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Erster Band
V
Erste und letzte Liebe des Chevalier de la Graverie

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Als Mathilde fünfzehn und Dieudonné siebzehn Jahre alt war, schien die bisherige Zärtlichkeit einer seltsamen Kälte Platz zu machen. Der junge Chevalier brachte kein Vergissmeinnicht mehr aus dem Garten und nach beendeter Menuett küsste er die Hand Mathildens nicht mehr, sondern beurlaubte sich mit einer leichten Verbeugung. Es wurden sogar die einsamen Gartenpromenaden eingestellt.

Ein aufmerksamer Beobachter würde freilich bemerkt haben, dass Mathilde oft einen welken Blumenstrauß zärtlich an die Lippen drückte und dann schnell wieder in ihr Korsett steckte; dass sie errötete, wenn sie ihrem himmelblauen Schäfer in der Menuett die Hand reichte, und dass Beide wie von einem elektrischen Fluidum durchzuckt schienen. Derselbe Beobachter würde bemerkt haben, dass sie zwar in verschiedenen Richtungen durch den Garten gingen, aber nach einer Weile an einem kleinen plätschernden Wasserfalle zusammentrafen.

An dem Tage, wo Dieudonné sein achtzehntes Jahr vollendete, erschien er in dem Zimmer seiner Tante, machte die drei Verbeugungen, die er einstudiert hatte für den Fall, dass er der Großherzogin Stephanie von Baden oder der Königin Louise von Preußen vorgestellt würde, und fragte mit wohlgesetzten Worten, wann er mit Mathilde von Florsheim den Ehebund schließen könne.

Die Stiftsdame wurde durch diese Frage in ungeheure Heiterkeit versetzt, welche sich am Ende in einen bedenklichen Keuchhusten auflöste. Während sie lachte und hustete, erwartete Dieudonné in der dritten Menuettposition die Antwort. Als endlich der Paroxysmus glücklich überstanden war, sagte sie, mit der Heirat habe es gar keine Eile, die jungen Leute könnten noch mindestens vier bis fünf Jahre warten, und wenn es Zeit sei, an eine Vermählung zu denken, würde sich der Bräutigam vielleicht eines Andern besonnen haben.

Dieudonné gab als wohlerzogener Neffe keine Antwort und entfernte sich mit einer tiefen Verbeugung. Abends ereignete sich nichts Außerordentliches; als aber das Kammermädchen der Tante am andern Morgen in das Zimmer des jungen Chevalier trat, um ihm den Kaffee zu bringen, war das Zimmer leer und das Bett unberührt.

Die Zofe eilte ganz erschrocken zu ihrer Gebieterin, um die unglaubliche Nachricht zu melden.

Als sie der Stiftsdame zum dritten Male beteuerte, dass der Chevalier de la Graverie nicht in seinem Bett geschlafen habe, erschien das Fräulein von Florsheim bleich und zitternd und erzählt?, dass Mathilde in der Nacht verschwunden sei.

Die beiden unberührten Betten lieferten einen eben so klaren Beweis gegen die beiden jungen Leute, als ob man ihre Köpfe auf einem und demselben Kissen gesehen hätte.

Die Kunde von dieser Doppelflucht verbreitete sich wie ein Lauffeuer und setzte die ganze Genossenschaft in Bestürzung. Am peinlichsten wurden natürlich die beiden Tanten berührt: sie weinten und beteten. Die übrigen Stiftsdamen spien Feuer und Flamme, ohne zu bedenken, dass die Stunde der Ernte gekommen war und dass sie ernteten was sie gesät hatten.

Endlich meinte eine von ihnen, Tränen und Geschrei könnten nichts nützen, man müsse die Flüchtlinge so schnell als möglich verfolgen.

Dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Die Flüchtlinge waren zu unerfahren, als dass sie vielen Scharfsinn aufgeboten hätten, um ihre Spur zu verbergen. Die eilends ausgesandten Verfolger brachten wirklich schon am folgenden Tage die beiden verwirrten Schäflein zurück.

