­lang nur dort. Und falls die­ser starr­köp­fi­ge Gärt­ner es end­lich zu­lässt, wer­de ich ver­su­chen, es hier zu kul­ti­vie­ren.«

Lei­se flu­chend stell­te Vi­tus fest, dass Lo­a­na ih­re Ge­dan­ken sorg­fäl­tig ab­schirm­te, als er dar­in her­um­stö­ber­te. »Oh nein, mein Kö­nig, die Wir­kung die­ses Ge­wäch­ses ver­ra­te ich dir nicht. Noch nicht. Es ist zwar sehr stark, den­noch ab­so­lut harm­los, glaub mir. Sonst wür­de ich das nicht tun. Aber Le­na kann am meis­ten von mir ler­nen, wenn ich ihr prak­ti­sche Grund­la­gen ver­schaf­fe.«

Vi­tus dach­te nach, was Lo­a­na ihm of­fen­bar so­fort an­sah. Schnell füg­te sie hin­zu: »Vi­tus, es ist ein gu­tes Kraut. Auch für un­se­re Ba­bys.« Sie nahm sei­ne Hand und leg­te sie auf ih­ren Bauch. »Un­se­re Ba­bys«, wie­der­hol­te sie flüs­ternd.

***

Da Vi­tus kö­nig­lich stei­fe Zwän­ge zu­tiefst ver­ab­scheu­te, fan­den sich sei­ne Fa­mi­lie, sei­ne sechs Wach­leu­te, Freun­de und die meis­ten sei­ner Gäs­te fast aus­schließ­lich in der Kü­che am rie­si­gen Tisch zum Es­sen ein. Der gro­ße Spei­se­saal – mit den fun­keln­den Lüs­tern, ho­heits­vol­len Stuck­ver­zie­run­gen an den De­cken und be­ein­dru­cken­dem Ka­min – war grund­sätz­lich be­son­ders fest­li­chen An­läs­sen vor­be­hal­ten oder dien­te als Treff­punkt, falls der Platz in der Schloss­kü­che doch ein­mal nicht aus­reich­te.

Es hat­te Vi­tus ei­ni­ges an Ge­duld ab­ver­langt, sei­ne sechs Wach­leu­te da­von zu über­zeu­gen, dass sie zu sei­ner Fa­mi­lie ge­hör­ten, und sie da­zu zu be­we­gen, re­gel­mä­ßig mit ihm am Kü­chen­tisch zu spei­sen. Nach an­fäng­li­chem Zö­gern fan­den sie all­mäh­lich Ge­fal­len dar­an.

So ge­stal­te­te sich auch das heu­ti­ge Abend­es­sen zu ei­nem ge­müt­li­chen Bei­sam­men­sein. Und zwar oh­ne Be­diens­te­te, oh­ne Be­nimm­re­geln, oh­ne Pro­to­kol­le – oh­ne Vor­be­hal­te. Je­der konn­te sich nach sei­ner Fas­son am Buf­fet be­die­nen. Ei­ne prak­ti­sche Sa­che, falls ein­mal je­mand nicht pünkt­lich da sein könn­te.

Trotz­dem ach­te­te Vi­tus bei sei­ner Gat­tin und den bei­den Nell-Frau­en stets dar­auf, dass ih­re Tel­ler gut ge­füllt und dann auch ge­leert wur­den.

Als er An­na am Tre­sen ste­hen sah, fiel ihm auf, dass sie die Auf­re­gung rund um die Ge­richts­ver­hand­lung ei­ni­ge Ki­lo ge­kos­tet hat­te. Die­se neue Ho­se schien ihr förm­lich von den Hüf­ten zu rut­schen. Das ging wirk­lich nicht so wei­ter. Manch­mal wirk­te An­na so zart und äthe­risch, wie die Men­schen sich die El­fen in ih­ren Fan­tasi­en oft vor­stell­ten. Sei­ne Ve­ro­ni­ka hat­te da­mals ge­nau­so aus­ge­se­hen, kam es ihm in den Sinn. So­fort ver­wa­rf er den Ge­dan­ken an sie, ver­setz­te er ihm doch nach wie vor einen bit­te­ren Stich.

Auch Lo­a­na war eher klein und zier­lich. Vi­tus schmun­zel­te bei ih­rem An­blick so­wie dem von An­na und sei­nem Sohn.

