Читать книгу Sonnenwarm und Regensanft - Band 3 - Agnes M. Holdborg - Страница 6

Bon­bon­ro­sa

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An­na saß zu Hau­se an ih­rem Schreib­tisch. Zu­frie­den leg­te sie ihr Heft bei­sei­te. Die Haus­auf­ga­ben wa­ren er­le­digt, die auf­ge­ge­be­nen Text­pas­sa­gen ge­le­sen.

Den­noch blieb sie noch ei­ne Wei­le auf dem wei­ßen neu­en Schreib­tisch­stuhl sit­zen. Tief in Ge­dan­ken ver­sun­ken schau­te sie aus dem Fens­ter.

End­lich schien ihr Le­ben wie­der ei­ni­ger­ma­ßen sor­gen­frei zu ver­lau­fen. Es war so viel pas­siert, seit Vik­tor sie An­fang der letz­ten Som­mer­fe­ri­en auf ih­rer klei­nen Lich­tung im Wald an­ge­spro­chen und ihr spä­ter ge­stan­den hat­te, dass er ein Hal­bel­fe wä­re.

Mit die­ser Be­geg­nung er­fuhr ihr Le­ben ei­ne dras­ti­sche, auf­re­gen­de Wen­dung, hat­te Vik­tor sie doch in ei­ne an­de­re, ihr völ­lig un­be­kann­te Welt mit El­fen und de­ren über­sinn­li­chen Kräf­ten ge­führt. Nicht min­der auf­re­gend war es al­ler­dings für An­na, sich oben­drein Hals über Kopf in den halb­mensch­li­chen Sohn ei­nes mäch­ti­gen El­fen­kö­nigs zu ver­lie­ben und mit ihm die Lie­be samt ih­rer schil­lern­den Fa­cet­ten zu er­le­ben. Sie wa­ren sich ge­gen­sei­tig ver­fal­len – mit Haut und Haa­ren, schwirr­te es An­na durch den Kopf. So­fort ver­such­te sie, die­sen Ge­dan­ken ab­zu­schüt­teln, be­vor Vik­tor sich wie­der dar­in ein­sch­lich und her­um­spio­nier­te.

… Sie lach­te bei der Er­in­ne­rung dar­an, wie ihr Bru­der Jens und sie zum ers­ten Mal ih­re ei­ge­nen te­le­pa­thi­schen Fä­hig­kei­ten aus­pro­biert hat­ten. Ein wei­te­res Phä­no­men, das sie schon bald nach der ers­ten Be­geg­nung mit Vik­tor er­ken­nen muss­te. Sie selbst und auch ihr Bru­der ver­füg­ten über be­acht­li­che über­mensch­li­che Sin­ne.

Im Lau­fe der Zeit wur­de es al­ler­dings nicht nur auf­re­gend und lus­tig, son­dern auch im­mer aben­teu­er­li­cher und lei­der ge­fähr­lich, die­ser an­de­ren Welt zu be­geg­nen und Vik­tor zu lie­ben:

Die Be­dro­hung durch Ka­na, der Kö­ni­gin des süd­li­chen El­fen­rei­ches, ge­mein­sam mit dem mäch­ti­gen Zau­be­rel­fen Kaoul. So­gar An­nas Fa­mi­lie woll­te die­se skru­pel­lo­se Frau ans Le­der, und das al­lein aus Ra­che an Vi­tus. Aber das so­wie die In­tri­gen von Lo­a­nas Ver­wandt­schaft in der Bre­ta­gne ge­hör­ten nun end­lich der Ver­gan­gen­heit an.

Die ei­ge­ne Ent­füh­rung durch ih­ren Bio­lo­gie­leh­rer im Herbst letz­ten Jah­res hat­te ei­gent­lich nichts mit den El­fen zu tun. Doch wer weiß, was ge­sche­hen wä­re, wenn Vik­tor sie nicht zu­sam­men mit Vi­tus samt sei­nen Wach­män­nern aus den Fän­gen die­ses Mons­ters be­freit hät­te. …

An­na ver­such­te, mög­lichst we­nig dar­an zu den­ken, dass sie die­sen Mann dem­nächst bei der Ge­richts­ver­hand­lung wie­der­se­hen und ge­gen ihn aus­sa­gen müss­te. Das Straf­ver­fah­ren be­un­ru­hig­te und be­frie­dig­te sie glei­cher­ma­ßen. Ih­rem Pei­ni­ger noch ein­mal ge­gen­über­tre­ten zu müs­sen, wä­re be­stimmt schlimm. Aber er soll­te bü­ßen für das, was er ihr und auch noch an­de­ren Mäd­chen an­ge­tan hat­te. Die­se Vor­stel­lung ver­lieh ihr Zu­ver­sicht und ein ge­wis­ses Maß an Stär­ke.

