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Lausanne, Gefängnis von Bois-Mermet,

6. Februar 1934

Emile Lexert, unehelicher Sohn von Joséphine, ohne fes­ten Wohnsitz, ledig, Maler und Gipser, Größe 1,69, mittlere Statur, Haare und Augenbrauen schwarz, Augen braungrün, Nase geschwungen, Schnauzbart dunkelbraun, Lippen dick, Gebiss gut, nicht vollständig, fliehendes Kinn, glattrasiert, ovales Gesicht, eine gerade, senkrechte Narbe von einem Zentimeter über der rechten Augenbraue zur Nase hin, ein Muttermal auf dem linken Nasenflügel, ein Mut­termal neben dem rechten Nasenflügel … Genügt euch das?

Es ist nicht wahr, dass ich im Zimmer von Madame Jaquenoud einen Damenmantel entwendet habe. Es war so: Toto hat mir diesen Mantel verkauft, grau mit Pelzkragen, zum Preis von zehn Franken. Seine Papiere waren nicht in Ordnung, deshalb hat er mir das Ding verkauft: Er brauchte Geld, um nach Italien zurückzukehren. Der Freund Toto hat eine Nacht in meinem Zimmer bei Madame Jaquenoud verbracht, aber ohne Madames Erlaubnis, sie hat ihn gar nicht gesehen. Ja, wahrscheinlich ist der Mantel gestohlen, wie soll man leben, wenn man nichts hat?

Seit ich aus Genf fort bin, bin ich arbeitslos. Am 16. Januar bin ich nach Lausanne gekommen. Seitdem habe ich immer in Prilly bei Anna gewohnt. Ihr kennt Anny nicht. Lasst die Finger von ihr. Nein, ich habe mich nicht bei der Einwohnerkontrolle angemeldet und auch meinen Pass nicht hinterlegt.

Meine Freundin ist Mädchen für alles bei einem Herrn, der in der Apotheke La Palud arbeitet. Dieser Herr hat mir erlaubt, bei ihm zu wohnen, wenn ich keine Arbeit habe.

Ich bin aus Genf ausgewiesen worden, weil ich ohne Genehmigung gearbeitet habe. Ich möchte klarstellen, dass ich Toto den Mantel abgekauft habe, in einem Café, im Beisein meiner Freundin Anny. Ich habe den Mantel mit zwei Münzen à fünf Franken bezahlt.

Am 17. Februar, zehn Tage nach dieser Erklärung, schreibt Miló einen Brief an Monsieur le Président. Er kann gut mit Wörtern umgehen:

Zurzeit bezichtigt die Justiz mich und meine Verlobte eines Verbrechens, das wir nicht begangen haben und für das wir uns vor einem Gericht verantworten sollen. Ich gebe zu, dass der Schein uns unrecht gibt, doch unser Gewissen ist rein, und was mich bedrückt, ist, dass wegen eines Fehlers und einer so geringfügigen Sache das Leben von zwei Menschen, die sich über alles lieben, für immer zerstört werden kann und dass ich gegen meine Entscheidung ausgewiesen werde.

Geringfügig, ja: ein Mantel für zehn Franken. Aber der Brief nützt nichts. Am 13. März wird er mit Anny in Lau­san­ne vorgeladen, vor den Richter, die Beisitzer, den Amtsschreiber und die Gerichtsdiener. Es erscheinen Berthe mit ihrem Hütchen, das Dienstmädchen von Madame Jaquenoud, und Jean, der Kellner des Cafés Ecusson Vaudois. Der Amtsschreiber beginnt ein Papier vorzulesen, in dem Miló der grivèlerie bezichtigt wird, das heißt, auf Kosten anderer zu essen und zu trinken. Dann wird er des Diebstahls angeklagt. Er und Anny. Doch das Gericht entscheidet, dass weitere Informationen benötigt werden, und ver­tagt die Sitzung: Sie haben nicht genügend Beweise gegen die beiden.

Eine Woche später stehen sie erneut vor dem Richter. Diesmal ist eine andere Berthe da, die für die Heilsarmee arbeitet, die Uniformierten, die Trompete und Trommel spielen und Gott ein Loblied singen, sie wollen die Menschheit vom Teufel befreien und haben eine Fahne, auf der sang et feu steht.

«Sie haben etwas entwendet, von dem sie wussten, dass es ihnen nicht gehört», schreiben die vom Gericht. Einen Mantel mit Pelzkragen.

So verurteilt der Gerichtshof sie zu drei Monaten Gefängnis, zu fünf Jahren Verlust der Bürgerrechte und zur Bezahlung der Hälfte der Gerichtskosten wegen einer Sache, die sie bei einem Dieb gekauft haben. Doch der Mantel mit Pelzkragen war wirklich schön: In diesem Mantel sah Anny wie eine richtige Dame aus, nicht wie ein Mädchen ohne festen Wohnsitz. Anna, die noch keine achtzehn Jahre alt ist.

Miló

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