Dar­auf­hin ließ er sei­nen Blick zu Sen­tran und Le­na glei­ten. Noch so ein un­glei­ches Paar, dach­te er.

Le­na sah ih­rer Schwes­ter aus­ge­spro­chen ähn­lich, mit dem lan­gen gold­blon­den Haar. Nur trug sie kei­ne Bril­le und war ein paar Zen­ti­me­ter grö­ßer als An­na. Da Sen­tran al­ler­dings zwei Me­ter maß und als Wach­mann ei­ne be­son­ders aus­ge­präg­te Mus­ku­la­tur auf­wies, sprang je­dem der dras­ti­sche Ge­gen­satz zwi­schen den bei­den ins Au­ge.

Un­ver­kenn­bar hat­ten sie al­le drei – er, Vik­tor und Sen­tran – ei­ne Schwä­che für solch zar­te Ge­schöp­fe.

Die­ser Ein­druck von Zer­brech­lich­keit war rein äu­ße­r­lich zu be­trach­ten, mein­te Vi­tus. Denn es han­del­te sich bei al­len drei Frau­en um aus­ge­spro­chen star­ke Per­sön­lich­kei­ten. Auch bei den Nell-Schwes­tern, die sich trotz ih­rer Ju­gend, ge­nau wie Vik­to­ria, von ih­ren Män­nern nichts sa­gen lie­ßen oder die­se aber in dem Glau­ben lie­ßen, sie wür­den es ih­nen recht ma­chen. An­na hat­te zwar et­was län­ger ge­braucht, um ihr Selbst­be­wusst­sein auf­zu­bau­en, und war sich des­sen noch nicht im­mer be­wusst, aber sie hat­te Vik­tor fest am Ha­ken.

Vi­tus war durch­aus klar, dass auch Lo­a­na ihn stän­dig um den klei­nen Fin­ger wi­ckel­te. Doch schmol­zen sie letzt­lich ge­gen­sei­tig wie Wachs in der Son­ne, wenn sie sich be­rühr­ten. Die Lie­be mach­te so­gar die stärks­te Frau schwach. Das war bei Frau­en wie bei Män­nern so, dach­te Vi­tus für sich und be­schloss spon­tan, sein Vor­ha­ben, An­na nach dem Abend­es­sen an Ger­tus zu ge­wöh­nen, auf ein an­der­mal zu ver­schie­ben.

Heu­te Abend müss­te er un­be­dingt mit sei­ner Frau zu­sam­men sein, und zwar sehr aus­gie­big, sehr gründ­lich, sehr in­ten­siv. Es war, als dürs­te­te ihm nach ihr und ein­zig sie könn­te die­sen Durst stil­len.

Er aß den letz­ten Bis­sen vom köst­li­chen Bra­ten, den Wo­nu ge­zau­bert hat­te, und tunk­te genüss­lich die rest­li­che Rot­wein­so­ße mit ei­nem Stü­ck­chen Weiß­brot auf. Dann fiel sein Blick auf Lo­a­nas Tel­ler.

»Du bist ja schon fer­tig. Wie kann das sein?«, frag­te er sie ver­wun­dert.

Lo­a­na hob amü­siert ei­ne ih­rer ge­schwun­ge­nen Brau­en. »Nicht al­le hier am Tisch sind so tief in Grü­belei­en ver­sun­ken wie du, Vi­tus. Du hast ge­träumt.«

Ver­gnügt leg­te sie ei­ne Hand auf sein Knie, was ihn aus­ge­spro­chen er­reg­te, wie er ver­wun­dert re­gis­trier­te.

»Ich träu­me nie, Ke­ned«, gab er mil­de zu­rück. »Ich den­ke im­mer nur nach.« Sein Blick ver­sank in ih­rem und ließ Lo­a­na kurz er­schau­ern. »Falls du nichts da­ge­gen hast, brin­ge ich dich zu Bett. Du bist sehr mü­de.«

Ge­spielt er­staunt zog Lo­a­na ih­re Braue noch hö­her. »So? Bin ich das? Hhm. Na ja, jetzt, wo ich dar­über nach­den­ke … Viel­leicht hast du recht. Das Un­ter­rich­ten hat mich tat­säch­lich er­schöpft.«

Sie woll­te auf­ste­hen, doch war Vi­tus wie üb­lich schnel­ler und hob sie auf sei­ne Ar­me. »Ja, du bist wirk­lich sehr, sehr mü­de, Ke­ned

Das war das Letz­te, was die an­de­ren von den bei­den sa­hen, so schnell war Vi­tus mit Lo­a­na zur Kü­che hin­aus­ge­stürmt.

