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Die angemessene Erläuterung jener ›Befreiung durch Hören‹

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Zu Beginn soll man den Drei Juwelen (57) sehr umfangreiche Opferungen darbringen; ist nichts vorbereitet worden, sollte man nehmen, was immer zur Hand ist, und zusätzliche Opferungen visualisieren; mit dem Geist sind unermessliche Opferungen in der Vorstellung vorzunehmen.

Wenn man stirbt, ohne bereits Verwirklichung erlangt zu haben, ist man noch der Anhaftung an sein Haus, seinen Wohnort, seinen Besitz usw. ausgeliefert; diese Anhaftung an den Besitz, der im gerade vergangenen Leben angesammelt worden ist, ist das grösste Hindernis dafür, im Bardo Buddhaschaft erlangen zu können. ... Man kann der Anhaftung an seinen Besitz im Sterben dadurch am besten begegnen, indem man zu Beginn des Sterbens all seinen Besitz – all das Geld, die Grundstücke und andere Kostbarkeiten – entweder verschenkt oder einem Mandala opfert. Wenn man im Sterben das Mandala-Gebet rezitiert, in dem es heisst: „Indem ich diese Scheibe säubere, mit Blumen schmücke usw. ...“ und währenddessen all seinen Besitz opfert, wird man im weiteren Verlauf des Sterbens keine Anhaftung an den Besitz der vergehenden Existenz mehr haben. Es wird überdies empfohlen, in dieser Phase des Sterbens Bodhicitta zu entwickeln, indem man darüber nachdenkt, dass man das Los, den Leiden und Ängsten des Sterbens ausgeliefert zu sein, mit allen fühlenden Wesen teilt. ‚Deshalb ...‘, so sollte man am Beginn des Sterbeprozesses in Übereinstimmung mit dem Sieben-Punkte-Geistestraining denken, ... möchte ich jetzt mit meinen Leiden und meinen Ängsten während des Sterbens die Leiden und die Ängste aller fühlenden Wesen auf mich nehmen‘ (58).

Anschliessend soll man drei oder sieben Mal das Wunschgebet, das die Unterstützung der Buddhas und Bodhisattvas beim Sterbevorgang erfleht, rezitieren, woraufhin das Wunschgebet, das einen davor bewahrt, von den Erscheinungen des Bardo in Angst und Schrecken versetzt zu werden, das Wunschgebet, das einen bei der Gratwanderung durch den Bardo des Todes vor Gefahr bewahrt, sowie die Wurzelverse der Befreiung im Bardo einschliesslich der zu visualisierenden ‚Keimsilben‘ (59) am Ohr des Gestorbenen darzubringen sind. Sodann ist der Situation angemessen die ›Grosse Befreiung durch Hören‹ drei oder sieben Mal zu lesen; es ist in drei Teile untergliedert: 1) das Aufzeigen des Klaren Lichtes im Bardo des Sterbens; 2) das grosse Bittgebet, das Aufzeigen der Eindrücke, die der Verstorbene im Bardo des Todes erfährt; und 3) die Belehrungen über die Methode, wie im ‚Bardo der Wiedergeburt‘ (tib: srid pa‘i bar do) der Eintritt in das Tor der Gebärmutter verhindert werden kann.

In Ost-Tibet war es Brauch, Verstorbenen während der sieben Wochen nach ihrem Tode diesen Text laut vorzulesen; zu diesem Zweck wurde zumeist ein Mönch ins Haus der Familie des Verstorbenen geladen, der die entsprechenden Opferungen vornahm und den Text jeden Tag langsam und laut verlas. Dadurch wurde dem Sterbenden definitiv geholfen (60).

Was erstens das Aufzeigen des Klaren Lichtes (61) (tib: ‘od gsal) im Bardo des Sterbens anbelangt, so wird dieser Text allen Arten von Individuen, d.h. solchen Personen, die über ein gutes intellektuelles Verständnis verfügen, ohne dieses Verständnis mit tatsächlicher Erkenntnis (62) durchdrungen zu haben, oder die zu einer solchen Erkenntnis vorgedrungen sind, sich allerdings nicht mit den einzelnen Schritten dieser Erkenntnis vertraut gemacht haben, oder gewöhnlichen Personen, die niemals Instruktionen erhalten haben, vorgetragen; durch das Aufzeigen des ‚Basis-Klaren Lichts‘ (tib: gzhi‘i ‘od gsal) werden jene den Bardo des Todes, der sich dadurch erschöpft, nicht erfahren und den ungeborenen Dharmakaya erlangen.

