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3. Kapitel

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Aber Corinna wusste sich auch ohne Ehemann gut zu behelfen. Sie hätte im Grunde das Geld vom Scheich Omar gar nicht nötig gehabt, denn sie besaß noch allerlei Millionen von ihren vorherigen Ehemännern. Außerdem, um sich nicht zu langweilen, übersetzte sie wieder Bücher. So saß sie fortan wieder daheim oder im Verlag im Übersetzungszimmer und tippte in die Schreibmaschine schnell und gekonnt Satz für Satz. Man war höchst zufrieden mit ihr wie immer. Doch brauchte sie hin und wieder selbstverständlich Urlaub, um sich vom Berufsstress zu erholen. Sie blieb auch im Urlaub in Berlin und schaute sich jetzt, wo sie Geld wie Heu hatte, im Umland der Stadt leerstehende Häuschen an, wobei sie sich immer fragte, ob sie hier auch wohnen möchte, allein und ohne Anhang selbstverständlich, denn ihre geldgierige, anhängliche Mutter wollte sie sich nicht unbedingt aufhalsen. Lieber lebte sie ohne sie für sich ganz allein. Sie teilte ihr die neue Adresse erst gar nicht mit. Warum hängt sie so an mir? Ich bin erwachsen und will mein eigenes Leben leben. Das mit ihr und mir nimmt gewiss kein gutes Ende. Darum muss ich einen Schlussstrich ziehen und die Schmarotzerin nicht mehr an meinem Reichtum teilnehmen lassen. Ich muss Härte zeigen. Sie dreht mir ja bei all meinen Unternehmungen einen Strick, beinahe wie die böse Stiefmutter im Märchen, finde ich.

An einem heimlichen einsamen Ort in Westberlin fand sie für sich ein idyllisch gelegenes Einfamilienhäuschen und kaufte es sofort. Das Haus war innen und außen in bester Ordnung. Im Nu hatte sie es mit Hilfe von einem Innenarchitekten und etlichen Hilfskräften gemütlich eingerichtet. Dort hielt sie sich jetzt täglich auf.

Sie war nun eine stattliche Großstadtdame geworden, bestens gekleidet, meistens in ein frisches Weiß gehüllt, und immer noch strahlend schön mit ihren 28 Jahren. Jeder gut aussehende Berliner drehte sich bewundernd nach ihr um. Sie dachte: Will ich mich vielleicht doch wieder eine Zeitlang binden? Aber ein Millionär muss es nun wirklich nicht mehr sein, Millionäre kann ich offenbar nicht lieben. Außerdem habe ich jetzt Geld genug fürs Leben! Oder bleibe ich lieber allein? Allein wäre auch nicht schlecht. Ich kann wählen so oder so, für mich steht die Türe zur Welt noch weit offen. Momentan jedoch habe ich von Männern genug und kein Verlangen mehr, mir einen zu angeln.

Heute ging die Gelangweilte wieder kreuz und quer die Straßen entlang, bis sie ihr Kaufhaus fand. Sie entdeckte viel, worauf sie Lust hatte. Sie schaute sich ausführlich um, besonders was echten Schmuck anbetraf oder elegante Kleidung und Schuhe, aber auch Parfüms, die jedoch in Vitrinen eingesperrt waren, wie sie leider feststellen musste, denn gerade auf diese hatte sie es heute abgesehen. Sie wusste, sie besaß einen krankhaften Hang zum Stehlen, den sie nicht zügeln konnte. Sie wusste nicht, woher das eigentlich kam. Diebstähle beging sie schon, seit sie denken konnte, und was sich dann als Heranwachsende noch verstärkte. Aber heutzutage war Stehlen für sie unangebracht, eine Paradoxie, das gestand sie sich selber ein, denn sie war ja inzwischen superreich geworden, enorm reich, eine Neureiche, was sie den von ihr geschiedenen drei Ehemännern zu verdanken hatte. Die Armut entschuldigte sie also nicht mehr bei Diebstahl. Nun machte sie sich bloß ein Spiel daraus und dieses Spiel hob sie aus ihrer Langeweile heraus, weil es so aufregend war zu stehlen und sie jedesmal einen Kick davontrug, der sie lachen und zugleich erregt machte. Irgendwie brauchte sie diesen Nervenkitzel, fand sie, der besitzergreifend durch alle ihre Glieder zuckte und sie neu belebte wie ein Sprung ins kalte Wasser, so und nicht anders musste man sich das vorstellen. Auch diese ungeheuren Erfolgsmomente, wenn der Diebstahl glückte und er keine Strafe nach sich zog, wirkten bei ihr wie ein Schuss Heroin in die Vene.

