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26. Januar: Antoine in Memphis und das »grand finale« auf einem Karussell

Der Tag, an dem die Show stattfinden soll. Um zwölf Uhr gab der Rockpalast eine Pressekonferenz, aber nur ganz wenig Journalisten tauchten überhaupt auf. Keiner schien irgendwelche Fragen zu haben. Die wenigen Leute, die gekommen waren, mussten auch noch animiert werden, was zu sagen. Nachmittags wanderte ich durch die Hauptausstellungshalle und suchte das BFBS-Studio, von wo aus Richard Nankivell während des MIDEM-Festivals seine Show live aus Cannes moderierte. Als ich es endlich fand, war er gerade dabei, Chris Andrews (der vor Ewigkeiten mit »Yesterday Man« einen Hit gelandet hatte) und David Wigg vom Daily Express zu interviewen. Anschließend stellte er mir ein paar Fragen zum Rockpalast.

Um sieben Uhr abends gab es immer noch kein Lebenszeichen von Antoine de Caunes, und da die Sendung in zweieinhalb Stunden losgehen sollte, machte ich mir allmählich ernstliche Sorgen, wo er wohl steckte. Als ich Peter fragte, merkte ich, dass es ihm nicht anders erging. Deshalb gingen wir zu Patrice von Antenne 2, einer der beiden großen Fernsehanstalten in Frankreich. Patrice hat dort eine ähnliche Position wie Peter in Deutschland. Wir fragten ihn, ob er eine Ahnung hatte, wo Antoine abgeblieben war. Er wusste es tatsächlich.

»In Memphis«, sagte er.

»Was?!« riefen wir ungläubig und wie aus einem Munde.

»Na klar«, fuhr Patrice fort. »Er ist schon ein paar Wochen da unten. Er dreht einen Dokumentarfilm über Chuck Berry. Ich hab‘ vor ein paar Tagen noch mit ihm telefoniert. Er scheint gut voranzukommen.«

»Und was wird mit der Show heute Abend?« fragten wir.

»Was soll damit schon werden?«

»Aber Antoine sollte sie moderieren! «

»Wie soll er das wohl machen, wenn er in Memphis steckt?«

»Eben!«

»Wenn ich nicht irre, hat er euch vor ein paar Wochen ein Telex geschickt und gesagt, er schafft es nicht, weil er zur gleichen Zeit in Amerika ist.«

Peter sagte, er hätte nie ein Telex gesehen, und fragte, was wir jetzt am besten machen sollten. Ich versuchte, mich wieder an die paar Brocken Französisch zu erinnern, die ich 1969 auf einer nächtlichen Zugfahrt von Marseille nach Paris gelernt hatte, aber ich merkte schnell, dass sie mir auch nicht weiterhelfen würden, selbst wenn sie mir einfielen, denn diese Situation hier war bei weitem nicht so intim wie die von damals. Dann meinte Patrice, ihm wäre da was eingefallen. Er sagte, er hätte vorhin in der Bar eines Hotels gleich um die Ecke Alain Dister gesehen. Er erzählte, dass der auch schon Rock-Shows im französischen Fernsehen präsentiert hatte. Vielleicht konnte er uns aus der Patsche helfen. Wir rasten rüber zum Hotel. Alain war noch da, und wir fragten ihn, was er noch so vorhatte heute Abend.

»Tja«, meinte er. »Wenn ich das hier ausgetrunken habe, setze ich mich in meinen Wagen und fahre sofort nach Paris zu meiner kleinen Freundin.«

»Hättest du nicht Lust, noch ein bisschen zu bleiben und eine Live-TV-Show zu moderieren, die nach Deutschland und Italien übertragen wird?«

Alain schaute uns etwas skeptisch an, willigte dann aber ein. Nun stand der Sendung nichts mehr im Wege.

Leider galt das auch für eine Menge Leute aus dem Publikum,die sich kurz nach Beginn der Show schon wieder aus dem Staub machten. Die Eintrittskarten waren umsonst verteilt worden, und viele von denen, die gekommen waren, wären sicherlich zu Hause geblieben, wenn sie dafür hätten zahlen müssen. Mit andern Worten, das Publikum bestand in der Hauptsache nicht aus Fans, die gekommen waren, um Richard Thompson oder Van Morrison zu sehen. Von den anfänglich zweitausend Zuschauern blieben nur etwa zweihundert bis zum Schluss.


(Foto: Manfred Becker)

Die allerdings kriegten dafür aber auch einen ganz besonderen Leckerbissen serviert. Vor allem Van Morrison schien immer besser zu werden, je mehr Zuschauer sich aus der Halle hinausschoben. Im Verlauf der Show hatten Alain und ich Gelegenheit, uns besser kennenzulernen, und wenn man bedenkt, dass er praktisch überhaupt keine Zeit gehabt hatte, sich auf das Ganze vorzubereiten, wurde er unheimlich gut mit der Situation fertig. Ich war ihm sehr dankbar für seine Hilfe.

Und ich war irrsinnig froh, als plötzlich Jürgen Osterloh auftauchte. Wir hatten uns vor ein paar Monaten kennengelernt, als ich in Paris war, um die Rolling Stones zu interviewen. Wir hatten uns auf Anhieb verstanden, vor allem, nachdem wir festgestellt hatten, dass wir beide auf Mitch Ryder stehen. Immer wenn Mitch auf Tournee durch Paris kommt, übernachtet er in Jürgens Wohnung. Heute nacht war Jürgen besonders gut drauf. Wir tranken einiges zusammen, und am Ende der Show stieg Jürgen mit auf das Karussell für das »grand finale«, das auf einer Promenade hinter dem Palais des Festivals stattfand. Das Karussell war wirklich ein Prachtstück, eine Konstruktion mit Pferdchen, Orgelmusik und dem ganzen Brimborium, das man von einem richtigen Karussell auch erwartet. Jürgen schwang sich erst mal probeweise auf das Pferdchen neben mir, und ab ging die Post. Das Karussell drehte sich im Kreis, und die Musik spielte auf voller Lautstärke. Viele der anderen Pferdchen waren von weiteren Mitgliedern des Rockpalast-Teams besetzt. Irgendwie war es anfangs ein bisschen kühl, bis jemand auf die geniale Idee kam, eine Flasche Cognac und ein Dutzend Plastikbecher zu organisieren. Jürgen und ich prosteten uns zu (auf alles, was uns in den Sinn kam - Mangel an Gründen schien es nicht zu geben), und wieder drehten wir uns im Kreis. Als dann die Zeit kam, uns von den Fernsehzuschauern zu verabschieden, waren wir alle bester Laune.

Der Rockpalast in Cannes ging zu Ende, und ein Haufen von begeisterten Verrückten drehte sich mitten in der Nacht auf einem hell erleuchteten Karussell nach Herzenslust im Kreise. Und während ich noch darüber lamentierte, dass wir keinen Platz in den großen Hotels mehr bekommen hatten, wo all die Geschäftsleute abstiegen, weil sie so unverschämt teuer waren, schnappte Jürgen sich den langen Gürtel, der zu meinem schwarzen Ledermantel gehört, und fing an, fröhlich auf mein Pferdchen einzudreschen, in der übermütigen Hoffnung, die mechanischen Grenzen der einzigen Sache überwinden zu können, die uns daran hinderte, auf Nimmerwiedersehen in die Nacht hinauszufliegen.

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