Was die Art und Weise der Präsentation anbelangt, so ist es am besten, wenn der Wurzellama, von dem der Sterbende selbst die entsprechenden Anweisungen erbeten hat, beim rituellen Verlesen des Textes anwesend sein kann. Kann jener nicht anwesend sein, sollte ein Dharmabruder bzw. eine Dharmaschwester, mit dem bzw. der er dieselben Gelübde hält, oder – falls ein solcher bzw. eine solche nicht zu finden ist – ein Lehrer (63) aus derselben Übertragungslinie (tib: chos rgyud), oder – falls keiner von diesen gefunden werden kann – jemand, der die Buchstaben dieses Textes mit klarer Stimme vorlesen kann, dessen Worte deutlich aussprechen kann und der über die Kenntnis des Textes verfügt, diesen mehrmals vorlesen. Dadurch wird sich der Sterbende an die Bedeutung der Anweisungen seines Lama erinnern und unzweifelhaft unmittelbar daraufhin das ‚Basis-Klare Licht‘ jener Anweisungen erkennen und zur Befreiung gelangen.

Was den Zeitpunkt der Präsentation dieses Textes anbelangt: Indem die äussere Atmung zum Stillstand kommt, lösen sich die feinstofflichen Winde (tib: rlung; skrt: Prana) in das ‚Chakra der Weisheit‘ (64) (tib: ye shes kyi dhu t‘i) hinein auf, und durch diesen ‚ausserordentlichen Zustand, in dem sämtliche geistigen Aktivitäten vollkommen zum Erliegen gekommen sind‘ (tib: spros bral), scheint das Klare Licht der Erkenntnis auf (65). Wenn sich daraufhin die Winde umkehren und in den rechten und linken Seitenkanal (66) entweichen, kommt es dadurch zum Pfad der Erscheinungen des Bardo des Todes; deshalb sollte die Präsentation des ersten Teiles dieses Textes vorgenommen werden, solange die Winde noch nicht in den linken und rechten Seiten-Kanal eingetreten sind. Der Zeitraum des Verweilens des inneren Atems entspricht lediglich der Dauer der Einnahme einer Mahlzeit.

Der Körper sämtlicher Lebewesen ist durch bestimmte Ursachen und sekundäre Bedingungen erzeugt worden; diese sind der weisse Tropfen bzw. die reine Essenz der Samenflüssigkeit vom Vater, der rote Tropfen bzw. die reine Essenz des mütterlichen Eies von der Mutter und das Bewusstsein des Zwischenzustandswesens. Parallel zur Wirbelsäule verläuft der feinstoffliche Zentralkanal (skrt: Avadhuti), dessen oberes Ende der weisse Tropfen, den man ursprünglich vom Vater erhielt (67), bildet, und in dessen unterem Teil dort, wo der Zentralkanal mit den unteren Enden der beiden Seitenkanäle zusammentrifft (68) der rote feinstoffliche Tropfen, den man ursprünglich von der Mutter erhielt, verweilt; dieser Tropfen ist von flammenförmiger Gestalt. Zwischen diesen beiden Tropfen fliesst der sog. lebenserhaltende Wind, der verhindert, dass diese beiden Elemente ineinanderstürzen. Wenn der letzte Atemzug getan ist, kommt der lebenserhaltende Wind im Zentralkanal zum Erliegen, und der weisse und der rote Tropfen treffen sich im Herzen (69).

Was die Art und Weise der Präsentation anbelangt: Wenn die äussere Atmung am Erlöschen ist, sollte vom Sterbenden die Praxis des Phowa (70) bis zum Äussersten angewendet werden; wenn Phowa nicht erfolgreich praktiziert wurde, sollten diese Worte gesprochen werden:

Höre, Sohn bzw. Tochter edler Herkunft (71) mit diesem und jenem Namen, weil es nun an der Zeit ist, dass Du Dir einen Weg suchst, und Dein Atem am Versiegen ist, wird Dir jenes, was als das Klare Licht des ersten Zwischenzustandes bezeichnet wird und dessen Bedeutung Dein Lama Dir zuvor aufgezeigt hat, erscheinen; dann wird Dein äusserer Atem versiegen, und weil Deine Bewusstheit (tib: rig pa) nun alle Phänomene als nackt und leer wie der offene Himmel, als Klarheit und Leerheit untrennbar, ohne jedes Zentrum und jede Begrenzung wahrnimmt, scheint blosse Nichtsheit auf; komme nun her! Erkenne dies zu jenem Zeitpunkt und konzentriere Dich in Deinem Innersten auf jene Erkenntnis! Ich werde Dich nun auch anleiten, wie Du Dich weiterhin verhalten solltest.“