Den­noch hat­te sie es an ih­rer al­ten Schu­le nicht mehr aus­ge­hal­ten, weil ihr dort im­mer wie­der die furcht­ba­ren Ge­scheh­nis­se ins Ge­dächt­nis ge­ru­fen wur­den. Sie war des­halb nach den Weih­nachts­fe­ri­en auf ein an­de­res Gym­na­si­um über­ge­wech­selt. Das lag al­ler­dings er­heb­lich wei­ter von ih­rem Zu­hau­se ent­fernt, was für An­na ei­ne lan­ge Bus­fahrt be­deu­te­te, wenn Vik­tor sie nicht fuhr. Doch die neue Schu­le in Düs­sel­dorf ge­fiel ihr. Sie hat­te sich so­gar schon mit ei­nem Mäd­chen aus dem Bio­lo­gie­kurs an­ge­freun­det.

»Hey, mei­ne Sü­ße, was sin­nierst du denn so vor dich hin? Komm lie­ber noch ein biss­chen zu mir, wenn du Lust hast. Schließ­lich hab dich seit ge­schla­ge­n­en vier Stun­den nicht mehr ge­se­hen.«

»War ja klar, dass du es dir nicht neh­men lässt, in mei­nem Kopf rum­zu­spu­ken. Aber ich hät­te wirk­lich noch Lust auf einen Be­such bei ei­nem ver­rück­ten Hal­bel­fen.«

An­na grins­te schel­misch in sich hin­ein.

»Ich fra­ge mal Jens, Sil­vi und Le­na, ob sie auch mit­kom­men möch­ten. Jens wür­de sich be­stimmt freu­en, Ke­tu wie­der­zu­se­hen. Und Le­na hat frei. Es ist ja Mon­tag. Ein we­nig Ab­wechs­lung tä­te ihr gut.«

»Du kannst manch­mal ganz schön ge­mein sein!«, me­cker­te Vik­tor in ih­ren Kopf hin­ein.

An­na war klar, dass er sie viel lie­ber ganz für sich al­lein bei sich hät­te, und muss­te des­we­gen ein klein we­nig schmun­zeln.

»Tja, Vik­tor Mül­ler, das Le­ben ist nun mal kein Po­ny­hof!«

»Po­ny­hof? Wie soll ich das denn bit­te ver­ste­hen?«

»Das ist nur so ei­ne Re­de­wen­dung, Vik­tor. Bis gleich.«

»Okay, bis gleich. Freu mich trotz­dem.«

An­na lä­chel­te im­mer noch, als sie auf­stand und in den run­den Spie­gel an der Zim­mer­wand blick­te. Frü­her hat­te ihr Spie­gel­bild sie re­gel­mä­ßig ver­un­si­chert und aus dem Tritt ge­bracht. Doch jetzt war sie durch­aus zu­frie­den da­mit, trotz ih­rer Bril­le.

Zwar war das neue Ge­stell mit sei­nem kup­fer­fa­r­be­nen, fast recht­e­cki­gen Me­tall­rah­men und brei­ten Bü­geln er­heb­lich auf­fäl­li­ger als das vor­he­ri­ge Mo­dell, da­für brach­te es ih­re hell­blau­en Au­gen mehr zur Gel­tung. Das trös­te­te An­na dar­über hin­weg, so ein Ding tra­gen zu müs­sen. Und Vik­tor lieb­te sie ja so­wie­so mit Bril­le. Im­mer schon hat­te er das Teil an ihr ge­mocht, was sie so gar nicht ver­ste­hen konn­te.

An­na schau­te an sich hin­un­ter. Mit ih­rem Gar­de-Mi­ni-Maß von sa­ge und schrei­be eins-drei­und­fünf­zig gab sie ge­gen­über den meis­ten El­fen einen rich­ti­gen Winz­ling ab. Selbst die meis­ten El­fen­frau­en wa­ren er­heb­lich grö­ßer als sie. Nur Lo­a­na und die nor­di­sche El­fe De­n­a­ra bil­de­ten da ei­ne Aus­nah­me, so­weit An­na be­kannt war.

Sie zuck­te mit den Ach­seln. Sie war eben die Kleins­te in ih­rer Fa­mi­lie und auch un­ter den El­fen und Hal­bel­fen. Was soll’s.

Die Auf­re­gung der letz­ten Mo­na­te und auch der An­tritt in der neu­en Schu­le hat­ten ihr Ge­wicht auf acht­und­vier­zig Ki­lo schmel­zen las­sen, was ihr durch­aus ge­fiel. Vik­tor und ganz be­son­ders Vi­tus sa­hen das al­ler­dings völ­lig an­ders. Stän­dig ver­such­ten sie, An­na zum Es­sen zu ani­mie­ren.

