Читать книгу MISTY DEW 2 - Agnete C. Greeley - Страница 11
3. Kapitel
ОглавлениеZurück in Stormy Mills
Julian fuhr vorsichtig, aber sicher über den 93er Highway zurück. Insgeheim bewunderte Irene ihn dafür, denn sie hätte nicht mehr so fahren können.
In der Ferne nahm sie unscharf die Umrisse der ersten Häuser von Stormy Mills wahr, und atmete erstmal durch. So war es sicher besser, außerdem hatte der Schneefall an Intensität zugenommen.
Irene wurde nicht bewusst, dass sie im Augenblick das Entsetzen, das sie erlebt hatte, verdrängte. Stattdessen kreisten ihre Gedanken um Belangloses. John, Melanie, der blöde Kinofilm.
Das war ja wieder mal typisch für sie. Wieso hatte sie sich auch eingebildet, unbedingt ins Silverdime Theatre zu gehen? Entgegen jeder Vernunft und ohne an das Risiko zu denken, wie immer.
Nicht wie immer, flüsterte eine Stimme.
Es ist wegen John. Er ist schuld – er bringt dich dazu, solche Blödheiten zu machen. Du bist einfach dämlich, wenn es um ihn geht.
Ob ihre Kusine doch recht gehabt hatte? Brauchte sie tatsächlich Matt und Julian?
Im Moment sah es fast danach aus. Fröstelnd zog sie den dicken Anorak, den Matt vermutlich aus purer Gewohnheit im Auto gelassen hatte, enger um ihren Oberkörper. Obwohl Julian die Heizung auf Hochtouren laufen hatte, wurde ihr nicht richtig warm. Immer wieder durchzogen kleine Schauer ihren Körper. Sie spürte, wie ihre Zähne aufeinanderschlugen.
Als die Lichter der Stadt sie endlich milchig empfingen, reichte die Sicht nur mehr bis zur Windschutzscheibe. Alles ringsherum verschwamm in einem grauweißen Dunst aus unzähligen, kleinen Schneeflocken.
Julian lenkte den Jeep auf den handtuchgroßen Parkplatz des Oldtime Motels und stellte den Motor ab.
»Hey, ich geh mal rein und versuche, ein Zimmer zu bekommen. Schaffst du es hier alleine?« Seine grünen Augen musterte sie besorgt. Sie versuchte ein Nicken.
»J – ja, iich, ich komm klar.«
»Okay, ich bin sofort wieder da.«
Er stieg rasch aus und lief auf die trüb beleuchtete Eingangstür des Motels zu. Irenes Zustand war besorgniserregend. Sie hatte sich den Kopf gestoßen, stand noch immer unter Schock. Und was zur Hölle war nur im Wald los gewesen? Sein Tattoo hatte geprickelt, das war schon sehr lange nicht mehr passiert und es bedeutete nichts Gutes. Hastig drückte er die Tür zur Rezeption auf und betrat den warmen Raum.
Während Julian sich um ein Zimmer kümmerte, zog Irene den Anorak enger um ihren Körper. Wieso konnte ihr einfach nicht warm werden? Was war los?
Ihre verworrenen Gedankenströme gaben ihr keine Antwort darauf.
Nach einiger Zeit wurde sie unruhig. Bilder von verzerrten Fratzen, Schneestürme und Geister, die sie bedrohten, vermischten sich mit dem soeben Erlebten. Wo blieb Julian nur? Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, öffnete jemand die Beifahrertür.
»Komm, wir hatten Glück, oder anders gesagt, es gibt ein Zimmer für uns.«
Verwirrt starrte sie Julian an.
»Okay, wir, wir haben also – ein Zimmer.« Noch konnte sie mit dem Gesagten nichts anfangen.
Julian atmete tief durch.
»Ja, es gibt ein Zimmer für uns beide, alle anderen sind ausgebucht. Irgendeine Firma hat sich hier überall einquartiert.«
»Du meinst, wir – wir müssen?« Der Gedanke allein mit Julian in einem Motelzimmer zu sein, löste Unbehagen in ihr aus. Es war schwer genug, mit zwei so heißen Typen wie Matt und Julian zusammenzuleben. Doch allein mit einem von ihnen in einem Zimmer zusammengepfercht zu sein, erschien ihr schlichtweg unmöglich.
