Читать книгу Sonnenwarm und Regensanft - Band 3 - Agnes M. Holdborg - Страница 4
Märchenstunde
ОглавлениеSie sehnte sich nach ihrem himmlisch weichen eigenen Bett. Ohne Marius! Dieses Bett stand zwar in einem Zimmer, das sie sich mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Anna teilte, aber die war zurzeit bei ihrem Freund Viktor zu Hause. Weit weg! Sehr weit weg!
Lena Nell presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, als sie daran denken musste, wie weit weg Anna sich in der Tat aufhielt. Sie schüttelte den Kopf, um die beunruhigenden Gedanken daraus zu vertreiben. Das wiederum gab ihren rasenden Kopfschmerzen Auftrieb. Ebenso wie die dusselige Lounge-Musik in dieser grellen Bar, in die Marius sie direkt nach Feierabend geschleppt hatte. Auch taten ihr die Finger von den ganzen Haarwäschen, Kopfmassagen, Strähnchen ziehen und, und, und höllisch weh, genau wie der Rücken. Eigentlich hatte sie mit so etwas überhaupt keine Probleme. Der heutige Tag bildete da wohl eine Ausnahme.
Mist! Heute kommt aber auch alles zusammen, dachte sie und schlürfte missmutig an dem viel zu süßen rosafarbenen Cocktail, den Marius ihr bestellt hatte. Angewidert verzog sie das Gesicht. Sie teilte zwar nicht seine Vorliebe für Altbier, aber an solch klebrigen Getränken wie diesem fand sie auch keinen Gefallen. Wäre ich doch bloß sofort nach Hause gefahren, schimpfte sie sich selbst.
»Hey, Marius an Lena! Jemand zu Hause? Haalloo!« Große dunkelbraune Augen, umrahmt von dichten Wimpern, schauten Lena unter breiten hochgezogenen Brauen über ein Altbierglas hinweg an.
Typisch Marius, dachte Lena zerknirscht und stellte zum wiederholten Male fest, dass es wohl nur einen Mann hier in ganz Düsseldorf gab, der gleichzeitig reden und trinken konnte. Dass der sich dabei nicht verschluckt, überlegte sie.
Wie aufs Stichwort musste sie nun selber heftig husten, weil ihr ein Körnchen vom dicken Kristallzuckerrand des Cocktailglases in die falsche Röhre geraten war. Froh, dass ihr die süße Plörre nicht gleich wieder zur Nase herauskam, holte sie tief Luft. Sie zog ein Papiertaschentuch aus ihrer Handtasche, um sich die aufsteigenden Hustentränen abzuwischen und ein drohendes Mascara-Fiasko abzuwenden.
»Na, du bist heute aber schräg drauf«, kommentierte Marius.
»Oh, vielen Dank auch für dein Feingefühl. Das ist genau das, was ich jetzt brauche«, gab sie spitz zurück.
»Weißt du, Lena, ich hätte erwartet, dass du heute ein bisschen netter zu mir bist, wo du mich gestern schon versetzt hast.«
»Ich habe dich nicht versetzt, Marius. Wie oft muss ich dir das eigentlich noch erklären?« Sie verdrehte entnervt die Augen. »Das gestern war halt einfach ein gemütlicher Familien-Spiele-Abend nur unter uns Nells, verstehst du?«
Lena gab sich ganz souverän, obwohl ihr die Erinnerung an diesen Familienabend mit ihren Eltern und beiden Geschwistern immer noch einen Schauer über den Rücken jagte. Sie wollte aber nicht darüber nachdenken. Nicht jetzt und auch nicht später!
»Nein, versteh ich eben nicht«, gab Marius patzig zur Antwort und strich sich dabei eine pechschwarze Haarsträhne aus dem Gesicht.
… Sein Haar war immer ein wenig störrisch und wollte nie so wie er. Gerade sein Haar fand Lena besonders anziehend. Schließlich war sie Friseurin, zwar noch in der Ausbildung, aber da kannte sie sich aus. Und sein fast schon blauschwarzes Haar hatte es ihr von Anfang an angetan.
Damals, als sie mit Steffi im Sunny-Club war und er sie dort ansprach, hatte er es sich auch ständig aus der Stirn streichen müssen. Sie fand das einfach süß. Außerdem sah er wirklich fantastisch aus. Ein attraktives Gesicht, tolle Figur, rundherum eine Sahneschnitte. Das hatte jedenfalls Steffi seinerzeit gemeint. Heute war ihre beste Freundin allerdings nicht mehr ganz so gut auf Marius zu sprechen. Denn seit Lena mit ihm zusammen war, bekamen sich Steffi und sie kaum noch zu Gesicht.
Er wäre halt mehr ein Familienmensch, hatte er sich letztens erst verteidigt. Tatsächlich hielten sie sich recht häufig bei ihr zu Hause oder in seiner Wohnung in Düsseldorf auf. Seine Familie hingegen hatte sie bislang noch nicht kennengelernt, weil die in einem kleinen Örtchen bei Hannover wohnte.
