Читать книгу Sonnenwarm und Regensanft - Band 3 - Agnes M. Holdborg - Страница 7

Ge­schen­ke

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Poch, poch, poch! Das ener­gi­sche Klop­fen an der Tür ließ ihm kei­ne Ru­he. »Vik­tor? An­na? Seid ihr wach? Los, los, steht auf! Es wird Zeit!«

»Was ist los?« Vik­tor tas­te­te mit ei­ner Hand auf dem Tisch­chen ne­ben dem Bett nach sei­nem Han­dy und sank nach ei­nem Blick dar­auf er­mat­tet in die Kis­sen zu­rück. »Ach ne, das gibt’s doch nicht.« Mit sei­nem bart­stopp­li­gen Kinn strich er vor­sich­tig über An­nas Schul­ter. »Hey, Sü­ße, mei­ne Schwes­ter dreht durch. Es ist erst halb­sie­ben und sie will, dass wir auf­ste­hen.« Wie im­mer hielt Vik­tor sie fest um­schlun­gen. Als An­na ih­ren Kopf hob, blick­te er ge­ra­de­wegs in zwei zwar reich­lich ver­schla­fe­ne, aber den­noch wun­der­schö­ne, leuch­tend­hel­le Sa­phi­re.

Wie­der klopf­te es an der Tür und dies­mal deut­lich ener­gi­scher. »Bru­der­herz, steh au-hauf! Es wird Zei-heit!«

»Hhm«, brumm­te er nur. Oh­ne wei­ter auf das Klop­fen zu ach­ten, nahm er An­na die Bril­le wie­der ab, die sie sich ge­ra­de auf­ge­setzt hat­te, leg­te sie bei­sei­te, zog An­na noch nä­her an sich her­an und be­gann, sie aus­gie­big zu kos­ten. Gleich­zei­tig sen­de­te er sei­ner Schwes­ter ein knap­pes State­ment.

»Mei­ne Gü­te, Vik­tor!«, rief die­se von drau­ßen durch die Tür. »Na gut! Aber gleich kommt ihr bei­den Lie­bes­ver­rück­ten run­ter, kla­ro?«

Vik­tor un­ter­brach sei­ne Lieb­ko­sun­gen und Küs­se nicht. Er wid­me­te sich ganz An­nas wun­der­bar wei­cher Haut. Viel­leicht hat­te er ja in der vor­he­ri­gen Nacht ein paar Zen­ti­me­ter da­von aus­ge­las­sen. Das durf­te auf kei­nen Fall sein.

Die Er­in­ne­rung an die ver­gan­ge­ne Nacht er­reg­te ihn zu­tiefst, denn An­na hat­te ihm ei­ne Ge­burts­tags­nacht ge­schenkt, die er nie mehr ver­ges­sen wür­de.

… Um Punkt zwölf hat­ten er, An­na, Vik­to­ria und Ke­tu mit ed­lem Cham­pa­gner an­ge­sto­ßen und noch ein hal­b­es Stünd­chen ge­plau­dert. Die Ge­burts­tags­ge­schen­ke soll­te es erst am Ta­ge ge­ben. Da­nach wa­ren sie in ih­ren Zim­mern ver­schwun­den.

Dar­auf­hin über­rasch­te An­na ihn doch noch mit ei­nem Ge­schenk, und zwar mit ei­nem äu­ßerst ero­ti­schen Ge­schenk. Sie kann­te ja sei­ne Vor­lie­be für schwa­r­ze Spit­ze auf ih­rer wei­ßen Haut.

Zu­nächst war ihm schlecht­hin die Spu­cke weg­ge­blie­ben, dann aber so­fort das Was­ser im Mund zu­sam­men­ge­lau­fen, als sie sich ganz lang­sam vor ihm aus­zog und ihr atem­be­rau­ben­des Des­sous frei­gab. Sie hat­te den Strip­te­a­se noch gar nicht rich­tig voll­en­det, da war es schon um sei­ne Be­herr­schung ge­sche­hen und er ge­ra­de­zu über sie her­ge­fal­len. …

Schuld­be­wusst strich er nun mit sei­nen Lip­pen über ein paar klei­ne blaue Fle­cken an An­nas Ober­ar­men.

»Ich hab dir heu­te Nacht weh­ge­tan«, mur­mel­te er, wäh­rend er sie wei­ter mit Fin­gern und Zun­ge ver­wöhn­te, lust­voll quäl­te und da­bei be­ob­ach­te­te, wie sie mit halb ge­schlos­se­nen Au­gen und leicht ge­öff­ne­tem Mund je­des ein­zel­ne Strei­cheln zu ge­ni­e­ßen schien.

»Hm?«, hauch­te sie ab­we­send. »Ach das. Nein, das ist nichts. – Oh, mein Gott, Vik­tor, hör bit­te nicht auf.«

»Das hat­te ich nicht vor, Klei­nes.«

Er wür­de ganz be­stimmt nicht auf­hö­ren, dach­te er. Heu­te Mor­gen wür­de er sich für die ver­gan­ge­ne Wahn­sinns­nacht be­dan­ken. Lang­sam, aus­gie­big und gründ­lich.

Wäh­rend An­na bei der Zart­heit sei­ner Be­rüh­run­gen zi­schend die Luft ein­sog, er­öff­ne­te sich ihm ih­re See­le:

Sie hat­te kei­ne an­de­re Wahl. Sie zer­sprang in tau­sen­de klei­ne spit­ze Split­ter, weil er sie da­zu trieb.

Hat­te er ihr viel­leicht in der Nacht ein paar blaue Fle­cken durch sei­nen fes­ten Griff zu­ge­fügt, so be­kam er nun ih­re Fin­ger­nä­gel im Rü­cken zu spü­ren, als er sich oh­ne Hast mit ihr ver­ein­te und sich trä­ge in ihr be­weg­te.

Sein Herz lief ihm über. Er muss­te sei­ne Son­ne brem­sen, wäh­rend er ih­ren Blick an sei­nen fes­sel­te und sie un­ter ihm er­beb­te.

Er raun­te ihr Lie­beschwü­re zu, er­götz­te sich an ih­ren ge­flüs­ter­ten Er­wi­de­run­gen. So trieb er mit ihr auf ei­nem sei­ner Son­nen­strah­len di­rekt ins In­fer­no. Im­mer schnel­ler, im­mer hei­ßer, bis sie ge­mein­sam in der Glut ver­brann­ten.