Trotz aller Bemühungen, fielen ihr die Erlebnisse in Chicago erneut ein. Damals hatte er sie zum Beispiel gemeinsam mit seinem väterlichen Freund Will aus einer Bar gefischt. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie sie ihn dreist angeflirtet hatte. Das die K.O-Tropfen daran schuld gewesen waren, erschien ihr nebensächlich. Sie wusste, wie gut er aussah, und er wusste es zweifelsohne auch. Ihr war klar, dass er sich öfter in Stormy Mills herumgetrieben hatte, und es gab Anzeichen dafür, dass er nicht immer allein unterwegs gewesen war, doch sie hatte nicht nachgefragt, das brachte sie noch nicht fertig. Es ging sie in Wahrheit nichts an, und das wusste sie.
Er riss sie aus ihren ungewollten Gedankengängen.
»Jep, ich fürchte, wir haben keine andere Wahl. Mal abgesehen von den Wetterverhältnissen, ist dein Zustand nicht gerade gut.«
In ihrem Kopf rumorte es und sie hatte alle Mühe sich zu konzentrieren, dennoch fiel ihr ein, weswegen das Motel so voll war.
»Oh, stimmt ja, die Städter. Deswegen war das Kino heute so voll. Shelby hat mir erzählt, dass die Firmenleute eigentlich in Shannon hätten unterkommen sollen. Doch dort gab es ein Problem mit dem Hotel.« Mit zittrigen Händen strich sie sich die Haare aus dem Gesicht.
»Was? Ach, das meinst du. Na dann ist alles klar.« Julian hielt die Tür weit auf.
»Komm schon. Du musst ins Warme.«
»Ja, ich, ich komm schon«, sie hievte sich träge aus dem Wagen. Ihr Körper fühlte sich bleischwer an. Ein leichtes Schwindelgefühl machte sich breit und sie stützte sich schwer auf die Tür. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Hastig tat sie ein paar Atemzüge, um sie wegzuatmen. Fahrig fuhr sie sich über das Gesicht. Etwas stimmte nicht mit ihr.
»Hey, alles okay?« Sofort war Julian an ihrer Seite, um sie zu stützen.
»Mir ist – schwindlig, glaub ich. Der Kreislauf. Ich brauche ein bisschen.« Sie schloss die Augen, was keine gute Idee war, denn sofort begann sich alles um sie herum, zu drehen.
»Atme tief durch, du hast dir den Kopf gestoßen – vielleicht hast du eine Gehirnerschütterung.« Besorgt verstärkte er den Griff um ihre Arme.
»Nein, wenn – ich sowas hätte, dann würde ich mich«, sie wurde von einer Sekunde auf die nächste, kreidebleich und Julian nickte nur.
»Oh, glaube mir, du wirst, Kleines, du wirst.« Es konnte sich nur mehr um Sekunden handeln, vorsichtig stützte er sie. Zittrig lehnte sie sich an ihn. Kalter Schweiß hatte sich auf ihrer Stirn gebildet.
Plötzlich stieg heiße Übelkeit in ihr hoch. Sie schluckte heftig.
»Ich glaube, ich muss gleich kotzen«, krächzte sie. Sie versuchte, sich aus seinem eisernen Griff zu befreien. Keinesfalls wollte sie, dass er zusah, wie sie sich übergab.
»Owowow, schön langsam.« Julian umfing sie, ehe sie stürzen konnte.
»Wenn du musst, dann musst du eben.« Er würde sie nicht loslassen.
»Geh weg. Ich ...« Sie versuchte, Julian von sich wegzudrücken, doch er ließ nur zu, dass sie sich auf die Seite drehen konnte. Die Bewegung alleine reichte allerdings aus, um ihr den Rest zu geben.
Ihr Schädel fühlte sich mit einem Mal an, als ob er explodierte und ihre Eingeweide machten einen gewaltigen Satz. Dann war es soweit. Heftig würgend übergab sie sich direkt neben dem Auto.
»Okay, damit ist das geklärt.« Julian stützte sie geduldig, während er Ihr sorgfältig die Haare aus dem Gesicht hielt.
