Читать книгу Die Befreiung durch Hören im Zwischenzustand - Albrecht Frasch - Страница 9
Die vorbereitenden Übungen, die die Wesen zur Befreiung führen
ОглавлениеZu Anfang des Sterbeprozesses soll man den stufenweisen Weg praktizieren, der Praktizierende mit ausserordentlichen Fähigkeiten mit Gewissheit zur Befreiung führt. Sollte man durch jenen Weg keine Befreiung erlangen, soll man im sog. ‚Bardo des Sterbens‘ (tib: chi kha’i bar do) ‚Phowa‘ (48) (tib: ’pho ba) praktizieren, wodurch man, indem man sich die eigene Praxis des Phowa zu Lebzeiten vergegenwärtigt, spontan zur Befreiung gelangen wird; durch jene Praxis sollten Praktizierende mit mittleren Fähigkeiten mit Gewissheit zur Befreiung gelangen. Wenn man jedoch durch jene Praxis keine Befreiung erlangt, sollte einem wenigstens diese ›Grosse Befreiung durch Hören‹ im Verlauf des siebenwöchigen ›Bardo des Todes‹ (tib: chos nyid bar do) ernstlich zu Gehör gebracht werden.
Zu diesem Zweck sollte der Praktizierende zunächst die Anzeichen des Sterbens gemäss dem Text ›Der klar reflektierende Spiegel der Symptome des Todes‹ (49) sorgfältig verfolgen; sobald die Anzeichen des Todes mit Gewissheit zur Gänze eingetreten sind, ist – indem man sich die eigene Praxis zu Lebzeiten vergegenwärtigt – Phowa zu praktizieren, das spontan zur Befreiung führt. Wenn durch Phowa das Bewusstsein hinausgeschleudert worden ist, ist es nicht mehr erforderlich, dass die ›Befreiung durch Hören‹ von einem Lama oder einem Dharmabruder bzw. einer Dharmaschwester (50) für den Verstorbenen gelesen werden muss; falls das Phowa jedoch nicht erfolgreich praktiziert worden ist, soll diese ›Befreiung durch Hören‹ mit klaren Worten und deutlicher Stimme nahe der Leiche gelesen werden. Wenn die Leiche nicht anwesend ist, soll der die ›Befreiung durch Hören‹ Vortragende sich zu der Stelle, an der zu Lebzeiten das Bett des Verstorbenen stand (51), begeben, und indem er das Bewusstsein des Verstorbenen herbeiruft, spricht er Worte, die die Kraft der Wahrheit besitzen (52), jenen unterdessen sich gegenüber als Zuhörer visualisierend.
Das sog. ‚Nirmanakaya-Phowa‘ besteht darin, ungetrübte Hingabe und ausserordentlich starkes Vertrauen zu seinem spirituellen Lehrer (53) und Mitgefühl gegenüber sämtlichen fühlenden Wesen zu entwickeln. Man lässt den Vorgang des eigenen Sterbens so weit gedeihen, bis die sog. weisse und rote Erfahrung stattgefunden hat – anderenfalls würde man durch das Praktizieren von Phowa das eigene Sterben vorwegnehmen und spirituellen Selbstmord begehen, der einen zwingend in die niedersten Bereiche der Existenz statt zur Befreiung führen würde. Sodann fokussiert man seine ganze Konzentrationsfähigkeit auf eine bestimmte Keimsilbe, die man – begleitet von einem bestimmten Ton – den Zentralkanal hinaufschiesst. Um Phowa erfolgreich zu praktizieren, bedarf es keiner grossen Verwirklichung und keiner hohen Stufe intellektueller Erkenntnis; es genügt, Hingabe und Mitgefühl zu entwickeln und die Keimsilbe zu visualisieren. Allerdings muss man dazu die mündlichen Belehrungen, die man von einem dazu authorisierten verwirklichten spirituellen Lehrer erhalten hat, in dessen Beisein solange üben, bis gewisse Zeichen (54) anzeigen, dass die Praxis des Phowa erfolgreich ausgeübt worden ist (55). Wenn dann die Zeit zu sterben gekommen ist, soll man sich weder durch Anhaftung noch durch Abneigung und Zorn ablenken lassen, sondern sein Bewusstsein wie ein geschickter Bogenschütze mit aller Kraft durch seinen Schädel hinaus in das Reine Land von Buddha Amitabha schiessen (56).
Während der laut vorzutragenden Rezitation dieses heiligen Textes ist es nicht angebracht, dass die Verwandten des Gestorbenen sowie Freunde, die ihm zugetan waren, in Tränen ausbrechen, weinen und wehklagen; sie sollten deshalb ausgeschlossen werden. Ist die Leiche anwesend, dann soll sein Lama oder ein Dharmabruder, dem er vertraute, oder ein anderer Praktizierender, dessen Geist mit seinem harmonierte, zu dem Zeitpunkt, an dem der äussere Atem zum Stillstand gekommen ist, mit den Lippen in der Nähe eines seiner Ohren weilend, ohne jenes zu berühren, diese ›Grosse Befreiung durch Hören‹ lesen.