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Erster Band
IX
Ein gebrochenes Herz

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Vor der Haustür entstand fast ein Handgemenge zwischen dem Chevalier und seinem Freunde.

Der Chevalier wollte links gehen und der Kapitän wollte sich in der entgegengesetzten Richtung mit ihm entfernen. Dieudonné wollte durchaus nach Hause gehen, Mathilde mit Vorwürfen überhäufen und ihr für immer Lebewohl sagen; Dumesnil hingegen hatte im Interesse seines Freundes und in seinem eigenen triftige Gründe, diese Unterredung zu verhüten. Er bot daher seine Beredsamkeit auf, um Dieudonné von der Unstatthaftigkeit seines Vorhabens zu überzeugen; mit großer Mühe gelang es ihm endlich, den Chevalier de la Graverie mitzunehmen und in seine bescheidene Wohnung einzuquartieren.

Sobald der Kapitän die nötigen Vorkehrungen zur Beherbergung seines Freundes getroffen hatte, zog er seine Uniform aus und legte einen schwarzen Anzug an, um auszugehen.

Der Chevalier war so tief ergriffen, dass er die Absicht seines Freundes nicht merkte, bis dieser die Tür öffnete.

Er streckte die Hände nach ihm aus wie ein Kind.

»Dumesnil,« sagte er, »Du willst mich alleinlassen?«

»Armer Freund,« erwiderte der Kapitän, »hast Du denn schon vergessen, dass Du den Räuber deiner Ehre, deines Glückes zur Rechenschaft zu ziehen hast?«

»Ja, ich gestehe es, Dumesnil, ich hatte es vergessen; ich dachte an Mathilde,«

Der arme Dieudonné brach wieder in Tränen aus.

»Weine nur, Freund!« sagte der Kapitän. »Der liebe Gott, der Alles wohlgetan, hat die Herzen harmloser schwacher Wesen mit Ventilen versehen, um einen Schmerz auszulassen, der sie sonst tödten würde. Laß nur deinen Tränen freien Lauf, ich will Dir’s nicht widerraten.«

»So geh, lieber Dumesnil,« sagte der Chevalier; »ich danke Dir, dass Du mich an meine Pflicht erinnert hast. – Ich habe nur noch Eine Bitte.«

»Sprich, was wünschest Du?»

»Ziehe die Sache nicht in die Länge; ich wünsche morgen Früh —«

»Sei nur ruhig, lieber Freund,« sagte der Kapitän und drückte den Chevalier an sein Herz; »ich hoffe sogar, dass die Sache schon diesen Abend abgetan wird.«

Der Chevalier blieb allein.

Hier machen wir eine Pause, um unsere Leser um Verzeihung zu bitten.

Wir sagten im Anfange, dieses Buch sei kein gewöhnlicher Roman. Wir geben nun den Beweis: alle Helden von Romanen sind schön, groß, von tadellosem Wuchs, mutig, klug, geistreich; sie haben schönes schwarzes oder blondes Haar, große schwarze oder blaue Augen; sie sind so reizbar, dass sie bei der geringsten Beleidigung zum Degen oder Pistol greifen; sie sind fest in ihren Entschließungen, furchtbar im Hass, feurig in der Liebe.

Unser Held besitzt keine dieser anziehenden Eigenschaften; er ist eher hässlich als schön, mehr klein als groß, mehr beleibt als schlank; er hat keinen Mut und höchstens einen gewöhnlichen hausbackenen Verstand. Er hat weder schwarzes noch blondes, sondern semmelfarbenes Haar, weder schwarze noch blaue, sondern grüne Augen.

Die ihm widerfahrene Beleidigung ist groß, aber trotzdem will er sich, wie er selbst sagt, nur schlagen, um der Weltsitte zu genügen.

Endlich ist er wankelmütig und statt die Treulose zu hassen, liebt er sie noch.

Es wollte uns schon lange bedenken, dass man dem harmlosen Wesen der Schöpfung das Recht abspricht, zu lieben und zu dulden; wir halten es nicht für notwendig, schön wie Adonis und tapfer wie Roland zu sein, um Anspruch zu haben auf die höchsten Freuden und die tiefsten Schmerzen der Liebe.

Während wir einem Phantasiegebilde Leben und Gestalt zu geben suchten, führte uns der Zufall mit dem Chevalier de la Graverie zusammen. Wir hatten unsern Mann gefunden.