Sie erbrach sich noch einmal, ehe sie ermattet die Augen schloss.
Winzige Sternenkonstellationen tanzten auf der Innenseite ihrer Lider und ihre Beine konnten sie kaum noch tragen.
»So, hoch mit dir.« Julian hob sie hoch und trug sie über den Parkplatz davon.
So etwas hatte sie doch schon einmal erlebt.
Damals in Chicago ... verschwommene Fragmente vergangener Erlebnisse zogen an ihrem inneren Auge vorbei.
Regennasse Straßen, verrauchte Club-Lokale, eine zwielichtige Bikergang ... ja, sie konnte sich erinnern.
»Gut, dass unser Zimmer gleich hier unten ist«, fuhr Julian im Plauderton fort, während er mit ihr auf den Armen einfach weiterging, als wäre sie nichts weiter als eine Puppe.
Irene lehnte sich wortlos an seine Schulter. Sie war nicht fähig, zu sprechen. Selbst das Denken fiel ihr schwer, doch sie wusste, dass sie im Augenblick gut aufgehoben war.
Julian trug sie an einigen Zimmertüren vorbei, zu Nummer 17. Als er sie behutsam absetzte, schwankte sie leicht, dennoch gelang es ihr, sich am Türstock aufzustützen. Alles war gut.
Wenig später fand sie sich auf dem Bett liegend mit einem dicken Polster hinter ihrem Rücken und zwei dicken Decken über sie ausgebreitet, wieder. Julian fummelte am Fernseher herum, bis er einen Sender gefunden hatte, der ihm gefiel.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie in dieses Bett gekommen war. Im ersten Moment wusste sie nicht mal, wo sie sich befand, bis sie die Tapete sah.
»Oh Gott, Alice im Wunderland«, stöhnte sie. Die Tapete bestand aus großen, orangegrünen Kringeln, die aussahen, wie überdimensionale Blumengewächse. Da es so wirkte, als ob sie sich tatsächlich bewegten, schloss sie erneut die Augen.
Julian nahm es etwas leichter.
»Hm, der Künstler hat sich wohl rege bei ‚Lucy in the Sky of Diamonds‘ ausgetobt.«
Irene ließ sich schweratmend zurücksinken und zog fröstelnd die Decke enger um sich.
»Ich weiß nicht recht, ich hab eher das Gefühl, als ob diese Blumen jede Sekunde riesenhaft anwachsen und das Zimmer in einen Dschungel verwandeln werden.« Erneut überkam sie das Schwindelgefühl, dabei sollte es ihr doch besser gehen, jetzt wo sie sich nicht mehr im Freien befand.
»Oh, ich – ich glaube, ich kann nicht«, stöhnte sie, ohne zu wissen, was sie eigentlich damit meinte. Julian schien sich allerdings auszukennen.
»Hm, du hast eine Gehirnerschütterung. Lass es langsam angehen.« Leichte Besorgnis war aus seinen Worten herauszuhören.
»Was ist eigentlich passiert?« Nachdem Irene ein paar Mal tief eingeatmet hatte, ging es ihr besser. Noch immer verwirrt versuchte sie sich zu erinnern, wie sie in dieses Zimmer gekommen war.
»Ich meine, wie – wie bin ich hierher ...?« Es strengte sie zu sehr an, zu sprechen.
Julian stellte den Ton leiser, ehe er sich Irene zuwandte.
»Naja, du hattest einen Unfall, hast dir den Kopf gestoßen und hast dich übergeben. Und dann bist du, ähm – umgekippt. Aber ich hab dich aufgefangen. Keine Angst, du warst nur ein paar Sekunden weg.«
Sie schloss die Augen. Erleichtert bemerkte sie, dass diesmal kein Feuerwerk hinter ihren Lidern explodierte.
»Okay, hör mal zu, eigentlich sollte ich einen Arzt rufen, aber«, er wies zum Fenster hinaus.
»heute werden wir Probleme haben, einen zu finden, also müssen wir das Beste daraus machen.«
Irene nickte. Seit sie im Bett lag, ging es ihr ein bisschen besser.
»Ich war bewusstlos?« Eine unnötige Frage, aber auch die Einzige, das ihr im Moment einfiel.
