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Pascal Bruno
III
ОглавлениеMit Tagesanbruch verließen Fischerbarken wie gewöhnlich den Hafen, und zerstreuten sich auf dem Meere; die eine von ihnen, auf welcher sich ein Mann und ein Knabe von zwölf bis vierzehn Jahren befanden, hielt indessen im Angesicht von Palermo an, zog ihr Segel ein, um beizulegen, und da diese Regungslosigkeit an einem für den Fischfang wenig günstigen Orte Verdacht auf sie ziehen konnte, so beschäftigte sich der Knabe damit, seine Netze auszubessern; was den Mann anbetrifft, so lag er in dem Boote, den Kopf auf eines der Borde gestützt, und schien in ein tiefes Sinnen versunken, von Zeit zu Zeit schöpfte er indessen wie mit einer maschinenmäßigen Bewegung Seewasser mit seiner rechten Hand, und goss dieses Wasser auf seine linke, mit einer blutigen Binde zusammengezogene Schulter. Dann zog sich sein Mund mit einem so wunderlichen Ausdrucke zusammen, dass man Mühe gehabt hätte zu unterscheiden, ob es ein Lachen oder ein Knirschen der Zähne wäre, das ihm diesen Ausdruck verlieh. Dieser Mann war Pascal Bruno, und dieser Knabe war der, welcher, unten an dem Fenster stehend, ihm zwei Male durch einen Schrei das Signal zur Flucht gegeben hatte; auf den ersten Blick konnte man ihn leicht für den Sohn eines noch weit heißeren Landes erkennen, als das, in dem sich die Ereignisse zutragen, welche wir erzählen. In der Tat, dieser Knabe war an der Küste von Afrika geboren, und sehen wir jetzt, wie Bruno und er einander begegnet waren.
Es war ungefähr ein Jahr her, dass Algerische Seeräuber, welche wussten, dass der Fürst von Moncada-Paterno, einer der reichsten Herren von Sizilien, in einem kleinen Speronaro von Pantellerie nach Cutanea, nur von ein Dutzend Männern seines Gefolges begleitet zurückkehrte, sich hinter der ungefähr zwei Meilen weit von der Küste gelegenen Insel Porri einschifften. Wie die Seeräuber es vorhergesehen, kam das Schiff des Fürsten zwischen der Insel und dem Ufer vorüber; aber in dem Augenblicke, wo sie es in der Meerenge sahen, verließen sie mit drei Barken die kleine Bucht, in welcher sie versteckt waren, und ruderten mit aller Macht, um dem, Schiffe des Fürsten den Weg abzuschneiden. Dieser befahl sogleich dem Lande zuzusteuern, und das Schiff auf den Strand von Fugello laufen zu lassen. Da an dem Orte, wo das Schiff aufgefahren war, das Wasser kaum drei Fuß Tiefe hatte, so sprangen der Fürst und sein Gefolge in das Meer, indem sie ihre Waffen über ihre Köpfe hielten, und das Dorf zu erreichen hofften, das sie ungefähr eine halbe Meile weit von da sich erheben sahen, ohne dass sie nötig hätten, sich ihrer zu bedienen. Kaum aber waren sie gelandet, als ein anderer Haufen von Seeräubern, der in der Voraussicht dieses Manövers mit einer Barke dem Bufaidonne wieder hinaufgefahren war, aus dem Schilfe hervorkam, in dessen Mitte der Fluss stießt, und dem Fürsten den Rückzug abschnitt, auf den er rechnete. Der Kampf begann sogleich, aber während die Leute des Fürsten mit diesem ersten Haufen zu tun hatten, langte der zweite an, und da jeder Widerstand sichtlich nutzlos wurde, so ergab sich der Fürst, indem er Lösegeld für sich und sein ganzes Gefolge zu bezahlen versprach. In dem Augenblicke, wo die Gefangenen ihre Waffen gestreckt hatten, erblickte man einen Haufen von Landleuten, welche mit Gewehren und Sensen bewaffnet herbeieilten. Die Seeräuber, welche, Heeren der Person des Fürsten, dem zu Folge den Zweck erreicht hatten, den sie wünschten, warteten die neu Ankommenden nicht ab, und schifften sich mit einer solchen Eile ein, dass sie drei Mann ihrer Mannschaft, welche sie für tot oder für tödlich verwundet hielten, auf dem Schlachtfelde zurückließen.