Aber dies war keine befriedigende Entwickelung und das Fräulein von Florsheim verlangte die Ausfüllung der Bresche, welche der Ehre ihres Hauses in der Person ihrer Nichte geschlagen worden war. Aber Mademoiselle de Beauterne weigerte sich unbedingt. Sie war in Frankreich noch sehr begütert und es genügte ihr keineswegs, dass der Erbe dieses Reichtums mit einer der berühmtesten bairischen Adelsfamilien verbunden wurde, sondern sie verlangte auch eine Mitgift, welche dieser Ehe einen solideren Wert verleihe. Da die Familie Florsheim diese Zumutung aus sehr triftigen Gründen zurückwies, so verlangte die alte Dame, dass die Sache im status quo bleibe und der Romanstreich mit dem Mantel der Liebe zugedeckt werde. Sie versichert, es sei nur eine Kinderei, zu welcher das Fräulein von Florsheim samt den übrigen Stiftsdamen die Veranlassung gegeben habe; Dieudonné sei zu fromm, zu wohlerzogen und insbesondere zu jung, als dass der kleine Abstecher, den er mit seinem Liebchen nach München gemacht, unangenehme Folgen haben könne.

Aber nach einigen Monaten sah Mademoiselle de Beauterne wohl ein, dass sie zu viel verbürgt hatte, als sie ihren Neffen als einen harmlosen blöden Schäfer hinstellt?. Die Sache nahm eine so bedenkliche Wendung, dass ihr Beichtvater auf dringendes Ersuchen des Fräuleins von Florsheim einschritt.

Durch die Vorstellungen des würdigen Mannes endlich überzeugt, gab Mademoiselle de Beauterne scheinbar bloß den Bitten und Tränen der jungen Leute nach, um sich neue Ansprüche auf den Dank derselben zu erwerben, und zur größten Freude der Stiftsdamen erhielt diese Liebe, welche sie als ihr Werk betrachteten, die Weihe der Kirche.

Die jungen Leute bezogen ein kleines Landhaus in der Nähe, und unter dem Patronat der Stiftsdamen, welche das Pärchen mit neugierigen, neidischen Argusaugen bewachten, schien der Honigmonat ewig zu dauern.

Der Tod des Fräuleins von Beauterne war die erste Wolke welche über ihr Glück dahinzog. Die gute Dame hinterließ ihrem Neffen ungefähr dreißigtausend Livres Renten, und wir müssen es ihm rühmend nachsagen, dass er sich weder durch dieses anständige Vermögen, noch durch die unaufhörliche Konjugation des Zeitwortes lieben abhalten ließ, das Andenken seiner zweiten Mutter durch aufrichtige Thränen zu ehren.

Dieudonné hatte das zwanzigste Jahr überschritten, ohne die Sanftmut, und Naivität seiner Kindheit verloren zu haben. Er umfasste noch immer die ganze Welt mit seinem Wohlwollen und Mitleid, welches freilich mit einer gewissen trüben, wehmütigen Stimmung gemischt war; vermutlich die Folge der Ereignisse, welche vor seiner Geburt stattgefunden hatten.

Er bot den sonderbaren Anblick eines Menschen, der weder Neigungen noch Wünsche hatte. Aus dem Katechismus hatte er die Leidenschaften dem Namen nach kennen gelernt, aber nach beendeten Schuljahren hatte er ihn vergessen. Er lebte ganz für Mathilde und fügte sich willig ihren Launen. Sie war etwas lebhafter als er, und trug gewiss den größeren Teil der Schuld an der Flucht. Die Launen der jungen Frau bewirkten indes nicht die mindeste Veränderung in dem ruhigen, harmlosen Leben, welches des goldenen Zeitalters würdig gewesen wäre; denn alle ihre Wünsche, die sich m dem engen Rahmen der Häuslichkeit bewegten, wurden ja immer erfüllt, sobald sie ausgesprochen waren.

Der Chevalier de la Graverie warf nie einen neugierigen Blick über die Mauer, welche sein irdisches Paradies umgab. Er fürchtete sich, ohne zu wissen warum, vor dem Leben und Treiben der Menschen; das Geräusch der Welt berührte ihn unangenehm, und um es nicht zu hören, hielt er sich am Tage die Ohren zu, zog er in der Nacht die Bettdecke über den Kopf.

Er kam daher ganz aus der Fassung, als er, durch den Tod seiner Tante noch erschüttert, einen Brief aus Paris von dem Baron de la Graverie erhielt.