»Oh, bewusstlos ist wohl zuviel gesagt, es war eher – ähm, eine Art Miniohnmacht.« Er wies zur Tür.
»Ich geh‘ mal schauen, ob ich was Essbares finde. Du brauchst erstmal was im Magen und du musst unbedingt trinken.«
Nachdenklich schlenderte er davon. Hoffentlich ging es ihr danach wirklich besser. Kurz darauf kehrte er mit vollen Armen zurück.
»So, hier haben wir Sandwiches, Cola, Wasser, Bier und Chips. Schätze, das wird wohl gehen.« Er legte das meiste am Tisch ab, ehe er die Cola-Dose öffnete und sie ihr reichte.
»Hier, zuerst ein bisschen Koffein und Zucker, und dann ...«
Er warf einen Blick auf die Ausbeute, die er den Automaten des Motels entlockt hatte. »... sagst du mir, was es mit diesem John auf sich hat.« Vorsichtig setzte er sich neben sie.
»W.. Was? Äh, wieso fragst du?« Verwirrt hob sie den Blick.
Julian lächelte schmal.
»Tja, du hast von ihm geredet, als du – weggetreten warst.«
Ruckartig richtete sie sich auf.
»WAS?« Sofort verspürte sie erneut einen Schwindelanfall, doch Julian drückte sie sanft zurück.
»Schön langsam. Gehirnerschütterung, du weißt schon. Du hast etwas von John und Cedars gemurmelt. Und da du dir ja scheinbar seinetwegen in den Kopf gesetzt hattest, ins Kino zu gehen, trotz der allgemeinen Schneewarnung, dachte ich mir, ich frag einfach mal. Ich meine, wir haben jetzt eine gemeinsame Kotzgeschichte, in anderen Ländern reicht das normalerweise aus, um zu heiraten.« Er lächelte, ehe er wieder ernst wurde. Er war wirklich neugierig, außerdem wollte er vermeiden, dass Irene darüber nachdachte, was im Wald passiert war. Er hatte das Gefühl, dass erneut etwas Ungewöhnliches vor ihnen lag, doch er wollte im Moment nicht darüber nachdenken, und er wollte verhindern, dass sie es tat.
»Also, wirst du es mir erzählen?« Abwartend blickte er sie an. Er wollte sie ablenken, sie dazu bringen, sich zu entspannen. Stirnrunzelnd zog sie sich hoch.
»Ich glaube nicht, das dich das interessiert.«
»Hm, weiß nicht, sag ich dir nachher.« Er kramte sein Handy aus der Tasche.
»Aber zuerst ruf ich Matt an. Sonst jagt er uns noch die Mounties hinterher.« Er erhob sich und entfernte sich ein paar Schritte vom Bett, um in Ruhe zu telefonieren.
Irene nickte erleichtert. Sie war zu erschöpft, um Julian darauf hinzuweisen, dass Mounties jenseits der Grenze zuständig waren.
Außerdem hatte sie so noch ein wenig Zeit darüber nachzudenken, was sie tatsächlich erzählen wollte. Außerdem bestand noch immer die Hoffnung, dass Julian nach dem Telefonat die Sache vergessen hätte.
Kurz darauf kehrte er wieder und nahm erneut auf dem Bett neben ihr Platz.
»So, das ist erstmal erledigt. Ich hab unserem John Wayne noch nicht erzählt, was passiert ist. Aber er weiß, wo wir sind. So kann er sich erstmal entspannen. Und das braucht er dringend, denn früher oder später wird er ausflippen.« Er warf Irene einen vielsagenden Blick zu.
»Besser später.« Er schnappte sich eine Bierdose vom Tisch und öffnete sie, ehe er einen kräftigen Schluck daraus trank.
Irene schluckte. Ja, die leidige Sache mit dem Auto, die würde Matt vermutlich ein wenig aufregen. Mit solchen Sachen war er immer sehr pingelig.
Julian lehnte sich zurück und streckte die langen Beine neben Irene aus.
Jetzt lagen sie Seite an Seite. Unbehaglich rutschte sie ein bisschen mehr auf ihre Hälfte des Bettes.
Julian zog die Augenbrauen hoch und musterte sie prüfend.
