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Erster Teil
Siebentes Capitel.
El Salteador

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Derjenige, dessen plötzliche, offenbar von den Bedrohenden so wenig als von den Bedrohten erwartete Ankunft eine so auffallende Wirkung hervorgebracht hatte, verdient es, sowohl nach der Art seines Auftretens als nach der Rolle, die er in dieser Geschichte zu spielen hat, daß wir einen Augenblick die Erzählung unterbrechen, um ihn den Lesern zu beschreiben.

Er war ein Mann von sieben- oder achtundzwanzig Jahren, in der Tracht eines andalusischen Gebirgsbewohners, der sich indeß durch große Eleganz auszeichnete.

Sie bestand in einem breitkrämpigen grauen Hute mit zwei Adlerfedern, einem gestickten Lederwams, wie es heute noch die Jäger von Cordova tragen, wenn sie in die Sierra Morena gehen; in einem algierschen Gürtel aus Seide und Gold, in kurzen Beinkleidern von fleischfarbenem Sammt mit ciselirten Knöpfen, in Stiefeln von demselben Leder wie das Wams, an der Seite geschnürt, aber nur am Knöchel, so daß sie den Strumpf sehen ließen und an der Wade offen standen.

Ein einfacher Dolch, wie ihn die pyrenäischen Bärenjäger tragen, das heißt, mit einem ciselirten und mit silbernen Nägeln beschlagenen Horngriffe und einer zwei Finger breiten, acht Zoll langen, zweischneidigen, unten spitzigen Klinge in einer Lederscheide mit Silberverzierungen, war, wie schon gesagt, die einzige Waffe des jungen Hauptmannes, denn offenbar war der ein Anführer, dessen Stimme so unmittelbaren Einfluß auf die Männer des Raubes und Blutes übte, die vor ihr bei Seite getreten traten.

Außerdem trug er einen quergestreiften Mantel wie ihn heute noch die andalusischen Majas tragen und den er so majestätisch um sich schlug wie ein Kaiser seinen Purpur.

Der Bandit, welcher früher zur Beruhigung Don Inigo‘s behauptet, der Hauptmann sey nicht nur jung und schön, sondern habe auch ein so vornehmes Aussehen, daß er allgemein für einen Edelmann gelte, hatte nicht zu viel gesagt und keine geschmeichelte Schilderung entworfen.

Dona Flor gab bei dem Erscheinen des jungen Mannes laut ihr Erstaunen zu erkennen und es glich dies einem Freudenrufe, als sey die Ankunft des Unbekannten keineswegs eine Verstärkung der Banditen, als vielmehr eine Hilfe die der Himmel ihr und ihrem Vater sende.

Don Inigo erkannte sofort, daß er von diesem Augenblick an mit der Bande nichts mehr zu schaffen habe, sein und seiner Tochter Schicksal vielmehr von dem jungen Manne abhänge.

Indeß begnügte er sich, als sey er zu stolz zuerst zu sprechen, die Spitze des noch blutbefleckten Dolches auf die Brust seiner Tochter zu setzen.

So wartete er und der Salteador nahm zuerst das Wort.

»Ich zweifle nicht an eurem Muthe, Senior.« sagte er, »aber ich halte es für eine große Anmaßung, wenn Ihr glaubt, Euch mit dieser Nadel gegen zwanzig mit Dolchen und Schwertern bewaffnete Männer vertheidigen zu können.«

»Es wäre allerdings Wahnwitz, wenn ich das Leben zu erhalten gedächte,« antwortete Don Inigo, »da ich aber nur meine Tochter und nach ihr mich selbst tödten will, so hielt und halte ich dies nicht nur für möglich, sondern für leicht.«

»Und warum wolltet Ihr die Señora und Euch selbst tödten?«

»Weil wir von Schimpf bedroht sind, den wir dem Tode vorziehen.«

»Ist die Señora eure Gattin?«

»Sie ist meine Tochter.«

»Wie hoch haltet Ihr euer Leben und ihre Ehre?«

»Mein Leben tausend Kronen; ihre Ehre steht über jedem Preis.«

»Das Leben schenke ich Euch, Señor, antwortete der Salteador, »und die Ehre der Señora ist hier so sicher wie in ihrem Gemache, unter der Obhut ihrer Mutter.

Die Banditen gaben ihre Unzufriedenheit murrend zu erkennen.

»Geht Alle hinaus!« rief der Salteador, indem er die Hand ausstreckte und sie so hielt, bis auch der letzte der Banditen das Zimmer verlassen hatte.

Nachdem dies geschehen, machte der Salteador die Thür zu und kehrte zu Don Inigo und Dona Flor zurück, die ihm verwundert und besorgt nachsahen.

»Ihr müsset ihnen verzeihen, Señor,« sagte er; »sie sind rohe Männer, nicht Edelleute wie wir.«

Don Inigo und Dona Flor sahen mit weniger Besorgniß, aber größerer Verwunderung, den Banditen an, der sich einen Edelmann nannte und durch sein Benehmen wie durch seine Haltung noch mehr als durch seine Worte bewies, er lüge nicht.