Unter denen, welche so herbeieilten, befand sich Pascal Bruno, dessen unstetes Leben ihn bald hier bald dorthin führt«, und den sein unruhiger Geist in alle abenteuerliche, Unternehmungen verwickelte. Auf dem Strande angelangt, wo der Kampf stattgefunden hatte, , fanden die Landleute einen Bedienten des Fürsten von Paterno tot, einen andern leicht an dem Schenkel verwundet, und drei Seeräuber in ihren, Blute ausgestreckt, aber noch atmend. Zwei Flintenschüsse hatten bald jedem von ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, und ein Pistolenschuss sollte eben den dritten seinen Kameraden nachsenden, als Bruno, der bemerkte, dass es ein Kind wäre, die Hand abwandte, die eben das Pistole losdrücken wollte, und erklärte, dass er den Verwundeten unter seinen Schutz nähme. Einige Einsprüche erhoben sich gegen dieses Mitleiden, das unzeitig schien; wenn aber Bruno einmal etwas gesagt hatte, so beharrte er auch darauf; er spannte daher seine Büchse, und erklärte, dass er dem ersten den Kopf zerschmettern würde, der sich seinem Schützling näherte, und da man ihn als einen Mann kannte, der seine Drohung augenblicklich in Ausführung brachte, so ließ man ihn den Knaben in seine Arme nehmen und sich mit ihm entfernen. Bruno ging sogleich nach dem Ufer zu, stieg in eine Barke, in welcher er gewöhnlich seine abenteuerlichen Züge machte, und deren Eigenschaften er so genau kannte, das sie ihm wie ein Pferd seinem Reiter zu gehorchen schien, spannte sein Segel und steuerte nach dem Vorgebirge Aliga-Grande.
Kaum hatte er sich überzeugt, dass die Barke den rechten Strich verfolgte und ihres Steuermannes nicht mehr bedürfe, als er sich mir seinem immer noch ohnmächtigen Verwundeten beschäftigte. Er schlug den weißen Burnus zurück, in den er gehüllt war, schnallte den Gürtel ab, in welchem noch sein Yatagan steckte, und sah bei dem letzten Scheine der untergehenden Sonne, dass die Kugel zwischen der rechten Hüfte und den falschen Rippen eingedrungen und am Rückgrate wieder herausgekommen wäre, die Wunde war gefährlich, aber nicht tödlich.
Der Abendwind, das Gefühl von Frische, das von dem Seewasser hervorgebracht ward, mit welchem Bruno die Wunde wusch, brachten den Knaben wieder zur Besinnung, ohne die Augen aufzuschlagen, sprach er einige Worte in einer unbekannten Sprache aus, aber Bruno, welcher wusste, dass eine Schusswunde gewöhnlich einen heftigen Durst hervorbrachte, erriet, dass er zu trinken verlange, und näherte seinen Lippen eine Flasche mit Wasser; der Knabe trank begierig, stieß einige undeutliche Klagen aus, und sank wieder in seine Ohnmacht zurück. Pascal legte ihn so weich als er es vermochte auf den Boden seiner Barke, und indem er die Wunde der Luft ausgesetzt ließ, fuhr er fort, von fünf zu fünf Minuten sein in Seewasser getauchtes Taschentuch darauf zu drücken, ein Mittel, das die Seeleute gegen alle ihre Wunden für wirksam halten.
Gegen die Stunde des Aue Maria befanden sich unsere Seefahrer an der Mündung der Ragusa, der Wind blies von Afrika, Pascal hatte daher nur ein leichtes Manöver zu machen, um in den Fluß einzufahren, und drei Stunden nachher fuhr er, indem er Modica zur Rechten ließ, unter der, auf der von Noto nach Chiaramonti führenden Heerstraße geschlagenen Brücke durch. So legte er noch eine halbe Meile zurück; da aber nun der Fluss aufhörte schiffbar zu sein, so zog er seine Barke in die Oleander- und Papyrus-Büsche, welche das Ufer begrenzen, und indem er den Knaben wieder auf seine Arme nahm, trug er ihn Land einwärts. Bald erreichte er den Eingang eines Thales, in das er sich vertiefte» und es dauerte nicht lange, dass er zu seiner Rechten und zu seiner Linken den Berg steil wie eine Mauer und von Stelle zu Stelle ausgehöhlt fand, denn in diesem Thale sind die letzten Reste einer alten Troglodyten, Stadt, dieser ersten Ansiedlungen der Insel, welche die griechischen Kolonien zivilisierten. Bruno trat in eine dieser Höhlen, die durch eine Treppe mit einem oberen Stocke in Verbindung stand, dem ein einziges viereckiges Loch in Form eines Fensters Luft gab; ein Bett von Schilf war in einer Ecke aufgehäuft; er breitete den Burnus des Knaben darauf aus und legte ihn auf den Burnus; stieg dann wieder hinab, um Feuer anzuzünden, und kehrte bald mit einem brennenden Fichtenzweige zurück, den er in der Wand befestigte, dann setzte er sich neben das Lager des Verwundeten auf einen Stein, und wartete, bis er wieder zu sich käme.