Dieudonné hatte von diesem älteren Bruder nur bei Gelegenheit seiner Vermählung und durch Vermittlung seiner Tante gehört.

Wir haben gesagt, dass er sich die Ohren zuhielt, um das Weltgetümmel nicht zu hören. So war es gekommen, dass er das Getöse, mit welchem der Thron des großen Napoleon zum ersten Male umstürzte, kaum vernommen hatte; der zweite Sturz des Kaisers war ihm ganz unbekannt geblieben. Die französische Armee hatte sich durch ganz Deutschland zurückgezogen, die Heere Preußens, Österreichs und Russlands waren ihr nachgeeilt, der Menschenstrom hatte sich weit und breit ergossen, aber in seiner Einsamkeit hatte der Chevalier das Brausen der Wogen nicht gehört.

Der Baron de la Graverie meldete nun seinem jüngeren Bruder Alles was dieser nicht wusste, insbesondere, dass die Restauration die Fürsten des Hauses Bourbon nach Frankreich zurückgeführt habe, und forderte ihn auf, der Pflicht seines Standes gemäß nach Paris zu kommen und seinen Platz in der Nähe des Thrones einzunehmen.

Es versteht sich, dass sich Dieudonné anfangs entschieden weigerte, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Er verwünschte Ludwig XI., nicht wegen der Hinrichtung des Herzogs von Nemours, nicht wegen der Ermordung des Grafen von Armagnac, nicht wegen der Treulosigkeit gegen seinen Vater, den unglücklichen Carl VII., sondern wegen der Erfindung der Post.

Wir wissen, dass Dieudonné ziemlich schlecht in der Wissenschaft bewandert war; er verwechselte die Fahrpost mit der Briefpost, aber im Grunde stammen beide aus der Zeit Ludwigs XI., die eine war die Folge der andern.

Er war so betroffen, dass er, als seine Gattin in die Tür trat, noch mit aufgehobenen Händen stand und seufzte: »Warum bin ich nicht auf Robinson Crusoes Insel geboren!«

Mathilde sah wohl ein. dass ihrem Gatten etwas sehr Trauriges begegnet sein müsse und sah ihn mit großer Besorgnis an.

Dieudonné reichte ihr den Brief etwa mit derselben Gebärde, mit welcher Talma, in der Rolle des Manlius, dem Servilius das Schreiben, welches den Verrat des Letzteren enthüllte, überreicht haben mag.

Sie las den Brief und schien den Schmerz ihres Gatten keineswegs zu teilen: die Reise nach Paris und der Aufenthalt in der Hauptstadt der Mode und Eleganz, von welcher die alten adeligen Klatschschwestern so viel in ihrer Gegenwart geplaudert, hatte durchaus nichts Abschreckendes für sie. Die Stiftsdamen, welche freilich nur den französischen Hof vor 1789 kannten, hatten sowohl diesen wie alle andern Höfe als die reizendsten Aufenthalte geschildert, und Mathildens angeborene Koketterie weckte in ihr den Wunsch zu glänzen. Sie wusste ihrem Gatten durch viele triftige Gründe zu beweisen, dass er den Weisungen des Familienhauptes Folge leisten müsse, und er ließ es sich leicht einreden, da er gewohnt war, alle ihre Aussprüche wie Orakel zu verehren.

Das junge Paar entschloss sich also, das hübsche, freundliche einsame Nest zu verlassen, und reiste im Juli 1814 nach Frankreich ab.

Schon auf der ersten Poststation begannen die Drangsale des Chevalier de la Graverie. Mathilde, die sich des Anblicks neuer Gegenstände freute und im Geiste mit den Pariser Herrlichkeiten beschäftigte, stimmte nun nicht mehr ein in das elegisch-zärtliche Duett, welches Dieudonné vom Morgen bis zum Abend sang.

Dieudonné’s bemerkte es bald, und sein erregbares Gemüt wurde schmerzlich dadurch berührt.

Er kam also in trüber Stimmung nach Paris, und nachdem er die Adresse seines Bruders, dessen Brief ihn seiner Ruhe so schonungslos entrissen, aufgesucht und gefunden hatte, begab er sich zu dem Baron, der als Aristokrat vom reinsten Wasser natürlich in der Vorstadt Saint-Germain wohnte.

