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Erster Band
VI
Der Chevalier de la Graverie unter den grauen Musketieren
ОглавлениеWie herzlos auch der Baron war, so schien er doch gerührt durch das Zartgefühl seines Bruders, und als die von dem Notar des Barons erfasste Schenkungsurkunde von dem Chevalier unterzeichnet war, umarmte der ältere Bruder den jüngeren mit einer Herzlichkeit, in welcher er fast seine Würde als Oberhaupt der Familie vergaß. Der Chevalier zerfloss in Thronen; er war gewiss dankbarer für diese einfache brüderliche Demonstration, als der Baron für die Rente von fünfzehntausend Livres, die ihm so unerwartet zufiel und die mit dem was er schon besaß, sein Gesamteinkommen genau auf fünfzehntausend Francs brachten.
Nach der brüderlichen Umarmung erklärte der Baron, er werde Dieudonné künftig wie seinen eigenen Sohn lieben und für seine Anstellung bei Hofe sorgen.
Um ihm einen unleugbaren Beweis seiner väterlichen Fürsorge zu geben, bat er für ihn um eine Stelle unter den sogenannten »grauen Musketieren« und in der Meinung, ihm eine höchst angenehme Überraschung zu bereiten, sagte er ihm kein Wort von seinen Bemühungen.
Eines Abends als sich Dieudonné zu Tische setzte, fand er unter seiner Serviette den vom Könige Ludwig unterzeichneten Bestallungsbrief, der ihn zum Mitglied des bevorzugten und in hohem Ansehen stehenden Corps ernannte.
Es war in der Tat eine große Ehre; die jungen Edelleute aus den ersten Familien Frankreichs bewarben sich um den Eintritt in die sogenannte Maison-Rouge. Denn sowohl die »schwarzen« als die »grauen Musketiere« hatten rote Uniform und führten ihren Namen nach der Farbe ihrer Pferde. Überdies stand jeder Musketier im Rang eines Lieutenants.
Aber wie groß auch diese Ehre war, so müssen wir doch gestehen, dass der Chevalier de la Graverie seit dem Empfange des Briefes, der ihn seiner süßen Ruhe entrissen, keine peinlichere Erschütterung empfunden hatte, als die, welche ihm der Anblick des Pergaments verursachte. Er verlor fast das Bewusstsein, und der kalte Schweiß rann ihm von der Stirn.
Als er einigermaßen wieder zur Besinnung gekommen war, wies er diese Ehre mit einer Entschiedenheit zurück, die man von seinem gutmütigen, Lenksamen Temperament nicht erwartet hätte. Er weigerte sich aus vielen Gründen, unter denen der triftigste war, dass er, im Gegensatz zu seinem berühmten Vorgänger d'Artagnan, nicht die mindeste Freude am Soldatenleben fand.
Der Baron de la Graverie erfuhr diese Weigerung durch einen Brief, den der Chevalier in der ersten Aufwallung schrieb.
Er geriet darüber in gewaltigen Zorn: diese Weigerung: des Chevaliers kompromittierte ihn im höchsten Grade; er hatte seinen ganzen Einfluss geltend gemacht, um die Unterschrift des Königs zu erlangen, und die Erklärung, dass ein La Graverie nicht fähig sei, einen militärischen Posten zu bekleiden, musste ihn, den Baron, dem Gespött des Hofes preisgeben.
Er antwortete daher seinem Bruder, er müsse die rote Uniform anziehen, auf seinen Willen komme es dabei gar nicht an, und dem Könige schrieb er, sein Bruder sei für die ihm erwiesene Gnade so von Dankbarkeit durchdrungen, dass er nicht wisse, wie er dieselbe zu erkennen geben solle, und daher ihn, den Baron, beauftragt habe, Sr. Majestät die Gefühle seines von Dank überwallenden Herzens auszudrücken.
Der arme Dieudonné konnte nun nicht mehr zurücktreten; der Baron hatte ja in seinem Namen geantwortet und gedankt.
Der Chevalier hatte eine tiefe Ehrfurcht vor der Familienhierarchie. Der Baron, als das Haupt der Familie, hatte, alle Mühen und Sorgen des Lebens auf sich genommen und ihm nur die Freuden und Genüsse gelassen: ja ungeachtet der keinen Augenblick bereuten Abtretung der Hälfte seines Erbteils fragte er sich zuweilen, ob es nicht unrecht sei, dass er seinem älteren Bruder die andere Hälfte vorenthielt.