»Señor,« sagte das Mädchen, »mein Vater scheint keine Worte zu finden, Euch zu danken, erlaubt also, daß ich Euch in seinem und meinem Namen Dank darbringe.«

»Er hat in eurem Munde, Señora, einen Werth, den ihm selbst die Lippen eines Königs nicht zu geben vermöchten,« antwortete der Salteador, der sich sodann an den alten Herrn wendete und fortfuhr: »Ich weiß, daß Ihr euern Weg schnell fortzusetzen wünschet; wohin reiset Ihr?«

»Nach Granada, wohin der König mich beschieden hat.«

»Ach ja,– entgegnete der Salteador mit einem halb bittern, halb spöttischen Lächeln, ›das Gerücht von seiner Ankunft ist auch zu uns gedrungen; wir sahen gestern die Soldaten vorüberziehen, welche das Gebirge durchstreifen; er will, wie man sagt, daß ein zwölfjähriges Kind mit einem Beutel Gold in jeder Hand von Granada nach Malaga gehen könne, ohne daß es unterwegs Jemanden treffe, der etwas Anderes zu ihm sage, als den gewöhnlichen Reisegruß: Geht in Frieden mit Gott!‹

»Das ist allerdings sein Wille,« sagte Don Inigo; »und ich weiß, daß darauf bezügliche Befehle ergangen sind.«

»Und in welcher Zeit will der König Don Carlos diese Eroberung des Gebirges durchführen?«

»Er hat dem Oberrichter nur vierzehn Tage dazu gegeben.«

»Wie schade, Señora,« sagte der Salteador zu Dona Flor, »daß Ihr gerade heute hier erscheint und nicht nach drei Wochen; Ihr würdet dann statt der Banditenschaar, die Euch erschrecket hat, nur ehrliche Leute gefunden haben, die Euch wünschten: Geht in Frieden mit Gott! die Euch im Nothfalle zum Schutze begleitet hätten.«

»Wir haben ein noch größeres Glück gehabt, Señor,« entgegnete das Mädchen, »da wir einen Edelmann trafen, der uns die Freiheit gab.«

»Dafür habt Ihr nicht mir zu danken,« antwortete der Salteador; »ich folge einer Macht, die größer ist als mein Wille, stärker als mein Temperament.«

»Welcher Macht?«

Der Bandit zuckte die Achseln.

»Ich weiß es nicht,« sagte er; »ich bin leider ein Mensch, der stets seinem ersten Gefühle nachgibt. Ich weiß nicht, welche Verbindung zwischen meinem Herzen und meinem Kopfe, meinem Kopfe und meiner Hand, meiner Hand und meinem Degen besteht, welche mich bald zum Guten, bald zum Bösen treibt, aber öfter zum Bösen als zum Guten. Dieses Gefühl hat mir, sobald ich Euch erblickte, den Zorn aus dem Herzen genommen und ihn weit von mir geschleudert, so weit, daß ich, auf Edelmannswort, ihn gar nicht wieder finden konnte.«

Don Inigo hatte den jungen Mann angesehen, während derselbe sprach, und er empfand in seinem Herzen seltsamer Weise ein Gefühl gleich dem, welches der Salteador halb spottenden, halb innigen Worten zu schildern versuchte.

Dona Flor wiederum hatte sich langsam ihrem Vater genähert, nicht aus Furcht, sondern weil sie im Gegentheil bei dem Tone der Stimme des jungen Mannes etwas ganz Ungewöhnliches fühlte, das wie ein Wonneschauer durch ihre Adern sich verbreitete und daß am Arme des Vaters sie die Schuldlose, einen Schutz gegen dieses ihr neue und unbekannte Gefühl suchte.

»Junger Mann,« sagte Don Inigo in Bezug auf die letzten Worte des Salteadors, »was Ihr für mich empfunden habt, fühle ich für Euch; mich hat also nicht das Unglück, sondern das Glück heute hierhergeführt, nicht erst nach drei Wochen, denn nach drei Wochen wäre es vielleicht zu spät gewesen, Euch einen entsprechenden Gegendienst zu erweisen.«

»Mir einen Dienst?« sagte der Bandit lächelnd und seine Züge, die sich leicht verzogen, schienen sagen zu wollen: »Der müßte allmächtig seyn, der mir den einzigen Dienst erwiese, der mir erwiesen werden kann.«

Don Inigo fuhr fort, als verstehe er, was in dem Herzen des jungen Mannes vorging:

»Der barmherzige Gott hat in dieser Welt einem Jeden seinen Platz angewiesen; den Ländern gab er die Könige; den Königen die Edelleute, welche ihre natürliche Begleitung sind; den Städten die Bewohner: Bürger, Handelsleute und Volk; den Meeren die wagenden Schiffer, welche jenseits der Oceane vergessene Welten wieder finden, oder neue entdecken wollen; er gab dem Gebirge die raubsüchtigen Männer und gleichzeitig die blutgierigen Raubthiere, um anzuzeigen, daß er beide gleich stelle und diese Männer auf die unterste Stufe der Menschheit.«

Der Salteador machte eine Bewegung.

»Lasset mich reden,« fuhr Don Inigo fort.

Der junge Mann nickte zustimmend.

