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1. Kapitel

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Es war im Jahre 1961 zu Frühlingsanfang, als folgendes Gespräch in einer Westberliner Mietwohnung zwischen Mutter und Tochter Bromberg stattfand:

Oh, Corinna, da bist du nun endlich!, begrüßte sie ihre Mutter, als ihre jüngste Tochter vom Gymnasium nachhause kam. Ich muss dir gleich eine große Neuigkeit mitteilen. Bei mir war gerade eine Wahrsagerin hier und hat mir meine Zukunft aus den Handlinien gelesen. Was glaubst du, was sie mir von dir gesagt hat?

Ich weiß es nicht, Mama.

Die Wahrsagerin sagte zu mir: Ihre jüngste Tochter wird einmal sehr schön, reich und berühmt werden, wenn sie groß ist.

Was sagst du dazu?

Was soll ich dazu sagen? Ich bin ganz überrascht, Mama.

Die Wahrsagerin fügte noch hinzu, ein Millionär wird dich heiraten, der ein Schloss oder einen Palast besitzt. Ist das nicht fabelhaft? Dann werde auch ich mit dir reich werden.

Ach, Mami, das ist ja wunderbar! Aber es ist doch noch so lange hin, ich bin doch erst 11 Jahre alt geworden.

Die Jahre vergehen schneller als man denkt, Kind, und bald wirst du groß sein.

Mama sag mir, wie konnte die fremde Frau das wissen? Das kann ich nicht ganz begreifen.

Eine Wahrsagerin kann das eben. Deshalb heißt sie doch auch Wahrsagerin, weil sie Wahres vorhersagen kann.

Mama, das wusste ich noch gar nicht, dass es solche Leute gibt.

Freilich, gibt es solche Leute! Die gab es schon immer und die wird es auch immer geben.

Mamas letzte Worte überzeugten endlich Corinna.

Das ist ja ein Ding!, Mama, wenn das wirklich stimmt.

Freilich stimmt das. Du wirst es erleben, Corinna. Warte es ab! Habe nur noch ein bisschen Geduld. Es wird so kommen, wie es uns die Wahrsagerin vorhergesagt hat.

Daraufhin setzte sich das kleine Mädchen bedächtig zu Tisch und aß mit großem Appetit zu Mittag, während sie an ihre großartige Zukunft dachte.

Ob die Mutter als Erziehungsperson richtig gehandelt hat? Das ist sehr fraglich. Jedenfalls beeinflussten Mutters Worte stark Corinna Brombergs Werdegang.

Corinna, die jüngste von drei Schwestern, fühlte sich von nun an wie auserwählt, stand fortan oft vor dem Spiegel und betrachtete mit Genugtuung, wie sie von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr schöner wurde. Sie freute sich über ihr hübsch geschnittenes rosiges Gesicht, über ihre schöne Gestalt und vor allem über ihre goldnen Zöpfe, die aufgelöst, eine wahre Lockenpracht darstellten.

Ihre Mutter, eine Berliner Großstadtdame und ehemalige Tänzerin, die viel Geld für sich selber ausgab, war keine gute Hausfrau, kochte schlecht, wusch selten die Wäsche, bügelte nie und verstand nichts vom Flicken und Stopfen. Das Haushaltsgeld reichte hinten und vorne nicht. Ihr Mann warf ihr Inkompetenz im Haushalt vor. Als nicht sehr erfolgreicher Notar mit wenig Klientel, verdiente er nicht genug Geld für seine fünfköpfige Großstadtfamilie. Kurzum, die Familie litt Not; es reichte zum Essen, aber nicht für schöne Kleidung für die heranwachsenden Töchter.

Da die jüngste Tochter Corinna sehr hübsch war, wollte sie natürlich auch schöne Kleider tragen, so wie ihre Mitschülerinnen am Gymnasium, das war doch klar. Aus dieser Not heraus, fiel sie in eine große Versuchung. Nach dem Unterricht und noch mit dem Schulranzen auf dem Rücken ging sie jetzt in große überlaufene Kaufhäuser und stahl sich still und heimlich, wenn gerade niemand zugegen war und zusah, schöne Kleider, schob sie flink in den Schulranzen, setzte diesen wieder auf den Rücken und verließ abrupt das Kaufhaus. Natürlich fragte hinterher ihre Familie, wenn sie das Kleid am Körper trug: Corinna, woher hast du plötzlich das schöne Kleid her?

Ach, sagte sie dann, ohne rot zu werden, das hat mir eine Frau auf der Straße in die Hand gedrückt und dabei gesagt: Ein schönes Mädchen muss auch ein schönes Kleid tragen. Hier, nimm es, Kleine.

Ich wollte es zuerst ablehnen und habe mich lange dagegen gesträubt, aber die Frau ließ nicht locker und drängte es mir auf; da musste ich es wohl oder übel annehmen.

Hierauf wusste man ihr in der Familie nichts mehr dagegen zu sagen und glaubte es ihr.

Diese Vorgehensweise wiederholte sich von nun an alle ihre kommenden Jungmädchenjahre lang. Freilich hegte man in der Familie den leisen Verdacht, dass Corinna stiehlt. Aber Frau Bromberg ließ sie gewähren; denn offenbar stahl sie selber auch. Herr Bromberg steckte schwer in seinem Beruf und bekam von Vielem, was in seiner Familie ablief, gar nichts mit. Nur selten befasste er sich mit Corinna und sagte zu ihr: Du wirst doch nicht stehlen? Mache das nicht, meine Tochter, sonst wirst du bestraft werden.