***

Et­was spä­ter als ge­plant küss­te Vik­tor sei­ne Schwes­ter, die ihm so ähn­lich sah, ver­gnügt mit­ten auf den Mund. »Ich hab ge­hört, du hast Ge­burts­tag. Herz­li­chen Glü­ck­wunsch, liebs­tes Schwes­ter­chen. Wie fühlt man sich denn so mit neun­zehn?«

»Ach ja, du hast ja auch Ge­burts­tag. Herz­li­chen Glü­ck­wunsch auch dir, liebs­ter Bru­der. Tja, wahr­schein­lich füh­le ich mich ge­nau­so wie du. Könn­te das wohl sein? Und da­bei bin ich doch ein paar Mi­nu­ten äl­ter als du.«

Bei­de hiel­ten sich ge­gen­sei­tig ein klei­nes Päck­chen ent­ge­gen. Vik­tor muss­te ge­nau wie Vik­to­ria la­chen, wuss­ten sie doch, was drin war: die Schlüs­sel zu ei­nem drit­ten Au­to.

… Sie hat­ten sich da­zu ent­schlos­sen, sich noch einen wei­te­ren fahr­ba­ren Un­ter­satz an­zu­schaf­fen, weil in Vik­tors Ca­brio nur zwei Per­so­nen Platz fan­den und auch Vik­to­ri­as Au­to für man­che ge­mein­sa­me Un­ter­neh­mun­gen ein­fach zu klein war. An­fangs hat­te es Dis­kus­si­o­nen we­gen Mar­ke und Mo­dell ge­ge­ben, dann hat­te Vik­to­ria sich ge­gen ihn durch­ge­setzt.

Ges­tern konn­ten sie den Wa­gen end­lich ab­ho­len. Jetzt stand er in der ge­räu­mi­gen Ga­ra­ge: ein fun­kel­na­gel­neu­er wei­ßer Mul­ti­van. …

»Tja«, kom­men­tier­te An­na mit iro­ni­schem Un­ter­ton, als sie das gro­ße Ge­burts­tags­ge­schenk be­äug­te. »Geld­sor­gen habt ihr nun wirk­lich kei­ne, wenn ihr euch den Lu­xus ei­nes drit­ten Au­tos leis­ten könnt. Hhm, der ist echt schön und vor al­len Din­gen prak­tisch. Da könn­ten wir auch mal mit meh­re­ren was ma­chen. Cool.«

»Und wenn du dei­nen Füh­rer­schein hast, kannst du dir eins der Au­tos aus­lei­hen und da­mit zur Schu­le fah­ren.«

Amü­siert be­ob­ach­te­te er, wie sie ei­ne ver­meint­lich be­lei­dig­te Schnu­te zog.

»Scha­de, mein Prinz, ich hat­te an­ge­nom­men, dann schenkst du mir ein Ei­ge­nes.«

»Wir wer­den se­hen, Sü­ße.«

Sie riss die Au­gen auf. »Bist du ver­rückt? Das war doch nur ein Witz! Na­tür­lich wün­sche ich mir kein Au­to von dir!«

»Ein Witz al­so, hhm-hhm, wir wer­den se­hen.« Vik­tor grins­te sie frech an. Ob­gleich bis zu An­nas acht­zehn­ten Ge­burts­tag noch ei­ni­ge Ta­ge – na­ja, mehr als ein hal­b­es Jahr – ins Land ge­hen soll­ten, fand er gro­ßen Ge­fal­len an der Vor­stel­lung, wie sehr sie sich über ein Au­to als Ge­schenk auf­re­gen wür­de. »Wir wer­den se­hen«, wie­der­hol­te er des­halb zum drit­ten Mal und küss­te sie rasch, da­mit sie nicht wei­ter pro­tes­tie­ren konn­te.

***

Oben im Ess­zim­mer deck­te Ke­tu der­weil den Früh­stücks­tisch. Er hat­te die neue »Fa­mi­li­en­kut­sche« be­reits am Tag zu­vor be­wun­dert und nahm sich nun Zeit, um Vik­to­ria ein we­nig zu ent­las­ten. Vi­tus und Lo­a­na wür­den si­cher bald kom­men. Au­ßer­dem wa­ren nach dem Früh­stück die Vor­keh­run­gen für das mit­täg­li­che Ge­burts­tag­s­es­sen zu tref­fen.

Sie hät­ten bes­ser im Schloss fei­ern sol­len, über­leg­te Ke­tu. Vik­to­ria hät­te dann mehr von ih­rem Fest­tag. Sie als Per­fek­tio­nis­tin wür­de be­stimmt die gan­ze Zeit über her­um­ren­nen und her­um­wu­seln wol­len. Es wür­de schwer wer­den, sie da­von ab­zu­hal­ten, doch er woll­te es ver­su­chen.

Schließ­lich hat­te er es ja auch sehr er­folg­reich ge­schafft, Vik­to­ria in der Nacht von ih­ren Grü­belei­en zu Tisch­de­ko und Sitz­ord­nung ab­zu­len­ken. Au­ßer­dem hat­te er ihr be­reits am frü­hen Mor­gen sein Ge­schenk über­reicht.

… Sein Ge­sicht ver­zog sich zu ei­nem strah­len­den Lä­cheln, als er dar­an dach­te, wie Trä­nen in ih­ren Au­gen ge­glit­zert hat­ten beim An­blick des eben­so glit­zern­den Col­liers, des Arm­ban­des und der pas­sen­den Ohr­rin­ge.

Es moch­te viel­leicht ab­ge­grif­fen sein, sei­ner Liebs­ten zum Ge­burts­tag Schmuck zu schen­ken. Doch Vik­to­ri­as Freu­den­trä­nen ver­ri­e­ten Ke­tu deut­lich, dass sie das über­haupt nicht für ab­ge­grif­fen hielt. Sie ließ sich von ihm den Schmuck an­le­gen, den sie dann im Spie­gel ein­ge­hend be­trach­te­te und mit den Fin­gern zärt­lich dar­über strich. Über das fei­ne Gold, die fun­keln­den Di­a­man­ten, feu­ri­gen Ru­bi­ne.

Dar­auf­hin dreh­te sie sich zu ihm um, ihn mit ei­nem Blick be­den­kend, in dem das glei­che Feu­er wie in den Edel­stei­nen lo­der­te. Sie schob die hauch­dün­nen Trä­ger ih­res auf­re­gen­den Sei­den­nacht­hem­des von den Schul­tern, so­dass der fei­ne Stoff an ihr hin­un­ter zu Bo­den glitt und sie nur noch den Schmuck für ihn trug. Was dar­auf folg­te, war über­wäl­ti­gend und be­rau­schend. …

***

Ke­tu rutsch­te ein Was­ser­glas aus der Hand – und je­mand an­de­res fing das Glas auf, be­vor es zu Bo­den ging.

»Du bist wohl in Ge­dan­ken?« Trotz des leicht be­lus­tig­ten Un­ter­tons blieb Sen­trans Mie­ne wie üb­lich ernst. »Lass mich dir hel­fen.«

»Dan­ke, mir war nur kurz et­was in den Sinn ge­kom­men.« Ke­tu räus­per­te sich.