»Nun,« fuhr der alte Herr fort, »da man aber Menschen außer dem Kreise findet, in den Gott der Herr sie als Wesen derselben Art, aber verschiedenen Werthes, eingeschlossen hat, muß eine große gesellschaftliche Erschütterung oder irgend eine gewaltige Familiencatastrophe sie aus ihrem Kreise hieraus in einen fremden geworfen haben. So ist ein Jeder von uns beiden einen verschiedenen Weg gegangen, obwohl wir dazu geboren waren, als Edelleute im Gefolge der Könige zu seyn. Das Schicksal machte aus mir einen Seefahrer, aus Euch. . . «

Er hielt inne.

»Sprecht es immerhin aus,« entgegnete der junge Mann, »Ihr sagt mir nichts, was ich nicht schon wüßte, und von Euch kann ich Alles hören.«

»Das Schicksal hat aus Euch einen Banditen gemacht.«

»Ja, aber Ihr wißt auch, daß man bei uns mit diesem Worte sowohl einen Räuber, als einen Verbannten bezeichnet.«

»Ich weiß es und verwechsle auch die Bedeutungen nicht. – Seyd Ihr ein Verbannter?« setzte er hinzu.

»Wer seyd Ihr, Señor?«

»Ich bin Don Inigo Velasco de Haro.«

Bei diesen Worten nahm der junge Mann seinen Hut ab und warf ihn von sich. Dann sagte er:

»Verzeiht, ich war bedeckt geblieben und bin kein Grand von Spanien.«

»Ich bin auch nicht der König,« antwortete Don Inigo lächelnd.

»Aber Ihr seyd so adelig wie der König.«

»Ihr kennt mich?« fragte Don Inigo.

»Ich habe meinen Vater tausendmal von Euch sprechen hören.«

»Euer Vater kennt mich also?«

»Er hat mir wenigstens oft gesagt, daß er diese Ehre habe.«

»Wie heißt euer Vater?«

»Ach ja,« setzte Dona Flor hinzu, »sein Name, sein Name!«

»Señor,« antwortete der Bandit mit einem Ausdrucke tiefer Schwermuth; »es ist weder eine Freude, noch eine Ehre für meinen Vater, den Namen eines Spaniers, der keinen Tropfen Maurenblutes in seinen Adern hat, von den Lippen eines Mannes, wie ich bin, zu hören; verlangt also nicht, daß ich dem Kummer und der Schande, die er durch mich trägt, auch noch diese hinzufüge.«

»Er hat Recht, Vater,« fiel das Mädchen rasch ein.

Der Vater sah Dona Flor an, die erröthend die Augen niederschlug.

»Ist eure Meinung nicht die der schönen Señora?« fragte der Salteador.

»Allerdings,« antwortete Don Inigo; »verschweigt euren Namen; wenn Ihr aber nicht einen ähnlichen Grund habt, mir die Veranlassung zu dem seltsamen Leben zu verbergen, das Ihr führt; wenn eure Verbannung in der Gesellschaft, wenn euer Aufenthalt in dem Gebirge die Folge eines Jugendstreiches war, wie ich annehme; wenn Ihr das Leben im Gebirge überdrüssig seyd, so verpfände ich hier vor Gott mein Wort, euer Beschützer und selbst für Euch Bürge zu seyn.»

»Ich danke, Señor, und nehme euer Wort an, obgleich ich bezweifle, daß ein Mensch, ausgenommen der welcher von Gott die höchste Gewalt erhalten hat, mir in der Weit den Platz wiedergeben kann, den ich innehatte, und doch habe ich mir keine schmachvolle That vorzuwerfen. Heißes Blut und das zu leicht sich entzündende Herz trieben mich zu Fehltritten und von diesen kam ich zu Verbrechen. Die Fehltritte sind gethan, die Verbrechen sind begangen und klaffen gleich Abgründen hinter mir, so daß ich auf dem durchlaufenen Pfade nicht zurückgehen kann und wenn ich umkehren sollte, eine übermenschliche Macht einen andern Weg schaffen müßte. Bisweilen denke ich an die Möglichkeit eines solchen Wunders und ich würde mich glücklich preisen, wenn es erfolgte, doppelt glücklich, wenn es durch Euch erfolgte und wenn ich hinter einem Engel, wie der junge Tobias, in das Vaterhaus zurückkehrte. Bis dahin hoffe ich, denn die Hoffnung ist ja die letzte Freundin der Unglücklichen, obgleich so falsch und trügerisch, bisweilen selbst mehr als die andern; ich hoffe, aber ich glaube nicht . . . Ich lebe und wandere jeden Tag weiter auf dem rauhen und steilen Pfade der Empörung gegen die Gesellschaft und das Gesetz . . . Ich steige höher und glaube deshalb, ich erhebe mich. Ich gebiete, und weil ich gebiete, glaube ich König zu seyn. Manchmal freilich, in der Nacht, in einsamen Stunden, in Augenblicken der Traurigkeit, denke ich nach und erkenne, daß man zwar in die Höhe steigt, um auf den Thron zu gelangen, aber auch auf das Blutgerüst.«

El Salteador

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