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26 Jahre zuvor

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Meren kreischte. “Du blöde Kuh. Du hast mir die Haare ausgerissen.” Aëlan stand vor ihr. Das Gesicht vor Wut verzerrt. Braune Haare in der Faust. “Selber blöd. Das ist meins. Du hast es kaputt gemacht.” Chan stürzte ins Zimmer. Aëlans Mutter. Sie zog ihr Schwert. “Ein böses Wort, egal von wem, meine jungen Damen, und ihr werdet die breite Seite meiner Waffe zu spüren bekommen.” Sowohl Aëlan als auch Meren grinsten. Sie wussten beide, dass dies nicht mehr, als eine leere Drohung war. Niemals erhob Chan ihre Hand gegen ihre Tochter. Noch weniger würde sie es wagen, die Tochter des Handelsfürsten Cant Fuchspelz zu züchtigen. “Schlag mich doch, wenn du dich traust. Machst du ja doch nicht.”

Chan und Aëlan saßen wenig später nebeneinander an einem kleinen Bach, der neben dem Haus der Kriegerin vorbeiführte. Besser gesagt im Bach. Sie kühlten ihre roten Hinterteile, die unangenehme Bekanntschaft mit der flachen Seite eines gewissen Breitschwerts gemacht hatten.

Meren lächelte bei der Erinnerung. Nie wieder hatte Meren ein freches Wort gegenüber der Kriegerin geäußert. Zumindest nicht, nachdem sie ernsthafte Konsequenzen angedroht bekam.

Ihr Gesicht wurde ernst. Es hatte nicht mehr viele Gelegenheiten gegeben, die Mutter ihrer Freundin herauszufordern. Ein halbes Jahr später breitete sich Krieg über den Städtebund aus. Thororn und seine Sholo’Sa tyrannisierten das Land.

Meren und Aëlan saßen am Bach. Lachend erzählten sie sich die Geschichte, wie sie mit nacktem Hintern im Bach gesessen hatten. Sie kehrten nach Hause zurück. In das Haus der Schwertmeisterin. Chan hatte sie begrüßt. Ihr Körper glänzte schweißnass. Sie trug ein knappes schwarzes Oberteil und eine kurze orange Hose, die sich eng an ihre Hüften schmiegte. Das war ihre Kleidung für den Lamast, den Tanz der Klingen. Viele Schwertmeister waren der Ansicht, das sei unsinniger, ja unzüchtiger Zeitvertreib. Aëlans Mutter war anderer Ansicht. Sie übte täglich die sinnlichen Bewegungen des Tanzes, die sowohl die Geschmeidigkeit und Eleganz des Körpers betonen als auch Gefährlichkeit ausstrahlen sollten. Zu Ehren des Urdrachen Lamasti, dessen Elemente sich aus Kampf, Energie und Sinnlichkeit zusammensetzten. Lächelnd nahm sie die Blumen entgegen, die sie ihr mitgebracht hatten. “Das sind Hyazinthen. Die wachsen nur am Bach neben dem Haus”, hatte sie grinsend kommentiert. “Dort, wo zwei gewisse Mädchen einst ihr Mütchen kühlten — weniger ihr Mütchen, als vielmehr...” “Dürfen wir ein Stück Johannisbeerkuchen”, unterbrach Aëlan ihre Mutter, um das Thema zu wechseln. Wenig später saßen die Mädchen am Tisch. Drei Teller mit großen Kuchenstücken warteten einladend. Chan trat in das Esszimmer, eine dampfende Kanne mit Pfefferminztee in der Hand. Ihre Augen weiteten sich. Ein Knall. Die Porzellankanne zerplatzte am Boden. Heißer Tee verbrühte die nackten Füße der Kriegerin. Jobat, ihr Mann trat ein. Er war ein Schwertmeister, wie seine Frau. Er war selten zu Hause. Meist ritt er mit anderen Sei-Djin weiträumige Patrouillen um die Stadt.