In­des stand Vi­tus mit Lo­a­na in der Tür und kom­men­tier­te die Sze­ne zu­nächst mit ei­nem mil­den Lä­cheln. »Nur kurz ist gut, Ke­tu«, spöt­tel­te er dann ver­gnügt. »Du hast ja nicht ein­mal mit­be­kom­men, dass wir ge­läu­tet ha­ben, wie es sich ge­hört. Es ist wie ver­hext: Ent­we­der ver­ges­se ich zu klin­geln, oder es kommt ein­fach nie­mand, um die Tür zu öff­nen. Wo sind denn die Ge­burts­tags­kin­der?«

»Hm?« Ke­tu war of­fen­bar im­mer noch nicht ganz aus sei­nen Träu­me­rei­en auf­ge­taucht. »Oh, die sind in der Ga­ra­ge und zei­gen An­na den neu­en Wa­gen. Sie müss­ten ei­gent­lich schon wie­der zu­rück sein.«

Wie aufs Stich­wort er­schie­nen die drei und die Zwil­lin­ge wur­den von ih­rem Va­ter lie­be­voll in die Ar­me ge­schlos­sen. Er hat­te sich ih­nen sel­ten rühr­se­lig ge­zeigt, doch nun hielt Vi­tus sei­ne Kin­der wei­ter­hin fest und be­kam glän­zen­de Au­gen.

»Herz­li­chen Glü­ck­wunsch, ihr bei­den. Und al­les Lie­be die­ser und un­se­rer Welt.« Ver­stoh­len wisch­te er sich ei­ne Trä­ne aus dem Au­gen­win­kel. »Es ist schwer, zwei Kö­nigs­kin­dern, die schon Al­les ha­ben, et­was zu schen­ken. Und wenn ich sa­ge, dass ihr Al­les habt, dann mei­ne ich nicht nur die ma­te­ri­el­len Wer­te. Ihr habt die Lie­be ge­fun­den, seid ge­sund und glü­ck­lich. Dass ihr je­der­zeit zu mir auf den Thron stei­gen könnt, das wisst ihr ja be­reits. Al­so, was schenkt man euch?«

Statt ei­ner Ant­wort brach­te Vi­tus zwei in hauch­fei­nes weiß-gol­de­nes Pa­pier ein­ge­schla­ge­ne schma­le Pa­ke­te zum Vor­schein. Bei­de nah­men sie dan­kend ent­ge­gen. Als sie ih­re Ge­schen­ke auf­mach­ten – Vik­tor mit ei­nem un­ge­dul­di­gen Zer­rei­ßen des Pa­piers – Vik­to­ria hin­ge­gen mit ge­dul­di­gen, ge­schick­ten Fin­gern – hiel­ten sie je­der ei­ne in Sil­ber ge­rahm­te Fo­to­gra­fie in der Hand: Ih­re Mut­ter, ein­deu­tig schwan­ger mit den Zwil­lin­gen, stand un­ter ei­nem leuch­ten­den Herbst­baum und wa­rf ih­nen lä­chelnd ei­ne Kuss­hand zu. Sie war wun­der­schön.

»Ich ha­be die al­ten Kis­ten, die ich sei­ner­zeit auf den Spei­cher ver­bannt hat­te, ein we­nig durch­stö­bert. Eu­er Ur­groß­va­ter, Le­o­nard Mül­ler, hat­te sie mir kurz vor sei­nem Tod über­las­sen. Bis vor ein paar Ta­gen ha­be ich sie nie an­ge­rührt. Ich konn­te es ein­fach nicht. Es gibt Fil­me, Fo­to­al­ben und Brie­fe von eu­rer Mut­ter. Die Sa­chen sind schlicht­hin be­zau­bernd und er­zäh­len so viel über sie. Ich den­ke, es wird höchs­te Zeit, dass ihr mehr über sie er­fahrt. Des­we­gen möch­te ich mir das al­les mit euch ge­mein­sam an­se­hen. End­lich bin ich in der La­ge da­zu, euch eu­re Mut­ter na­he­zu­brin­gen.«

Jetzt roll­ten doch ein paar Trä­nen über sei­ne Wan­gen. »Es tut mir leid, dass das erst nach neun­zehn Jah­ren ge­schieht, aber …«

Vik­to­ria fiel ih­rem Va­ter um den Hals. »Schscht, nicht«, flüs­ter­te sie hei­ser. Auch sie schien den Trä­nen na­he zu sein. »Du bist jetzt hier, hier bei uns. Al­les an­de­re ist Ver­gan­gen­heit. Und dan­ke, Va­ter, das Fo­to ist so wun­der­bar. Ich kann gar nichts wei­ter da­zu sa­gen.«

Eben­so sicht­lich ge­rührt nahm Vik­tor ihn in den Arm. »Dan­ke.«

Vi­tus hol­te ein­mal Luft. »Nun denn. Ähm, der Kaf­fee wird kalt. Wir soll­ten jetzt früh­stü­cken.«

Er rech­ne­te nicht da­mit, dass Lo­a­na zu­erst sein Ge­sicht zärt­lich in bei­de Hän­de nahm und ihm einen klei­nen sü­ßen Kuss gab, be­vor auch sie den Zwil­lin­gen gra­tu­lier­te und ih­nen ih­re Ge­schen­ke über­reich­te:

Bild­bän­de zu den Wer­ken von Gau­gu­in, Mo­net und Ma­tis­se für Vik­to­ria und CDs mit Mu­sik von Alan Stivell, Tri Yann und Nol­wenn Leroy für Vik­tor. Die bei­den freu­ten sich laut­hals dar­über, weil die­se Sa­chen ge­nau ih­ren Vor­lie­ben ent­spra­chen und Lo­a­na au­ßer­dem ih­ren bre­to­ni­schen Wur­zeln treu ge­blie­ben war. Es zeug­te da­von, wie viel Ge­dan­ken sie sich des­we­gen ge­macht ha­ben muss­te.

… Auch Vi­tus freu­te sich dar­über, dass Lo­a­nas Ge­schen­ke der­art gro­ßen An­klang bei sei­nen Kin­dern fan­den, hat­te sie sich doch so lang den Kopf des­we­gen zer­bro­chen. Sie woll­te sei­nen Kin­dern un­be­dingt et­was schen­ken, das dem je­wei­li­gen In­ter­es­se der bei­den und zu­dem de­ren rein mensch­li­che Sei­te ent­sprach. Ein schwie­ri­ges Un­ter­fan­gen für ei­ne El­fe oh­ne gro­ße Er­fah­rung mit Men­schen.