Es war nicht das erste Mal, dass Bruno diese Zufluchtsstätte besuchte; oft war er auf seinen zwecklosen Streifzügen, die er durch Sizilien unternahm, um sein einsames Leben zu zerstreuen, die Tätigkeit seines Geistes zu beruhigen und seine bösen Gedanken zu verscheuchen, in dieses Tal gekommen, und hatte dieses seit drei Tausend Jahren in dem Felsen ausgehauene Zimmer bewohnt, dort gab er sich jenen unbestimmten und unzusammenhängenden Träumereien hin, welche den denkenden Menschen, denen die Wissenschaft fehlt, eigentümlich sind. Er wusste, dass es ein von der Erde verschwundenes Geschlecht wäre, welche in fernen Zeiten diese Zufluchtsstätten ausgehauen, hatten, und, dem Volksaberglauben ergeben, glaubte er wie alle Bewohner der Umgegend, dass diese Menschen Zauberer waren; dieser Glaube aber, weit davon entfernt ihn von diesen furchtbaren Orten zurückzuhalten, zog ihn vielmehr unwiderstehlich dorthin, er hatte in seiner Jugend gar viele Geschichten von bezauberten Waffen, von unverwundbaren Menschen, von unsichtbaren Reisenden erzählen hören, und seine furchtlose und nach dem Wunderbaren begierige Seele hegte nur einen Wunsch, nämlich den, irgend ein solches fabelhaftes Wesen, einen Hexenmeister, Zauberer oder Dämon anzutreffen, das ihm mittelst eines höllischen Bündnisses eine übernatürliche Gewalt verleihe, welche ihm Überlegenheit über die andern Menschen verschaffen würde. Aber vergebens hatte er die Schatten der ehemaligen Bewohner des Thales von Modica beschworen; keine Erscheinung hatte auf seine Wünsche geantwortet, und Pascal Bruno war zu seiner großen Verzweiflung ein Mensch wie andere Menschen geblieben, nur mit Ausnahme der Kraft und Gewandtheit, welche wenig Gebirgsbewohner in einem Grade besaßen, der mit ihm hätte verglichen werden können,
Seit ungefähr einer Stunde träumte Bruno so neben seinem jungen Verwundeten, als dieser aus dem Zustande von Erstarrung erwachte, in welche er versunken war; er schlug die Augen auf, blickte mit einer Art von Verwirrung um sich, und ließ seine Blicke auf dem verweilen, der ihn gerettet hatte, ohne noch zu wissen, ob er in ihm einen Freund oder einen Feind sehen solle. Während dieser Prüfung, und in einem unbestimmten Instinkte der Verteidigung, legte der Knabe die Hand an seinen Gürtel, um seinen getreuen Yatagan zu suchen, als er ihn aber dort nicht fand, stieß er einen Seufzer aus.
– Leidest Du? sagte Bruno zu ihm, indem er, um sich verständlich zu machen, jene Frankensprache an» wandte, welche die allgemeine Sprache der Küsten des mittelländischen Meeres von Marseille bis nach Alexandrien, von Constantinopel bis Algier ist, und mit deren Hilfe man die Runde der alten Welt machen kann.
– Wer bist Du? antwortete der Knabe.
– Ein Freund.
– Ich bin also kein Gefangener?
– Nein.
– Und wie komme ich dann hierher?
Pascal erzählte ihm Alles, der Knabe hörte ihm aufmerksam zu; als der Erzähler seinen Bericht beendigt, heftete jener seine Augen auf die Brunos, und sagte mit dem Ausdrucke inniger Dankbarkeit zu ihm:
Du willst also mein Vater sein, da Du mir das Leben gerettet hast?
Ja, sagte Bruno, ich will es.
– Vater, sagte der Verwundete, Dein Sohn nennt sich Ali, und Du, wie nennst Du Dich?
– Pascal Bruno.
– Allah beschütze Dich! sagte der Knabe.
– Wünschest Du irgend etwas?
– Ja, Wasser, ich habe Durst.
Pascal nahm eine irdene, in einer Vertiefung des Felsens verborgene Schale, und ging hinab, um Wasser an einer Quelle zu schöpfen, welche neben der Höhle floss. Als er wieder hinaufkam, warf er die Augen auf den Yatagan des Knaben, und er sah, dass dieser nicht einmal daran gedacht hatte, sich ihm zu nähern. Ali nahm begierig die Schale und leerte sie in einem Zuge.