Nichts­des­to­trotz wuss­te er ge­nau, dass sie sich schwei­gend am Kü­chen­tisch ge­gen­über­sa­ßen und ge­gen­sei­tig et­was ver­le­gen an­grins­ten. Dann er­ho­ben sich Vik­tor, Ke­tu und Sen­tran im­mer noch wort­los von ih­ren Plät­zen, nah­men ih­re Frau­en bei der Hand und zo­gen sie hin­aus.

Es war wahr­haf­tig ein sehr an­stren­gen­der Tag ge­we­sen, für sie al­le.

***

Un­ge­dul­dig wa­rf Vik­tor die Tür ins Schloss, nach­dem sie sein Zim­mer be­tre­ten hat­ten. Er stürz­te sich re­gel­recht auf An­na. Die war nicht min­der stür­misch.

Ih­re Mün­der flo­gen zu­ein­an­der, kämpf­ten ge­gen­sei­tig un­ter lau­tem Stöh­nen mit Zun­ge und Zäh­nen um Vor­herr­schaft.

Da­bei zo­gen und zerr­ten sie bei­de wie von Sin­nen an ih­ren Klei­dern. Sie ern­te­ten ih­re ge­gen­sei­ti­gen tri­um­phie­ren­den Bli­cke, als sie end­lich nackt wa­ren, lie­ßen sich ge­mein­sam aufs Bett fal­len, um sich dort un­ge­stüm um­her­zu­wäl­zen.

»Him­mel, du machst mich ver­rückt«, stieß Vik­tor mit rau­er Stim­me aus, be­vor er mit dem Mund ei­ne Knos­pe ih­rer klei­nen fes­ten Brust um­schloss, da­mit ihr und sein Ver­lan­gen ins Un­er­mess­li­che stei­ger­te. Im­mer, wenn er an der sü­ßen Spit­ze sog, durch­floss ein un­glaub­li­cher Schau­er­re­gen sei­ne Len­den und trieb ihn schier in den Wahn­sinn, wäh­rend sie laut auf­stöhn­te und sich vor Won­ne auf die Lip­pe biss.

Wür­de die­ses Be­geh­ren im­mer so blei­ben?, frag­te er sich. Wür­de er im­mer der­art nach ihr ver­lan­gen?

Er zog ei­ne hei­ße Spur von ih­ren Brüs­ten ent­lang ih­rer leicht her­vor­tre­ten­den Rip­pen, hin­ab zu dem fla­chen Bauch, hielt dort in­ne, um ih­ren Na­bel zu kos­ten. Doch er ver­harr­te nicht lan­ge dort, denn er woll­te sie un­be­dingt schrei­en hö­ren. Ge­trie­ben von die­sem Wunsch schob er sich tie­fer. Er war erst zu­frie­den, als sie sich wand und stöh­nend sei­nen Na­men aus­rief. Es war fast so, als durch­leb­te er selbst die­sen Aus­bruch. Da­bei hat­te er gro­ße Schwie­rig­kei­ten, sich zu­rück­zu­hal­ten, so nah war er ihr, so sehr spür­te er sie.

In sei­nem Rausch nahm er ih­re Hit­ze, ihr Zit­tern, ihr Schluch­zen im­mer deut­li­cher wahr. Er war sie! Und er woll­te mehr und mehr. So glitt er wie­der zu ihr hoch, um sich end­lich mit ihr zu ver­ei­ni­gen, da er das En­de sei­ner Be­herr­schung bei­na­he er­reicht hat­te. Ihr Schrei hall­te in sei­nem Mund, er­stick­te da­mit sei­ne ei­ge­nen Schreie.

In ihm, in ihr, in dem Zim­mer tos­te ein Sturm. Ro­te Fun­ken sto­ben, als er sich mit ihr dem Sie­de­punkt nä­her­te.

»Jetzt, jetzt, jetzt!«

Ih­re Ge­dan­ken und Hän­de fest mit­ein­an­der ver­schlun­gen, hiel­ten sie ih­ren Atem an, be­vor die Ex­plo­si­on sie zu zer­rei­ßen droh­te und in ei­ne an­de­re Welt ent­führ­te.