Doch nach­dem sie vor ei­ni­ger Zeit von An­na und Jens er­fah­ren hat­te, dass es nicht nur be­rühm­te Ma­ler, son­dern auch Rock­mu­si­ker mit The­men aus Lo­a­nas Hei­mat gab, war ihr die zün­den­de Idee ge­kom­men und sie hat­te An­na ge­be­ten, die­se Din­ge für sie zu be­sor­gen. …

Um fast halb zehn be­gan­nen sie end­lich mit dem, na­tür­lich wie im­mer, opu­len­ten Früh­stück. Zu­nächst sag­te Vi­tus nichts zu sei­ner Be­ob­ach­tung, wie Sen­tran sich heim­lich in die Kü­che ver­zie­hen woll­te, dort aber hoch­kant vom Koch Wo­nu hin­aus­ge­wor­fen wur­de. Wo­nu hat­te ab­so­lut kei­nen Sinn für den Wach­mann, son­dern be­äug­te flu­chend und stöh­nend den hoch­mo­der­nen mensch­li­chen In­duk­ti­ons­herd und frag­te sich, wie er mit die­ser Höl­len­ma­schi­ne die be­reits vor­be­rei­te­ten Spei­sen bis ein Uhr in ein Din­ner ver­wan­deln soll­te. Als Sen­tran dar­auf­hin ver­such­te, sich un­be­merkt aus dem Ess­zim­mer da­von­zu­schlei­chen, ging Vi­tus die­ses lä­cher­li­che Be­neh­men des neu­en Man­nes ein­deu­tig zu weit.

»Ich hab dich nicht mit­ge­nom­men, da­mit du dich fei­ge ver­drückst, Sen­tran. Ich möch­te, dass du mei­ne Fa­mi­lie ken­nen­lernst. Und mei­ne sechs Wa­chen ge­hö­ren zu mei­ner Fa­mi­lie da­zu.« Er leg­te den Kopf schräg. »Was ist, möch­test du nun mein sechs­ter Wach­mann wer­den oder nicht?«

»Selbst­ver­ständ­lich, mein Kö­nig. Ich möch­te mit Freu­den dein Wach­mann sein und dir die­nen. Doch be­in­hal­tet das mei­nes Er­ach­tens nicht, mit dir und dei­ner Fa­mi­lie an ei­nem Tisch zu sit­zen – mit Ver­laub.«

»Spar dir dein däm­li­ches Mit Ver­laub!«, be­fahl ihm Vi­tus un­ge­dul­dig und ließ da­bei die De­cken­lam­pe kurz auf­fla­ckern. »Ich be­stim­me, was dei­ne Auf­ga­ben be­in­hal­ten und was nicht. Al­so setz dich und früh­stü­cke ge­fäl­ligst mit!« Da­nach dreh­te er sich sei­nen Kin­dern und Fast-Schwie­ger­kin­dern zu und tat so, als sä­he er nicht, wie Sen­tran sich stirn­run­zelnd und of­fen­kun­dig wi­der­stre­bend da­zu­setz­te. Statt­des­sen frag­te er: »Und, was gab es denn sonst noch so zum Ge­burts­tag, au­ßer ei­nem Au­to, ei­ner lan­gen Nacht und ei­nem fast ge­nau­so lan­gen, ver­gnüg­li­chen Mor­gen?«

»Vi­tus, bit­te.« Lo­a­na lä­chel­te, stieß ihm den­noch un­sanft mit dem El­len­bo­gen in die Rip­pen.

»Lass nur, Lo­a­na«, ent­geg­ne­te Vik­tor tro­cken. »Wir sind das ge­wohnt. Vi­tus ist in die­ser Hin­sicht ein klei­nes biss­chen un­sen­si­bel. Aber dan­ke der Nach­fra­ge, Va­ter. An­na hat mir ein traum­haft schö­nes selbst­ge­mal­tes Bild ge­schenkt, ein Buch über El­fen und das hier.«

Vik­tor hielt sei­nen Au­to­sch­lüs­sel hoch. Dar­an hing ein fei­ner sil­ber­ner Stern mit sie­ben Za­cken, ein­ge­fasst in ei­nem zar­ten Reif. In der Mit­te des Sterns war ein recht gro­ßer Stein in in­ten­siv blau­er Fa­r­be ein­ge­las­sen. Die­se Fa­r­be glich haar­ge­nau der von Vik­tors Au­gen, er­kann­te Vi­tus ge­rührt.

»Das ist ein sti­li­sier­ter El­fens­tern.« An­na räus­per­te sich. »Al­so, in der Men­schen­welt denkt man, so et­was sei ein El­fens­tern. Der Stein ist ein blau­er Tur­ma­lin, aber er hat mich an einen Tan­sa­nit er­in­nert. Na ja, den konn­te ich mir na­tür­lich nicht leis­ten. Aber ich hab bei dem Stern so­wie­so we­ni­ger an Edel­stei­ne ge­dacht, son­dern mehr an Vik­tor, sei­ne Au­gen und sei­ne Son­ne. Ich fand ihn ein­fach hübsch und …«

»… pas­send.« Vi­tus nahm den An­hän­ger in die Hand, um ihn ein­ge­hend zu be­trach­ten. »Er ist wun­der­schön, An­na. Wirk­lich wun­der­schön.«

Ihm war klar, wie tief An­na für ih­re Ver­hält­nis­se hat­te in die Ta­sche grei­fen müs­sen, um Vik­tor die­ses wun­der­ba­re Ge­schenk zu ma­chen. Er sah sie an und freu­te sich über die Lie­be, die in ih­ren Au­gen brann­te, nur für sei­nen Sohn.

»Das Buch und das Bild wür­de ich mir spä­ter ger­ne an­se­hen.«

Nun wand­te er sich Vik­to­ria zu. Na­tür­lich war ihm ihr neu­er Schmuck be­reits auf­ge­fal­len. »Auch dein Ge­schenk ist wun­der­schön.« Er be­dach­te Ke­tu mit ei­nem un­durch­schau­ba­ren Blick. »Du scheinst als Wach­mann ja sehr gut zu ver­die­nen.« Ei­ne Spur Iro­nie konn­ten sei­ne Wor­te nicht ver­heh­len.

»Al­so, Vi­tus, du bist wirk­lich manch­mal ein roh… nein, hhm, ein gro­ber Klotz. Die Ge­schen­ke sind zau­ber­haft«, sag­te Lo­a­na, wäh­rend sie auf­stand. »Ich muss mal kurz, nun ja … Ihr wisst schon.« Vi­tus sah ihr nach­denk­lich hin­ter­her, als sie in Rich­tung Gäs­te­toi­let­te ver­schwand.

Ke­tus Mund­win­kel zuck­ten. Vi­tus’ Kom­men­tar hat­te ihn wohl be­lus­tigt. »Stimmt, mein Kö­nig, ich bin durch­aus zu­frie­den mit mei­nem Ge­halt. Aber der Schmuck ist tat­säch­lich ein klein we­nig zu kost­spie­lig da­für. Es han­delt sich um Erb­stü­cke. Sie ge­hör­ten der Mut­ter mei­nes Va­ters. Mei­ne El­tern und ich woll­ten ger­ne, dass Vik­to­ria sie be­kommt. Ich ha­be al­ler­dings noch zu­sätz­lich die Ru­bi­ne ein­ar­bei­ten las­sen.«

Ein knap­per Ein­blick in Ke­tus Kopf zeig­te Vi­tus, dass sein Wach­mann zur­zeit nicht in der La­ge war, sei­nen Geist er­folg­reich zu ver­schlie­ßen. So wur­de ihm zu­teil, dass Ke­tu in den feu­ri­gen Ru­bi­nen das Feu­er in den Au­gen sei­ner Freun­din sah.

