Читать книгу MISTY DEW 2 - Agnete C. Greeley - Страница 9
1. Kapitel
ОглавлениеEagleside Ranch
Julian seufzte tief. Matt, der soeben Heuballen auf den Anhänger lud, sah von seiner Tätigkeit hoch.
»Was ist los? Keine Lust mehr auf Arbeit?«
»Nerv mich nicht. Wir haben ganz schön viel geschafft. Und ich glaube nicht, dass heute noch Schnee kommt.« Er sah zum leuchtend blauen Himmel hoch.
»Aber was solls? Du meinst, es wird schneien, also werd ich weiterhin brav diese Heudinger hier verladen.« Schulterzuckend machte er sich daran, weiterzuarbeiten.
Matt wischte sich über die Stirn. Trotz der eher kühlen Temperaturen war die Arbeit anstrengend genug.
»Nicht ich meine das, sondern unser Askuwheteau aus Stormy Mills.«
Julian hielt mit seiner Tätigkeit inne. Den Namen hatte er schon gehört.
»Askuwheteau? Ist das nicht dieser Indianer?«
Kopfschüttelnd hievte er einen weiteren Heuballen auf den bereits ziemlich vollen Anhänger.
»Mann, ihr hier in der Wildnis glaubt ernsthaft, was euch ein Indianer erzählt?«
Matt überlegte einen Moment, ehe er nickte.
»Ja, tun wir.« Er warf ein großes Netz über die vielen Heuballen, die sich am Hänger türmten. Das würde die letzte Fuhre für heute sein. Während er die Haken die sich an jedem Eck des Netzes befanden, festmachte, damit die Heuballen bei der Fahrt in die Scheune nicht verloren gingen, sprach er ruhig weiter.
»Und du tätest auch gut daran, ihm zu glauben, Jul. Askuwheteau ist so quasi unser Indianerchief hier im County. Der irrt sich eigentlich nie. Denk nur an seine Warnung im Frühling.«
Der Angesprochene streckte sich. Er erinnerte sich wieder. Da hatte er zum ersten Mal etwas von ihm gehört.
»Okay, gut, dann glaube ich eben mal an euren Indianer, auch wenn der Himmel blau ist und wir Temperaturen um die zehn Grad Celsius haben.« Er hielt ein Uwetter für unwahrscheinlich, aber wer wusste schon, was in den Bergen passieren konnte? Seit er im Frühling hierhergekommen war, hatte sich sein Leben geändert. Nicht dass es ihn störte, ganz im Gegenteil. Aber all die Indianerdinge waren ihm nach wie vor zu abgehoben, auch wenn dieser Asku im Vorjahr die Leute aus dem County vor dem Frühlingsschneesturm gewarnt hatte.
Für einen Moment dachte er an Will Sawyer, seinen väterlichen Freund, der in Wyoming eine Detektei betrieb. Ob er klarkam? Julian hoffte es. Sie telefonierten ab und zu miteinander, doch Will sprach nicht viel über seinen Job.
Julian hatte ihm viel zu verdanken. Nachdem seine Eltern unter unnatürlichen Umständen ums Leben gekommen waren, war er wie ein steuerloses Schiff dahingetrieben. Zornig auf die ganze Welt war er von einer Schwierigkeit in die nächste gestolpert. Mehrmals war er in Gefahr geraten, doch das war ihm damals egal gewesen. Auf der Jagd nach dem Bösen hatte er sich auf alles gestürzt, was ihm passend erschien. Und eines Tages war der beste Freund seines verstorbenen Vaters einfach aufgetaucht, und hatte ihm das Leben gerettet.
Danach hatte Will ihn unter seine Fittiche genommen, ihn wieder auf die richtige Bahn gebracht und ihm gezeigt, dass man sich selbst am besten half, indem man anderen half. Irgendwann hatte der Zorn sich in Trauer verwandelt und Julian hatte erkannt, dass er einfach ein normales Leben wollte.
Den Schmerz über seinen Verlust konnte er niemals loswerden, dennoch musste er weiterleben, wie viele andere auch.