Unsicher wandte sie sich ab und rieb sich über die Stirn. Sie fühlte sich irgendwie ertappt und spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.
Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen, ehe er sich ihr zuwandte.
»Sodala, jetzt bin ich ganz Ohr. Was ist das für eine Sache mit diesem John? Ich meine, ich hab ja schon mal was von ihm gehört, aber ich dachte, das wäre Schnee von gestern.« Er musterte sie fragend.
»Ach, da gibt es nicht viel zu erzählen«, tat Irene gelangweilt.
»Tja, vielleicht nicht, aber ich würd trotzdem gern hören, was es mit dem Kerl auf sich hat. Matt hatte scheinbar so seine Problemchen mit ihm.« Er zuckte mit den Schultern.
Irritiert richtete Irene sich auf.
»Hat er das gesagt?« Sie war hellhörig geworden.
Julian beschwichtigte.
»Nein, du kennst doch den guten, alten Matt. Klar hat er das nicht gesagt, aber er hat mal eine Bemerkung fallen lassen, dass er John nicht besonders mag. Und da du ja mit Matt nichts laufen hast, wollt ich mal Näheres wissen.«
Das entsprach nicht ganz den Tatsachen. Als er zum ersten Mal auf die Ranch gekommen war, hatte er ein Telefonat zwischen Irene und ihrer Freundin Mel eher unfreiwillig belauscht. In den letzten Monaten hatte er nicht mehr daran gedacht. Heute war es ihm wieder eingefallen, aber das wollte er ihr nicht erzählen.
Irene seufzte. Sie war zu müde und zu benommen, um sich aufzuregen. Insgeheim dachte sie, das Julian das Thema nur deswegen angesprochen hatte, weil er verhindern wollte, dass sie zu viel über das Erlebnis mitten im Wald nachdachte. Okay, dazu war sie sowieso nicht imstande. In ihrem Hirn hatte sich eine Barriere aufgebaut. Vermutlich der Schock, wie sie annahm. Außerdem hatte sie sich den Kopf gestoßen.
»Schon gut. Keine große Sache.« Sie seufzte erneut.
»Wir waren drei Jahre zusammen. Er wollte, dass ich zu ihm nach New York komme, und ich, ähm, ich habe abgelehnt.« Sie verschwieg, dass sie ihn mitten im Centralpark stehengelassen hatte, nachdem sie eine äußerst heftige Auseinandersetzung wegen Irenes Leben in der Wildnis gehabt hatten.
»Er, nun, er ist dann nach einigen Wochen auf Eagleside aufgetaucht, wollte sich mit mir aussprechen, aber irgendwie geriet er mit Matt aneinander.«
Sie strich sich nervös ein Haar aus dem Gesicht. Diesmal fiel ihr kein passender Grund ein, ihm die tatsächlichen Ursachen zu verschweigen, außerdem war das schon lange vorbei.
»Naja, er war einfach eifersüchtig, hat keine Ruhe gegeben.« Sie stockte in ihrer Erzählung.
»Wer war eifersüchtig? Matt oder John?«
Verwirrt blickte Irene ihn an.
»Na, John natürlich.«
Julian nickte. Er erinnerte sich dunkel daran, dass es irgendwann fast zu einer Schlägerei zwischen Matt und John gekommen war.
Für ihn stand jedenfalls fest, dass Irene die Eifersuchtssache bewusst verharmloste, denn jemand der sich so benahm, dass er eine Prügelei anzettelte, hatte nicht alle Tassen im Schrank.
»Und danach wurden die Anrufe weniger. Er erfand immer mehr Ausreden. Schließlich und endlich«, Sie zuckte mit den Schultern.
»Haben wir es einfach sein lassen.«
Julian nickte. Trotz ihrer Worte erkannte er, dass mehr dahinter steckte, als sie im Moment zu erzählen bereit war.
»Okay, und jetzt hat er dich – weswegen geärgert?«
Irene biss sich auf die Unterlippe.
»Ähm, er – er hat mit Mel geredet, du weißt schon, als sie in La Fayette bei ihrer Schwester war. Dort ist sie zufällig auf ihn gestoßen. Zufällig.« Sie schnaubte verärgert.