Wer immer zu Lebzeiten von seinem spirituellen Lehrer ‚Instruktionen, die die wahre Natur des Geistes aufzeigen‘ (tib: ngos sprod kyi gdams pa) erhalten hat und daraufhin fähig war, sich mit der wahren Natur seines Geistes – dem sog. ‚Pfad-Klaren Licht‘ – vertraut zu machen, wird in diesem Stadium des Sterbens dazu in der Lage sein, die Kontinuität des Zustandes geistiger Klarheit aufrechtzuerhalten und die Befreiung zu realisieren, indem er im sog. ‚Basis-Klaren Licht‘, das klar und offen wie der wolkenlose Himmel ist und das ihm den Zugang zur ursprünglichen Weisheit, die jenseits jeden Intellekts ist, ermöglicht und die identisch mit dem Dharmakaya ist, verweilt. Im System der Nyingmapa wird das ‚Basis-Klare Licht‘ als ‚Samantabhadra in Vereinigung mit seiner Gefährtin Samantabhadri‘ bezeichnet, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass diese Einheit von Leerheit und erkennender Klarheit, die in ihrer Essenz von ursprünglicher Reinheit ist, keinerlei konkrete Existenz besitzt. Im Mahamudra-System der Kagyüpa wird dieser Zustand als ‚Erkenntnis bar jeder gedanklichen Tätigkeit‘ bezeichnet. Vornehmlich aus dem Grund sollte man zu Lebzeiten den Dharma praktizieren, damit es einem im Verlauf des Bardo des Sterbens dann, wenn für einen Augenblick sämtliche durch irgendwelche Wahrnehmungen hervorgerufenen störenden Gefühle vollends weggewischt sind, gelingt, die Befreiung zu verwirklichen; nun hat das eigene Gewahrsein die Gelegenheit, unabhängig von irgendwelchen Fixierungen auf bestimmte Wahrnehmungsobjekte oder Erinnerungen nackt in sich selbst zu ruhen bzw. die einem selbst innewohnende Achtsamkeit direkt zu erfahren; dies wird als ‚selbstgewahre Selbstbefreiung‘ bezeichnet (72).

Indem man diese Erklärung solange, bis der äussere Atem versiegt, viele Male in sein Ohr spricht, soll man dies seinem Geist einprägen. Wenn sich daraufhin der äussere Atem im Prozess des Versiegens befindet, soll man den Sterbenden mit seiner rechten Seite auf den Boden legen (73) und ihn die sog. ‚Löwenhaltung‘ (74) einnehmen lassen; dadurch wird die Zirkulation (tib: rba rlabs) im Zentralkanal gehemmt.

Die Löwenhaltung wird an anderer Stelle davon abweichend definiert: Indem man beide Daumennägel jeweils an die Innenseite des unteren Gliedes des Ringfingers drückt und die linke Hand auf den linken Oberschenkel legt, während man die rechte Hand unter sein Kinn legt, übt man einen vorteilhaften Effekt auf die subtilen Energiebahnen des Körpers aus, der es einem erleichtert, das ‚Pfad-Klare Licht‘ während des Sterbeprozesses zu erkennen und entsprechend zu meditieren; ... zu jenem Zeitpunkt muss der Sterbende, wenn er aus dem Automatismus des Sterbens ausscheren möchte, sich in einen Geisteszustand versetzen, der ‚leer‘ (75) und gleichzeitig erkennend ist – dies ist das sog. ‚Pfad-Klare Licht‘; wer während des Sterbens in ihm zu ruhen vermag, wird automatisch befreit, wenn das ‚Basis-Klare Licht‘ aufscheint (76).

Indem nun die Aktivität in den beiden feinstofflichen Kanälen, die den Schlaf bewirken (77), zunächst zunimmt und dann versiegt, presst man jene mit grosser Kraft, damit der feinstoffliche Wind, der in den Zentralkanal eingetreten ist, am Zurückfliessen gehindert wird und mit Gewissheit durch das Kronenchakra (tib: tshangs bug) austreten kann (78). Auch unterdessen wird mit dem Verlesen des Textes fortgefahren. Zu diesem Zeitpunkt scheint im Bewusstseinskontinuum sämtlicher Wesen eine unverfälschte Erscheinung auf, welche eine Reflektion des Dharmakaya ist, die auch das Klare Licht des ersten Bardo des Sterbens genannt wird. Zwischen dem Erlöschen des äusseren Atems und dem Versiegen des inneren Atems (79) ist der feinstoffliche Wind in den Zentralkanal hineingeschmolzen; jener Zustand wird von gewöhnlichen Menschen (80) als Bewusstlosigkeit bzw. Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit bezeichnet, deren Dauer von Individuum zu Individuum in Abhängigkeit davon, ob ihre körperliche Verfassung gut oder schlecht war, sowie von dem Zustand ihrer Kanäle und Winde variiert; wer zu Lebzeiten die Shine-Meditation dauerhaft beherrschte und häufig die analytische Meditation (tib: nyams len) praktizierte, und wer in der Praxis mit den feinstofflichen Kanälen versiert war, verweilt für lange Zeit (81) in diesem Zustand.