Aus ir­gend­ei­nem Grun­de schien die Nah­rungs­auf­nah­me für El­fen im­mens wich­tig zu sein. Nie zu­vor hat­te An­na je­man­den so viel und re­gel­mä­ßig es­sen se­hen wie Vik­tor und die El­fen, ins­be­son­de­re Vi­tus und des­sen Wa­chen. Nur Lo­a­na bil­de­te da wie­der ein­mal ei­ne Aus­nah­me.

Mit ei­nem mil­den Lä­cheln wand­te sie sich vom Spie­gel ab. Ja, sie war mit sich, der Men­schen- und El­fen­welt und ih­rer Lie­be zu Vik­tor wirk­lich glü­ck­lich und zu­frie­den.

***

Et­wa ei­ne hal­be Stun­de spä­ter spa­zier­ten An­na, Le­na, Jens und sei­ne Freun­din Sil­vi ge­müt­lich durch den Wald.

Frü­her hat­te Vik­tor sei­ne An­na stets zu sich nach Hau­se ab­ge­holt, meis­tens durch den Wald und nicht, oh­ne ei­ne klei­ne Schmu­se­pau­se auf ih­rer Lich­tung zu ze­le­brie­ren. Und weil Vik­tor ein »nost­al­gi­scher« Hal­bel­fe war, be­stand er auch jetzt noch oft dar­auf, sie zu be­glei­ten.

Da An­na aber seit ei­ni­ger Zeit die Schlüs­sel be­saß, um selbst­stän­dig in die El­fen­welt oder, wie in die­sem Fall, durch einen Ein­gang in die Vor­welt und dann durch einen wei­te­ren Ein­gang di­rekt zum fünf­zig Ki­lo­me­ter ent­fern­ten, in der Men­schen­welt ge­le­ge­nen Haus der Zwil­lin­ge zu ge­lan­gen, wa­ren sie heu­te oh­ne Vik­tor un­ter­wegs.

Vi­tus hat­te die ma­gi­schen Wor­te re­gel­recht in An­nas Kopf ein­ge­pflanzt. In­zwi­schen war sie ge­übt dar­in, die Zei­chen zu er­ken­nen und an der rich­ti­gen Stel­le die pas­sen­den For­meln zu mur­meln. Da­her schwatz­te sie mun­ter mit den drei­en, wäh­rend­des­sen sich auf ihr Ge­heiß der ers­te un­sicht­ba­re Ein­gang öff­ne­te und, nach­dem sie hin­durch­ge­gan­gen wa­ren, wie­der schloss, um al­le hin­ter sich zu ver­ber­gen.

***

Da­bei war sie so ins Ge­spräch ver­tieft, dass ihr ent­ging, wie sie aus ei­ni­ger Ent­fer­nung auf­merk­sam be­ob­ach­tet wur­de.

***

Da! Da war es wie­der! Die­ses kur­ze Blit­zen! Wo war sie ge­blie­ben? Selt­sam!

Er hat­te es jetzt schon mehr­mals ge­se­hen und konn­te es ein­fach nicht be­grei­fen.

Ei­gent­lich hat­te er ihr da­mals gar nicht hin­ter­her­spio­nie­ren wol­len. Schließ­lich war er kein Voy­eur, der ei­nem Pär­chen beim Knut­schen im Wald zu­schau­en woll­te. Er hat­te es trotz­dem ge­tan. Da­bei war ihm halt auf­ge­fal­len, dass sie ent­we­der von ih­rem Freund mit dem Au­to ab­ge­holt wur­de oder aber ein­fach im Wald ver­schwand – ob al­lei­ne oder ge­mein­sam mit ihm oder wie heu­te so­gar mit an­de­ren zu­sam­men. Je­den­falls ver­schwand sie oft auf die­se mys­te­ri­öse Art und Wei­se, meist für recht lan­ge Zeit – und das im Ja­nu­ar, bei den der­zeit herr­schen­den Mi­nu­stem­pe­ra­tu­ren!

Seit die­ser Ent­de­ckung war er be­reits ei­ni­ge Ma­le her­ge­kom­men, um nach­zu­schau­en, wer, wie oft und wie lan­ge in den Wald ging. Er nahm sich vor, dies von nun an so­gar noch re­gel­mä­ßi­ger zu tun.

Um­ständ­lich kram­te er aus sei­ner Jack­en­ta­sche einen klei­nen Block mit Stift her­vor, um sich eif­rig No­ti­zen zu ma­chen. Nach­dem er das No­tiz­buch wie­der ein­ge­steckt hat­te, folg­te er dem ver­schlun­ge­nen schma­len Wald­weg, fand je­doch – wie auch schon die letz­ten Ma­le – nichts. Da wa­ren ein­fach nur ein Weg und ein Wald. Sonst nichts!