Er dachte an den heurigen Frühling zurück, als sein alter Freund und er hierhergekommen waren, um Irene zu helfen. Sie hatten einen Geist verscheuchen müssen, der Irene, und sämtliche andere Menschen auf dieser Ranch bedroht hatte. Seitdem waren Monate vergangen. Sowohl Matt, der Rancharbeiter, wie auch Irene hatten Wochen gebraucht, um dieses Erlebnis zu verdauen.
Nach wie vor fiel es den Beiden schwer, zu akzeptieren, dass es Übernatürliches gab, dennoch waren sie inzwischen zur Normalität zurückgekehrt. Nur ab und zu sprachen sie noch über Randy, dessen zerstörerischer Geist alle in Gefahr gebracht hatte. Immerhin war er ein guter Freund gewesen, der nur zu früh gestorben war.
Julian warf einen Blick auf seine Uhr.
»Hm, vielleicht sollten wir mal was essen. Ist schon nach drei.«
Matt verdrehte genervt die Augen.
»Schon wieder? Mann, du hast ständig Hunger.« Dabei hatten sie vor zwei Stunden Mittagspause gehalten.
»Entschuldige mal! Ich arbeite hier wie ein Verrückter, da bekomm ich halt eben Hunger! Außerdem – wo bleibt Irene überhaupt?«
Matt überlegte.
»Hm, ja, stimmt. Sie ist heute Morgen nach Pinedale zu Mel gefahren.« Er fuhr sich durch die Haare.
»Schätze, das wird wohl noch dauern. Die beiden haben sich seit Monaten nicht gesehen.«
Julian konnte ahnen, was das bedeutete.
»Oh, ja.« Frauensachen dauerten immer lange.
Matt, der scheinbar genau wusste, was Julian dachte, nickte ergeben.
»Ja, genau. Das kann noch Stunden andauern.«
Ohne etwas darauf zu entgegnen, schwang Julian sich auf den grünen Traktor.
»Na komm schon, Cowboy, lass uns das Zeugs hier in die Scheune bringen.« Er rieb sich die Hände und umfasste danach das Lenkrad.
Matt seufzte tief.
»Okay, du darfst fahren.« Er hob drohend den Finger. »Aber du fährst nur, damit das klar ist! Du weißt schon.«
Julian grinste. Matt spielte auf die Tatsache an, dass Julian gerne mit dem Traktor Gas gab, etwas, das der Rancharbeiter zutiefst hasste.
Seiner Meinung nach war ein Traktor oder auch ein Auto kein Fahrzeug für Raserei-Spielchen. Eigentlich hatte Matt ja recht damit, doch Julian fand es spaßig, Gas zu geben, auch wenn es eher dazu diente, Matt, seinen neugewonnenen, in seinen Augen auf übermäßige Sicherheit bedachten Freund, zu ärgern.
»Klar doch, Mann. Diesmal ist ja der Anhänger dran, da wollen wir nicht übertreiben.« Er startete den Motor und Matt konnte sich gerade noch neben Julian hineinzwängen, ehe dieser mit halbwegs angemessener Geschwindigkeit losfuhr.
»Hm, sollten wir Irene anrufen – sie informieren? Ich meine, wenn tatsächlich ein Schneesturm droht, sollte sie es auch erfahren«, meinte Julian gleichmütig.
Matt blickte ihn irritiert an.
»Ähm, ja, vielleicht sollten wir das, obwohl sie ja hier lebt. Sie sollte sich eigentlich klar darüber sein, dass sowas in dieser Gegend passieren kann.«
Julian hob fragend eine Augenbraue, eine weitere Geste, die Matt nervte.
»Okay.« Er seufzte schwer. »Du hast recht. Ich ruf sie lieber an.«
Julian zuckte mit den Achseln.
»Ich hab zwar nichts gesagt, aber gut – wenn du meinst.«
Während sie Richtung Außenscheune fuhren, grinste Julian still vor sich hin. Er wusste ganz genau, was Matt gerade dachte.
»Naja, ich meine, sie lebt zwar hier, aber sie neigt leider dazu – äh, du weißt schon, alles auf die leichte Schulter zu nehmen.« Matt seufzte tief.
Julian konnte nicht anders, er musste lachen.
»Oh ja, ich weiß!« Ihm fiel das Erlebnis im Frühjahr ein, als Irene das von dem Geist ‚besessene‘ Halfter einfach von der Koppel geholt hatte, um ihre Leute zu schützen. Das wäre fast ins Auge gegangen.