Der Baron de la Graverie war beinahe neunzehn Jahre älter als sein Bruder; er war mitten im Monarchenthum, im Jahre des Regierungsantrittes Ludwigs XVI. geboren. Im Jahre 1784 hatte er die Adelsprobe von 1399 abgelegt und war Page geworden. Nach der Erstürmung der Bastille im Jahre 1789 war er mit seinem Oheim ins Ausland gegangen. Er hatte daher seinen Bruder nie gesehen und bei diesem Mangel an persönlicher Bekanntschaft war auch keine innige Zuneigung zu erwarten.

Zu dieser Gleichgültigkeit kam der Neid über die glücklichen Vermögensverhältnisse des Chevalier; denn der Baron de la Graverie war, wie sich später zeigen wird, keineswegs frei von Charakterschwächen. Er, der ruinierte, mit Sorgen kämpfende Royalist, konnte es seinem jüngeren Bruder nicht verzeihen, dass er das ganze Vermögen der Tante geerbt hatte; ein Vermögen, auf welches er als der ältere Bruder nähere Ansprüche zu haben glaube.

Wie hatte der Chevalier dieses Vermögen erworben? Dadurch, dass er einer Gesellschaft alter Stiftsdamen den Hof gemacht hatte!

Wenn der jüngere Bruder, wie es seine Schuldigkeit war, Malteserritter geworden wäre, so würde ihm der Baron diese Erbschleicherei – wie er es nannte – vielleicht verziehen haben. Aber Dieudonné hatte sich vermählt, und der Baron fand ganz unbegreiflich, dass ein jüngerer Sohn. d. i. ein ganz neutrales, unberechtigtes Wesen, die unerhörte Kühnheit haben könne, eine Frau zu nehmen; denn er entzog dadurch den möglicherweise zu erwartenden Söhnen des altern Bruders ein Vermögen, welches, nachdem es dem Vater entzogen worden, wenigstens den Kindern hätte zufallen können.

Der Baron machte den Chevalier daher schon bei der ersten Unterredung mit seinen Ansichten über diesen Punkt bekannt und setzte mit staunenswerter Dreistigkeit hinzu, er hoffe, der Himmel, welcher der jungen Frau schon einmal die Mutterfreuden versagt, werde den Ehegatten auch ferner keine Nachkommenschaft schenken, damit die ältere Linie in Besitz des ihr gebührenden Nachlasses der Stiftsdame komme.

Diese Worte erbitterten Mathilde, die ihren Gemahl zu dem Baron begleitet hatte, und erpressten dem armen Dieudonné einige heiße Tränen. Er fühlte, dass er gewiss ein zärtlicher Vater werden würde, und beweinte die von dem Baron prophezeite Vereitelung seiner Vaterhoffnungen. Er sah abwechselnd seine Gemahlin und seinen Bruder an und schien diesen zu fragen, wie er ihm seine Vermutung mit der hübschen, liebenswürdigen, zärtlichen Mathilde zum Vorwurf machen könne. Waren denn die von seiner Liebe verdoppelten, verdreifachten Reize der jungen Frau keine genügende Rechtfertigung? Oder hatte der Baron, wie Alcest, dem schönen Geschlecht ewigen Hass geschworen?

Allein bei reifer Überlegung bedachte er doch, dass er in Frankreich geblieben war und weder die Strapazen des Krieges noch die Drangsale der Auswanderung kennen gelernt hatte; er war reich, sein Bruder hingegen hatte aus der Fremde nur seinen Degen und seine Epauletten zurückgebracht. Er schwankte einen Augenblick und fragte sich, ob er durch die Annahme des Vermächtnisses der Tante Beauterne seinem Bruder nicht Unrecht getan habe.

Ohne die Sache weiter in Erwägung zu ziehen und ohne die Winke Mathildens zu beachten, entschuldigte er sich wegen eines Versehens, dessen Folgen er erst jetzt einsehe, bot dem Baron die Hälfte des von der Stiftsdame hinterlassenen Vermögens an und erbot sich, die Schenkungsurkunde noch denselben Tag zu unterzeichnen.

Der Baron willigte ein, ohne sich lange bitten zu lassen.

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