Er war ein Beispiel, dass man, ohne physisch und moralisch der Held eines Sagenkreises zu sein, alle Leiden erdulden kann, die in den wenigen Worten liegen: Er liebte und wurde betrogen!

Als Dieudonné allein war, nahm er nicht die Haltung Anthonys oder Werther’s an, er überließ sich ganz zwanglos seinem Schmerz.

Er ging im Zimmer auf und ab; er nannte Mathilde nicht undankbar, treulos, grausam, er gab ihr die gewohnten zärtlichen Namen, als ob sie ihn hätte hören können; er Sann sogar nach, ob er ihr nicht Anlass zur Unzufriedenheit gegeben, wodurch ihr Verrat entschuldigt werden könnte.

Wir gestehen, dass wir einem solchen Schmerz unsere aufrichtige Teilnahme widmen: diese fast kindische Schwäche ist in der Tat des tiefsten Mitleids würdig; denn man ahnt, dass sie bei Andern keinen Trost suchen wird, da sie ihn nicht selbst in sich findet; sie kann nur klagen, denn es fehlt ihr der starke, unerschütterliche Glaube, und sie sagt: Mein Gott! was habe ich denn getan, um so viel zu leiden; erbarme Dich meiner!

Der Unglückliche, der so schmählich verraten worden war, hatte nur Einen Gedanken: Mathilde wieder zu sehen – nur ein einziges Mal, wie er wenigstens glaubte – sein Herz vor ihr auszuschütten, sie mit Vorwürfen zu überhäufen.

Wer weiß, vielleicht würde sie sich rechtfertigen?

Nach tausend Zweifeln, nach langem Besinnen schien er auf einmal einen Entschluss zu fassen.

Er ging an die Tür; aber er fand sie von außen verschlossen. Sein Freund hatte ihn eingesperrt.

Er eilte ans Fenster. Die Wohnung Dumesnil’s war im zweiten Stocke; unten war ein gepflasterter Hof. Ein Sprung von solcher Höhe war nicht zu wagen.

Dieudonné machte das Fenster wieder zu und verwünschte seinen Freund. Gut hat ihm wohl, dass er sich mit »etwas Anderem beschäftigen konnte, um weniger an Mathilde zu denken.

Plötzlich fiel ihm ein, dass er den Hausmeister aus dem Fenster rufen und mit einem Hausschlüssel, der sich vermutlich im Hause befand, die Tür öffnen lassen könne.

Er öffnete das Fenster und rief.

Der Hof blieb leer.

Je größer die Schwierigkeiten wurden, desto mehr sehnte er sich nach Mathilden.

»Ja! ja! ich muss sie wiedersehen! – Mathilde, teure Mathilde!«

Er rang die Hände und wälzte sich auf dem Teppich.

Plötzlich sprang er auf und sah sich im Zimmer um.

Sein Blick fiel auf das Bett, das er gesucht hatte.

Er stürzte darauf los, wie der Tiger auf seine Beute. Zog die Leintücher heraus, zerriss sie in Streifen und begann dieselben zusammenzuknüpfen.

Dieudonné, der als zehnjähriger Knabe seine Tante gerufen hatte, um sich von einer Treppe hinunterführen zu lassen, der zu Pferde den Schwindel bekam, fasste ohne Zögern den Entschluss, sich an den zusammengeknüpften Betttüchern von einem Fenster des zweiten Stockes hinabzulassen.

Sobald er seine Vorkehrungen getroffen hatte, eilte er ans Fenster.

Es war inzwischen Abend geworden, die Dämmerung war eingebrochen.

Er knüpfte das improvisierte Seil mit einem Ende an das Fensterkreuz und schaute in den Hof hinunter. Der Schwindel befiel ihn und er trat rasch Zu zurück.

»Ich bekomme den Schwindel, weil ich hinunterschaue, sagte er; »wenn ich nicht hinunterschaue, werde ich ihn nicht bekommen.«

Er schloss die Augen, stieg auf die Fensterbrüstung, fasste mit beiden Händen das Seil und begann sich hinabzulassen.

Als er die Höhe des ersten Stockes erreicht hatte, hörte der Chevalier ein Krachen über seinem Kopfe, dann fiel er fünfzehn Fuß hoch hinunter auf das Steinpflaster.

Das Seil war gerissen, oder ein schlecht geknüpfter Knoten hatte sich aufgelöst.