Als sie kurz darauf mit ihrer Heuladung die Scheune erreichten, kam Ben, ein Hilfsfarmer und Rodeo-Cowboy hinzu, um zu helfen.
»Mann, wart ihr fleißig. Wollt ihr einen Extrabonus, oder wieso habt ihr so viel eingefahren?« Amüsiert betrachtete er den riesigen Heuhaufen auf dem Anhänger, ehe er sich kopfschüttelnd daran machte, das Netz zu lösen.
»Leute, es gibt einen kleinen vorwinterlichen Einbruch. Das ist alles. Der macht noch keinen großen Ärger.« Kopfschüttelnd zog Ben den ersten Heuballen hinunter und hob ihn auf seine Schulter. »Na dann müssen wir uns wohl ranhalten, damit wir bis zum Wetterumschwung fertig werden.«
Julian betrachtete erneut den Himmel.
»Sieht aus, als hätten wir ewig Zeit«, murmelte er missmutig, bevor er sich ebenfalls einen Heuballen schnappte.
Matt verdrehte nur genervt die Augen und zog sein Mobiltelefon aus der Hosentasche. Während er sich ein paar Schritte von der Scheune entfernte, drückte er die Kurzwahltaste, um Irene anzurufen. Überraschenderweise meldete sie sich sofort.
»Hi, Cowboy, was gibts?«, tönte ihre muntere Stimme ihm entgegen.
»Hi, Irene, wann wirst du zurück sein? Heut kommt noch ein Minischneesturm, du solltest dich also besser auf den Weg machen, ich meine, falls du noch in Pinedale bist.«
Er konnte förmlich spüren, wie sie lächelte.
»Mattie, der Himmel ist blau, es ist Halbvier. Ich bin schon aus Pinedale raus auf dem Highway 93, und fahr gleich nach Stormy Mills. Hab mir gedacht, ich geh noch ins Silverdime, wenn ich schon frei hab. Heute ist Elvis angesagt.« Sie klang fröhlich. Zu fröhlich, wie Matt fand.
»Ist doch cool, hatte ich schon lange nicht mehr«, fuhr sie munter fort.
Matt unterdrückte gerade rechtzeitig einen Fluch.
»Das ist nicht dein Ernst, oder? Ich meine, Askuwheteau hat gesagt, es gibt heut noch einen Sturm und du willst ins Kino?«
Inzwischen war Julian aus der Scheune zurück und musterte Matt fragend.
»Vergiss das für heute, Irene! Der Himmel ist viel zu klar auf Eagleside. Die Temperaturen fallen bereits und über dem Thunder ziehen schon Wolken auf. Es gibt heute auf jeden Fall noch Schnee!«
Irene schien nicht beeindruckt.
»Ach, der alte Askuwheteau, okay, so alt ist er auch nicht, aber ich hab schon lange nicht mehr mit ihm gesprochen. Bleib cool, heut gibt es maximal noch Regen. Ich möchte mir eine Tüte Popcorn kaufen, Cola trinken und einfach Elvis dabei zusehen, wie er die Frauen um den Verstand bringt. Ich glaube, heute steht ‚Blue Hawaii‘ auf dem Programm.« Sie machte eine kleine Pause.
»Ich hab ja meinen RAV, der bringt mich danach auch gleich heil nachhause«, fuhr sie beschwichtigend fort.
»Irene, bitte riskier nichts. Falls Schnee kommt, bekommst du Ärger. Du weißt das!«
»Ja, Mama.«
Matt ahnte, dass sie gerade genervt die Augen verdrehte.
»Hör auf, mich so zu nennen. Und falls du gerade die Augen verdrehst, LASS DAS SEIN!«
»Hey, wer sagt denn, dass ich das tue?«
»Ich sag das. Ich kenn dich.« Er holte tief Luft, da er bereits wusste, was sie antworten würde, trotzdem fragte er.
»Hast du wenigstens die Schneeketten dabei?«
»Nein, die brauch ich auch nicht. Der Film beginnt um fünf und ist vermutlich um Halbsieben aus. Ich hab genug Zeit, auch wenn es angeblich heute noch Schnee gibt, was ich nebenbeibemerkt, nicht glaube. Schönen Abend noch. Lass Julian grüßen. Wir sehen uns dann später.« Ehe Matt noch etwas entgegnen konnte, hatte sie aufgelegt.