Al­ler­dings konn­te nicht nur er Ke­tus Ge­dan­ken pro­blem­los le­sen. Auch Sen­tran nahm sie au­gen­schein­lich wahr, be­merk­te Vi­tus. Und so, wie Ke­tu jetzt ge­ra­de drein­schau­te, wuss­te der wie­der­um dar­über Be­scheid, dass so­wohl Kö­nig als auch Wach­kol­le­ge sein Den­ken be­lausch­ten. Des­halb mach­te Ke­tu ins­be­son­de­re ge­gen­über Sen­tran ein bit­ter­bö­ses Ge­sicht.

»Ich ha­be dei­ne Ge­dan­ken ge­nau­so er­ken­nen kön­nen wie Sen­tran und wohl auch die an­de­ren, Ke­tu«, gab Vi­tus ihm süf­fi­sant grin­send zu be­den­ken. »Üb­ri­gens, wenn du dir Lo­a­nas Ver­lo­bungs­ring nä­her an­schaust, dann siehst du, dass ich dei­ne Vor­lie­be für Ru­bi­ne und Di­a­man­ten auf der Haut ei­ner tem­pe­ra­ment­vol­len Frau durch­aus tei­le. Und jetzt guck nicht mehr so düs­ter. Ich ha­be im Mo­ment selbst Schwie­rig­kei­ten, mich im­mer völ­lig zu ver­schlie­ßen. Estra hat­te letz­tens gro­ßen Spaß dar­an, mei­nen stän­dig zu weit of­fen­ge­leg­ten Geist zu durch­fors­ten.« Er be­geg­ne­te Ke­tus fra­gen­dem Blick mit nun toderns­tem Ge­sicht und er­klär­te: »Das sind die Frau­en. Sie ma­chen uns schwach und wir sind voll­kom­men macht­los da­ge­gen.«

Lo­a­na, die ge­ra­de zu­rück­kam, schnaub­te bei Vi­tus’ Wor­ten mit An­na und Vik­to­ria um die Wet­te. Al­le drei fin­gen dar­auf­hin schal­lend an zu la­chen. Es dau­er­te nicht lan­ge und die Män­ner, selbst Sen­tran, fie­len in das Ge­läch­ter ein.

***

Als es um Punkt zwölf läu­te­te, öff­ne­te An­na den rest­li­chen vier Wa­chen die Haus­tür. Sie wuss­te, dass die Män­ner die kö­nig­li­chen Ta­ges­ge­schäf­te den Be­ra­tern und rangnied­ri­ge­ren Wach­leu­ten im Schloss über­ge­ben hat­ten, um auf Vi­tus’ Ge­heiß bei des­sen Kin­dern zu er­schei­nen. Nun stan­den sie dort drau­ßen vor der Tür. Al­le­samt rie­sen­groß, dun­kel­haa­rig, mit be­ein­dru­ckend mus­ku­lö­sem Kör­per­bau: Vol­tran, An­nam, Tim­mun und Es­sem.

Der Blu­men­s­trauß sah in Es­sems Hand trotz sei­ner ge­wal­ti­gen Grö­ße win­zig und ir­gend­wie fehl am Plat­ze aus. Auch bei Vol­tran wirk­te das in bun­tes Pa­pier ein­ge­wi­ckel­te Päck­chen un­ter sei­nem Arm völ­lig de­plat­ziert. Viel­leicht lag das an auch der düs­te­ren Klei­dung, über­leg­te An­na.

Die Män­ner tra­ten ein, be­grüß­ten na­tür­lich zu­erst Vi­tus mit ei­nem Kopf­ni­cken so­wie dem ob­li­ga­to­ri­schen »Mein Kö­nig!« und nick­ten da­nach al­len an­de­ren zu.

Ke­tu und Sen­tran ge­sell­ten sich hin­zu, ehe Vol­tran sich an die Zwil­lin­ge wand­te: »Wir be­dan­ken uns für die Ein­la­dung und gra­tu­lie­ren euch bei­den ganz herz­lich.«

An­na ver­kniff sich ein Ki­chern ob der Kür­ze der »An­spra­che«. Vol­tran über­reich­te Vik­tor das Päck­chen. Es­sem gab Vik­to­ria die Blu­men. Dan­kend nahm die­se den Strauß an und such­te nach ei­ner Va­se, wäh­rend Vik­tor wie­der ein­mal un­ge­dul­dig am bun­ten Pa­pier sei­nes Ge­schen­kes riss.

»Die neue Ver­si­on vom Dra­chen­jä­ger!« Vik­tor grins­te Ke­tu an. »Das war be­stimmt dei­ne Idee, stimmt’s? Und so un­ei­gen­nüt­zig. Play­sta­ti­on spie­len macht dir ganz schön viel Spaß, nicht wahr?«

Ke­tu nick­te. »Si­cher, ich hof­fe, du lässt mich mal dran. Es war üb­ri­gens ei­ne schwie­ri­ge Su­che nach dem rich­ti­gen Spiel, denn in die­ser Sa­che hat­ten Vik­to­ria und An­na mir nicht hel­fen kön­nen, aber das In­ter­net und Jens.« Er wa­rf An­nas Bru­der einen dank­ba­ren Blick zu.

»Na, das ist ja schön, dass die Her­ren nun auch end­lich mal er­schei­nen!«

Al­le mit­ein­an­der dreh­ten sich zu der schril­len Stim­me um, die mes­ser­scha­rf aus der Kü­che zu ih­nen her­übers­aus­te. Mit hoch­ro­tem Kopf und Schweiß­per­len auf der Stirn stand der Koch Wo­nu lei­se vor sich hin schimp­fend in der Kü­chen­tür.

Sei­ne schwa­r­zen Kä­ferau­gen blitz­ten die Wach­män­ner bö­se an, be­vor er sei­ne Me­cke­rei fort­s­etz­te: »Los, los, ihr Bur­schen! Heu­te stellt ihr mal un­ter Be­weis, dass ihr nicht nur mit eu­ren Mus­keln spie­len und noch mehr wie eu­er Kö­nig es­sen könnt, son­dern dass ihr auch in der La­ge seid, den Tisch zu de­cken und nach­her die Spei­sen auf­zu­tra­gen. Al­so, auf geht’s! Hopp, hopp!«

Es gab schon ein drol­li­ges Bild ab, wie der für El­fen­ver­hält­nis­se ziem­lich klei­ne Wo­nu die Meu­te von sechs Rie­se­n­el­fen hin und her scheuch­te, sie noch da­zu stän­dig wie ein Rohr­spatz be­schimpf­te. Die aber lie­ßen das Gan­ze mit stoi­scher Ru­he über sich er­ge­hen. Sie ha­l­fen dem Koch, so gut sie es mit ih­ren un­ge­len­ken gro­ßen Hän­den eben konn­ten. Höchst­wahr­schein­lich woll­ten die es sich mit dem Koch nicht ver­scher­zen, amü­sier­te sich An­na.