Im ersten Augenblicke freute sich der Chevalier, dass er den Erdboden erreicht hatte. Er hatte nur eine heftige Erschütterung im ganzen Körper, aber keinen Schmerz gefühlt.

Er wollte aufstehen, fiel aber wieder zu Boden. Der linke Fuß konnte ihn nicht tragen; die Beinröhre war über dem Knöchel gebrochen.

Dieudonné machte gleichwohl einen Versuch zu gehen; aber nun fühlte er so große Schmerzen, dass er laut aufschrie.

Dann schienen sich alle Gegenstände im Kreise um ihn zu drehen. Er griff nach der Wand, um sich daran zu halten – die Wand drehte sich, wie der ganze Hof.

Er fühlte, dass ihm die Besinnung schwand. Noch einmal sprach er den Namen Mathilde: es war der letzte Lichtblick seines Bewusstseins. Er fiel in Ohnmacht.

Er glaubte eine herbeieilende weibliche Gestalt zu sehen. Es schien Mathilde zu sein.

Aber sein Blick war schon umflort, er konnte nichts mehr deutlich unterscheiden. Er streckte die Arme nach dem geliebten Bilde aus,ohne zu wissen, ob es Traum oder Wirklichkeit war.

Es war wirklich Mathilde, die von den Ereignissen des Tages gar nichts wusste, und nachdem sie die Rückkehr Dieudonné vergebens erwartet, die Dämmerung benutzt hatte, um sich zuerst zu Herrn von Pontfarcy zu begeben. Dieser war nicht zu Hause. Dann war sie zu Dumesnil geeilt. Sie ging eben über den Hof, um die zu der bescheidenen Wohnung des Kapitäns führende Hintertreppe zu erreichen, als sie einen lauten Schrei hörte und einen Mann sah, welcher wankte, als ob er betrunken wäre, und endlich, Mathildens Namen rufend, zu Boden sank.

Nun erst erkannte sie den Chevalier. Sie eilte auf ihn zu, fasste seine Hände und rief ihn.

»Dieudonné! Lieber Dieudonné!« Diese Stimme, die ihn aus dem Todesschlaf geweckt haben würde, entriss ihn seiner Ohnmacht. Er schlug die Augen auf, und eine unaussprechliche Freude verklärte sein Gesicht.

Er wollte sprechen, aber er vermochte es nicht, seine Augen schlossen sich wieder, und Mathilde hörte nur einen langen tiefen Seufzer.

In diesem Augenblicke erschien der Kapitän Dumesnil. Er sah den ohnmächtigen Chevalier, Mathilde in Tränen, ein vom Fenster herabhängendes Ende des zerrissenen Betttuchs.

Es ward ihm Alles klar.

»Ach! Madame,« sagte er, »es fehlte nur noch, dass Sie auch seinen Tod verschulden!«

»Wie! auch seinen Tod?« fragte Mathilde. «Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will damit sagen, dass sie dann zwei Menschenleben auf dem Gewissen haben.«

Der Kapitän warf zwei Degen auf das Steinpflaster. Dann hob er Dieudonné auf und trug ihn in seine Wohnung.

Mathilde folgte ihm schluchzend. Obgleich ohnmächtig, hatte Dieudonné ein dunkles Bewusstsein dessen was vorging.

Er glaubte das Zimmer seines Freundes zu erkennen. Man legte ihn auf das Bett; er hörte die ernste voll tönende Stimme Dumesnil’s,die sanfte einschmeichelnde Stimme Mathildens.

Sie nannte den Kapitän »Charles.« Der Verwundete glaubte nun in seinem Fiebertraum Zeuge eines seltsamen Auftrittes zu sein. Aus Allem was er hörte oder zu hören glaubte, wurde er auch von dem Kapitän betrogen; aber dieser verwünschte die Sirene, welche die Ursache eines jetzt bitter von ihm bereuten Vergehens war, und erklärte ihr, dass er dem Betrogenen sein ganzes Leben widmen wolle, um das an ihm begangene Unrecht zu sühnen. Mathilde , die vor dem Bett kniete, hielt seine Hände gefasst und bedeckte sie mit Küssen und Tränen; sie bat bald Dumesnil, bald ihn um Verzeihung, und gab das feierliche Versprechen, ihr Vergehen durch ein makelloses bußfertiges Leben zu sühnen.