Ohne weitere Umschweife gelangten ihre Gedanken nun wieder zu ihrer eigenen Familie. Wie konnte das alles nur möglich sein? …
»Lena, verdammt, ich rede mit dir!«, schnauzte Marius sie nun an. »Kannst du mir nicht mal zuhören, wenigstens ab und zu? Mann, da wär ich schon zufrieden«, murmelte er noch hinterher.
Sie schnitt den letzten Gedankenfaden ab und seufzte schwer. »Na, dann lass es halt.«
»Was? Was soll das heißen: Na, dann lass es halt?«
»Hhm?« So ganz war sie wohl doch nicht bei der Sache.
»Leenaa, was soll ich lassen?«
»Was du willst, Marius. – Mich verstehen, mit mir reden.«
Marius’ goldener Teint färbte sich leicht rötlich. »Ich hab mich den ganzen Tag auf dich gefreut. Nun sei doch nicht so zickig!«
»Zickig? Sag mal, geht’s noch?« Lena konnte es nicht fassen. Merkte er denn nicht, wie schlecht sie drauf war? Zu allem Überfluss würde er sie bestimmt gleich fragen, ob sie ihre Tage hätte. Das hatte er schließlich schon einmal gebracht. Am besten käme sie ihm zuvor: »Marius, ich bin einfach hundemüde und kaputt. Das war heute ein anstrengender Tag. Außerdem habe ich Kopfweh.«
»Ach nee! – Und heut Abend hab ich Kopfweh. – Na prima, das ist doch wohl nicht dein Ernst?«, maulte er. »Wir waren gestern schon nicht zusammen.«
Lena spürte die Hitze in sich hochschleichen und wie sie puterrot vor Ärger wurde. Wenn Marius glaubte, dass sie mit ihren neunzehn Jahren diesen Song von Ireen Sheer nicht kennen würde, dann irrte der sich aber gewaltig. Schließlich hatte sie eine Mutter, die das Lied nur zu gerne beim Kartoffelschälen in der Küche mitsang, wenn es im Radio lief, und sich dabei immer köstlich amüsierte.
»Also gut, Marius, hör mir zu. Du fragst mich nicht, wie mein Tag war. Ich dich schon. Du fragst mich nicht, wie es mir geht. Ich dich schon. Du fragst ja nicht mal, was ich nach Feierabend machen möchte oder was ich trinken will, sondern du bestimmst es mal wieder. Und wenn du jetzt auch nur ansatzweise glaubst, dass ich heute zu dir in die Kiste hüpfe, dann hast du dich aber geschnitten, mein Freund!«
»Sag ich doch: Kopfweh.«
»Ja, das habe ich. Und du hast nicht gerade dazu beigetragen, dass es mir besser geht, ganz im Gegenteil. Ach, was rede ich überhaupt?«
Sie kramte einen Zehneuroschein aus der Handtasche, knallte ihn auf den quietschroten Resopaltisch und schnappte sich ihre Jacke.
Noch während Marius mit Staunen beschäftigt war, meinte sie: »Für den köstlichen Drink. Mach’s gut, Marius. Tschö!«
»Lena, verdammt!«, brüllte er ihr hinterher.
Doch sie drehte sich nicht mehr um, sondern ging einfach weiter und machte ihrem Unmut mit einer rüden Geste des Mittelfingers ihrer erhobenen linken Hand Luft.
Sie hielt nicht mehr an, bis sie an der Bushaltestelle angekommen war, ignorierte das ständig nörgelnde Handy und stellte es dann kurzerhand aus. Glücklicherweise kam ihr Bus schon bald, brachte sie zum fünfzehn Kilometer entfernten Heimatörtchen und damit auch nach Hause. Endlich!
***
Eine Stunde später hatte Lena ein Aspirin geschluckt, sich die Zähne geputzt, gewaschen, sorgfältig abgeschminkt und eingecremt und ihr penibel gebürstetes Haar zu einem lockeren Zopf geflochten. Ihre Eltern schliefen bereits. Der zwanzigjährige Bruder Jens war bestimmt noch bei seiner Freundin Silvi. Also legte sie sich in der Hoffnung, möglichst bald einzuschlafen und zu vergessen, im kuscheligen Flanellpyjama ins Bett.
Das Handy hatte sie nicht wieder eingeschaltet. Mit dem Typen war sie endgültig fertig. Der war ihr bereits seit geraumer Zeit ziemlich auf die Nerven gegangen mit seiner bevormundenden Art. Sechsundzwanzig hin oder her, sie war mit ihren neunzehn Jahren ja auch kein Kind mehr und hatte es nicht nötig, sich so herablassend von ihm behandeln zu lassen. Gott sei Dank war sie ihn nun los. Punkt um!
Trotzdem war sie sauer, stinksauer! Allerdings nicht auf Marius. Der war Peanuts gegen ihre anderen Probleme. Nein, sie war sauer auf ihre Familie und das kam selten bei ihr vor. Eigentlich ließ sie sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen.
Nur die Erlebnisse des gestrigen Abends hatten sie komplett aus der Bahn geworfen. Sie hatte heute den ganzen Tag versucht, nicht daran zu denken. Die Arbeit im Friseursalon, sogar Marius hatten sie einigermaßen abgelenkt.