Dann sa­ßen sie end­lich an der Ge­burts­tags­din­ner-Ta­fel: An­na mit ih­rer Fa­mi­lie samt Sil­vi, die Zwil­lin­ge, Vi­tus und Lo­a­na, Estra und Isi­nis samt ih­ren drei Kin­dern, die sechs Wa­chen und Wo­nu.

Zwar wisch­te sich der Koch wei­ter­hin Schweiß­trop­fen aus dem Ge­sicht, schien sich aber nach An­nas Da­für­hal­ten trotz­dem die­bisch zu freu­en, weil es sich die gan­ze Ge­burts­tags­ge­sell­schaft of­fen­kun­dig sehr gut schme­cken ließ:

- Die fei­ne Kar­tof­fel­cre­me­sup­pe mit Kräu­ter­sou­re­cre­me­klecks, Cran­ber­ries und ge­bra­te­nen Speck­strei­fen.

- Den Win­ter­sa­lat mit aus­ge­such­ten Blatt­sa­lat­va­ria­ti­o­nen, Ra­dies­chen­spros­sen, grü­nen Oli­ven, schwa­r­zen To­ma­ten und Kräu­tern in ei­ner de­li­ka­ten Vi­nai­gret­te.

- Den Bur­gun­der­bra­ten in ent­spre­chend fein ab­ge­stimm­ter Rot­wein­so­ße mit ka­ra­mel­li­sier­tem Weiß­wein­möh­ren­ge­mü­se, sau­tier­ten Pil­zen im ro­ten Scha­lot­ten­sud, win­zig klei­nen Sem­mel­knö­deln und zart­gel­ber But­ter­pas­ta.

- Die fluf­fi­ge Zi­tro­nen­mous­se.

- Die zart­schmel­zen­de Scho­ko­la­dent­ar­te mit flüs­si­gem Kern.

- Den Frücht­e­cock­tail mit Sprizz zum Ab­schluss.

An­na ver­dreh­te kaum merk­lich die Au­gen, als sie be­ob­ach­te­te, wie Wo­nus zu­frie­de­ne Mie­ne sich wäh­rend des Es­sens all­mäh­lich ver­fins­ter­te. Und das, ob­wohl all sei­ne ex­qui­si­ten Spei­sen so re­gen An­klang fan­den. Of­fen­bar pass­te es ihm nicht, dass die mensch­li­chen Din­ner-Teil­neh­mer und auch Lo­a­na lang­sam, aber si­cher zu schwä­cheln be­gan­nen.

Sie wuss­te ja, dass der Koch stets ver­such­te, Lo­a­na auf­zupäp­peln, weil die­se sei­ner Mei­nung nach viel zu we­nig aß, wes­we­gen er sich stän­dig mit ihr zank­te. Dass er sich al­ler­dings auch an den Men­schen samt ih­ren Schwie­rig­kei­ten mit den el­fi­schen Es­sens­men­gen stö­ren könn­te, da­für brach­te sie kein Ver­ständ­nis auf.

Ein Blick in Vik­to­ri­as Rich­tung ließ sie grin­sen. Ke­tu hat­te es tat­säch­lich ge­schafft, sie im­mer wie­der auf ih­ren Sitz zu­rück­zu­drü­cken, wenn sie auf­sprin­gen und et­was ho­len oder zu­recht­rü­cken woll­te.

So war es ein äu­ßerst aus­gie­bi­ges, aber auch ru­hi­ges und aus­ge­spro­chen schö­nes Mit­tag­es­sen, ob­wohl ins­ge­samt zwei­und­zwan­zig Leu­te dicht ge­drängt am Tisch sa­ßen.

»Im Som­mer la­de ich dich hier­her ein, Wo­nu. Da kannst du dich mal aus­ru­hen und statt­des­sen Vik­to­ria und mir beim Gril­len zu­se­hen.« Vik­tor schob sich genüss­lich einen wei­te­ren Löf­fel der Mous­se in den Mund. Da der Koch ihn rat­los an­starr­te, er­gänz­te er: »Die gan­ze Fa­mi­lie Nell hat Vik­to­ria und mir einen rie­si­gen Gas­grill ge­schenkt. Da­mit kann man drau­ßen im Gar­ten Fleisch und Ge­mü­se bra­ten. Das wird be­stimmt su­per. Ich freu mich jetzt schon dar­auf. Vie­len Dank, noch mal.«

»Ja, ähm, Dan­ke­s­chön«, pflich­te­te Vik­to­ria ih­rem Bru­der klein­laut bei. »Viel­leicht lässt Vik­tor mich ja auch mal an das Ding. Bis jetzt hab ich es nur aus der Fer­ne be­wun­dern dür­fen, so wie Vik­tor, Va­ter, Ke­tu, Jo­han­nes und Jens mit ih­rer Fach­sim­pe­lei da­vor ge­stan­den sind. Hhm.«

»Das ist doch der Sinn der gan­zen Ge­schich­te, du Dum­mer­chen«, klär­te An­na sie auf. »Wenn das Haus wie­der mal von Leu­ten über­quillt und die oben­drein was zu es­sen brau­chen, dann lässt du Vik­tor drau­ßen gril­len. Du küm­merst dich nur um Sa­lat und Brot. Kein fett­ver­spritz­tes Kü­chen­cha­os à la Vi­tus. Kein Kochstress. Al­les ist gut.«

Vi­tus’ Mie­ne ver­fins­ter­te sich, je­den­falls tat er so. Doch Lo­a­na hielt ihn zu­rück, ehe er den Mund für ei­ne Be­mer­kung zu An­nas Spit­ze auf­ma­chen konn­te.

Da­für hell­te sich Vik­to­ri­as Ge­sicht deut­lich auf. »Das ist ja toll. So ha­be ich das noch gar nicht ge­se­hen. Des­halb hat nur Vik­tor die­se Schür­ze samt all­dem an­de­ren Zeugs da­zu­be­kom­men und ich das Sa­lat­buch. Hey, das ist wirk­lich gut, dan­ke!«, rief sie nun hoch­er­freut aus.

Nach dem Es­sen mach­ten sie es sich mit Es­pres­so im Wohn­zim­mer ge­müt­lich. Nur der Koch war aus der Kü­che zu hö­ren, wie er zwar laut­stark, aber letz­ten En­des zu­frie­den brum­mend mit Töp­fen, Tel­lern und Be­steck klap­per­te.

In­des leg­te An­na schläf­rig den Kopf an Vik­tors Schul­ter, wäh­rend sie sich trä­ge um­blick­te.

Lo­a­na war be­reits zum vier­ten Mal auf der Toi­let­te ver­schwun­den.