Die eindringliche Präsentation dieses Textes muss ununterbrochen in einer klaren Weise fortgesetzt werden, bis aus einer der Körperöffnungen des Sterbenden (82) eine gelbliche Flüssigkeit austritt. Wer ein sehr schlechtes Leben geführt hat oder wessen feinstoffliche Kanäle in einem schlechten Zustand sind, für den hat diese Bewusstlosigkeit nicht einmal die Dauer eines Fingerschnippens, während sie bei anderen etwa die Dauer einer Mahlzeit in Anspruch nimmt. Üblicherweise ist in den Sutras und Tantras von einer Bewusstlosigkeit von dreieinhalb Tagen die Rede (83), und da sie in der Regel eine Dauer von dreieinhalb (84) Tagen aufweist, soll man mit dem Aufzeigen des Klaren Lichtes über diesen Zeitraum ernstlich fortfahren.

Was die Art und Weise der Präsentation anbelangt: Wer bereits zuvor (85) sein Bewusstsein aus eigener Kraft auszuschleudern vermochte, für den erübrigt sich das folgende; wer dazu nicht in der Lage ist, in dessen unmittelbarer Nähe sollte sein Lama, ein anderer Schüler des eigenen Lama oder ein Dharmabruder bzw. eine Dharmaschwester, der/die dem Sterbenden sehr nahe standen, verweilen und ihm folgendes verlesen:

Jetzt ist das Anzeichen dafür da, dass das Element Erde sich in das Element Wasser auflöst.“

1) Wenn das Element Erde vom Wasserelement absorbiert wird (86), kann der Sterbende seinen Kopf nicht mehr heben, nicht mehr stehen, und er bekommt einen verzerrten Gesichtsausdruck; Speichel läuft aus seinem Mund, und Rotz aus seiner Nase. Der Sterbende hat den subjektiven Eindruck, dass sein Körper in die Erde hineinsinkt; er kann seine Augen nicht mehr öffnen oder schliessen; mit dieser Phase des Sterbens geht das sog. innere, nur dem Sterbenden erscheinende Anzeichen vermeintlicher bläulicher Luftspiegelungen einher. 2) Anschliessend wird der Kreislauf immer schwächer, weil das Element Wasser sich in das Element Feuer auflöst; der Sterbende wird sehr durstig, während er gleichzeitig die Fähigkeit zu sprechen und zu hören verliert; mit dieser Phase des Sterbens geht das innere Anzeichen einer vermeintlichen bläulichen Rauchbildung inmitten dichter Wolken einher. Gleichzeitig hat der Sterbende entsprechend dem Charakter, den er zu Lebzeiten innehatte, bestimmte Halluzinationen: Übelgeartete Individuen werden schreckenerregende Visionen erleben und in Panik geraten; Individuen, die die buddhistischen Praktiken ausreichend geübt haben, sehen wunderschöne Szenerien oder gar ihren spirituellen Wurzellama vor sich, wie er ihnen die vier Einweihungen gibt und sie so zur Verwirklichung geleitet. 3) Als nächstes löst sich das Element Feuer in das Element Wind auf, woraufhin die Körpertemperatur des Sterbenden drastisch absinkt und seine Verdauung und sein Geruchssinn erlahmen. Seine Einatmung wird immer kürzer und schwächer, während seine Ausatmung immer nachhaltiger und länger wird; mit dieser Phase des Sterbens geht das innere Anzeichen eines Funkenfluges inmitten von Rauchschwaden einher. 4) Daraufhin löst sich das Element des Windes in den Raum auf, weil sämtliche Arten feinstofflicher Winde im System der feinstofflichen Energiekanäle von dem Aufenthaltsort, den sie zu Lebzeiten einnahmen, zur Höhe des Herzens fliessen; währenddessen hört der Sterbende ein lautes, alles übertönendes Donnern, und er wird von Angst und Schrecken überwältigt; dann erlahmt sein Geschmacksund Tastsinn, er kann seinen Körper nicht mehr bewegen, und die Atmung setzt schliesslich völlig aus; mit dieser Phase des Sterbens geht das innere Anzeichen eines vermeintlich blakenden Kerzenlichts einher. 5) Das Element Raum löst sich schliesslich ins Bewusstsein hinein auf, woraufhin äusserlich der Tod einsetzt; zunächst fliessen die Winde, die oberhalb des Herzens in den beiden Seitenkanälen zirkulieren, an der Krone des Kopfes in den Zentralkanal hinein, woraufhin dem Sterbenden ein klares gedämpftes weisses Licht, das den ganzen Raum ausfüllt – wie Mondlicht in einer klaren Herbstnacht – erscheint, weil der weisse feinstoffliche Tropfen, den der Sterbende bei seiner Konzeption vom Vater bekam und der zu Lebzeiten an der Krone seines Kopfes weilte, im Zentralkanal nach unten sinkt und oberhalb des noch intakten Herzchakra zum Stillstand kommt; gleichzeitig wird das Bewusstsein des Sterbenden verschwommennebelhaft; 6) anschliessend strömen die Winde, die unterhalb des Herzzentrums in den beiden Seitenkanälen zirkulieren, an seinem unteren Ende in den Zentralkanal hinein, und der Sterbende macht die sog. strahlend rote Erfahrung – der ganze Raum ist mit orangerotem Licht ausgefüllt wie ein von der Sonne durchfluteter Herbsthimmel, weil der rote Tropfen, den der Sterbende bei seiner Konzeption von der Mutter bekam und der zu Lebzeiten auf Höhe des Nabels weilte, im Zentralkanal nach oben steigt und unterhalb des noch intakten Herzchakra zum Stillstand kommt. 7) Als nächstes versammeln sich die Winde im Zentralkanal auf Höhe des Herzens und fliessen in den sog. unzerstörbaren Tropfen im Herzchakra hinein. Ein leerer Raum voll von schwarzer Leere wie ein sternenloser Nachthimmel tut sich dem Sterbenden auf. 8) Schliesslich lösen sich alle Winde oberhalb und unterhalb des Herzchakra in den subtilen lebenserhaltenden Wind im unzerstörbaren Tropfen im Herzchakra hinein auf; wenn dann auch die subtilsten Arten von Wind und Bewusstsein schwinden, fällt der Sterbende in eine Bewusstlosigkeit, deren Dauer zwischen einem Augenblick bis zu sieben Tagen und länger schwanken kann; 9) anschliessend dämmert dem Sterbenden das Klare Licht des Todes auf; es gleicht der natürlichen Farbe eines klaren Himmels bei Dämmerung, der weder von Sonnenlicht noch von Mondlicht noch von Dunkelheit eingefärbt wird; seine Farbe wird mit der Erscheinung, die während des Ruhens in meditativem Gleichgewicht wahrgenommen wird, verglichen (87).