Aber jetzt gab es keine solche Ablenkung mehr und schon ging es wieder los: Die Gedankenschleifen zogen erneut ihre Kreise. Das war einfach zu viel, fand sie. Wieso Anna? Wieso Jens? Wieso nicht sie?
In dem Bewusstsein, sowieso nicht schlafen zu können, machte sie das Licht, das sie gerade erst gelöscht hatte, wieder an und hockte sich aufs Bett.
Gedankenversunken starrte sie in den runden Spiegel an der Wand, blickte geradewegs in ihre ausdrucksvollen grau-grünen Augen. Schnell wandte sie sich dem großen Gemälde zu, das über Annas Bett hing. Sie mochte dieses Bild. Viktoria, die Zwillingsschwester von Annas Freund, hatte es gemalt und Anna vor fünf Monaten zum siebzehnten Geburtstag geschenkt.
Lena gefiel das mystisch, geheimnisvoll anmutende Motiv, die warme, luftig sonnige Farbwahl. Es stellte eine Lichtung inmitten eines hellen Waldes mit einem kleinen Bach dar. Den Bach konnte man regelrecht plätschern hören, fand Lena. Über dieser sonderbaren Lichtung strahlten zwei Sonnen gleichzeitig. Das hatte auf Lena stets faszinierend gewirkt.
Doch auch dieses Bild erschien ihr nun anders als zuvor. Sie wusste nicht, ob es ihr überhaupt noch gefiel.
Trotz der immer noch bohrenden Schmerzen schüttelte sie vehement den Kopf. Bereits zum x-ten Mal dachte sie über diesen verflixten Abend nach. Den Abend, der ihre wohlgeordnete Welt ins Wanken gebracht hatte. Den Abend, an dem sie sowohl von ihren Eltern als auch von Anna und Jens hatte erfahren müssen, dass beide Geschwister anders waren als sie, dass einfach Alles anders war.
… Zunächst gestaltete sich das Familienzusammensein wirklich nett: Sie hatten es sich im Wohnzimmer mit Tee und Keksen auf Sofa und Sesseln so richtig gemütlich gemacht. Nur sie fünf. Das hatte es seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gegeben.
Im Grunde genommen fand sie ihre beiden Geschwister und sich schon etwas zu alt für so einen Familien-Spiele-Abend. Das galt selbst für Anna, die die schräge Teeniezeit vollkommen ausgelassen zu haben schien und sich mittlerweile von niemandem, auch nicht mehr von ihrem Bruder Jens, etwas sagen ließ. Dennoch waren sie für solch traditionelle Familienzusammenkünfte hin und wieder zu begeistern.
Zu Beginn spielten sie ein paar Runden Kniffel. Lena war im Begriff, die Familie vernichtend zu schlagen, was ihr natürlich großen Spaß bereitete. Allerdings reichte dieser Spaß nicht aus, um ihren unterschwelligen Ärger völlig zu unterdrücken. Sie hatte sich wieder mal mit Marius gestritten. Dieses Mal, weil er bei dem Spieleabend unbedingt hatte dabei sein wollen, sie aber einmal etwas ohne ihn machen wollte. Auch wenn es nur ein Abend mit der Familie war.
Zu Anfang bemerkte sie nicht, wie ihre Eltern ständig Blicke mit Jens und Anna austauschten und das während des Spieles dahinplätschernde Gespräch peu à peu auf Viktor lenkten. Er würde später mit seinem Vater vorbeikommen, hatte Anna erwähnt, so ganz nebenbei.
Lena erinnerte sich, wie ihr Annas Worte einen Stich versetzt hatten. Eigentlich sollte es ein reiner Familienabend sein, nur zu fünft. Also fragte sie sich, was Annas Freund und noch dazu dessen Vater dabei zu suchen hätten. Da hätte sie Marius ja doch mit dazu einladen und sich den ganzen Stress mit ihm sparen können. …
Bei dem erneuten Gedanken an Marius verdrehte Lena die Augen, konzentrierte sich aber wieder auf den Abend:
… Selbst Jens’ Freundin Silvi, die sozusagen zur Familie dazugehörte, war nicht dabei.
Doch sie wäre ja nicht Lena, wenn sie den aufkeimenden Unmut nicht einfach hinunterschluckte. Und das hatte sie auch getan.
Allerdings begann ihr Vater mit einem Male damit, eigenartige Dinge zu sagen. Er sprach von übernatürlichen Kräften, anderen Welten und fragte sie tatsächlich, ob sie an solche Dinge glauben würde. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Lena traute ihren Ohren nicht. So was Bescheuertes aber auch! Sind wir hier auf der Enterprise und suchen in unendlichen Weiten nach neuen Welten?, dachte sie entrüstet. Hätte sie gewusst, dass die Science-Fiction-Liebe ihres Vaters diese Ausmaße annehmen würde, hätte sie ihm die DVD’s mit den alten Star-Trek-Schinken niemals zu Weihnachten geschenkt. Warum nur fragte er sie so schwachsinniges Zeug?