Ei­ne Zi­ga­ret­te wä­re jetzt nicht schlecht, dach­te er grim­mig. Dann hät­te er we­nigs­tens was zum Zeit­ver­treib. Ver­flixt! Blö­de Ge­sund­heit! Aber er hat­te be­reits über drei Mo­na­te lang durch­ge­hal­ten. Al­so wür­de er auch wei­ter­hin beim Nicht­rau­chen blei­ben.

Er war­te­te noch ei­ne Stun­de, ver­harr­te Fü­ße stamp­fend und Hän­de rei­bend in der ei­si­gen Käl­te. Als sich wei­ter­hin nichts tat, mach­te er kehrt und ver­ließ nach­denk­lich den Wald.

***

Nach­dem An­na mit den drei­en ge­mein­sam den zwei­ten Ein­gang pas­siert hat­te, be­fand sie sich wie­der in der Welt der Men­schen. Nur we­ni­ge Schrit­te vom Wald ent­fernt konn­ten sie be­reits hin­ter ein paar dich­ten Bü­schen das zwei­ge­schos­si­ge Reet­dach­haus mit den ro­ten Klin­ker­stei­nen und wei­ßen Spros­sen­fens­tern er­spä­hen. Da­vor den hel­len Kies­weg, der zum Haus­ein­gang führ­te, rechts und links flan­kiert von ei­nem hüb­schen Vor­gar­ten mit im­mer­grü­nen Stau­den.

Das war das Haus der Zwil­lin­ge oder auch ger­ne Mül­ler-Haus oder aber ein­fach nur Reet­dach­haus ge­nannt. Ob­wohl es fast fünf­zig Ki­lo­me­ter weit von An­nas Zu­hau­se ent­fernt lag, konn­ten sie es auf die­se el­fi­sche Wei­se in nur ei­ni­gen Geh­mi­nu­ten durch den Wald er­rei­chen.

We­nig spä­ter sa­ßen sie ge­mein­sam im gro­ßen Wohn­zim­mer des hell und luf­tig mo­dern ein­ge­rich­te­ten Hau­ses auf be­que­men wei­ßen Le­der­so­fas und -ses­seln.

»Die Mu­sik ist echt cool, Jens. Wie hei­ßen die?« Vik­tor klang be­geis­tert, als Jens ihm sei­nen iPod gab und er das Lied ab­spiel­te.

»Biffy Cly­ro«, er­klär­te der. »Ist ’ne schot­ti­sche Grup­pe. Hab letz­tens erst von de­nen ge­hört. Ich find die auch echt gut.«

»Könn­ten wir die­se coo­le Mu­sik even­tu­ell in ei­ner Laut­stär­ke ge­ni­e­ßen, bei der uns nicht die Oh­ren ab­fal­len?«, wand­te Vik­to­ria leicht ge­reizt ein. »Man kann sich ja gar nicht rich­tig un­ter­hal­ten.«

Jens und Vik­tor, so­gar Ke­tu ver­dreh­ten de­mon­s­tra­tiv die Au­gen.

»Okay, wie wär’s, wenn ihr drei nach oben geht?«, schlug Vik­to­ria un­ge­dul­dig vor. »Da könnt ihr eu­re Mu­si noch ein biss­chen lau­ter auf­dre­hen und wei­ter dar­über fach­sim­peln. Und wir könn­ten uns er­wach­se­nen Ge­sprä­chen wid­men.«

Ke­tu sag­te nichts, lä­chel­te nur sanft.

Das Re­den über­nahm Vik­tor: »Kommt, Jungs, lasst uns rauf­ge­hen. Klei­nen Mäd­chen soll man nicht wi­der­spre­chen, wenn sie gro­ße Da­men spie­len wol­len.«

Das brach­te ihm einen Stup­ser von An­na ein. Er be­lohn­te sie mit ei­nem spitz­bü­bi­schen Grin­sen. Vik­tor er­hob sich, nahm den iPod von der Sta­ti­on und wink­te die an­de­ren bei­den hin­ter sich her.

Vik­to­ria stand dar­auf­hin auch auf. Sie schloss die Zim­mer­tür hin­ter ih­nen, nicht oh­ne einen Seuf­zer der Er­leich­te­rung aus­zu­sto­ßen.