»Sie sieht ein biss­chen kä­sig aus. Ob sie krank ist?«

Doch da be­trat Lo­a­na, ihr üb­li­ches Tem­pe­r­amt ausstrah­lend, wie­der das Wohn­zim­mer. Kurz dar­auf un­ter­hielt sie sich mit Vi­tus, The­resa und Jo­han­nes über The­resas Mut­ter aus Ulm.

Jens fach­sim­pel­te aufs Neue mit Ke­tu über den Grill, wo­bei Sil­vi Vik­to­ri­as Schmuck be­wun­der­te.

Pa­nu hat­te Bru­der, Schwes­ter und so­gar sei­ne El­tern, Estra und Isi­nis, da­zu über­re­den kön­nen, in Vik­tors Zim­mer ei­ne Run­de Play­sta­ti­on zu spie­len.

Al­le hat­ten Spaß, re­sü­mier­te An­na. Nur Le­na fühl­te sich sicht­lich un­wohl in­mit­ten der vie­len Pär­chen und der zu­sätz­li­chen Hor­de hü­nen­haf­ter Wa­chel­fen. Oh­ne Un­ter­lass rühr­te sie in ih­rem win­zi­gen Es­pres­sotäss­chen her­um. Da­bei schiel­te sie in schö­ner Re­gel­mä­ßig­keit zu den fünf Wach­leu­ten, die sich, na­tür­lich nur auf Vi­tus’ Ge­heiß, schwei­gend und mit ver­schränk­ten Ar­men auf den Ess­zim­mer­stüh­len da­zu­ge­setzt hat­ten.

An­na konn­te es gar nicht ver­hin­dern, in Le­n­as Ge­dan­ken ein­zu­t­au­chen. So er­kann­te sie, dass ih­re Schwes­ter an­ge­sichts die­ser gro­ßen, et­was mür­ri­schen Wach­män­ner zwi­schen Furcht, Ver­le­gen­heit und Auf­re­gung hin- und her­schwank­te:

… Zu­vor hat­te Le­na ja nur Ke­tu ken­nen­ge­lernt – und letz­tens Sen­tran. Sie er­in­ner­te sich an das ei­gen­ar­ti­ge Krib­beln im Nacken, das Sen­trans Blick bei ihr ver­ur­sacht hat­te, als sei­ne Sil­be­rau­gen sie für einen win­zi­gen Mo­ment er­fass­ten. Im Ge­gen­satz zu den an­de­ren war Sen­tran zwar hell­haa­rig. Doch auch er flößte ihr ge­hö­ri­gen Re­spekt ein mit sei­nem erns­ten, at­trak­ti­ven Ge­sicht und der enor­men Grö­ße. Be­son­ders aber mit die­sen mus­ku­lö­sen Ar­men und der brei­ten Brust, die sein en­ges schwa­r­zes Shirt nicht zu ver­ber­gen ver­moch­te. …

An­na re­gis­trier­te, wie Le­na sich Sen­tran ge­ra­de et­was nä­her be­sah, als die­ser ihr plötz­lich den Kopf zu­wand­te und sie mit sei­nen sil­ber­grau­en Au­gen förm­lich durch­bohr­te. Has­tig be­gut­ach­te­te Le­na aufs Neue ih­re klei­ne Tas­se, wo­bei ei­ne deut­li­che Rö­te in ih­rem Ge­sicht auf­zog.

»Ar­me Le­na! Jetzt wird sie vor Schreck und Scham auch noch rot. Und sie weiß nicht, wie laut ih­re Ge­dan­ken zur­zeit sind. O je, wenn sie das al­les wüss­te, sie wür­de schrei­end da­von­lau­fen!«

An­na war na­tür­lich nicht ver­wun­dert dar­über, dass Vik­tor ih­rer schwes­ter­li­chen Sor­gen we­gen feix­te, ob­wohl sie die­se ge­wis­sen­haft ver­bor­gen ge­hal­ten hat­te. Er war fast im­mer da­zu im­stan­de, sie zu le­sen. Doch als auch Sen­tran sie an­sah und amü­siert einen Mund­win­kel hoch­zog, konn­te sie ihr Er­stau­nen kaum ver­ber­gen. Die­ser neue sechs­te Mann pass­te wirk­lich gut ins Team, schoss es ihr un­will­kür­lich durch den Kopf, na­tür­lich wie­der ein­mal so schnell, dass al­le, die da­zu in der La­ge wa­ren, es auch mit­be­ka­men.

»Ach, men­no, ich mach jetzt ein­fach mei­ne Au­gen zu und den­ke an rein gar nichts mehr. Ich bin ein­fach viel zu mü­de, um mich zu kon­zen­trie­ren. Schließ­lich sol­len die nicht stän­dig al­les mit­krie­gen, was ich so den­ke. Wie pein­lich ist das denn?«

***

Jetzt konn­te Sen­tran nicht mehr an sich hal­ten. Er war es noch nicht ge­wohnt, wie sei­ne an­de­ren Wach­kol­le­gen mit stoi­scher Mie­ne stun­den­lang ein­fach nur da­zu­sit­zen. Die ko­mi­schen Ge­dan­ken die­ser klei­nen Men­schen­frau An­na brach­ten ihn un­wei­ger­lich aus dem Kon­zept. Er muss­te ein­fach kurz auf­la­chen, schau­te da­bei aber aus Ver­le­gen­heit an­statt in An­nas wei­ter­hin in Le­n­as Rich­tung.

Die wie­der­um schien das Gan­ze völ­lig falsch ver­stan­den zu ha­ben, be­merk­te er. Sie dach­te, er wür­de sich lus­tig dar­über ma­chen, dass sie rot ge­wor­den war. Wut­ent­brannt knall­te sie die Tas­se auf den Tisch, sprang aus dem Ses­sel und rann­te hin­aus.

Noch ehe die an­de­ren im Raum über­haupt be­grei­fen konn­ten, was da ge­ra­de ge­sch­ah, husch­te Sen­tran ihr nach. Er be­kam ge­ra­de noch mit, wie sein Kö­nig auf­stand, oh­ne das Ge­spräch mit An­nas El­tern zu un­ter­bre­chen, und mit ei­nem Ach­sel­zu­cken die Wohn­zim­mer­tür kur­zer­hand hin­ter Sen­tran und Le­na zu­mach­te.

Im Haus­flur wähn­te sich Le­na of­fen­bar in Si­cher­heit, wur­de al­ler­dings krei­de­bleich vor Schreck, als Sen­tran sich in vol­ler Grö­ße vor ihr auf­bau­te. Wie in Zeit­lu­pe sack­te sie in sich zu­sam­men.

»Du lie­ber Him­mel!«, rief er aus und fing sie auf.

Völ­lig kon­fus, mit ei­ner sei­nem Da­für­hal­ten nach zer­brech­li­chen Men­schen­frau im Arm, lief er zu­nächst hilf­los hin und her, ent­schied sich dann has­tig für das un­te­re klei­ne Gäs­te­bad des Hau­ses. Dort kühl­te er ihr mit et­was Was­ser die Stirn, in der Hoff­nung, sie kä­me da­durch wie­der zur Be­sin­nung.