Lena spürte, wie ihr der Geduldsfaden riss. Erst die nervige Zankerei mit Marius und nun dieses eigenartige Gerede. Wütend pfefferte sie sämtliche Würfel in die Ecke und wollte wissen, was das ganze Gefasel sollte. …
Sie sah das Szenario wieder vor sich, hatte noch die Stimme ihrer Mutter und der anderen Familienmitglieder im Ohr:
… »Lena, Schatz, bitte reg dich doch nicht so auf«, versuchte Theresa, sie zu beschwichtigen. »Papa will dir doch nur was erklären.« Sie machte eine kleine Pause und sah Johannes dabei an. Dann sprach sie weiter: »Pass auf, hhm, es ist etwas schwierig und vielleicht glaubst du mir und den anderen auch gar nicht. Aber wir finden nun mal, du solltest es erfahren. Du sollst wissen, was los ist.«
»Mensch, Mama!«, rief Lena ungeduldig aus. »Was? Was soll ich denn wissen? Ihr redet die ganze Zeit um den heißen Brei herum. Das macht mich ganz kirre. Also, was ist los, Herrgott nochmal?«
Theresa ergriff Lenas Hände und eröffnete ihr leise die vermeintliche Wahrheit: »Weißt du, Lena, es geht vor allem um Viktor, seine Schwester Viktoria und deren Vater. Nun …«, Theresa zögerte ein wenig, fuhr aber hastig fort, weil Lena ihr ungehalten die Hände entziehen wollte, »… die sind nicht so wie wir. Die verstorbene Mutter der Zwillinge war zwar eine ganz normale Frau, ja, aber Vitus, der ist kein Mensch, Lena. Vitus kommt aus einer anderen, uns fremden Welt.«
Sie räusperte sich. »Er stammt aus einer Elfenwelt. Er ist ein Elfe, sogar ein Elfenkönig. Viktor und Viktoria sind somit zumindest halbe Elfen.«
Lena sprang vom Sessel auf und zeigte ihrer Mutter einen Vogel.
»Elfen? Bei dir piept’s ja wohl, Mama! Entschuldige bitte, aber was soll denn der Scheiß? Habt ihr heute Abend vor, mich zu verarschen, oder seid ihr einfach nur sauer, weil ich so oft beim Kniffel gewonnen habe?«
»Lena!« Auch Johannes war aufgestanden. Er sah seine Tochter böse an. »Das hört sich bestimmt unglaublich für dich an und ich kann verstehen, dass du aufgebracht bist. Trotzdem redest du nicht in diesem Ton mit deiner Mutter, verstanden! Du setzt dich sofort wieder hin und hörst zu, was wir dir zu sagen haben! Und glaube mir, Lena, wir erzählen dir hier nichts, was nicht stimmt. Niemand will dich auf den Arm nehmen.«
Lena schnaubte, schüttelte das zurzeit platinblonde überschulterlange Haar nach hinten, strich es sich dann noch einmal aus dem Gesicht. Eigentlich hatte sie die gleiche helle, makellose Haut wie Anna, doch wusste sie, dass ihr Gesicht im Augenblick sicherlich rotfleckig vor Zorn und Unsicherheit war. Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust, setzte sich widerwillig hin und funkelte die anderen angriffslustig an.
»Dann mal weiter mit der Märchenstunde«, meinte sie zynisch, schmollte und forderte danach ihre Schwester auf: »Na los, Anna, schließlich geht’s doch um deinen schönen Viktor. Erklär du mir, was Mama und Papa meinen.«
Stirnrunzelnd verfolgte sie, wie ihre Schwester verlegen die Brille zurechtrückte und das Gesicht verzog, als wollte sie gleich losheulen. Das passte gar nicht zu ihr. Jedenfalls seit einiger Zeit nicht mehr. Früher ja. Aber jetzt?
Anna hatte sich nämlich stark verändert, seit sie ihren Viktor kennengelernt hatte. Einen tollen, wirklich fantastisch aussehenden Typen, wie Lena fand. Manchmal war sie sogar ein kleines bisschen neidisch.
Viktor wirkte mit seinen fast neunzehn Jahren ebenso erwachsen wie Anna. Er war stets aufmerksam und liebevoll zu ihr. – Anders als dieser Idiot Marius! Zwar konnte Viktor ab und an auch ziemlich bestimmend sein, doch das nutzte ihm reichlich wenig. Anna ließ sich inzwischen nicht mehr einfach so bevormunden.
Ja, Anna hatte sich in den letzten Monaten wirklich erstaunlich entwickelt. Darüber hatte Lena sich gefreut. Doch jetzt beobachtete sie überrascht, wie ihre Schwester betreten rumdruckste und dann flink auf dem Boden herumkrabbelte, um nach den blöden Kniffelwürfeln zu suchen, anstatt ihr zu antworten. Das durfte doch alles nicht wahr sein!