»So, jetzt kön­nen wir end­lich mal in Ru­he über die Hoch­zeit re­den, oh­ne dass die Jungs uns ner­ven. Wir müs­sen näm­lich dar­über nach­den­ken, was wir als Braut­jung­fern an­zie­hen wol­len. Lo­a­na hat ge­sagt, sie lässt uns da freie Hand.«

Wie so oft, wenn sie über­leg­te oder ver­le­gen war, kau­te sie auf der Un­ter­lip­pe. »Na­tür­lich hab ich mir so mei­ne Ge­dan­ken ge­macht. Ich fin­de, es soll­te et­was sein, was uns al­len ge­fällt und zu blon­den und brau­nen Haa­ren passt.«

Vik­to­ria sah Le­na und Sil­vi an. »Hat An­na euch schon ge­fragt, was ihr da­von hal­tet, dass wir blond mit blond und braun mit braun kom­bi­nie­ren wol­len?«

In Le­n­as Ge­sicht brei­te­te sich ein schie­fes Grin­sen aus. »Du meinst, ob ich da­zu mei­ne Haa­r­fa­r­be be­hal­te, oder?«

»Tja, nun, ich dach­te halt, das wä­re be­stimmt hübsch: Zwei Blon­di­nen und zwei Brü­net­te, je­weils ne­ben­ein­an­der. Die Klei­der müss­ten ja nicht die­sel­be Fa­r­be ha­ben, aber sie soll­ten ir­gend­wie mit­ein­an­der har­mo­nie­ren.«

Le­na grins­te im­mer noch. »Mach dir mal kei­nen Kopf. Ich ha­be so­gar vor, mei­ne Na­tur­fa­r­be wie­der an­zu­neh­men, die ist näm­lich fast die glei­che wie An­nas. Das wä­re doch be­stimmt in dei­nem Sin­ne, nicht wahr?«

Jetzt misch­te An­na sich ein. »Das musst du aber nicht, Le­na. Nur wenn du Lust drauf hast, klar?«

»Si­cher, Schwes­ter­chen, ich hab halt Lust drauf.«

Sie dreh­te sich zu Sil­vi. »Was sagst du denn da­zu?«

An­na hat­te men­tal sehr wohl re­gis­triert, wie Sil­vi sich die gan­ze Zeit zu­rück­hielt. Nach wie vor schien sie Pro­ble­me da­mit zu ha­ben, dass Vik­to­ria im letz­ten Som­mer, ge­tarnt als rot­haa­ri­ge Vi­o­la, zu­sam­men mit Jens und An­na auf der Nord­see­in­sel ge­we­sen war. Oh­ne Sil­vi. Un­ver­kenn­bar piks­te sie die Ei­fer­sucht hin und wie­der ins Herz, ob­wohl sie ge­se­hen hat­te, wie lie­be­voll Ke­tu und Vik­to­ria mit­ein­an­der um­gin­gen und es wirk­lich kei­nen Grund für ih­ren Arg­wohn gab.

»Jaa«, be­gann Sil­vi lang­sam, »das mit zwei zu zwei fin­de ich ziem­lich gut. Die Fra­ge ist nur: Geht blond mit blond und braun mit braun oder ge­hen zwei ge­misch­te Paa­re? Und dann gibt es da so ein paar Kleider­fa­r­ben, für die ich mich per­sön­lich nicht un­be­dingt be­geis­tern könn­te. Bon­bon­ro­sa und so et­was. Al­so, das ist nicht so meins.«

Vik­to­ria lach­te fröh­lich. »Das mit der Pär­chen­bil­dung ist ei­ne gu­te Fra­ge, Sil­vi. Bei der Fa­r­be wer­den wir uns schon noch ei­nig. Ich wür­de zu gern Vi­tus’ Ge­sicht se­hen, wenn wir al­le in Bon­bon­ro­sa zu sei­ner Hoch­zeit auf­tau­chen wür­den.«

***

»So­so, wür­dest du das ger­ne?« Vi­tus lä­chel­te sei­ne Toch­ter mit hoch­ge­zo­ge­nen Brau­en an.

Er hat­te sich in vol­ler Grö­ße von eins-fünf­und­neun­zig der­art im Tür­rah­men auf­ge­baut, dass er sei­ne gut drei­ßig Zen­ti­me­ter klei­ne­re Ver­lob­te hin­ter sich ver­barg. Doch dann wur­de er von ihr ein­fach zur Sei­te ge­schubst.

»Ent­schul­digt bit­te, ihr Lie­ben, aber mein zu­künf­ti­ger Ehe­mann be­nimmt sich mal wie­der wie ein ro­hes Klotz­holz. Er war schon drin, be­vor ich über­haupt die Chan­ce hat­te, die Tür­glo­cke zu läu­ten.«

»Klotz­holz?« Amü­siert zog Vi­tus die Brau­en noch hö­her.

»Was?«, frag­te Lo­a­na ge­reizt zu­rück.