Auch wenn dies im vorliegenden Text nicht im Einzelnen aufgeführt ist, weil die Kenntnis des Sterbeprozesses für gebildete Tibeter obligat ist, liest man bei Eintreten der entsprechenden Anzeichen also weiter vor:

Jetzt ist das Anzeichen dafür da, dass das Element Wasser sich in das Element Feuer auflöst. ... Jetzt ist das Anzeichen dafür da, dass das Element Feuer sich in das Element Wind auflöst. ... Jetzt ist das Anzeichen dafür da, dass das Element Wind sich in das Element Raum auflöst. ... Jetzt ist das Anzeichen dafür da, dass das Element Raum sich in das Element Bewusstsein auflöst.“

So sollen die genannten Anzeichen für die einzelnen Stadien des Sterbens klar dargelegt werden. Wenn diese Aufeinanderfolge der Anzeichen für das Sterben vollendet und abgeschlossen ist, ist der Sterbende zu ermutigen, die folgende geistige Einstellung bei sich zu erzeugen, indem man ihm leise ins Ohr flüstert:

Oh Edler ... “, oder wenn der Sterbende ein Lama war: „Oh edler Herr; ich bitte Dich, lass Deinen Geist (tib: thugs bskyed) nicht abgelenkt werden!“

War der Sterbende ein Dharmabruder oder eine Dharmaschwester oder ein anderer Mensch (88), soll man ihn beim Namen rufen und ihm folgendes sagen:

Oh Edler ..., nun bist Du bei dem angelangt, was man den Tod nennt; deshalb solltest Du folgende Einstellung in Dir erzeugen: ‚Oh weh; für mich selbst ist nun die Todesstunde gekommen. Indem ich mich auf meinen Tod ausrichte, werde ich darauf kontemplieren, nichts anderes als die Einstellung des ‚Erleuchtungsgeistes‘ (89), welcher grenzenlose Liebe und grenzenloses Mitgefühl für alle fühlenden Wesen ist, in mir zu erzeugen. Zum Nutzen sämtlicher fühlender Wesen, deren Zahl grenzenlos wie der Himmelsraum ist, werde ich die Vollkommenheit der Buddhaschaft verwirklichen!‘ Indem Du dies denkend eine solche Einstellung entwickelst, solltest Du insbesondere währenddessen zum Nutzen der fühlenden Wesen das Klare Licht des Todes als Dharmakaya erkennen, indem Du aufgrund der Beschaffenheit jenes Klaren Lichtes die Vervollkommnung des höchsten Mahamudra (90) erlangst; solltest Du jenes Mahamudra jedoch nicht verwirklichen, dann sollst Du den Zwischenzustand als Zwischenzustand erkennen. Im Bardo des Todes solltest Du Dich – während Du auf die Leerheit meditierst – in irgendeinem Körper, der in Vereinigung befindlich ist, manifestieren; in jener Gestalt solltest Du den Nutzen sämtlicher fühlender Wesen, deren Zahl grenzenlos ist wie der Himmelsraum, erbringen! Ohne von dem Wunsch der erleuchteten Einstellung abzulassen, solltest Du Dich an die früher erhaltenen mündlichen Unterweisungen zur Meditation und ihrer Anwendung erinnern!“

Mit klaren Worten sage man dies nahe dem Ohr des Sterbenden, damit er sich an seine meditative Praxis zu Lebzeiten erinnern kann und nicht einen Moment mit seiner Konzentration abschweift. Wenn daraufhin die äussere Atmung zum Erliegen gekommen ist, presse man beidefeinstofflichen Kanäle, die den Schlaf bewirken‘ (tib: rtsa gnyid), kräftig (91) und spreche, falls der Sterbende ein Lama oder ein spiritueller Lehrer (92) (tib: shes gnyen) war, der in seiner spirituellen Praxis weiter gediehen war als man selbst, die folgenden Worte klar und deutlich aus:

Ehrwürdiger Herr ..., wenn Dir nun das Basis-Klare Licht erscheint, erkenne es als solches und verharre darin!“

Individuen, die während der weissen, roten und schwarzen Erscheinungen gemäss den Anweisungen ihres spirituellen Lehrers die Natur ihres Geistes als ursprüngliche Reinheit erkennen und ihr Bewusstsein aufrechterhalten können, fallen nicht in Bewusstlosigkeit, sondern vermögen das ‚Pfad-Klare Licht‘, das sie zu Lebzeiten eingeübt haben, mit dem Erscheinen des ‚Basis-Klaren Lichtes‘ – der ursprünglichen Reinheit selbst, die aufscheint, wenn sich alle Emotionen und Konzepte aufgelöst haben – zu vermischen. Wenn diese Vermischung stattfindet, ist das Individuum von begrenzten Geisteszuständen sowie von dem Automatismus, entsprechend seines individuellen Karma weiter blind in der bedingten Existenz von Samsara weiterwandern zu müssen, ‚befreit‘ (93).

So ersuche man spirituell höhergestellte Personen. Alle anderen Personen (94) soll man mit der folgenden Ansprache instruieren:

Oh Edler ... , Dein Geist ist jetzt solcherart beschaffen, dass Dir nun das Klare Licht des reinen ‚Wesens der Dinge‘ (skrt: Dharmata; tib: chos nyid) aufscheint; verweile in ihm und erkenne es als solches! Dein jetziges erkennendes Gewahrsein (95) (tib: shes rig) ist von der Natur dieses reinen Wesens (tib: sing nge ba), welches weder als Farbe, definierende Charakteristika noch Substanz existierend diese blosse Leerheit (96) ist; das reine Wesen ist der weibliche Urbuddha Samantabhadri (tib: kun tu bzang mo). Dein erkennendes Gewahrsein selbst, die Klarheit, die von der Natur der Leerheit ist, ist zur ungehinderten Vielfalt des nie endenden Gewahrseins – d.h. zur Leerheit selbst – geworden; dies ist das ‚reine Wesen‘ (tib: sing nge ba), der männliche Urbuddha Samantabhadra (tib: kun tu bzang po), welcher im Reinen Land ‚Waléwa‘ (tib: wal le ba) weilt. Dein eigenes Bewusstsein (tib: rig pa), das von der Essenz der weder irgendwann einmal entstandenen (97) noch irgendwie als Substanz existierenden Leerheit ist, und Dein erkennendes Gewahrsein, das als Klarheit im Reinen Land ‚Waléwa‘ weilt, sind beide unveränderlich untrennbar, und sie sind der Dharmakaya der vollkommenen Erleuchtung. Dein eigenes Bewusstsein ist überdies die Untrennbarkeit von Leerheit und Klarheit, das sich im Grossen Strahlenden Licht verkörpert; diese Untrennbarkeit ist der ungeborene und unsterbliche Buddha des unveränderlichen Lichtes Amitabha. Dies zu erkennen ist genug. Die Natur Deines eigenen erkennenden Gewahrseins – dieses reine Wesen – als Buddha zu erkennen und jenen Buddha als das eigene Bewusstsein anzusehen ist das Ruhen in der Meditation des Buddha.“