Aber Corinna konnte trotz Warnung vom Stehlen nicht mehr lassen und entwickelte sich allmählich zur richtigen Kaufhausdiebin. Es ging ihr in Fleisch und Blut über. Kein Wunder, dass sich bei ihr über kurz oder lang ein krankhafter Zug zum Stehlen entwickelte. Je älter sie wurde, umso professioneller betrieb sie ihr Diebeshandwerk. Niemand kam dahinter; es glückte ihr jeder Versuch, jeder Handstreich. Langsam quoll ihr Kleiderschrank über von schönen Kleidern, Täschchen und niedlichen Schuhen. Ihre älteren zwei Schwestern, reagierten neidisch und sagten unter sich: Corinna stiehlt, das ist doch eindeutig! Sie kann doch nicht alles von dieser rätselhaften Frau auf der Straße geschenkt bekommen!

Sie wuchs und wurde so schön, dass Altersgenossinnen am Gymnasium sie beneideten, nicht zuletzt auch wegen ihrer schönen Kleider, mit denen sie durch Westberlins Straßen flanierte wie eine wahre Fee. Die Familie wohnte zur Miete in einem großen Stadthaus. Mit ihren älteren, weniger gut aussehenden Schwestern verstand sie sich überhaupt nicht gut, ließ sie links liegen und gab sich nicht mit ihnen ab. Schon früh liefen ihr junge Männer nach und wollten sie zu ihrer Freundin machen, mit ihr anbandeln, aber weil sie noch keine Millionäre sein konnten, lehnte sie diese strikt ab, vor allem auch, weil ihre Mutter hinter ihr stand und sie stets mahnte: Auf dich, Corinna, wartet niemand anderer als ein Millionär mit einem Palast, also habe noch etwas Geduld und warte ab.

Ab Fünfzehn trug sie ihre blonden Zöpfe offen. Lose fielen ihr fortan goldne Locken weit über die Schultern herab. Sehr aufreizend wirkte sie jetzt und nicht mehr wie ein braves Gretchen. Zu einem sehr koketten Geschöpf wuchs sie heran, das in Westberlins Straßen auffiel. Gerne trieb sie sich in großen Einkaufsstraßen herum, wo sich die vielen Kaufhäuser befanden und wo sie sich inzwischen als Diebin wie zuhause fühlte.

Seit langem hielt sich die Berliner Großstadtgöre schon für kein normales junges Mädchen, sondern für eine Auserwählte, besonders seit ihre Mutter ihr den Floh ins Ohr gesetzt hatte: Du wirst einmal reich werden!

Vermutlich hatte sie diese Botschaft der Wahrsagerin so unvorstellbar eitel und hochmütig gemacht und letztlich ganz verdorben. Bescheidenheit und Naivität gingen ihr verloren, besonders auch, als sie an einem Westberliner Schönheitswettbewerb teilnahm und tatsächlich den ersten Platz belegte.

Ach, wie schade um diesen Menschen Corinna!, denn so würde sie vielleicht die wahre Liebe niemals kennenlernen und zukünftig ein oberflächlicher Mensch werden wie so viele andere auch. Ja, dies war ihrer Veranlagung nach zu befürchten.

Einmal schaute ihr der Vater heimlich durch den Türspalt zu, wie sie sich mit einem neuen gestohlenen Kleid wie ein Pfau bewundernd vor dem Wandspiegel drehte. Sicher, auch ihre Figur war tadellos. Nichts war zu beanstanden! Was habe ich doch für eine große Schönheit gezeugt!, ging es dem Vater bei ihrem Anblick durch den Kopf. Aber ihre Gefallsucht missfiel ihm trotzdem sehr. Darum sagte er zu ihr: Mein Kind, du wirst aus Eitelkeit noch zugrunde gehen!

Ihr Vater prophezeite ihr also das Gegenteil von dem, was ihre Mutter ihr sagte.

Aber Vaters Worte verhallten wie ein Echo im Wald, während Mutters Worte in ihrem Herzen immerzu grünten und präsent blieben, vermutlich hatten sie schon Wurzeln geschlagen in ihren blutjungen Jahren.

Ihr Vater, der schon kränkelte, beobachtete seine heranwachsende jüngste Tochter weiterhin kritisch und argwöhnisch, wenn er erschöpft und geschwächt auf dem Sofa lag und ihr zusah. Aber er starb bald bei einem Jagdunfall im Brandenburger Wald, zu dem ihn seine Kumpanen eingeladen hatten.

Ihre zwei älteren Schwestern heirateten schon früh und lebten in armen, aber glücklichen Verhältnissen. Corinna blieb in der Mietwohnung bei ihrer Mutter wohnen, wo sich beide gerade noch mit der Witwenrente der Mutter über Wasser halten konnten. Mehr als jemals zuvor vervollständigte die Mutter ihr Werk nun an der jetzt 19-jährigen Tochter, die gerade ihr Abitur machte, indem sie ihr stets einbläute: Lass dich nicht ein mit gleichaltrigen Burschen, die sind noch nichts und haben noch nichts. Dein Los aber ist es, einmal reich zu werden, denke immer daran!

Ihre Mutter stellte sich als geldgieriger Drache heraus. Darum war sie für ihre heranwachsende Tochter kein gutes Vorbild. Infolgedessen wuchs Corinna im Haushalt und in der Gemeinschaft mit ihrer verwitweten Mutter in überheblicher Weise heran, und wenn sie in Kontakt mit gleichaltrigen Burschen geriet, die sich um das schöne Mädchen bemühten, wies sie diese nach dem Ratschlag der Mutter schnöde und abrupt ab. Darum lernte sie in ihrer Jugend die Liebe, das Wunderbarste, was es jemals im Leben des jungen Menschen gibt, nicht kennen. Sie war sich dessen allerdings nicht bewusst.

Die weiße Dame

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