Fassungslos starrte er sein Mobiltelefon an. Sie hatte einfach das Gespräch abgebrochen!
»Verdammt, verdammt, verdammt. Diese Irene, ich könnte sie erwürgen, echt.« Aufgeregt fuchtelte er mit den Händen herum.
»Sie ist so – so verdammt stur. Ausgerechnet heute, wo ein Schneesturm vor der Tür steht, will sie ins Kino. Ich fasse es nicht.«
»Was? Sie geht noch in die Stadt?« Etwas verwundert starrte Julian den aufgebrachten Freund an.
»Hm, scheint, als ob sie auch nicht daran glaubt, das heute noch ein Wetter kommt«, meinte er, nach einem erneuten Blick zum Himmel. »Oder sie nimmt wiedereinmal etwas auf die leichte Schulter«, fügte er munter hinzu.
Matt sah ihn verärgert an. Julian klang nach seinem Geschmack ein wenig zu vergnügt.
»Findest du das etwa lustig?«
Julian kratzte sich am Kopf, doch seine Mundwinkel verzogen sich nach oben.
»Ähm ja, irgendwie schon.«
Als er Matts entgeisterten Gesichtsausdruck sah, besann er sich jedoch anders.
»Okay, nein, das ist nicht lustig.« Doch, ein bisschen schon. Aber er hütete sich davor, es laut auszusprechen, und versuchte stattdessen einen zerknirschten Gesichtsausdruck zu machen, der ihm klarerweise nur teilweise gelang. Matt stöhnte genervt.
»Schon vergessen, was vor zwei Tagen passiert ist? Zwei Menschen sind nach einer Autopanne verschwunden.« Matt dachte an die beiden Parkranger, die zur Eagleside-Ranch hinaufgekommen waren, um vor wilden Tieren zu warnen. Sie hatten vereinzelte Blutspuren im Wald gefunden, doch die Menschen blieben verschwunden. Noch immer waren Suchtrupps unterwegs, doch der herbstliche Wald hatte die Spuren verwischt. Julian schüttelte den Kopf.
»Nein, hab ich nicht.« Er wusste, was Matt dachte und verstand seine Sorge. Im Laufe der Monate hatte er herausgefunden, das Matt Irene beschützen wollte, und wenn er ehrlich war, empfand er es genauso. Es war nie Julians Plan gewesen, doch so war es gekommen.
Irene machte es sich selbst und auch allen anderen nicht einfach, doch sie war durchaus fähig, diese große Ranch mitsamt allen darauf arbeitenden Personen zu leiten und dem zollte er Bewunderung.
Joanne, Irenes ältere Kusine, hatte ihnen vor ein paar Wochen im Vertrauen gesagt, dass sie sich viel besser fühlte, seit Julian und Matt auf der Ranch lebten. Nach dem Tod von Irenes Onkel Ethan war Matt hierher gekommen, um auf der Ranch zu helfen. Joanne hatte durch einen Tipp eines Holzfällerfreundes von ihm erfahren und ihn für Eagleside angeworben, obwohl sie eine eigene Farm ganz in der Nähe besaß, die genügend Arbeit verursachte. Matt hatte spontan zugesagt und Irene hatte sich nicht gegen seine Einstellung gewehrt.
Heute schien es, als wäre er immer schon hier gewesen. Seit Julian dazugestoßen war, waren sie mehr den je ein Team, auch wenn die Beiden es nie zugeben würden.
Julians prüfender Blick wanderte zum Thunder Mountain. Sofort ließ sein Optimismus nach.
»Wo sind die denn auf einmal hergekommen?« Hinter dem nebelverhangenen Gipfel türmten sich dicke, grauschwarze Wolkenmassen, die sich gemächlich zu riesigen Gebilden zusammenfügten und langsam den Berg einhüllten.
Matt schnaubte ärgerlich.