Schließlich übersetzte sie wieder monatelang ein dickes amerikanisches Buch ins Deutsche. Sie wurde als weibliche Angestellte gewiss nicht gut bezahlt; ihre männlichen Kollegen verdienten fast das Doppelte; man wusste allgemein, es herrschte eine große Ungerechtigkeit überall im Berufsleben hinsichtlich der Frau. Außerdem musste man sich als Frau manchen Sexismus von Seiten der dominierenden Männerwelt gefallen lassen. Auch ihr Verlagschef machte sie an, griff ihr beim Vorübergehen an ihren vollen Busen oder ans Gesäß, und sie ließ es sich gefallen, weil sie dachte, den andern Frauen erginge es nicht besser als ihr. Ja, die schöne Corinna fassten viele Männer an beim Vorübergehen oder fragten sie rundheraus: Wie wäre es mit uns beiden, schöne Frau? Haben Sie ein Stündchen Zeit für mich? Das wäre sehr schön!

Ihr Verlagschef lud sie tatsächlich einmal direkt zu sich ins Hotelzimmer ein, wobei sie vorerst dachte, er habe etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen. Als sie dort ankam, empfing er sie leger im Hausmantel, was sie gleich entsetzte. Er sagte so nebenher: Verzeihen Sie, aber ich habe gerade gebadet, Frau Bromberg. Ich liebe das Bequeme. Sie werden doch nichts dagegen haben?

Sie war so schockiert, dass sie darauf nichts zu erwidern wusste. Widerwillig setzte sie sich zu ihm auf die Couch, als er ihr den Platz neben sich anwies, da sonst keine Sitzgelegenheit vorhanden war. Er bot ihr sofort ein Gläschen Likör an. Sie machen Ihre Arbeit hervorragend, begann er das Gespräch, nur Lob gibt es für Sie von allen Seiten.

Er wollte sie sicher betrunken machen, allerdings verweigerte sie schon das zweite Gläschen Likör. Und als sie merkte, dass der Chef gar nichts mit ihr zu besprechen hatte, sagte sie: Mein Boss, ich habe gleich einen Termin, den muss ich unbedingt wahrnehmen. Darum muss ich mich schon wieder empfehlen.

Wie schade doch, sagte er fast empört, tief enttäuscht über ihre Absage und den schnellen Rückzug, jetzt wo wir gerade so gemütlich beisammensitzen. Sie sollten sich das noch einmal gründlich überlegen, Frau Bromberg. Bleiben Sie doch noch für ein Stündchen bei mir.

Nein, sagte sie bestimmt, es muss sein und stand auf. Sie nahm ihre Handtasche, ihre Jacke, empfahl sich und ging Richtung Tür, während sie im Fortgehen sagte: Auf Wiedersehen, Chef, dann bis morgen.

Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen, Frau Bromberg, sagte er noch, dass Sie mir keine Gesellschaft leisten wollen, stand verdrießlich auf und schloss hinter ihr die Türe ab.

Diese Anzüglichkeit der Männer ging Corinna auf die Nerven, sie lief in einem innerlichen Protest den Flur entlang und murrte stets vor sich hin: Diese selbstherrliche Vorrangstellung der Männerwelt gehört ausgemerzt. Was bilden die sich überhaupt ein! Gottlob war ich noch nicht betrunken und noch so willensstark, neinsagen zu können. Was sich dieser Sechzigjährige nur denkt!

Darum hatte Corinna das Übersetzen irgendwann sehr satt und dachte schon an einen Berufswechsel. Ach, ich brauche ein ganz anderes Milieu! Ein ganz anderes Berufsfeld!, fiel ihr ein. Vielleicht sollte ich zum Film gehen und eine Filmrolle übernehmen. Eine Schönheit kann man doch in jedem Film brauchen, überlegte sie, auch wenn ich dafür nicht ausgebildet bin. Aber ich bin ein großes Naturtalent, davon darf man ohne Weiteres ausgehen.