Sein Wams war blutverschmiert. Er taumelte auf seine Frau zu. Chan. Nahm sie in die Arme. Seine Arme zitterten. Blut quoll aus vielen kleinen Wunden. Sie k üssten sich. Meren würde nie den entsetzten Ausdruck auf dem Gesicht der Mutter ihrer besten Freundin vergessen. Kreidebleich, mit zitternden Lippen, hielt sie ihren Mann, Aëlans Vater, der zu Boden sank. Unter seinen Füßen hatte sich eine große rote Lache gebildet. Das Blut floss aus seinem Unterbauch. Das Bein herab. Vermischte sich mit Pfefferminztee. Es duftete. Nach Metall und Minze. Aëlan war erstarrt. Tränen. Bäche von Tränen. Meren hatte Angst. Was sollte jetzt werden? “Vampire”, flüsterte der sterbende Kämpfer. Vater. Ehemann. “Die alten Geschichten sind wahr. Sie nehmen die Seele ihrer Opfer. Pass auf...”

Mit einem Seufzer hauchte Jobat sein Leben aus. Inmitten von Porzellanscherben in den Armen seiner Frau. Vor den Augen seiner Tochter.

Stimmen, wie verwelkendes Laub. Wei ße Leiber strömten durch den Hauseingang. Meren versteckte sich unter dem Tisch. Dicht an Aëlan gedrängt. Zitternd vor Angst. Chan, die Kriegerin, zog das Breitschwert ihres Mannes aus der Gürtelscheide. Sie trug immer noch die knappe Kleidung der Astirim - der Tänzer des Lamast. Sie ließ die Klinge in einem tödlichen Tanz wirbeln. Vier der unheimlichen blassen Gestalten, die später als Sholo’Sa bekannt wurden, bildeten einen Kreis um die Kriegerin. Chan hackte, stieß, wirbelte. Blasse Gliedmaßen flogen. Ein Unterarm samt Hand flog vor Merens Füße. Sie musste sich den Mund zu halten, um nicht aufzuschreien. Aëlan riss entsetzt die Augen auf. Ein spitzer Schrei entrang sich ihrer Kehle.

Einer der Sholo ’Sa fuhr herum. Chan hieb ihm den Kopf von den Schultern. Er sackte in sich zusammen. Nun schrie auch Meren.

Chan k ämpfte verbissen. Einer der Sholo’Sa wandte sich ab, um sich die Mädchen zu holen. Meren konnte sich nicht regen. Sie war starr vor Angst. Aëlan ging es nicht anders.

Chan st ürzte sich mit einem Schrei auf den Sholo’Sa und spießte ihn auf. Die Schwertspitze drang aus seinem Hals. Die breite Klinge trennte schließlich das Haupt vom Rumpf.

Meren schrie abermals.

Einer der Sholo ’Sa rammte der Kriegerin seinen Dolch in die Seite. Sie keuchte auf. Fuhr herum und köpfte ihn mit einem Hieb.

Der letzte der Seelenvampire versetzte ihr einen Sto ß in den Bauch. Er zog ein Kasanschwert heraus. Blutig. Triefend. Chan fiel auf die Knie.

A ëlan schrie. Schrie, bis sie keine Luft mehr in den Lungen hatte. Der bösartig grinsende Sholo’Sa ließ sich auf alle Viere herab und kroch auf Meren und Aëlan zu. Die Augen gierig. Eine gespaltene Zunge fuhr aus seinem Maul. Er zischte. “Jetzt sind eure Seelen mein.” Meren kroch fort. Weg von dem Scheusal. Aëlan saß reglos da. Große Augen. Sie zitterte. Die sterbende Chan drückte Meren, die an ihr vorbeikriechen wollte, etwas in die Hand. Es war ein Dolch. Der Dolch den einer der Sholo’Sa geführt hatte. Sie sah in Merens Augen. Flehend. Meren nahm sich zusammen. Sie nickte. Sie durfte ihre Freundin nicht im Stich lassen. Sie war es Chan schuldig. Obwohl sie ihr übel den Hintern versohlt hatte. Das war in einem anderen Leben. Es zählte nicht.