»Klar waren sie das nicht. Hast du es noch immer nicht gecheckt? Wir haben Oktober, leben in den Bergen. Hier passiert sowas schon mal.«
Erstaunt sah Julian, wie die Sonne soeben hinter einer dünnen Wolkenwand verschwand. Ein kühler Luftzug streifte ihn und bewegte die Äste der nahestehenden Bäume. Dabei hatte sich vorher noch kein Hälmchen geregt.
Ben trat mit einem Strohstängel im Mund neben Julian und wies auf den Himmel.
»Siehst du das, Stadtcowboy?« Er verzog lächelnd die Mundwinkel. »Dieses zarte Wolkenband, das so harmlos wirkt?«
Julian verdrehte die Augen.
»Jaja, ich sehe es.«
»Gut, denn sowas bedeutet Ärger, schön langsam müsstest du das wissen«, fügte Ben bedeutungsvoll hinzu.
Julian fiel ein, dass sich das angeblich bevorstehende Unwetter damals im April auch so harmlos angekündigt hatte. Dünne Wolken, leichter Wind. Im Nu war ein ausgewachsener Schneesturm daraus geworden und hatte sie auf der alten Storm-Hütte festgehalten.
»Kann es denn sein, dass das Wetter einfach weiterzieht?«, fragte Julian, nicht mehr ganz so überzeugt.
»Keine Ahnung. Kann es sein, dass die Hölle heute noch zufriert?«, beantwortete Matt die seine Frage mit einer Gegenfrage. Sarkasmus, eindeutig.
»Ähm.« Julian setzte gerade zu einer mit Garantie dummen Antwort an, als Matt ihm zuvorkam.
»Nein, du willst darauf nichts sagen«, meinte Matt kopfschüttelnd.
»Naja, mir würde da schon was einfallen. Klimawandel und so was alles«, erwiderte er breit grinsend.
»Jul.« Matt sprach nicht weiter, sondern wies warnend auf den nicht mehr so klaren Himmel. Julian folgte seufzend seinem Blick.
»Okay, gut, also wer fährt nach Stormy Mills?« Insgeheim hoffte er, das Matt fahren würde, um Irene aufzugabeln, immerhin stand der auf diese Beschützernummer, doch dieser warf ihm nur einen vielsagenden Blick zu.
»Tja, wer viel fragt.«
»Jaja, schon klar.« Julian seufzte schwer. »Gut, und wie stellst du dir das vor?«, fragte Julian. »Ich meine, wir wissen beide, dass sie vermutlich in Schwierigkeiten gerät. Sowas tut sie ja ständig, das ist nichts Neues, aber ehrlich, bist du sicher, dass sie nicht allein mit dem RAV den Berg hier hochkommt? Ich meine, so weit ist es doch gar nicht.« Julian hatte in den letzten Monaten die Gegend kennengelernt. Die Fahrstrecke von hier nach Stormy Mills war ihm inzwischen bekannt, und Irene lebte hier. Sie sollte es noch leichter schaffen als er.
»Sie kennt sich hier doch gut aus, auch wenn sie zugegebenermaßen zeitweise darauf vergisst.« Er spielte auf die Beharrlichkeit von Irene an, mit der sie ständig ihren Willen durchboxen wollte. Matt wirkte ein wenig besorgt.
»Naja, sie fährt ganz gut, aber sie hat keine Schneeketten mit.« Er fuhr sich durch die halblangen Haare.
»Ach ja, übrigens hat sie die niemals mit.« Nun klang er leicht verärgert.
»Nicht, weil es unpraktisch ist, sie im Auto herumliegen zu haben oder weil sie darauf vergisst. Nein, sie mag sie einfach nur nicht.«
Julian grinste erneut, doch er verkniff sich einen Kommentar.
Matt kam gerade richtig in Fahrt.
»Im letzten Winter zum Beispiel, da musste ich sie zweimal von der Straße aufsammeln. Wir können von Glück reden, dass sie einen RAV fährt und keinen Käfer oder sowas. Aber falls es wirklich viel Schnee gibt, wird’s Probleme geben. Wenn sie also von der Straße abkommen sollte, dann ...«
Julian nickte. Die Gegend war wild und es waren schon mehr als genug Menschen hier verschwunden, erfroren, oder verunfallt.