Die Vorwürfe des Undanks, die ihm der Baron von Zeit zu Zeit persönlich machte, machten daher einen so tiefen Eindruck auf ihn, dass er nichts zu Antworten wusste und stumm blieb.
Mathilde sah ihren Schwager mit einem bittenden Blicke an; denn die Verlegenheit ihres armen Gatten that ihr weh. Sie hatte noch nicht Zeit gehabt, ihr naives, unbefangenes Deutsches Gemüt in der Berührung mit der französischen Gesellschaft abzustreifen: sie betrachtete Dieudonné als den Antinous des achtzehnten Jahrhunderts, und zweifelte nicht, dass die schöne Musketieruniform manche an ihm vermutete Vorzüge hervorheben werde; sie hatte sich also aus ehelicher Koketterie entschlossen, die Bemühungen ihres Schwagers zu unterstützen.
Dies war im Grunde nicht mehr notwendig: der Baron hatte ja im Namen seines Bruders geantwortet, und gedankt. Dieudonné konnte nicht mehr zurücktreten, er war grauer Musketier vom Kopf bis zu den Füßen und stand von nun an unter dem Befehl des Marschalls Marmont, Herzogs von Ragusa und Oberbefehlshabers sämtlicher Leibgarde des Königs.
So legte denn der unglückliche Chevalier acht Tage später die Uniform mit der stillen, frommen Ergebung eines Pudels an, den man in einen Troubadour verkleidet, um ihn auf dem Seil tanzen zu lassen.
Die Uniform war prächtig: roter Frack, Beinkleider von weißem Casimir, hohe Reiterstiefel, Helm mit flatterndem Rossschweif, Panzer mit Kreuz und goldener Sonne. Aber der arme Dieudonné fühlte sich sehr unbehaglich in dieser prächtigen Uniform. Er hatte seine ungebührlich hohe Meinung von sich selbst, und fand sich linkisch und lächerlich in dem Panzer. Er war klein und beleibt, und sein rötliches bartloses Gesicht würde sich in dem Gewand eines Chorknaben recht hübsch ausgenommen haben, war aber in der Uniform höchst lächerlich.
In Zivilkleidern war der Chevalier indes eben nicht hässlicher, als die meisten andern Männer, und die Redensart: er ist nicht übel, mit welcher man bei gewissen Personen männlichen Geschlechts den Mangel an Grazie zu bemänteln sucht, konnte auf den Chevalier eben so gut, ja noch besser als auf manchen Andern eine Anwendung finden.
Aber die Uniform machte diese Mängel sehr bemerkbar. War er zu Fuß, so schienen die hohen Stiefel ans seinem Bauch hervorzukommen, wie der Stiel aus einem Fangbecher, und Mancher, der ihn vorübergehen sah, fragte seinen Nachbar, »Können Sie mir sagen, wer der Rossschweif ist, der da vorbeigeht?«
Doch dies war noch die leidliche Seite der Situation. Um sich einen Begriff von den Qualen zu machen, die der Mensch erdulden kann, ohne zu sterben, musste man den Chevalier de la Graverie zu Pferde sehen.
Wenn er im Alter von zehn Jahren oben auf einer Treppe gewesen war, so pflegte er seine Tante zu rufen, um sich hinunterführen zu lassen. Wenn er als fünfzehnjähriger Knabe dann und wann den Esel des Gärtners bestieg, so ging eine seiner Gönnerinnen voran und eine andere hinterher, damit der Esel, wenn es ihm etwa einfallen sollte durchzugehen, sowohl beim Zügel als beim Schweif gehalten werden konnte.
Wie fleißig daher der Chevalier die Reitschule besuchte und wie beharrlich er die Theorie studierte, so war es ihm doch unmöglich, seine zugleich runden und steifen Gliedmaßen mit den Bewegungen des Pferdes in Einklang zu bringen.
Der Chevalier hatte ein recht lammfrommes Pferd verlangt, aber sein Bruder wählte für ihn ein fehlerfreies, aber feuriges Schlachtross. Dieudonné hatte es so klein als möglich gewünscht, aber die Pferde sämtlicher Garden mussten eine bestimmte Größe haben, unter welcher keines zugelassen wurde. Der Chevalier, der schon den Schwindel bekam, wenn er von einer unbeweglichen Treppe hinunter sah, verlor fast die Besinnung, wenn er ein kräftiges, mutiges Pferd ritt.