Zu kei­ner Re­ak­ti­on, Be­we­gung, auch zu kei­nem Wort fä­hig lag er mit häm­mern­dem Her­zen auf ihr, ba­de­te in ih­rem und sei­nem hei­ßen Schweiß, ver­such­te, sich mit blei­er­nen Kno­chen von ihr zu rol­len, be­vor er sie er­drück­te, und rang ras­selnd nach Atem.

Nach wie vor hat­te An­na ih­re Bril­le schief auf der Na­se sit­zen, völ­lig ver­schmiert. Mit schwe­rer Hand nahm sie sie ab, um sie auf das Tisch­chen ne­ben dem Bett zu le­gen. Zwar ge­nau­so atem­los wie Vik­tor be­müh­te sie sich den­noch, Wor­te zu for­mu­lie­ren, war aber ein­zig zu mü­den Ge­dan­ken fä­hig.

»Was – um al­les in der Welt – war das denn? Was hast du mit mir ge­macht?«

Vik­tor dreh­te sei­nen Kopf zu ihr und ver­such­te sich an ei­nem Grin­sen, das al­ler­dings reich­lich schwach aus­fiel.

»Ich mit dir? Von we­gen, wohl eher du mit mir«, gab er ge­dank­lich zur Ant­wort.

»Das war Wahn­sinn, Vik­tor! Das war un­be­schreib­lich! Ich hät­te nie ge­dacht, dass es im­mer noch in­ten­si­ver wer­den könn­te. Wir wa­ren ich und ich war wir. Gott, das hört sich to­tal ver­rückt an!«

Vik­tor wand­te all sei­ne Kraft auf, um sich ein biss­chen auf­zu­rich­ten und sie an­zu­schau­en. Nun sprach er sei­ne Ge­dan­ken aus, weil er fürch­te­te, die geis­ti­ge Kom­mu­ni­ka­ti­on wür­de ihn sei­ner al­ler­letz­ten Kraft­re­ser­ven be­rau­ben.

»Das ist nicht ver­rückt, An­na. Das ist el­fisch. Du wirst mehr und mehr el­fisch. Das muss am Un­ter­richt lie­gen.« Er hielt kurz in­ne. »Quatsch, das liegt an dir, nur an dir.«

Es war er­staun­lich, er emp­fand wei­ter­hin pu­re Er­re­gung, als er sie so ne­ben sich lie­gen sah. Völ­lig weich, feucht und glü­hend. Er beug­te sich zu ihr hin­ab.

»An­na«, raunt er ihr ins Ohr, »das bist nur du. Nur du kannst das mit mir ma­chen.«

Er spür­te ge­nau, wie die glei­che Be­gier­de in ihr neu er­wach­te und sie ga­ben sich noch ein­mal ei­nem nicht min­der auf­re­gen­den Tanz hin. Da­nach san­ken sie ge­mein­sam in in­ni­ger Um­ar­mung in tie­fen Schlaf.

***

Das Früh­stück am nächs­ten Mor­gen ver­lief ent­ge­gen sons­ti­ger Ge­pflo­gen­hei­ten eher ru­hig. Vik­to­ria und Ke­tu wa­ren erst gar nicht er­schie­nen. Of­fen­bar be­gann Vik­to­ri­as Vor­le­sung, Se­mi­nar oder was auch im­mer wohl spä­ter, über­leg­te Lo­a­na und be­trach­te­te dann so­wohl An­nas als auch Le­n­as mü­de, über­näch­tig­te Au­gen. Sen­tran wie auch Vik­tor mach­ten eben­falls kei­nen all­zu fri­schen Ein­druck.

»Was ist denn hier los?« An­na war an­schei­nend auf­ge­fal­len, dass nicht nur sie sich schlapp fühl­te.

»Das ist die Nach­wir­kung von Jec­tam, ei­nem sel­te­nen Ge­wächs aus der Bre­ta­gne«, er­klär­te Lo­a­na knapp. Statt einen wei­te­ren Kom­men­tar ab­zu­ge­ben, wa­rf sie Le­na einen auf­for­dern­den Blick zu.

Die hat­te bei Lo­a­nas Ant­wort be­reits in­ter­es­siert von ih­rer Müs­li­scha­le auf­ge­schaut. Nach ei­ner Se­kun­de des Nach­den­kens mach­te sie zu­nächst ein ver­blüff­tes, da­nach ein wis­sen­des Ge­sicht. »Ooh, Jec­tam, ich ver­ste­he.«

Vi­tus ver­folg­te auf­merk­sam die Mie­nen der bei­den Frau­en und ver­stand of­fen­bar eben­so.