Heute machte sich Corinna gestylt als große elegante Dame auf den Weg zum Filmstudio. Sie wusste instinktiv, wie man so etwas macht, anzukommen und engagiert zu werden. Im Filmstudio eingetroffen, standen ihr sofort alle Türen offen und jeder, der ihr im Flur begegnete, rief dem anderen zu: Jetzt kommt sie, jetzt kommt sie!

Vermutlich erwartete man eine andere Dame.

An jeder offenen Türe fragte sie vergeblich nach einem Filmregisseur, bis einer von den Leuten ihr sagte: Gehen Sie eine Tür weiter, dort werden Sie den Regisseur Rudolph Kahn antreffen.

Corinna ging weiter, klopfte an die Türe, öffnete diese und fragte: Sind Sie Rudolph Kahn, der Filmregisseur? Sie wurden mir empfohlen.

Jawohl, sagte er, der bin ich. Was wünschen Sie, meine Dame?

Sie dachte: Das ist gewiss nicht irgendein Regisseur, sondern sicher der beste hier in den Filmstudios, denn wie der schon aussieht! Alle Achtung!

Sie gab ihm die Hand und stellte sich vor: Ich bin Corinna Bromberg und von Beruf Schauspielerin, mein Terminplan ist zwar übervoll, dennoch könnte ich zur Zeit, solange ich in Berlin weile, bei Ihnen kurzzeitig aushelfen und eine kleine Filmrolle übernehmen, falls es passt. Welchen Film machen Sie zur Zeit? Kann ich da mitspielen?

An welcher Schauspielschule haben Sie gelernt?, fragte er.

In Paris, sagte sie, aber leider habe ich mein Ausbildungszertifikat dort verloren und kann es nicht mehr ersetzt bekommen.

So machte sie sich wichtig mit reinen Erfindungen.

Nichts entsprach der Wahrheit.

Sie entpuppte sich als impertinente Lügnerin.

Dem Regisseur jedoch kam die schöne Corinna Bromberg gerade recht, denn er suchte wirklich schon seit langem eine passende Filmdiva für seinen nächsten Spielfilm „Die weiße Dame“, und keine wollte ihm bisher für diese Rolle so recht passen. Geblendet von ihrer großen Attraktivität, sagte er: Ich kann Ihnen nur sagen, ich habe eine ausgezeichnete Rolle für Sie, die gut zu Ihnen passen wird. Ist es Ihnen recht, wenn ich mit Ihnen jetzt gleich zum Mittagessen gehe? Dort könnten wir schon Einiges besprechen und alles Weitere anschließend in meinem Hotelzimmer, wo ich zur Zeit wohne. Können Sie sich dazu heute Zeit nehmen für ein Stündchen, Frau Corinna Bromberg?

Sie war überrascht, wie unerwartet schnell sie hier als angebliche Schauspielerin engagiert wurde.

Ja, antwortete sie, doch muss ich zuerst noch einen andern Termin abblasen. Kann ich schnell Ihr Telefon benützen? Sofort trat sie ans Telefon, das er ihr zuwies, wählte eine Nummer und sagte zum Schein ins Telefon: Herr Dr., ich muss leider meinen Termin verschieben. Es tut mir sehr leid. Auf Wiederhören. Dann hängte sie das Telefon ein. Sie glaubte nämlich, man müsste gestresst und tatkräftig wirken, so wie die selbstbewussten Herren, die Manager, um im Leben voran zu kommen. Alles käme auf den ersten Eindruck an, den man hinterließe, und sie fühlte sich sehr klug und weltbewusst dabei. Ja, man muss auf den andern einwirken, damit er einen akzeptiert. Sich rar machen, heißt das. Eine viel begehrte Frau und Künstlerin scheinen, das muss man unbedingt, dann bringt man es zu etwas, dachte sie. Ihren Instinkt führte sie hiermit ins Feld. Sie war grundsätzlich ein Lügenbold und glaubte, nur mit Lügen könne man die Welt erobern und alles erreichen, was man wünscht. Ein wahrer Machiavelli war sie als Frau. So zu handeln, als ob, ist immer das Beste und Gängigste, glaubte sie. Heute würde man sagen, sie verbreitete nur „Fake News“ und dies mit größtem Erfolg. Sie selber nannte sich insgeheim ein Lügenmaul sogar, ohne Gewissensbisse zu haben.