Deswegen ärgerte es sie auch, als Jens einfach an Annas Stelle das Wort ergriff: »Es ist genau, wie Mama gesagt hat, Lena. Vitus ist der König des westlichen Elfenreiches, wirklich. Ich war selbst schon einmal dort. Glaub mir, das gibt es echt. Wenn du willst, kannst auch du es kennenlernen. Aber erst wollten wir dir gerne erzählen, was an den Elfen so anders und so besonders ist, ja, und dass Anna und ich auch nicht ganz so normal sind.«
Jetzt war es endgültig genug, fand Lena, und machte Anstalten aufzustehen, wurde jedoch von Jens daran gehindert, indem er sie am Arm festhielt. »Halt, halt, Schwesterlein, du bleibst schön hier und hörst weiter zu, wie Papa es dir gesagt hat. Und weil du so bockig bist, ist es wohl am besten, wenn Vitus dir ab jetzt alles Weitere erklärt.« Er grinste wissend. »Der steht nämlich schon mit Viktor unten vorm Haus.«
Wie auf Kommando stand Anna auf, warf sich das lange goldblonde Haar über die Schulter und legte wortlos die Würfel auf den Tisch. Endlich sah sie Lena mit ihren hellblauen Augen ins Gesicht. Ganz traurig, fiel es Lena auf. Als es an der Haustür läutete, stürmte Anna hinaus. Lena wurde das Gefühl nicht los, dass ihre Schwester regelrecht flüchtete. …
Tatsächlich waren es Viktor und Vitus gewesen, die geklingelt hatten. Bei der Erinnerung daran, wie die beiden ins Wohnzimmer gekommen waren, kniff Lena gequält die Augen zu.
Insbesondere Vitus hatte sich nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln aufgehalten, sondern nach einer knappen Begrüßung direkt mit ihr gesprochen. Ganz freundlich. – In ihrem Kopf! Ohne seine Lippen zu bewegen!
Noch dazu hatte Viktor sie bei der Hand genommen. Ihr war sofort wohlig warm geworden, gerade so, als würde die Sonne in ihrem Herzen scheinen. Mitten in ihr drin! Diese innere Sonnenwärme hatte sie seltsamerweise beruhigt. Im gleichen Moment war ihr überdeutlich klargeworden, dass alles, wirklich alles stimmte, was da an fantastischen Dingen erzählt worden war. Es schien verrückt, aber sie glaubte all das Unglaubliche. – Fast!
Okay, es gab also Elfen. Wesen mit außergewöhnlichen geistigen Fähigkeiten. Wesen aus einer anderen Welt, die direkt neben der ihren existierte. Wesen ohne spitze Ohren oder Flügel, aber mit dem Talent, die Gedanken anderer sehen und diese beeinflussen zu können. Und die anscheinend noch ganz andere paranormale Kräfte besaßen. Gut, gut, man könnte ja mal so tun, als wäre das akzeptabel.
Aber Anna und Jens? Wieso konnten die beiden auch in den Geist von anderen eintauchen und sich sogar auf diese Weise miteinander verständigen?
Theresa hatte gemeint, dass es eventuell an ihrem verstorbenem Vater, also Lenas Opa, liegen könnte. Vitus wäre wohl noch dabei, Erkundigungen darüber einzuholen. Doch das war Lena erst einmal völlig egal. Für sie ergab sich vorrangig nur die eine Frage: Warum besaß sie denn keine solch besonderen und aufregenden Gaben?
An sich widersprach es vollkommen ihrem Naturell, sich so aufzuführen. Noch nie im Leben war Lena derart missgünstig gewesen. Jetzt jedoch fühlte sie sich ausgegrenzt und minderwertig, obwohl ihr der gesunde Menschenverstand sagte, dass das Blödsinn war.
… Nachdem Vitus’ seine »Gedankenattacken« auf ihren oder besser in ihrem Kopf beendet hatte, und auch Viktor seine »sonnige Spezialbehandlung«, hörte sich Lena noch für ein Weilchen die weiteren Erklärungen ihrer Familie an. Kurz darauf stand sie allerdings wortlos auf und verschwand in ihrem Zimmer. Sie wollte einfach nur noch weg. Weg von diesen unfassbaren Dingen. Anna kam ihr zwar hinterher, um nochmals mit ihr zu reden. Doch sie drehte der Schwester den Rücken zu mit der Bitte, sie in Ruhe zu lassen, weil sie etwas Zeit bräuchte.
Das tat ihre Schwester. Die Weihnachtsferien gaben ihr die Gelegenheit, die nächsten Tage bei Viktor zu Hause oder bei Vitus auf dem Schloss zu verbringen. Wo nun genau, das interessierte Lena derzeit einen feuchten Dreck.
Anna war jedenfalls nicht mehr da. Und sie, was machte sie? Die Lena, die sich sonst für so tough hielt? Sie hatte einzig und allein im Sinn, so zu tun, als wäre nichts geschehen und alles ganz normal. Sie mied Eltern wie Bruder am Morgen danach, ging zur Arbeit, bediente die Kunden im Friseursalon wie immer freundlich und zuvorkommend und wurde nach Feierabend von Marius abgeholt. …
Ja, und hier schloss sich der Kreis.
Lena seufzte, um Kummer und Zorn zu unterdrücken, was nicht gelang. Sie war wirklich stinksauer, doch eigentlich mehr auf sich selbst. Das erkannte sie nun, nachdem sie das Ganze noch einmal hatte Revue passieren lassen.
Anna und Jens konnten schließlich genauso wenig dafür wie sie. Was war sie nur für ein Scheusal, so krass zu reagieren?