»Es heißt: Holz­klotz und nicht Klotz­holz, Ke­ned

Lo­a­na schnaub­te laut auf. »Pah! Das kann ja je­der be­haup­ten.« Als sie al­ler­dings sah, wie die Frau­en auf der Couch sich vor La­chen krin­gel­ten, fing sie selbst an zu ki­chern. »Na gut, du ro­her Holz­klotz!«

»Gro­ber, Lo­a­na, es heißt ei­gent­lich: gro­ber Holz­klotz oder noch bes­ser gro­ber Klotz

Lo­a­na stemm­te die Fäus­te in die Hüf­ten und blitz­te Vi­tus mit ih­ren edel­stein­grü­nen Au­gen an.

»Mei­net­we­gen schimp­fe mich ein ro­hes Klotz­holz, wenn es dich glü­ck­lich macht, mei­ne Schö­ne.« Er hob er­ge­ben die Hän­de und be­dach­te sie mit ei­nem der­art glück­s­trah­len­den Lä­cheln, dass ihr schein­bar fast die Luft und zu­dem gänz­lich die Spra­che weg­b­lie­ben. Sie klapp­te den be­reits zur Wi­der­re­de ge­öff­ne­ten Mund wie­der zu und folg­te ihm ins Wohn­zim­mer.

Vi­tus be­merk­te, wie die an­de­ren Frau­en den frem­den Mann mus­ter­ten, den er und Lo­a­na ne­ben den Wach­män­nern Tim­mun und Es­sem mit­ge­bracht hat­ten. Wie üb­lich blie­ben al­le drei Wach­leu­te re­spekt­voll vor der Tür ste­hen, bis Vi­tus sie auf­for­der­te ein­zu­tre­ten.

Er gab sei­nen bei­den Töch­tern einen Kuss auf die Wan­gen. Seit er An­na ken­nen­ge­lernt hat­te, sah er sie als sei­ne Toch­ter an, so wie ihm Ke­tu ein Sohn war.

Da­nach reich­te er Le­na und Sil­vi die Hand und blick­te ih­nen mit sei­nen meer­grü­nen Au­gen tief in die See­le.

»Wie ich se­he, habt ihr mitt­ler­wei­le die el­fi­schen Neu­ig­kei­ten ganz gut ver­kraf­tet. Das freut mich. Und es freut Lo­a­na und mich, dass ihr uns auf un­se­rer Hoch­zeit als Braut­jung­fern be­glei­ten wer­det.«

Sil­vi war hoch­rot an­ge­lau­fen und des Spre­chens of­fen­kun­dig nicht fä­hig. Al­so über­nahm Le­na tap­fer das Wort: »Es war sehr nett von euch, uns dar­um zu bit­ten. Wir ha­ben uns to­tal dar­über ge­freut. Nicht wahr, Sil­vi?«

Die nick­te ton­los. Vi­tus schmun­zel­te über ih­re Ge­füh­le. Es sah so aus, als mach­te er ihr stets ein biss­chen Angst, ob­wohl er sich so viel Mü­he gab und sie auch jetzt freund­lich an­schau­te. Doch sei­ne Au­ra von Au­to­ri­tät und Macht schüch­ter­te sie wei­ter­hin ein.

Un­ter­des­sen hat­te auch Lo­a­na al­le be­grüßt und nahm nun Sil­vis Hand, um sie mit ih­rer hei­len­den Kraft ein we­nig zu be­ru­hi­gen. »Mach dir kei­ne Sor­gen, Sil­vi«, sprach sie sanft. »Ich ha­be ihn zwar – wie war das noch gleich? – ach ja, einen gro­ben Klotz ge­nannt, aber meis­tens ist er eher ein wei­ches Ei.«

Er­neut schos­sen Vi­tus’ Brau­en in die Hö­he, doch er biss sich auf die Lip­pe und schluck­te einen wei­te­ren Ta­del be­züg­lich Lo­a­nas manch­mal äu­ßerst ei­gen­tüm­li­chen Sprach­ge­brauchs hin­un­ter.

Him­mel, war die­se Frau süß, dach­te er ver­gnügt. Er lieb­te ein­fach al­les an ihr. Ihr Tem­pe­ra­ment und ih­re au­ßer­ge­wöhn­li­chen Ta­len­te. Was al­ler­dings das Flu­chen und Schimp­fen be­traf, das konn­te sie ein­deu­tig bes­ser auf Bre­to­nisch.

Na­tür­lich er­kann­te Lo­a­na, was in ihm vor­ging, und lach­te. »Ja­ja, Vi­tus, ist ja gut. Ich wer­de es schon noch ler­nen.«

Sie ließ sich auf dem So­fa nie­der und Vi­tus nahm ne­ben ihr Platz.

Als Vik­to­ria hin­aus­ge­hen woll­te, um für die drei Wach­leu­te Stüh­le aus dem Ess­zim­mer zu ho­len, trat ihr der Frem­de ent­ge­gen.