Beim Mittagessen lernten sich der Regisseur Rudolph Kahn und Corinna Bromberg erstmals ein wenig kennen, wobei ihm Corinna Unwahrheiten en masse auftischte, indem sie behauptete, sie habe in Paris eine Schauspielschule besucht und anschließend dort in Kurzfilmen mitgewirkt. Aber leider habe sie, wie schon erwähnt, ihr Schauspielzertifikat verloren. Ob dies schlimm sei? Außerdem gäbe es diese Schauspielschule in Paris gar nicht mehr; sie könnte deswegen kein Ersatz-Zeugnis anfordern. Wahrscheinlich hätte es ihr der Wind vom offenen Fenster aus in die drunten vorbeifließende Seine hinabgeblasen, dies wäre gut möglich gewesen, da sie immer das Fenster neben dem Schreibtisch weit offen stehen hatte, machte sie ihm weis.

Der ungefähr 35-jährige Regisseur ist ein Mann nach meinem Geschmack, ganz und gar, dachte sie insgeheim während dem Mittagsmahl, und je länger sie ihn anschaute und ihm zuhörte, desto mehr nahm ihre Befangenheit ihm gegenüber zu. Dergleichen passierte ihr einem Mann gegenüber noch nie in dem Ausmaß wie heute, so viel sie sich erinnern konnte. Noch wusste sie aus Erfahrungsmangel nicht, wie es ist, wenn man sich verliebt.

Ist schon in Ordnung, meinte der Regisseur, das Zeugnis ist nicht das Wichtigste, wichtiger ist ihr angeborenes Talent, Frau Bromberg, und Sie scheinen meines Erachtens sehr talentiert zu sein. Also können Sie sich Ihr Zertifikat schenken. Sparen Sie sich das, ich brauche es nicht. Ich poche nicht darauf. Ihr wunderbares Aussehen macht alles wett in einem Film, das ist nun mal so, verehrte Dame, sagte er. Eine schöne Filmschauspielerin ist zugleich auch eine gute, dies weiß man allgemein. Eine Schönheit bringt den Film erst ins Rollen und außerdem zusätzlich viel Geld ein. Mein Spielfilm wird „Die Weiße Dame“ heißen und von einer kuriosen Gespenstergeschichte nach einer wahren Begebenheit handeln. Aber ich glaube, Sie passen wie geschaffen zu dieser exklusiven Rolle, die zwar etwas schauderhaft und gruselig ist, das gebe ich ohne Weiters zu, allerdings auch gut darstellbar. Keine andere Frau könnte diese Rolle meiner Auffassung nach besser darstellen als gerade Sie, Frau Bromberg, dessen bin ich überzeugt.

Wer ist denn überhaupt die weiße Dame?, fragte Corinna neugierig, aber auch schüchtern in ihrer großen Verwirrung und Verunsicherung. Sie wollte selbstverständlich wissen, was da alles demnächst auf sie zukäme, was sie erwartete, damit sie eine Vorstellung über ihren zukünftigen Einsatz bekäme und sich schon seelisch darauf vorbereiten könnte.