Dies soll man drei oder sieben Mal mit deutlichen Worten und klarer Stimme rezitieren. Durch diese Worte wird sich der Sterbende zum einen an die Anweisungen seines Lama erinnern; ferner gelingt es ihm dadurch, seine eigene nackte ‚selbst-gewahre Eigenbewusstheit‘ (tib: rang rig) als Klares Licht zu identifizieren; zudem wird er – im Selbstgewahrsein verweilend – mit Gewissheit die Befreiung (98), die dauerhaft nicht vom Dharmakaya getrennt ist – erlangen. So wird der Sterbende bezüglich des ersten Klaren Lichtes instruiert.

Bei dem sog. ‚Pfad-Klaren Licht‘ handelt es sich um die absolute Wirklichkeit, um das innere Gewahrsein, das seit anfangslosen Zeiten in jedem Individuum vorhanden ist, ohne jemals von irgendeinem Wesen erschaffen worden zu sein, bzw. um die wahre Natur der Wirklichkeit – betreffe dies die äusserlichen Phänomene oder den eigenen Geist selbst – die jedes Individuum von Zeit zu Zeit (99) erlebt, ohne doch von ihr getrennt zu sein. ‚Buddha‘ kennzeichnet solche Individuen, die aufgrund immenser Übung geistiger Disziplin über unvorstellbar lange Zeiträume zu vollkommener Stabilität in der Erfahrung inneren Gewahrseins bzw. des ‚Basis-Klaren Lichtes‘ gefunden haben, so dass sie sämtliche irrigen Ansichten überwinden, die Befreiung von der samsarischen Existenz erlangen und schliesslich unzählige erleuchtete Qualitäten entwickeln konnten.

Die unterschiedlichen Ebenen buddhistischer Belehrungen (100) sowie die unterschiedlichen Terminologien, die in ihnen Verwendung finden, um diesen natürlichen Zustand des Seins zum Ausdruck zu bringen, unterscheiden sich einzig darin, wie direkt sie diesen Geisteszustand vermitteln; dennoch handelt es sich bei all diesen Begrifflichkeiten nur um unterschiedliche Umschreibungen des ‚Basis-Klaren Lichts‘.

Wie ist nun das ‚Pfad-Klare Licht‘ zu praktizieren? Um bestimmte Methoden anwenden zu können, die einem Zugang zum ‚Basis-Klaren Licht‘ verschaffen, muss man zunächst einen qualifizierten spirituellen Lehrer um Informationen darum bitten, wie man meditieren soll. Er wird einen auffordern, in einer bestimmten Weise zu meditieren: Wenn man auf das ‚Basis-Klare Licht‘ meditiert, soll man seinen Geist nicht auf einen bestimmten Bezugspunkt fixieren; weder soll man seine Aufmerksamkeit auf ein konkretes oder auf ein abstraktes Meditationsobjekt ausrichten noch irgendwelchen erinnerten Einsichten nachhängen; ‚Klarheit‘ bezieht sich in diesem Zusammenhang vielmehr darauf, dass man sich auf das ausrichtet, was tatsächlich gegeben bzw. natürlich gegenwärtig ist – der Praktizierende, der sich in der Bewusstheit des ‚Basis-Klaren Lichts‘ übt, bemüht sich mit einsgerichteter Konzentration, die Kontinuität seiner averbalen Achtsamkeit bzw. seines Gewahrseins aufrechtzuerhalten, ohne sich durch irgendwelche aufkommenden Worte und Gedanken erneut zur Fixierung auf jene mentalen Objekte verleiten zu lassen.

Üblicherweise neigt man dazu, über sämtliche neu gewonnen Einsichten sowie über die grundsätzlichsten buddhistischen Belehrungen wie etwa diejenige, dass alle Phänomene leer von jeglicher inhärenter (101) Wirklichkeit sind, nachzudenken – d.h. innerlich darüber Worte und Sätze zu bilden und auf eine konzeptuelle Ebene auszuweichen, statt achtsam in dem zu ruhen, was gerade ist. Man sollte sich jedoch davor hüten, intellektuelle Überzeugungen für eine tief in seinem Bewusstseinsstrom verankerte ‚Realisationen‘ zu halten; letztere kann einzig durch unbegriffliche Meditation verwirklicht werden. Und selbst wenn man sich bemüht, auf das zu meditieren, was unkonditioniert ist, ist der Ansatzpunkt zunächst ein konzeptueller: Man nimmt sich in Gedanken vor, seinen Geist bzw. sein Gewahrsein auf dasjenige auszurichten, was unbedingt ist; aber schon indem man seiner Achtsamkeit diese bewusste Vorgabe macht, engt man sein Gewahrsein wieder auf einen bestimmten Bezugspunkt ein, so dass es sich hierbei nicht um die Meditation auf das ‚Basis-Klare Licht‘ handeln kann. Stattdessen kann man sich nur in der Weise an das ‚Basis-Klare Licht‘ gewöhnen, indem man durch die entsprechenden Meditationen praktische Erfahrungen damit sammeln kann, was unter ‚Gewahrsein frei von mentalen Fabrikationen‘ zu verstehen ist.