– Allah möge Dir eben so viel glückselige Jahre verleihen, als sich Tropfen Wasser in dieser Schale befanden.
– Du bist ein gutes Geschöpf, murmelte Bruno, sorge jetzt nur für Deine Genesung, und wenn Du geheilt bist, so kannst Du nach Afrika zurückkehren.
Der Knabe genas und blieb in Sizilien, denn er hatte eine heftige Freundschaft zu Bruno gefasst, dass er ihn nie mehr verlassen wollte. Seitdem war er beständig bei ihm geblieben, er begleitete ihn auf seinen Jagden in den Gebirgen, half ihm seine Barke auf dem Meere steuern, und war bereit, sich auf einen Wink des Mannes töten zu lassen, den er seinen Vater nannte.
Am Tage zuvor hatte er ihn nach der Villa des Fürsten von Carini begleitet; er erwartete ihn unter den Fenstern während seiner Unterredung mit Gemma, und er war es, der diesen zweimaligen Alarmruf ausgestoßen hatte, das erste Mal, als der Fürst an dem Gittertor geläutet, und das zweite Mal, als er in das Schloss eingetreten war. Er stand im Begriffe, selbst in das Zimmer hinaufzugehen, um Bruno Hilfe zu leisten, wenn es nötig wäre, als er diesen aus dem Fenster springen sah. Er folgte ihm auf seiner Flucht. Beide gelangten an das Ufer, warfen sich in ihre Barke, welche sie erwartete, und da sie in der Nacht nicht das hohe Meer erreichen konnten, ohne Argwohn zu erwecken, so begnügten sie sich, sich unter die Fischerbalken zu mischen, welche den Anbruch des Tages erwarteten, um den Hafen zu verlassen.
Während dieser Nacht erwies Ali nun auch Pascal alle die Pflege, welche er in einem ähnlichen Zustande von ihm erhalten hatte, denn der Fürst von Carini hatte richtig gezielt, und die Kugel, welche er vergebens in seiner Tapete suchte, hatte die Schulter Brunos fast durchbohrt, so dass Ali mit seinen Yatagan nur einen leichten Einschnitt zu machen brauchte, um sie an der entgegengesetzten Seite von der, durch welche sie eingedrungen war, wieder heraus zu ziehen. Alles das hatte sich zugetragen, ohne dass Bruno sich kaum darein mischte und nur daran zu denken schien, und das einzige Zeichen von Aufmerksamkeit, welches er seiner Wunde widmete, war, wie wir bemerkt, sie von Zeit zu Zeit mit Seewasser anzufeuchten, während der Knabe tat, als ob er seine Netze ausbessere.
– Vater, sagte Ali plötzlich, indem er sich in dieser scheinbaren Beschäftigung unterbrach, sieh doch nach der Seile des Landes!
– Was gibt es?
– Ein Haufen von Leuten.
– Wo das?
– Dort, auf dem Wege nach der Kirche.
In der Tat, eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft ging den sich windenden Weg hinauf, auf welchen man auf den heiligen Berg gelangte. Bruno erkannte, dass es das Gefolge einer Hochzeit wäre, die sich nach der Kapelle der heiligen Rosalia begab.
– Steuere nach dem Lande und rudere herzhaft, rief er aus, indem er sich völlig aufrichtete.
Der Knabe gehorchte, ergriff mit jeder Hand ein Ruder, und las kleine Boot schien über die Oberfläche des Meeres dahinzufliegen.
In dem Maße, als es sich dem Ufer näherte, nahmen Brunos Züge einen immer schrecklicheren Ausdruck an; endlich, als sie nur noch ungefähr eine halbe Meile entfernt waren, rief er mit dem Ausdrucke kaum zu schildernder Verzweiflung aus:
– Das ist Theresa! Sie haben die Verheiratung beschleunigt, sie haben den Sonntag nicht abwarten wollen, sie haben sich gefürchtet, dass ich sie bis dahin entführen möchte! . . . Gott ist mein Zeuge, dass ich Alles getan habe, was ich vermocht, damit alles ein gutes Ende nähme. . . Sie sind es, die es nicht gewollt, wehe ihnen! Bei diesen Worten spannte Bruno mit Alis Hilfe das Segel der kleinen Barke auf, welche, indem sie sich um den Berg Pellegrino wandte, nach Verlauf von zwei Stunden hinter dem Vorgebirge Gallo verschwand.