»Du hast uns al­len ei­ne – nun, ich nen­ne es mal er­eig­nis­rei­che Nacht be­schert, Lo­a­na. Mit die­ser Art von an­schau­li­chem Un­ter­richt hat­te ich al­ler­dings nicht ge­rech­net. Au­ßer­dem hast du mir ge­sagt, das Zeug sei harm­los. Ich hat­te aber eher das Ge­fühl, es bringt uns um.«

Er räus­per­te sich, al­ler­dings nicht oh­ne ein schalk­haf­tes Fun­keln in sei­nen Au­gen. »Ver­steh mich bit­te nicht falsch. Es war ei­ne aus­neh­mend an­ge­neh­me Er­fah­rung. Den­noch wür­de ich sie nicht ge­ra­de als harm­los be­zeich­nen.«

»Jec­tam för­dert ex­trem die Kon­zen­tra­ti­on«, klär­te Le­na die an­de­ren auf, die völ­lig ah­nungs­los wa­ren und des­halb mit die­sem Ge­spräch über­haupt nichts hat­ten an­fan­gen kön­nen.

»Te!«, schnaub­te Vi­tus. »Nennt man das jetzt so? Kon­zen­tra­ti­on

Lo­a­na setz­te Le­n­as Er­klä­rung un­be­irrt fort: »Ich ha­be das Kraut ges­tern von Wo­nu un­ters Es­sen mi­schen las­sen. Es ist ge­schmacks- und ge­ruchs­neu­tral, ver­liert aber nicht sei­ne Wir­kung, wenn man es kocht.« Sie kau­te ver­le­gen auf der Un­ter­lip­pe. »Na ja, viel­leicht ver­stärkt sich die Wir­kung durch das Ko­chen noch ein biss­chen.«

»Ein biss­chen?«, fuhr Vi­tus wie­der da­zwi­schen.

»Ja, ein biss­chen«, be­harr­te Lo­a­na auf ih­rer Mei­nung. »Ihr denkt jetzt be­stimmt, Jec­tam sei eher ei­ne Art ero­ti­sche Dro­ge als ein Mit­tel zur Kon­zen­tra­ti­ons­stei­ge­rung. Schließ­lich hat­ten wir in die­ser Nacht al­le ei­ne in­ten­si­ve Er­fah­rung, falls ich mich nicht ir­re. Trotz­dem ist und bleibt Jec­tam ei­ne Heil­pflan­ze, die al­lein die Auf­merk­sam­keit, Acht­sam­keit, An­span­nung und Aus­dau­er be­ein­flusst. Mehr nicht.«

Vi­tus kratz­te sich am Kopf. »Das hat sich heu­te Nacht nicht be­son­ders nach Acht­sam­keit an­ge­fühlt, Ke­ned. Und du kannst das nicht leug­nen. Du warst schließ­lich da­bei.«

Vi­tus sprach in der ihm so ty­pisch of­fe­nen Art wei­ter: »Ich ha­be es für gren­zen­lo­ses Be­geh­ren ge­hal­ten und fin­de den Ge­dan­ken, dass die­ses Ge­fühl al­lein durch ein mick­ri­ges Kraut er­zeugt wur­de, ei­gent­lich furcht­bar scha­de.«

»Das ist es aber nicht, Vi­tus. Jec­tam ver­stärkt und in­ten­si­viert aus­nahms­los das, was ich eben ge­nannt ha­be. Der Rest kommt von ei­nem selbst. Wä­re, hhm, sa­gen wir mal Eti­ta statt mei­ner im Schlaf­ge­mach ge­we­sen, hät­test du sie nie­mals an­ge­rührt, glau­be mir. Das funk­tio­niert nur mit be­reits vor­han­de­nen Emo­ti­o­nen. Au­ßer­dem hät­test du je­der­zeit auf­hö­ren kön­nen, wenn du ge­wollt hät­test, oder ich.«

»Mmh mmh«, murr­te Vi­tus un­gläu­big und schüt­tel­te da­bei den Kopf. »Und was lehrt es dich und Le­na nun?«

»In der Heil­kun­de wird es na­tür­lich an­ders ein­ge­setzt. Tja, und man soll­te es viel­leicht wirk­lich nicht ko­chen.« Den zwei­ten Satz hat­te sie mehr an sich selbst ge­rich­tet. Sie mach­te sich den ge­dank­li­chen Ver­merk, die ver­stär­ken­de Wir­kung ge­nau­er zu er­for­schen, schließ­lich hat­te sie die­ses Kraut seit vie­len Jah­ren nicht mehr ver­wen­det.