»Blei­be hier, Kö­nigs­toch­ter«, bat er sie ernst. »Wir wer­den uns die Stüh­le selbst ho­len.« Er ging hin­aus und die an­de­ren bei­den folg­ten ihm.

Mit gro­ßem In­ter­es­se ver­folg­te Vi­tus, wie Tim­mun und Es­sem dem neu­en Mann oh­ne Zö­gern hin­ter­her­gin­gen, ob­wohl sie ihn kaum kann­ten. Sie schie­nen sich be­reits gut zu ver­ste­hen.

»Wer ist das, Va­ter?«, er­kun­dig­te sich Vik­to­ria lei­se.

»Das ist Sen­tran, der neue sechs­te Mann.« Da­bei sah er ihm stirn­run­zelnd nach. Ei­gent­lich hat­te Vi­tus nicht vor­ge­habt, ihn schon als sechs­ten Mann zu be­zeich­nen, weil er ihn zu­nächst nur pro­be­wei­se mit zum Schloss neh­men woll­te. Doch ir­gend­wie fand er es rich­tig, ihn schon jetzt so zu nen­nen. Wenn er ehr­lich war, muss­te er zu­ge­ben, dass er sei­ne Wahl be­reits ge­trof­fen hat­te.

Sei­ne Auf­merk­sam­keit wur­de nun auf Ke­tu ge­lenkt, der mit Vik­tor und Jens die Trep­pe her­un­ter­kam. Ke­tu, ei­ner sei­ner Eli­te­wach­män­ner und zu­dem Si­stras Bru­der, wür­de Zeit brau­chen, sich dar­an zu ge­wöh­nen, Si­stra nach des­sen Tod schein­bar durch einen Frem­den er­setzt zu se­hen, über­leg­te Vi­tus.

Er stand wie­der auf, um die drei Män­ner zu be­grü­ßen und ih­nen Sen­tran vor­zu­stel­len.

Die­ser ließ dar­auf­hin sei­nen Blick durch die Run­de schwei­fen – ru­hig und be­son­nen – von ei­ner Per­son zur an­de­ren. Es war, als wür­de die­ser Blick einen sil­ber­grau­en Strei­fen hin­ter sich her­zie­hen. Nur einen win­zi­gen, kaum re­gis­trier­ba­ren Mo­ment hielt er bei Le­na in­ne und im sel­ben Mo­ment senk­te die ih­re Li­der.

Ne­ben die­sem kaum merk­li­chen Blick­kon­takt zwi­schen Le­na und Sen­tran ver­nahm Vi­tus, wie nicht an­ders von ihm er­war­tet, ein kur­z­es Blit­zen in Ke­tus hell­brau­nen Au­gen, das aber gleich wie­der er­losch. Au­ßer­dem spür­te Vi­tus, dass auch Sen­tran Ke­tus Emp­fin­dun­gen wahr­ge­nom­men hat­te. Mit­zu­ver­fol­gen, wie sich die bei­den Wach­män­ner wei­ter­hin be­äu­gen und an­nä­hern wür­den, dürf­te nach Vi­tus’ An­sicht span­nend wer­den. Und sie wür­den ein­an­der nä­her ken­nen­ler­nen, sich so­gar an­freun­den, des­sen war Vi­tus sich ge­wiss.

Vik­tor riss ihn aus sei­nen Spe­ku­la­ti­o­nen. »Ich schät­ze mal, wir ha­ben kei­ne an­de­re Wahl, als uns dar­an zu ge­wöh­nen, dass du auf im­mer die glei­che Wei­se, al­so oh­ne zu klin­geln, hier bei uns rein­platzt.«

Vi­tus lä­chel­te ver­schmitzt. »Tja, das ist wohl das Pri­vi­leg ei­nes Kö­nigs.« Er nahm einen Schluck von der Co­la, die Vik­to­ria ihm ein­ge­schenkt hat­te. »Nein, ich woll­te euch ur­sprüng­lich nur kurz Sen­tran vor­stel­len. Dann war es ein­fach so, dass ich nicht wi­der­ste­hen konn­te, als man sich dar­über Ge­dan­ken mach­te, auf un­se­rer Hoch­zeit in Bon­bon­ro­sa zu er­schei­nen. Ei­ne wirk­lich net­te Idee und so pas­send zur Kirsch­blü­te. Fin­dest du nicht auch, Ke­ned

Wäh­rend er sprach, wi­ckel­te er ge­dan­ken­ver­lo­ren ei­ne Sträh­ne ih­res ho­nig­blon­den Haa­res um sei­nen Fin­ger.