Die absolute Wirklichkeit, die als Dharmakaya oder als ‚Klarheit des Dharmata‘ bezeichnet wird, kennzeichnet nichts anderes als den gegenwärtigen eigenen Geisteszustand, der nicht einmal für einen Augenblick abgelenkt und zerstreut ist, ohne sich auf irgendetwas auszurichten, zu konzentrieren oder zu meditieren (102). Der Begriff ‚Klarheit des Dharmata‘ kennzeichnet die ‚Soheit‘ (103), die leer von jeglicher ihr innewohnender wirklicher Substanz oder Essenz ist, aus der heraus sie zur Existenz gelangt wäre, und die in dieser ‚Leerheit‘ klar und erkennend ist. In dieser Hinsicht kann unser Geist mit dem offenen Raum verglichen werden, der – obschon nicht konkret oder dinglich existierend – offen und unbegrenzt ist und in dem alles entstehen kann. Es gilt, sich bereits zu Lebzeiten unbedingt an einen Geisteszustand zu gewöhnen, der diese unbegriffliche Offenheit (104) herzustellen und aufrechtzuerhalten vermag, solange er will; dann und nur dann wird es einem auch gelingen, seinen Geist zu kontrollieren, wenn jener – seiner Anbindung an einen Körper und dessen Sensorien beraubt – orientierungslos durch den Zwischenzustand des Todes taumelt, so dass ihm das Durchwandern der verschiedenen Stadien des Zwischenzustandes zwischen dem Sterben und der nächsten Existenz – d.i. der sog. Bardo des Todes – erspart bleibt.

Wer – was immer auch geschieht (105) – in nicht-begrifflichem Gewahrsein, das frei von jeglichen künstlichen Fabrikationen des Akzeptierens oder des Zurückweisens ist, verharrt, ist tatsächlich als Yogi bzw. als wahrhaft qualifizierter Praktizierender zu bezeichnen. Sowohl die Nyingma-Lehren des Dzogchen als auch die Mahamudra-Lehren der Kagyüpa ermöglichen es fortgeschrittenen Praktizierenden, beispielsweise die eigene Praxis eines der sechs Yogas von Naropa (106) mit den eigenen Erfahrungen während der Meditation und während des Traums zu kombinieren und so das ‚Klare Licht des Tiefschlafs‘ zu erkennen und darin zu ruhen; dadurch realisieren sie, dass die unterschiedlichen Erfahrungen des Traumgeschehens ‚lediglich‘ Manifestationen des Dharmakaya sind, und erlangen die Befreiung. Wer stattdessen – während sein Körper und sein Geist noch beisammen sind und er deshalb die Entscheidungsfreiheit darüber hat, was er tun und lassen möchte – seine Tage und Nächte damit verbringt, sich hartnäckig und in einer konfusen Weise an eine vermeintlich solide Wirklichkeit zu klammern, dessen Hoffnungen, während der ausserordentlich intensiven Schmerzen zum Zeitpunkt des eigenen Todes dazu fähig zu sein, in Meditation zu verweilen, werden gewisslich enttäuscht werden (107).

Bei den in den vorstehenden Absätzen präsentierten Belehrungen handelt es sich um sog. ‚Anweisungen über die wahre Natur des eigenen Geistes‘, die jedoch nur dadurch die erforderliche Tiefgründigkeit und Kraft gewinnen, sich durch Meditation im Bewusstseinsstrom des Praktizierenden voll zu entfalten, wenn sie dem Betreffenden von einem verwirklichten spirituellen Lehrer mündlich übermittelt und erläutert werden; fehlt diese ‚Übertragung‘, kann der Praktizierende günstigstenfalls zu entsprechenden intellektuellen Überzeugungen gelangen, die während des Sterbens und im Tod sicherlich nicht den Nutzen erfüllen werden, den geistigen Zustand des Sterbenden auf eine höhere Ebene zu heben [Anmerkung des Übersetzers].

Die Befreiung durch Hören im Zwischenzustand

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