Jetzt hatte sie mit ihrer üblen Laune auch noch Marius vergrault. Obwohl, der hatte mit seinem eigenen schlechten Benehmen wohl eher sie vergrault und konnte sie deswegen mal kreuzweise. Trotzdem, sie hatte aus Frust gehandelt. Nun war sie solo – wieder mal. Schlagartig wurde sie traurig, denn plötzlich fühlte sich schrecklich allein. Das hatte allerdings weniger mit Marius zu tun. Nein, es war die Erkenntnis, nicht mehr richtig zur geliebten Familie dazuzugehören, die sie von einem Moment zu nächsten so schwer traf. Völlig aufgelöst warf sie sich zurück aufs Bett und fing bitterlich zu weinen an.
Tief in ihrem Gefühlssumpf versunken bemerkte sie zunächst nicht, dass es an der Tür klopfte. Deswegen war es für einen Protest zu spät, als ihr Bruder die Tür aufmachte und einfach hereinkam. Noch dazu setzte er sich zu ihr aufs Bett und streichelte ihr sanft den Rücken.
»Der Typ ist ’n echtes Arschloch, Lena«, meinte Jens. »Gut, dass du dem den Laufpass gegeben hast.«
Abrupt richtete sie sich auf. »Wieso weißt du davon? Hast du das etwa mit deinem komischen Elfenradar gesehen?«
Er lachte kurz auf. »Elfenradar? Gut gesagt, Lena. Aber nein, mein Elfenradar funktioniert nicht so wie Annas. Wenn überhaupt, dann am besten bei ihr. Sonst klappt es nur selten. Na, ist ja auch egal.« Er deutete auf Lenas Handy, das stumm auf der Kommode neben dem Bett lag. »Nee, Marius hat mich angerufen und ziemlich fies angemacht. Er sagt, du hättest dich total scheiße benommen. Es wäre peinlich gewesen, wie du aus dem Club gestürmt und einfach abgehauen wärst. Dann konnte er dich nicht erreichen. Tja, da musste ich wohl dran glauben.«
Jens bedachte sie mit einem bewundernden Blick aus seinen ruhigen grauen Augen. »Coole Sache, Lena. So, wie der mich am Telefon angeschnauzt hat, ist es wohl besser, dass du Schluss mit dem gemacht hast. Der hat sie ja wohl nicht alle! Das hab ich dem Blödmann auch sehr deutlich zu verstehen gegeben.«
Lena schniefte. »Das war’s dann wohl mit Marius.« Sie wischte sich die Tränen mit ihrem Taschentuch fort und putzte sich geräuschvoll die Nase. »Ach was, das wär ohnehin nicht mehr lange gutgegangen.«
Indem sie nichts weiter dazu sagte, gab sie ihrem Bruder zu verstehen, dass das Thema »Marius« nun nicht mehr zur Diskussion stand. Anstatt dazu noch einen Kommentar abzugeben, nahm Jens sie in den Arm und drückte sie. Danach schob er sich wieder ein Stückchen von ihr fort, um sie genauer zu mustern.
»Wie geht es dir denn sonst so? Hast du den ersten Elfenschock überwunden?«
Lena war es schrecklich peinlich, wie sie am gestrigen Tage so eifersüchtig und neidisch hatte überreagieren können. Sie spürte leise Röte in sich aufsteigen.
»Es geht so. Tut mir leid, dass ich derart sauer war. Aber zuerst erfahre ich diese ganze unglaubliche Geschichte und dann muss ich auch noch feststellen, dass du und Anna so was könnt und …«
»… und du nicht«, vollendete Jens ihren Satz. »Lena, du bist die tollste Schwester, die man sich nur wünschen kann. So lieb und hübsch und klug. Wir lieben dich über alle Maßen, das weißt du doch. Und dass du die ganze Elfengeschichte erst einmal nicht glauben wolltest, ist ja wohl das Normalste überhaupt.« Er legte die Hände auf ihre Schultern, während er sie ein weiteres Mal eindringlich ansah. »Hey, ist es denn so schlimm, dass Anna und ich ein klein wenig anders sind? Bis vor Kurzem haben wir es doch selbst nicht gewusst.«
»Nein, eigentlich nicht. Nur hätte ich es halt toll gefunden, auch so was zu können, auch was davon abgekriegt zu haben. Ist echt nicht schön, wenn man merkt, dass man nicht richtig dazugehört«, meinte sie kleinlaut.
»Nicht dazugehört?« Er schüttelte den Kopf. »Das ist doch Schwachsinn. Natürlich gehörst du dazu. Was glaubst du denn, warum wir es dir erzählt haben, he? Weil du absolut dazugehörst.« Bevor er aufstand, tätschelte er ihr liebevoll den Arm. »Denk mal darüber nach.«
Er wollte hinausgehen, drehte sich aber noch einmal um. »Vitus hatte keine Gelegenheit, es dir selber zu sagen. Du bist ja gestern einfach aus dem Wohnzimmer gerauscht. Ich denke, er ist bestimmt nicht böse, wenn ich dir jetzt ausrichte, dass du zu seiner und Loanas Hochzeit eingeladen bist.« Jens machte eine kurze Pause. Offenkundig freute er sich über Lenas große Augen, so wie er jetzt schmunzelte. »Das ist aber lange noch nicht alles, mein liebstes Schwesterherz«, fuhr er fröhlich fort. »Du wirst nämlich zusammen mit Anna, Viktoria und Silvi Brautjungfer spielen müssen.«
»Was?« Vor Überraschung fiel Lena die Kinnlade runter. Das schien ihren Bruder köstlich zu amüsieren, weshalb sie den Mund hastig wieder zumachte.