»Als ob es sowas bei John gibt. Mel hat zwar auf die beiden Kinder ihrer Schwester aufgepasst, aber sie hat dort auch an einem Pferderennen für ein Obdachlosenasyl teilgenommen.« Sie winkte abfällig.
»John ist häufig bei solchen Events dabei, besonders wenn er dadurch eine Möglichkeit hat, in das Privatleben anderer – zum Beispiel in meinem, herumzuschnüffeln.« Sie atmete kurz durch, ehe sie fortfuhr.
»Naja, sie wollte sich gar nicht mit ihm unterhalten, aber sie ist einfach zu freundlich und feige, um ihn abzuwimmeln.« Sie strich sich ein Haar aus der Stirn.
»Und dann hat er die Bombe platzen lassen. Er übernimmt tatsächlich die Gebietsleitung seiner Firma hier in Cedars. Das hat er natürlich absichtlich gemacht. So konnte er Mel, und dadurch auch mir unter die Nase reiben, dass er immer noch in meiner Nähe sein wird. Und dann hat – hat dieser – dieser Kerl bei ihr hinterhältig nachgefragt, was ich so treibe, alte Geschichten wieder aufgewärmt und so was alles.« Sie verdrehte die Augen, als sie Julians Gesichtsausdruck sah.
»Okay, Mel hat es mir eben erzählt, und ja, er hat blöd wegen Matt und wegen meinem ‚Neuzugang‘ geredet. Ich wurde sauer und musste mich beruhigen. Am liebsten hätte ich ihn angerufen und ihn zur Schnecke gemacht, deswegen bin ich dann auch ins Kino. Ich wollte einfach mal für mich sein, mich ablenken und so was.« Und das hatte sie jetzt davon. Sie schloss einen Moment die Augen und lehnte sich in die Polster zurück. Die Geschichte hatte sie mehr aufgewühlt, als ihr bewusst gewesen war.
Julian kniff die Augen zusammen.
»Und? Hat’s funktioniert?«
Irene verzog das Gesicht.
»Sieht’s so aus?«
»Nein, eigentlich nicht.« Er überlegte kurz.
»Ich bin der Neuzugang, hab ich recht?«
Sie nickte.
»Oh ja, und erfahren hat er es, weil ich verschwunden bin. Joanne, sie hat ihn klarerweise angerufen.«
»Klar hat sie das.« Julian lächelte.
»Die überbesorgte Kusine. Logische Entscheidung. Na fein. Dann kann ich ja von Glück reden, dass ich ihm nicht begegnet bin.« Er musterte sie prüfend.
»Und? Geht‘s dir jetzt besser?«
Sie rieb sich über das Gesicht.
»Ach was, ich werd erstmal duschen gehen, falls es in diesem Psychedelic-Schuppen überhaupt warmes Wasser gibt«, murmelte sie, ehe sie sich vorsichtig erhob.
»Ähm«, Julian war mit einem Satz vom Bett unten und an ihrer Seite. Nur für alle Fälle.
»Schön langsam. Und ehrlich, findest du – das gut? Ich meine, da ist nur ein – ähm Vorhang vor dem Bad, also willst du – willst du das echt?« Mit einem Mal wirkte er angespannt, doch Irene seufzte nur.
»Hör zu, ich hatte einen Unfall, bin irgendwie durch den Wind und muss erstmal draufkommen, was heute alles so passiert ist – also ja, ich will wirklich duschen.« Müde zog sie den orangegrünen Vorhang zur Seite und betrat das Badezimmer.
»Naja, wenigstens musst du hier keine Tür eintreten, also falls – du weißt schon.« Damit spielte sie auf das Frühjahr an, als er in einer Wohnung in Chicago die Badezimmertür eintreten musste, um ihr zu helfen.
»Äh«, Julian wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, doch Irene kam ihm zuvor.
»Schon gut, Julian, diesmal gibt es keine Special Effects«, rief sie ihm noch zu, ehe sie den Vorhang wieder zuzog.
Verwundert ließ Julian sich auf das Bett nieder.
Hatte sie tatsächlich gerade einen Scherz gemacht? Kopfschüttelnd drehte er den Fernseher wieder lauter.
»Tja, dann hoffen wir mal das Beste.«