Ich will es Ihnen in aller Kürze einmal schildern, sagte er, und trank einen großen Schluck Bier. Die ermordete junge weiße Dame erscheint nach ihrem Ableben wiederholt zur Geisterstunde im hellen Mondschein einer Schlossgesellschaft, entweder im Schlossgarten oder auch in den mannigfaltigen Räumen des Schlosses, um die Gesellschaft aufzuschrecken und an ihren Mord zu erinnern, der bislang ungesühnt geblieben ist, da er nicht aufgeklärt wurde. Über die Ermordung der jungen Schlossherrin, die eines morgens mit einem Messerstich ins Herz im Bett aufgefunden wurde, ist die Polizei noch keinen Schritt weiter gekommen, obgleich es bereits einige Jahre her ist, seit dies geschah. Man tappt also weiterhin im Dunkeln. Die junge hübsche, aber auch sehr reiche Schlossherrin, eine Blondine, will sich vermutlich durch ihre Erscheinungen noch immer rächen. Der verwitwete 40-jährige Graf bestreitet bislang die Tat. Er hat alles von ihr geerbt und so viel man weiß, war er schon immer ein sehr habgieriger Mann gewesen. Da keine Indizien vorhanden sind, kann der Graf jedoch nicht belangt werden. Er flieht sonderbarerweise jedesmal durch den Hinterausgang des Schlosses in den Wald, sobald er vom Fenster aus von Ferne die Kriminalpolizei herannahen sieht, die ihn verhören will.

Die Schlossgesellschaft, die seit Jahrzehnten im Schloss wohnt, ist ratlos und weiß von nichts. Von ihr gibt es keine Hinweise, keine Aufschlüsse zur Bluttat. Kein Wort dringt nach draußen. Vermutlich hat die Schlossgesellschaft vom Grafen Schweigegeld erhalten, das nimmt man stark an. Verschwiegenheit scheint ihr oberstes Gebot zu sein. Eine durch und durch korrupte Gesellschaft womöglich. Jetzt gehört der Graf zu den Reichsten Norddeutschlands. Sein Schloss, in dem sich der Mord abspielte, sieht proper aus und ist mitnichten zu vergleichen mit der alten, verwitterten, halb schon verfallenen Schlossruine, in der unser Film spielen wird, Frau Bromberg. Der Film hat wie die wahre Geschichte ein offenes Ende. Der Fall bleibt ungelöst. Die weiße Dame im Film geistert im blutverschmiertem Totenhemd um Mitternacht bei Vollmond um die Schlossruine herum. Grauen erfasst jeden, der sie so durch den Park wandeln sieht. Ein wahrer Horror zwar, Frau Bromberg, aber Sie werden diese Rolle sicher mit Bravour meistern. Dies sehe ich ich kommen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dazu. Können Sie sich vorstellen, in diese Rolle zu schlüpfen? Es ist gewiss keine schwere Rolle, sogar eine Taubstumme könnte sie spielen, denn man muss dabei kein Wort sprechen. Nur eine unheimlich wirkende Filmmusik untermalt den ganzen Film vom Anfang an bis zu seinem Ende. Man wird Sie leichenblass schminken müssen und ihr Totenhemd mit roter Farbe beklecksen. Wenn Sie nachts in den Schlafkammern der Schlossbewohner bei dezentem Scheinwerferlicht plötzlich erscheinen, dürfen Sie sich nicht erschrecken, wenn diejenigen augenblicklich aus dem Schlaf hochfahren und laut um Hilfe schreien. Sie müssen den Erschrockenen starr und mit weit aufgerissenen Augen gegenüberstehen. Das muss einfach eingeübt werden.

Nach diesem kurzen Überblick des Films „Die Weiße Dame“ erklärte sich Corinna trotz Bangen und Ängstlichkeit mit der Hauptrolle einverstanden, vermutlich auch wegen dem Regisseur, der ihr wahnsinnig gut gefiel und in den sie sich vermutlich bereits verliebt hatte, wie sie glaubte. Gut, sagte sie schweren Herzens, es ist zwar eine grausliche Rolle, aber ich werde mich dreinfügen und die weiße Dame spielen nach Ihrer Regie.

Nach dieser Einführung in ihre bevorstehende Rolle beim Mittagessen, nahm der Regisseur sie hinterher noch mit auf sein Hotelzimmer, um dort noch alles Weitere zu regeln und zu besprechen, so wie er sich ausdrückte. Oder beabsichtigte er schon etwas Bestimmtes während der kurzen Zeit ihres Beisammensein, wo sie sich noch kaum kannten? Zuzutrauen wäre es diesem Schönling gewiss gewesen. Im Hotelzimmer fragte er sogleich ohne Umschweife, ein Zeichen, dass dies bei ihm schon gang und gäbe war: Frau Corinna Bromberg, haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich der Bequemlichkeit halber etwas ausziehe und den Hausrock überziehe? Sie können dann neben mir auf der Couch Platz nehmen, wenn Sie wollen. Vielleicht möchten Sie auch ein Gläschen Likör trinken?