»Cool, nicht wahr? Du wirst eine wichtige Rolle auf einer königlichen Elfenhochzeit spielen. Also, anstatt dich mit so einem düsteren Zeugs, wie Eifersucht und Neid, verrückt zu machen, solltest du dich schleunigst mit den anderen drei Brautjungfern zusammentun und über Garderobe, Frisur und so’n Mädelskram nachdenken.« Er öffnete die Tür. »Nacht, meine Süße.«
Jens spazierte hinaus und ließ eine sehr nachdenkliche, allerdings längst nicht mehr so traurige Lena zurück.
***
Währenddessen erholte sich Anna Nell von dem stürmischen Liebesspiel mit Viktor. Die letzten knisternden Funken und roten Wirbel in seinem Zimmer zeugten davon – und Anna, die leise keuchend nach Luft rang.
»Irgendwann bringen wir uns um! Irgendwann überleben wir das nicht!«
Viktor sah sie heißblütig an, bedeckte daraufhin ihr Gesicht mit federleichten Küssen.
»Doch, doch, Anna. Es gibt eine geringe Überlebenschance, wenn wir jetzt vielleicht ein bisschen schlafen.« Er lächelte, was immer eine faszinierende Wirkung auf Anna hatte.
… Sie liebte ihren halbelfischen Freund sehr. Alles an ihm. Sein feines Gesicht. So schön, mit dem herrlich geschwungenen köstlichen Mund. Seine intensiv leuchtenden dunkelblauen Augen. Seine wirren braunen Locken mit dem mahagonifarbenen Lichtspiel darin. Seinen langen, geradezu perfekten Körper. Seine Leidenschaft. Seine Sonne. Seine Liebenswürdigkeit und, und, und – selbst seine vom ständigen Barfußlaufen immer etwas schwieligen Füße.
Doch wenn er lächelte und sich dabei die beiden Grübchen auf seinen Wangen zeigten, schmolz sie regelrecht dahin. …
»Viktor Müller! Du redest von Schlaf und denkst stattdessen schon wieder an Sex! Das ist doch wohl nicht dein Ernst?«
Allen Anschein nach ließ Viktor sich von Annas Gedanken beeindrucken. »Okay, okay, du hast mich mal wieder durchschaut. Ich bekenne mich schuldig.« Er rollte sich vorsichtig von ihr herunter. »Daran zu denken wird ja wohl noch erlaubt sein, Kleines.«
Er drehte sich zur Seite, strich mit dem Finger verführerisch den Konturen ihres Leibes nach und stellte mit einem weiteren, nun zufriedenen Lächeln fest, wie sich bei ihr eine Gänsehaut bildete und die Brustwarzen aufstellten.
»Meine Güte, Anna, wie soll ich an was anderes denken, wenn ich dich so sehe.«
Er senkte seinen Mund auf einen der sich ihm entgegenreckenden Nippel und knabberte kurz daran.
»Ich bin einfach komplett verrückt nach dir.«
»Du lieber Himmel, Viktor! Ich sag ja, wir überleben das nicht.«
»Du hast recht, Anna. Wir sind verloren.«
Am frühen nächsten Morgen versuchte Anna wie so häufig, sich ihm zu entwinden. Meistens wachte sie später auf als er. Wenn es doch einmal umgekehrt war, dann ergab sich stets dasselbe Problem:
Viktor hatte Arme und Beine eng um sie geschlungen. Sobald er bemerkte, dass sie sich von ihm lösen wollte, hielt er sie umso fester. So auch an diesem Morgen.
»Hey, wo willst du hin, kleine Anna«, knurrte er schlaftrunken, ohne ein Auge aufzutun. »Es ist doch noch gar keine Aufstehzeit.«
»Es ist immer das Gleiche mit dir, Viktor Müller!«, schimpfte sie. »Ich muss mal Pipi und habe keine Lust, dich jedes Mal anzubetteln. Also, gib mich frei, mein Prinz!«
»Schon gut, schon gut. Aber nur, wenn du versprichst, sofort zurückzukommen. Ich könnte in der Zeit vielleicht erfrieren oder vor Einsamkeit vergehen. Das kannst du nicht riskieren.«
»Jaja, mein Prinz auf der Erbse.«
Jetzt öffnete Viktor ein Auge. »Was?«
»Prinz auf der Erbse«, wiederholte Anna geduldig und stand rasch auf, als er sie endlich ließ. »Das ist ein Märchen. Eigentlich heißt es: Die Prinzessin auf der Erbse. Soll heißen, dass du ein Sensibelchen bist.«
»Sensibelchen?«, protestierte Viktor. »Na warte, ich werd dir gleich …«
Sein Versuch, sie noch zu fassen zu kriegen, scheiterte. Anna war bereits kichernd in Richtung Bad unterwegs.