Bald verloren sich die summenden Stimmen in heftigem Ohren brausen, und der Chevalier de la Graverie wurde völlig bewusstlos.

Als er wieder zur Besinnung kam, fühlte er den gebrochenen Fuß in Schienen eingezwängt und befand sich wieder in dem Zimmer des Kapitäns. Bei dem Schimmer der auf dem Nachttische brennenden Lampe sah er den Letzteren vor dem Bett sitzen.

»Mathilde!« sagte er, nachdem er sich im Zimmer umgesehen hatte. »Wo ist Mathilde?«

Der Kapitän sprang betroffen auf.

»Mathilde!« stammelte er; »wozu diese Frage?«

»Wo ist sie? sie war so eben hier.«

Hätte Dieudonné in diesem Augenblicke das ehrliche Gesicht seines Freundes betrachtet, so hätte er glauben können, Dumesnil werde ebenfalls in Ohnmacht fallen, so blass war er.

»Lieber Freund,« antwortete der Kapitän, »Du phantasierst, deine Frau ist gar nicht hier gewesen.«

Der Chevalier sah Dumesnil mit fieberhaft glühenden Augen an.

»Und ich sage Dir,« erwiderte er, »dass sie hier vor dem Bett kniete und mir die Hände küsste.

Der Kapitän nahm alle seine Fassung zusammen, um zu lügen.

»Du bist von Sinnen,« sagte er. »Madame de la Graverie ist gewiss zu Hause; sie weiß nicht was vorgegangen ist, und hat daher auch keinen Grund, hierher zu kommen.«

Der Chevalier sank tief seufzend auf das Kissen zurück.

»Ich hätte geschworen,« sagte er, »dass sie vor einer kleinen Weile hier war, dass sie schluchzend ihre Schuld bekannte, dass sie Dich —«

Ein Gedanke, vernichtend wie ein Blitzstrahl, durchzuckte den Unglücklichen.

Er richtete sich mit fast drohender Gebärde auf.

»Wie heißest Du?« fragte er seinen Freund.

»Du weißt es ja – Du müsstest denn wieder Phantasien. Ich heiße Dumesnil.«

»Aber der Taufname?«

Der Kapitän verstand die Absicht dieser Frage.

»Louis,« sagte er; »erinnerst Du Dich nicht?«

»Ja, es ist wahr,« sagte Dieudonné.

Es war wirklich der einzige Vorname, unter welchem er den Kapitän gekannt hatte, dieser hieß Charles Louis Dumesnil.

Dann fiel ihm ein, dass Mathilde in ihrer Besorgnis sich wenigstens erkundigen müsse.

»Aber wenn sie nicht hier ist,« sagte er, »wo ist sie denn?«

Dann setzte er so leise hinzu, dass ihn Dumesnil kaum verstehen konnte:

»Wahrscheinlich bei Pontfarcy!« – O, Du weißt, Dumesnil, dass er oder ich fallen muss.«

»Du wirst nicht fallen, und noch weniger wird er von deiner Hand fallen,« antwortete der Kapitän halblaut.

»Warum nicht?«

»Weil er tot ist.«

»Todt? wie ist er denn zu Tode gekommen?«

»Durch eine Quart, die ihm in die Brust gedrungen ist.«

»Wer hat ihn denn erstochen?«

»Ich, wer sonst?«

»Du, Dumesnil? Mit welchem Rechte?«

»Ich hielt mich für berechtigt, ja für verpflichtet, zu verhüten, dass Du einem sichern Tode entgegengingst. Dein Bruder wird vielleicht Trauer anlegen, weil Du lebst; aber er mag schwarz gehen, so lange es ihm beliebt.«

»Und Du hast ihn gefordert? Du hast ihm gesagt, dass Du Dich für mich schlägst, weil Mathilde mich betrogen hat?«

»sei nur ruhig, ich habe mich mit Pontfarcy geschlagen, weil er seinen Absinth ohne Wasser trank; ich kann die Leute, die diese abscheuliche ^Gewohnheit haben, nicht aus stehen!«

Der Chevalier schlang beide Arme um den Hals seines Freundes und drückte ihn zärtlich an sein Herz.

»Ich habe geträumt!« sagte er.

Aber der Kapitän, dessen Reue wieder erwachte, entwand sich den Armen des Patienten und setzte sich schweigend in eine Ecke des Zimmers.

»O Mathilde! Mathilde,« seufzte der Chevalier.

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