Nein, danke, Herr Regisseur, auch setze ich mich lieber auf einen Stuhl, gab sie ihm zur Antwort. Außerdem ist meine Zeit knapp bemessen; ich muss gleich wieder fort. Bleiben Sie bitte so adrett angezogen und verlieren sie keine Zeit! Ich muss gleich wieder gehen. Haben Sie mir noch etwas Wichtiges mitzuteilen?

Sie dachte: Er will mich wahrscheinlich wie ein leichtes Ding behandeln, aber dies kommt gar nicht in Frage. Sie hatte auch gemerkt, dass sie dem Regisseur sehr gefiel. Darüber freute sie sich natürlich und schwor sich insgeheim, ihm nicht so schnell nachzugeben, sondern es ihm schwer zu machen, sie zu erobern. Sicher, er war ganz und gar ihr Typ. Darum auch strebte sie eine feste Beziehung mit ihm an. Vielleicht, so dachte sie insgeheim, lerne ich jetzt endlich die große Liebe kennen, nach der ich mich so ungeheuer sehne. Alle reden darüber, nur ich kann nicht mitreden; es ist mir verwehrt.

Der Regisseur klärte schließlich seine neue resolute Schauspielerin flüchtig über zukünftige Arbeitsbedingungen und Tagesabläufe auf. Nachdem man zuletzt noch über die Gage verhandelt hatte, unterschrieb sie den Arbeitsvertrag. Beim Abschied geleitete er sie zur Türe. Sie glaubte bereits, sie hätten sich ineinander verliebt, so wie sie sich in die Augen schauten. Dies war so eine Vorahnung von ihr, und aus Freude darüber flog sie beinahe die Hoteltreppen hinunter nach draußen. Irgendetwas hatte sich bei ihr verändert, fühlte sie vage.

Hinterher ging sie aus Erregung noch einkaufen. Sie hatte wie immer viel Geld bei sich im Portmonee, um die Waren auch wirklich bezahlen zu können. Dazu war sie eigentlich immer guten Willens. Heute hatte sie vor, sich wieder wertvollen Schmuck zu kaufen. Sie schwärmte nämlich für Perlen, Gold und Edelsteine, für alles, was glänzte und funkelte. Sie betrat ein großes Juweliergeschäft. Hier gab es alles Wünschenswerte an Schmuck. Es befanden sich viele Kunden im Geschäft, sodass sie gar nicht auffiel, als sie den Laden betrat und sich schnurstracks zu den Perlenketten begab. Sie besah sich lange die enorm teuren Perlenketten, die Goldringe mit den Brillanten und die wunderbar bearbeiteten goldenen Armbänder. Noch immer wurde sie nicht bedient. Plötzlich überkam sie die Kleptomanie, griff zu und ließ eine Perlenkette in ihre Handtasche fallen. Sofort ging sie fort. Nachdem die Eingangstüre hinter ihr zugeschnappt war, atmete sie auf. Sie hatte augenblicklich große Angst gehabt und mächtig gezittert, als sie die Perlenkette einsteckte. Nun ergriff sie schleunigst die Flucht, beinahe lief sie im Dauerlauf wie eine Diebin davon. Dann blieb sie plötzlich stehen und sah sich misstrauisch um, ob ihr jemand folgte. Die Luft schien rein zu sein. Sie zündete sich zitternd eine Zigarette an, um sich zu beruhigen, und legte sich außerdem eine Beruhigungsoblate auf die Zunge. Momentan war der Kick riesengroß gewesen, aber auch die Angst darüber, von irgendwem beobachtet worden zu sein, was schrecklich gewesen wäre. Sie malte sich unterwegs auf dem Nachhauseweg eine furchtbare Situation aus, wenn sie einmal erwischt würde: Wahrscheinlich käme ich dann ins Gefängnis. Wie furchtbar.

Schnell verdrängte sie diesen entsetzlichen Gedanken wieder. Sie konnte mit dem heutigen Abschluss des Tages jedoch beruflich und auch privat recht zufrieden sein.

Die weiße Dame

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