Als sie zurückkam, schlief Viktor wieder.
»Typisch, erst große Töne spucken und dann pennen!«
»Denkst auch nur du!« Blitzschnell griff er nach ihr und zog sie ins Bett.
Als sie später gut gelaunt mit Viktoria und deren Freund Ketu am Frühstückstisch saßen, spürte Anna die Gedanken ihres Bruders. Jens hatte wohl schon am Abend zuvor versucht, sie zu erreichen, doch da war sie halt anderweitig beschäftigt gewesen.
… Jens berichtete ihr von Lena und deren Jetzt-Ex-Freund. Anna hatte diesen Marius von Anfang an nicht so richtig leiden können, wusste aber nicht, wieso. Es war vielmehr ein Bauchgefühl. Nun ärgerte sie sich, ihrer Schwester nicht sofort davon erzählt zu haben. Nur war Lena damals so überglücklich gewesen, als sie ihn kennengelernte, dass Anna es einfach nicht übers Herz gebracht hatte. Zudem war sie in der Zeit nach den schrecklichen Ereignissen um Loana, Sistra, Aedama und Durell reichlich abgelenkt gewesen. Dann kam Weihnachten und, und, und …
Sie schob ihre Selbstanklage beiseite. Jetzt war es eh zu spät.
»Jens hat mir gerade ein paar Neuigkeiten übermittelt«, erzählte sie den anderen am Tisch. »Lena hat Schluss mit Marius. Aber das scheint sie recht gut verdaut zu haben, ebenso wie die Märchenstunde.«
»Märchenstunde?«, fragte Viktoria.
»Meine Schwester halt«, erläuterte Anna. »Sie hat das so genannt, als wir sie über die Elfen aufgeklärt haben. Na, jedenfalls geht es ihr soweit ganz gut, trotz Marius und Märchenstunde. Und, was noch besser ist, sie freut sich total über die Einladung zur Hochzeit und ebenfalls über die Brautjungferngeschichte. Ach ja, Silvi übrigens auch.« Sie kicherte. »Okay, bei Silvi war es wohl erheblich schwieriger. Behauptet Jens zumindest. Als er ihr von der ganzen Elfensache erzählt hat, ist sie vor Schreck umgefallen und Jens konnte seine Herzallerliebste nur noch mit seiner speziellen Mund-zu-Mund-Beatmung beruhigen.«
Anna runzelte die Stirn. »Wozu erzähl ich euch das überhaupt? Ihr habt das doch bestimmt mitgekriegt.«
»Ein bisschen vielleicht«, bestätigte Viktoria. »Aber das meiste hast du ziemlich gut verborgen gehalten. Du machst dich, Anna. Nun aber zum Hochzeitsthema. Das wird nämlich einfach toll. Ich bin so froh, dass Lena und Silvi endlich Bescheid wissen und mit dabei sein können. Das gibt sicher ein superschönes Bild: Zwei Dunkelhaarige und zwei Blonde.« Sie strahlte vor Freude. »Wir müssen Lena natürlich dazu überreden, blond zu bleiben. Was hat sie eigentlich für eine Naturhaarfarbe?«
»Die sehen in natura fast genauso aus wie meine. – Ich weiß auch nicht, warum sie andauernd mit ihren Haaren herumexperimentiert«, fügte sie hinzu, als Viktoria fragend eine Braue hob. »Muss am Beruf liegen. Aber das Argument mit zwei zu zwei könnte ziehen. Auf so was steht sie. Die ist bestimmt so richtig aus dem Häuschen.«
»Genau wie Vitus.« Ketus ernstes Gesicht nahm einen leicht belustigten Zug an. »Ich habe gestern mitbekommen, wie er sich mit Bitris, dem Schlossgärtner, unterhalten oder eher gestritten hat. Der war wohl ein bisschen kritisch wegen Loanas Wunsch, zur Kirschblüte zu heiraten. Schließlich stehen im Schlosspark ja extra verschiedene Kirschsorten, um eine möglichst lange Blütezeit vorzugeben. Vitus will aber, dass zur Hochzeit alle Kirschen gleichzeitig blühen, also die Schnee- und Winterkirschen zusammen mit den Frühlingskirschen, die auf der kleinen Allee stehen.«
Ketu schüttelte den Kopf. »Der arme Gärtner hatte ohnehin keine Chance. Nach einer knappen Debatte über Blütenwachstum, Jahreszeiten und mehr hat Vitus ihn einfach stehen lassen und kurzerhand damit begonnen, die Bäume wettertechnisch zu beeinflussen. Er will unbedingt, dass die Hochzeit am zwanzigsten März stattfindet. Also wird er dafür sorgen, dass Loana ihre Blüten an diesem Tag bekommt.«
»Ach.« Anna griff sich ans Herz. »Ich finde das soo romantisch.« Dann dachte sie nach. »Wieso eigentlich der zwanzigste März?«
»Frühlingserwachen«, antwortete Viktoria. »Das ist im Elfenreich ein wichtiger Feiertag, ungefähr so wie Silvester und Neujahr bei den Menschen. Der Winter vergeht und der neue Lebenszyklus beginnt.« Auch Viktoria seufzte. »Er ist echt romantisch, unser Vater.«