»Schon gut. Ich kenne die Statistiken, alles klar. Ich gable sie also nach dem Kino auf leite sie über die Berge nachhause und sie wird mir einfach so folgen?« Er zog fragend die Augenbrauen hoch, und Matt verzog missmutig den Mund.
»Möglich, dass sie deine Hilfe ablehnt, aber du sollst ja auch nur der Guide sein. Du fährst vor ihr mit dem großen Jeep , und sie folgt dir langsam und sorgfältig mit dem kleinen RAV. Sollte nichts schiefgehen.« Matt klang sicherer als er sich fühlte, doch er wollte Irene nicht allein da draußen rumfahren lassen und Julian kannte sich auf der Ranch noch nicht so gut aus, wie er. Also war es besser, wenn er hier die Arbeit mit Ben fertigmachte, während Julian nach Stormy Mills fuhr und Irene holte. Matt vertraute dessen Fahrkünsten, die herausragend gut waren, auch wenn er ihm das niemals sagen würde. Der zweifelnde Blick seines Freundes machte es ihm jedoch nicht leicht.
»Wenn sie von der Straße abkommen sollte, oder einen Unfall hat, dann ist sie auf sich alleine gestellt. Jul, das Gebiet ist riesig. Da – da kann viel passieren.«
Matt sorgte sich mehr um Irene, als er es sich eingestehen wollte. In letzter Zeit war hier viel passiert. Seit dieses Pärchen vor ein paar Tagen verschwunden war, gab es wilde Gerüchte über Grizzlys. Man munkelte, dass sie sich durch den frühen Wintereinbruch unsicher fühlten und wilderten.
Matt persönlich glaubte nicht an Bärenüberfälle, doch was wusste man schon, wie Bären tickten, wenn sie Angst vor dem Verhungern hatten? Es hatte im Laufe der Jahre immer wieder Tiere gegeben, die Menschen rissen. Und hier in der Gegend gab es genügend Wildtiere. Julian verstand Matts Sorge. Die verschwundenen Personen beschäftigten ihn genauso. Außerdem wimmelte es im Mistydew County von Bären und Pumas. Er hatte großen Respekt vor diesen Tieren, einer der Gründe, weswegen er nur ungern in der Wildnis herumstreifte. Ergeben nickte er.
»Schlüssel stecken?«
Matt nickte dankbar.
»Jep, und der Tank ist voll.«
Als Julian nach kurzem Winken davonging, blickten ihm Ben und Matt hinterher.
»Er holt unsere holde Maid also aus der Stadt. Na dabei wünsche ich ihm viel Spaß.« Er grinste. In den vier Jahren, wo er hier aushalf, hatte er Irene sehr gut kennengelernt. Einerseits gefiel ihm ihre unabhängige Art, andererseits hütete er sich davor, näher auf sie einzugehen. Sie bekam öfter Schwierigkeiten, manchesmal war es ihre eigene Schuld, ein anderes Mal wieder passierte es ihr einfach so. Doch irgendetwas gab es immer.
»Ben, bitte fang du nicht auch noch damit an! Du weißt doch, dass sie auf stur schaltet, wenn sie der Meinung ist, dass sie bevormundet wird.«
»Oh ja, schätze, Jul weiß das auch.«
Matt nickte knapp.
»Ja, und wenn sie sich so dämlich verhält, dann schnappt er sie sich einfach und schmeißt sie ins Auto«, brummelte er grimmig. Grinsend machte Ben sich daran, den Hänger weiter abzuräumen.
»Oja, ich weiß.« Ben mochte Julian, genauso wie er Matt mochte. Für ihn waren beide loyale Männer, die niemals jemandem im Stich lassen würden. Solche gab es nur mehr selten. Einer der Gründe, weswegen er ständig hierher zurückkehrte, und sich keine Arbeit bei benachbarten Ranchern suchte. Außerdem war er sich sicher, dass Julian tatsächlich nicht lange fackelte, wenn Irene auf stur schaltete.
»Dann lassen wir dem City Slicker das Vergnügen, unser Gänseblümchen nachhause zu geleiten. Wird sicher spaßig.«
Matt blickte grimmig drein.
»Gänseblümchen, von wegen«, schnaubte er unwillig. »Wohl eher eine starrsinnige, stachelige Distel«, grummelte er, ehe er Ben folgte.