Mit einem Aufschrei warf sich Meren, die nie zuvor eine Klinge anger ührt hatte, auf das blassgesichtige Scheusal, das die linke Hand erhoben hatte, als wollte es Aëlan eine Backpfeife verpassen. Ein Stachel ragte aus der Handfläche. Zielte auf den Hals des Mädchens. Sein Kopf ruckte herum. Er hielt Meren nicht für eine ernstzunehmende Bedrohung. Diese Fehleinschätzung beendete sein untotes Leben. Meren stieß mit aller Kraft zu. Der Dolch drang in seinen Nacken. Der Sholo'Sa brach zusammen. Er regte sich nicht mehr. Meren zog die zitternde Aëlan unter dem Tisch hervor. Beide Mädchen krochen zu Chan, die sterbend auf dem Rücken lag. Neben ihrem toten Mann. Inmitten weißer Scherben. Es roch nach Pfefferminz und Blut. Die Füße der Kriegerin blutige Fetzen. Die Sohlen zerschnitten von den Scherben der Teekanne.

Ohne die Sholo'Sa w ürde Chan jetzt lächelnd neben ihnen sitzen. Die Teller wären rot verschmiert vom Johannisbeerkuchen, der ihre Bäuche füllte. Nicht der Bauch Chans wäre es, der rot verschmiert war. Leer. Ohne Johannisbeerkuchen. Chan schloss die Arme um ihre Tochter, die quer über ihrer Brust lag. Das Gesicht der Kriegerin war weiß. Blutleer. Fast wie die Fratzen der Sholo'Sa. “Du musst tapfer sein, Aëlan. Geh mit Meren. Ihr Vater wird für dich sorgen. Schau nicht zurück.” Chan nahm noch einmal alle Kraft zusammen. “Denke an die guten Stunden. Und jetzt geht. Rasch.” Aëlan warf einen Blick auf ihren toten Vater. Dann sah sie in das Gesicht ihrer Mutter. Ihr tränennasses Gesicht war trotzig. “Ich bleibe bei dir.” Chan seufzte. “Ich bin dir so dankbar.” Die sterbende Kriegerin weinte. “Ich bin so stolz auf dich.” Aëlan wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

Diesen Moment w ürde Meren nie wieder vergessen. Die kleine zarte Aëlan hielt ihre Mutter in den Armen, dicht über sie gebeugt und tröstete sie. “Ich werde dich immer lieben.” Die Kriegerin begann zu zucken. Krämpfe schüttelten ihren Körper. Ihr Atem ging stoßweise. Alle wussten, was dies bedeutete. Aëlan sah ihrer Mutter fest in die Augen. Meren war stumme Zeugin. “Ich schwöre dir, Mutter, die erste Tochter, der ich das Leben schenke, wirst du sein. Deine Seele wird zu mir zurückkehren. Meine Erstgeborene wird Chan heißen.”

Mit einem tiefen Seufzer ging A ëlans Mutter zu Borin. Sie konnte voller Stolz vor den Urdrachen des Lebens treten und auf ihre Wiedergeburt warten.

Gemeinsam machten sich die M ädchen auf den Weg zu Merens Vater, nachdem Aëlan die Augen ihrer Eltern geschlossen hatte. Seit diesem Tag war ihre Freundin nicht mehr dieselbe. Sie war stolzer. Zielstrebiger. Viel erwachsener als Meren. Von diesem Tag an, hatte Meren immer zu Aëlan aufgeschaut.

Ihre Freundschaft war mehr als das. A ëlan und Meren waren unzertrennlich. Meren hatte Aëlan das Leben gerettet. Chan hatte beiden Mädchen das Leben gerettet. Meren wollte Aëlan helfen, ihren Schwur zu erfüllen. Ihre Freundin sollte eine Tochter bekommen. Chan.


Meren löste sich von der Brüstung. Sie überquerte den Rasen des Anwesens und öffnete das kleine Tor, das den Weg zur Steintreppe freigab. Sie schritt die Stufen zum Strand hinab. Dort unten fühlte sie sich Aëlan nahe. Unzählige Male hatten sie als Kinder und in ihrer Jugend dort unten gesessen und aufs Meer geschaut. Aëlan mit traurigem Blick. Schulter an Schulter mit ihrer besten Freundin. Meren.

Aetheris Band 1-3

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