Es war in der Tat ein Wunder, dass er auf seinem Bayard – diesen Namen hatte der Baron dem Pferde zur Erinnerung an das Ross der vier Haimonskinder gegeben – das Gleichgewicht behielt; denn er thronte im Sattel etwa mit derselben Grazie und Solidität, wie ein Mehlsack auf dem Rücken eines Maulesels. In schwierigen Fällen leisteten ihm seine rechts und links reitenden Kameraden gute Dienste. Denn zum Glück für ihn wurden Letztere durch seine Sanftmut und Anspruchslosigkeit gerührt, und sie schämten sich, ein so harmloses Wesen zur Zielscheibe ihres Spottes zu machen.
Dieudonné würde gern seinen Abschied genommen haben. um diesen Drangsalen ein Ende zu machen, wenn er nicht gefürchtet hätte, seiner Frau einen Kummer zu machen und mit seinem älteren Bruder in offene Fehde zu kommen.
Vor Allem fürchtete er den Tag, wo ihn die Reihe treffen würde, den Wagen des Könige zu eskortieren. Man ritt dann nicht in Reihe und Glied, sondern galoppierte einzeln und ohne strenge Ordnung, Der König, der sehr regelmäßig lebte, fuhr täglich zu einer bestimmten Stunde aus, Ludwig XVIII. tat heute genau dasselbe was er gestern getan hatte. Von seinem Einzuge in Paris am 3. Mai 1814 bis zu seinem Tode, 16. September 1824, war die Einteilung seiner Zeit folgende: Um sieben Uhr Morgens stand er auf, empfing den Oberkammerherrn oder Herrn von Blacas um acht Uhr; seine Geschäfte erledigte er von neun bis zehn Uhr, dann frühstückte er in Gesellschaft der diensttuenden Kavaliere und anderer Personen, welche ein für allemal Zutritt bei ihm hatten, nämlich mit den Großwürdenträgern und den Kapitänen der Gardekompanien.
Nach dem Frühstück, welches in der ersten Zeit nur fünfundzwanzig Minuten dauerte, aber sich mit der Zeit bis auf drei Viertelstunden ausdehnte, ging man in das Kabinett des Königs, wo fünf Minuten vor elf, nie früher oder später, die Konversation begann. Nachdem sich die immer mit zwei Damen anwesende Herzogin von Angouleme entfernt hatte, pflegte der König zur Erheiterung der Zuhörer ein lustiges, auch wohl etwas schlüpfriges Geschichtchen zu erzählen. Zehn Minuten nach elf Uhr entließ er die Anwesenden, um bis zwölf Uhr die Privataudienzen zu erteilen.
Um zwölf Uhr hörte er mit seinem aus mindestens zwanzig Personen bestehenden Gefolge die Messe. Nach seiner Rückkehr in die Appartements empfing er seine Minister oder führte den Vorsitz im Staatsrate, der sich einmal wöchentlich versammelte. Dann las er ein paar Stunden oder zeichnete Häuserpläne, die er nachher ins Feuer warf.
Um drei oder vier Uhr, je nach der Jahreszeit, fuhr er in einer großen Kutsche spazieren und zwar so schnell, dass er oft fünf, sechs, ja zehn Lieues zurücklegte. Zehn Minuten vor sechs traf er wieder in den Tuilerien ein. Um sechs Uhr speiste er en famille er ah mit gutem Appetit, aber nur von gewählten Speisen.
Die königliche Familie blieb bis acht Uhr beisammen: dann fanden sich alle Personen ein, die Zutritt bei Hofe hatten. Um neun Uhr begab sich Ludwig XVIII. in den Sitzungssaal, wo er das Losungswort für die Schlosswache gab. Den zwanzig Minuten dauernden Aufenthalt des Königs im Saale benutzten einige Personen, um ihre Aufwartung zu machen. Dann begab sich der König in sein Zimmer, las im Horaz Virgil oder Racine und ging um elf Uhr zu Bett.
Mitten unter dieser langen Reihe von »kleinen Pflichten,« die sich der König aufgebürdet hatte und die er pünktlich und gewissenhaft erfüllte, hatte nur ein einziger Paragraph ein Interesse für den Chevalier de la Graverie. Dieser Paragraph lautete:
»Se. Majestät bringt täglich das Wetter sei gut oder schlecht, von drei Uhr bis drei Viertel auf sechs im Freien zu.«
Die Leibgarde lieferten die Eskorte für die Spazierfahrten, die Musketiere so gut wie die andern. Aber da die Garden sehr zahlreich waren, so kam jeder nur einmal monatlich an die Reihe.