Dann blick­te sie er­neut in die Run­de. »Es hilft zum Bei­spiel bei Denk­blo­cka­den. Man kann mit sei­ner Hil­fe ein be­stimm­tes Ziel in den al­lei­ni­gen Fo­kus stel­len. Über­dies ver­mag es von star­ken Schmer­zen ab­zu­len­ken. Es ist al­so äu­ßerst viel­fäl­tig ein­setz­bar.«

Als sie Vi­tus‘ Blick be­geg­ne­te, füg­te sie noch hin­zu: »Ja­ja, und es kann, bei se­xu­el­ler Kom­pa­ti­bi­li­tät, zu äu­ßerst ero­ti­schen Zu­stän­den füh­ren.« Mit ei­ner klei­nen Ges­te ge­bot Lo­a­na den an­de­ren, zu schwei­gen. »Die­sen zu­letzt ge­nann­ten Zu­stand kann man durch Stei­ge­rung der ei­ge­nen men­ta­len Kon­zen­tra­ti­on all­zeit wie­der er­rei­chen, auch oh­ne Ver­wen­dung von Jec­tam. Al­so, kei­ne Sor­ge.«

All­ge­mei­nes Mur­meln durch­brach die fol­gen­de Stil­le. Lo­a­na muss­te la­chen. »Es ist da­her kein Pro­blem, der­ar­tig, hhm, nun ja, sa­gen wir mal, reiz­vol­le Mo­men­te er­neut zu er­le­ben. Da­für be­nö­tigt man Jec­tam ei­gent­lich nicht. Aber es kann halt sehr in­spi­rie­rend sein.«

Sie wand­te sich wie­der an Le­na: »Du siehst al­so, wie schnell man mit ein paar Kräu­tern an­de­re be­ein­flus­sen und ma­ni­pu­lie­ren kann. Das war ei­ne ein­ma­li­ge De­mon­s­tra­ti­on der Macht der Kräu­ter, um dich über dei­ne Ver­ant­wor­tung im Um­gang da­mit zu leh­ren. Ich ge­be dir gleich ein paar Auf­zeich­nun­gen mit. Dar­in kannst du al­les über Jec­tam und an­de­re Ge­wäch­se nach­schla­gen.«

Sie lä­chel­te schel­misch. »Du brauchst üb­ri­gens gar nicht in eu­rem In­ta­netz nach­zu­schau­en. Jec­tam wächst aus­schließ­lich im El­fen­land und dort oben­drein nur an der bre­to­ni­schen Küs­te. Wir bei­de soll­ten trotz­dem ver­su­chen, es hier im Schloss­gar­ten zu zie­hen.«

Sie stand auf und ging zur Kü­chen­the­ke. »So, ich hab noch et­was Hun­ger.«

Wäh­rend sie sich die Erd­bee­ren mit Quark ge­ni­e­ße­risch zu Ge­mü­te führ­te, ließ sie den Blick durch die Run­de schwei­fen.

War die Wir­kung des Jec­tam-Krau­tes viel­leicht ein klein we­nig hef­tig aus­ge­fal­len, so hat­te sich ih­re The­o­rie über die Re­ak­ti­on den­noch in al­len Punk­ten be­wahr­hei­tet. Das wog ihr schlech­tes Ge­wis­sen auf:

Jec­tam war in vie­ler­lei Hin­sicht ein ef­fi­zi­en­tes Heil­mit­tel. Da­zu müss­te man al­ler­dings zu­vor sehr viel über den in­ne­ren see­li­schen Zu­stand des zu Hei­len­den er­fah­ren, um das Ge­wächs ge­zielt an­wen­den zu kön­nen. Es wä­re si­cher­lich hoch­in­ter­es­sant, es im hei­mi­schen Kräu­ter­gar­ten zu züch­ten, da­mit sie es je­der­zeit für di­ver­se Zwe­cke ein­set­zen könn­te, über­leg­te sie.

Sonnenwarm und Regensanft - Band 4

Подняться наверх