»Du weißt, dass ich an der Tür läu­ten woll­te, so wie es sich ge­hört. Und bon­bon­ro­sa wür­de mir nicht un­be­dingt ge­fal­len. Aber ihr sollt eu­re Wahl selbst tref­fen. Ich ha­be ja schließ­lich schon ge­nug mit mir und mei­nem ba­r­fü­ßi­gen Bräu­ti­gam zu tun.«

So­fort blick­ten al­le an Vi­tus hin­un­ter, der, wie üb­lich und so auch an die­sem bit­ter­kal­ten Tag, kei­ne Schu­he trug. Die­se el­fi­sche Vor­lie­be hat­te Vi­tus als Er­be an sei­nen eben­so ba­r­fü­ßig da­sit­zen­den Sohn wei­ter­ge­ge­ben. Auch sei­ne Wa­chen gin­gen nor­ma­le­r­wei­se oh­ne Schu­he, hat­ten al­ler­dings für Be­su­che in der Men­schen­welt stets leich­tes Schuh­werk da­bei.

»Pri­vi­leg ei­nes Kö­nigs hin oder her«, rich­te­te sich Vik­to­ria an ih­ren Va­ter, »du wirst an dei­nem Hoch­zeits­tag doch wohl Schu­he an­zie­hen.«

»Ach, liebs­te Toch­ter, was soll ich dir nun dar­auf ant­wor­ten?« Er seufz­te the­a­tra­lisch. »Selbst­ver­ständ­lich wer­de ich zu mei­ner ei­ge­nen Hoch­zeit stan­des­ge­mäß er­schei­nen.« Als er dar­auf­hin nicht nur von sei­ner Toch­ter skep­ti­sche Bli­cke ern­te­te, füg­te er has­tig hin­zu: »Mit Schu­hen an den Fü­ßen, ja­ja. Da­bei hät­te es mir durch­aus Spaß ge­macht, mei­ne Ver­lob­te noch ein klein we­nig im Un­ge­wis­sen zu las­sen und auf­zu­zie­hen. Jetzt hast du mich um den gan­zen Spaß ge­bracht.«

Er spiel­te wei­ter mit Lo­a­nas Lo­cke, zog sie dar­an sanft zu sich und küss­te sie zärt­lich auf den Mund. »Für dich kä­me ich auch in Rit­ter­rüs­tung.«

»Rit­ter­rüs­tung? Gibt es so et­was denn bei den El­fen?«, woll­te An­na wis­sen.

»Nein, gibt es nicht. Ich dach­te halt, dass sich das hübsch an­hört.« Vi­tus lach­te herz­haft.

Sie un­ter­hiel­ten sich noch ei­ne gan­ze Wei­le mit­ein­an­der. Der leb­haf­te Ver­lauf des Nach­mit­tages mach­te Vi­tus durch und durch zu­frie­den. Selbst Ke­tu brach sein Schwei­gen. Un­ter an­fäng­li­chem Zö­gern be­gann er, Sen­tran ein paar Fra­gen zu stel­len, al­ler­dings erst, nach­dem ihn Vik­to­ria mit fun­kelnd dun­kel­blau­en Au­gen auf­for­dernd an­ge­blitzt hat­te.

Ehe sich Vi­tus ge­mein­sam mit Lo­a­na nach gut ei­ner Stun­de ver­ab­schie­de­te, stan­den Tim­mun, Es­sem und Sen­tran be­reits auf, nick­ten mit dem Kopf und gin­gen schon ein­mal vor, um drau­ßen auf ih­ren Kö­nig zu war­ten. Vi­tus nahm sei­ne Zwil­lin­ge, aber auch Ke­tu und An­na, Le­na, Jens und Sil­vi, über­schwäng­lich in den Arm.

»Ich freue mich schon auf die Ge­burts­tags­fei­er am Frei­tag. Das wird herr­lich. Wir brin­gen mei­nen, nein, un­se­ren Koch Wo­nu mit. Seid al­so pünkt­lich und esst vor­her nicht zu viel. Grüßt bit­te Jo­han­nes und The­resa von uns und rich­tet ih­nen aus, wie sehr wir uns auf das Wie­der­se­hen freu­en.«

Nach­dem auch Lo­a­na sich herz­lich ver­ab­schie­det hat­te, um­fing er ih­re Tail­le und zog sei­ne Ver­lob­te mit hin­aus.

Drau­ßen vor der Tür flüs­ter­te er ihr ins Ohr: »Bei der Er­wäh­nung un­se­res Kochs ist mir ein­ge­fal­len, dass wir seit der Ab­rei­se von Estra und Isi­nis nichts mehr ge­ges­sen ha­ben. Komm, mei­ne Schö­ne, lass uns schnell zum Schloss zu­rück­keh­ren. Ich muss drin­gend mei­nen Hun­ger stil­len. Nicht nur mit Wo­nus Köst­lich­kei­ten.«

Sonnenwarm und Regensanft - Band 3

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