Der Zufall wollte, dass der Chevalier erst fünfundzwanzig Tage nach seinem Eintritt zur Eskorte beordert wurde. Es war ein verhängnisvoller Tag. Mathilde und der Baron waren sehr erfreut: sie hofften Beide, Dieudonné weide vom König bemerkt werden. Der Nebelstern konnte ja bei dem mindesten Schimmer ein Stern erster Größe werden. Leider war das künftige Gestirn hinter einer düsteren Wolke – der Furcht versteckt!
Die Stunde schlug, die Eskorte wartete zu Pferde im Hof. Der König kam herunter, und kaum war er eingestiegen, so setzte sich der Zug wie gewöhnlich in Galopp.
Wer den Chevalier gesehen hätte, würde Mitleid mit ihm gehabt haben. Er war außer Stande, sein Pferd zu lenken. Zum Glück war das Pferd so gut dressiert, dass es den Reiter lenkte. Das kluge Tier schien die Verlegenheit des Chevaliers zu begreifen und nahm von selbst seinen Platz in der Eskorte ein.
Zu dem Sattelknopf konnte der arme Dieudonné seine Zuflucht nicht nehmen, denn die eine Hand hielt den Zügel, die andere den Säbel er sah sich in der größten Gefahr zu stürzen, und um sich im Sturz nicht aufzuspießen, hielt er den Säbel von der eigenen teuren Person so weit als möglich entfernt.
Die Spazierfahrt wurde sehr weit ausgedehnt. Der König machte die Runde um die halbe Stadt Paris, Ein guter Reiter wäre sehr müde geworden, der Chevalier de la Graverie war wie gerädert, und ungeachtet der Winterkälte triefte er von Schweiß, als ob er in die Seine gefallen wäre.
Er überließ seinem Reitknecht das Pferd, und anstatt,wie gewöhnlich, mit seinen Cameraden in den Tuilerien zu speisen, warf er sich in einen Fiaker und fuhr nach Hause.
Mathilde erschrak, als sie ihn erblickte; er schien um zehn Jahre älter geworden zu sein.
Der Chevalier ließ sein Bett mit Zucker räuchern, begab sich zur Ruhe und stand erst nach drei Tagen wieder auf. Noch vierzehn Tage später klagte er über Schmerzen im ganzen Körper.
Ach! wie sehnte er sich zurück nach dem stillen, gemütlichen Leben in der kleinen baierrschen Villa, an das trauliche Tändeln und Kosen, an die sentimentalen Spaziergänge, wo das Schweigen der beiden jungen Gatten eben so beredt war wie das zärtlichste Geplauder, so innig waren ihre Seelen verschmolzen! Dieses Glück war nun dahin, es lebte nur noch in seiner wehmütigen Erinnerung.
Das Schlimmste dabei war, dass Mathilde durch diese leidigen Hüft- und Kreuzschmerzen zu Vergleichen bewogen wurde, die dem armen Dieudonné keineswegs günstig waren: wie hätte sie ihn fortan für den vollkommenen Mann halten können?
Es ist ein gefährlicher Moment für die Liebe, für die eheliche Treue, wenn das bisher zärtliche Weib zu ahnen beginnt, dass der Mann, den sie als ihr Idol zu betrachten gewohnt war, nicht für sie geschaffen sei. Ein zur gesetzlichen Münze gewordener Mann hat nur noch Zwangskurs.
Damit soll nicht gesagt sein, dass Mathilde von dem Tage an, wo sie diese unglückliche Entdeckung machte, aufgehört hätte, ihren Gatten zu lieben; im Gegenteil, die Pflege, welche sie ihm während seiner Unpässlichkeit angedeihen ließ, war nichts im Vergleich mit der Zärtlichkeit, die sie vor den Leuten an den Tag legte; einige scheinspröde Damen fanden diese Zärtlichkeit der jungen Deutschen sogar unanständig. Aber wir müssen zur Steuer der Wahrheit gestehen, dass Mathilde zu Hause fast nur noch den Mund auftat, um zu gähnen, und dass ihre Pflichten und Verbindlichkeiten gegen die Gesellschaft mit jedem Tage ungemein zunahmen.
Der Chevalier de la Graverie ahnte natürlich nicht, dass er nicht mehr der glücklichste Mann auf Erden war; er würde es gewiss gewesen sein, wenn er nicht Musketier gewesen wäre. Zumal die jeden Monat wiederkehrende Eskorte, die wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt hing, verbitterte seine süßesten Stunden.