Er hat­te ja schon frü­her durch­aus mit Men­schen und de­ren Welt zu tun ge­habt. Hat­te sich wäh­rend sei­ner Aus­bil­dung dort­hin be­ge­ben, den Füh­rer­schein ge­macht, ein paar ih­rer Ge­wohn­hei­ten stu­diert. Aber nie war er ei­nem Men­schen so na­he­ge­kom­men wie jetzt. Nie hat­te er be­fürch­ten müs­sen, einen Men­schen ver­letzt zu ha­ben.

Be­sorgt hielt er das hüb­sche, zier­li­che Mäd­chen wei­ter in den Ar­men und at­me­te er­leich­tert auf, als es end­lich die Au­gen auf­schlug. Sei­ne Er­leich­te­rung wich al­ler­dings rasch schie­rem Ent­set­zen, da Le­na bei sei­nem An­blick an­fing zu schrei­en und zu stram­peln.

Am liebs­ten hät­te er sie fal­len­las­sen und wä­re auf- und da­von­ge­lau­fen. Die­ses We­sen mach­te ihn gänz­lich ver­rückt. Doch dann riss er sich zu­sam­men. Sie an­zu­bli­cken war je­doch auch nicht von Vor­teil, denn die­se grau-grü­nen Au­gen nah­men ihn di­rekt ge­fan­gen und raub­ten ihm den Atem.

Zu viel ist zu viel!, dach­te er ver­zwei­felt, stell­te Le­na vor­sich­tig auf ih­re Fü­ße, rauf­te sich die lan­gen Haa­re und sah Le­na noch ein­mal an. Sen­tran seufz­te. So konn­te er sie doch nicht ste­hen­las­sen, so blass um die Na­se und wa­cke­lig auf den Bei­nen. »Soll ich dir viel­leicht et­was zu trin­ken ho­len? Du bist weiß wie ein La­ken.« End­lich hat­te er wie­der her­aus­ge­fun­den, wie man sprach.

Nach er­neu­ter Mus­te­rung ver­nahm er zu­tiefst be­ru­higt ih­re Ge­dan­ken, die ihm preis­ga­ben, wie pein­lich sie ihr Ge­schrei fand. Froh dar­über, dass sie wie­der den­ken konn­te, mein­te er: »Stimmt, du hät­test wirk­lich nicht gleich schrei­en müs­sen.«

»Das darf doch wohl nicht wahr sein«, stöhn­te Le­na. Im­mer noch wirk­te sie ein biss­chen kraft­los, so, als wä­re ihr der Schreck or­dent­lich in die Glie­der ge­fah­ren. »Wer­de ich denn hier die gan­ze Zeit durch­leuch­tet wie beim Rönt­ge­n­a­rzt?«

»Ich weiß nicht, was ein Rönt­ge­n­a­rzt ist, Le­na, aber ich will dich ganz si­cher nicht durch­leuch­ten. Das liegt mir fern. Nur bin ich es halt nicht ge­wohnt, so lau­te Ge­dan­ken zu hö­ren.«

»Na toll!«, fauch­te sie. »Jetzt gib ru­hig noch mir die Schuld, du, du …«

»Du, was?« Er hob spöt­tisch die Brau­en. Kei­nes­falls woll­te er sei­ne Er­leich­te­rung dar­über zu er­ken­nen ge­ben, dass das Mäd­chen vor lau­ter Zorn nun wie­der et­was Fa­r­be hat­te. »Sprich dich ru­hig aus. Ich wer­de auch mein Mög­lichs­tes tun, um nicht wie­der in dei­nen hüb­schen Kopf zu gu­cken. Not­falls hal­te ich mir Au­gen und Oh­ren zu. – Oh, zur Si­cher­heit wohl auch noch die Na­se, hät­te ich so vie­le Hän­de.«

Da­mit hat­te er sie au­gen­schein­lich pro­vo­ziert, so plötz­lich, wie ihr biss­chen Fa­r­be zu ei­nem Pu­ter­rot wech­sel­te. Mehr noch, sie hol­te weit mit dem Arm aus, of­fen­kun­dig in der Ab­sicht, ihm ei­ne Ohr­fei­ge zu ver­pas­sen. Sen­tran je­doch griff sich ih­re Hand der­art blitz­ar­tig, dass Le­na ihn ver­dutzt an­starr­te.

»Das lässt du lie­ber blei­ben«, kom­men­tier­te er kühl, beließ es je­doch da­bei – fast. »Es geht dir un­ver­kenn­bar bes­ser.« All­mäh­lich kehr­te der re­ser­vier­te Wach­mann in ihm zu­rück. »Komm, wir ge­hen wie­der ins Wohn­zim­mer.« Er lo­cker­te sei­nen Griff und woll­te sie mit sich zie­hen.

Le­na je­doch ver­such­te, sich ihm zu wi­der­set­zen. »Lass mich ein­fach in Ru­he und ver­schwin­de aus mei­nem Dunst­kreis, ver­flixt noch mal!«

Sen­tran spür­te, wie ei­ne im­men­se Wut in und an ihr nag­te, die nicht al­lein ihm galt. Er hat­te Ver­ständ­nis da­für, kann­te er doch die­ses Ge­fühl nur zu gut und nur zu tief. In­ter­es­siert mus­ter­te er sie ge­nau­er. War sie auch ein Stü­ck­chen grö­ßer als ih­re Schwes­ter, be­fand er sie den­noch für win­zig klein. Jetzt, nach­dem sie sich von Schock und Wut ei­ni­ger­ma­ßen er­holt hat­te, schim­mer­te ih­re Haut hell und zart. Ihr Haar war von ei­ner ei­gen­ar­ti­gen Fa­r­be, fast weiß, aber lang und glän­zend, wie er es ger­ne moch­te. Auch ih­re Klei­dung ge­fiel ihm: hau­t­en­ge dunk­le Jeans und ein grau­er Pul­li, der trotz des Roll­kra­gens mehr von ih­rer Fi­gur preis­gab als ver­hüll­te.

Al­ler­dings ver­mied er es, ihr ein wei­te­res Mal in die Au­gen oder auf den Mund zu schau­en. Denn er be­merk­te, wie sehr ihn das ir­ri­tier­te. Und wenn er eins nicht woll­te, dann die Aus­sicht, sich noch ein­mal von ei­ner Frau ver­un­si­chern zu las­sen. Nein, er wür­de sich nie mehr mit ei­ner Frau ein­las­sen, die ihm den Kopf ver­dre­hen könn­te. Egal, ob El­fe oder Mensch.

»Komm«, wie­der­hol­te er sich, »sie ma­chen sich schon Sor­gen um dich«, und brach­te sie zu­rück zu den an­de­ren.

Sonnenwarm und Regensanft - Band 3

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