Читать книгу Matisse / Матисс. Книга для чтения на немецком языке - Александр Иличевский - Страница 10

Nadja
IX

Оглавление

Nadja war beinahe stumm. Es fiel ihr derart schwer, ihr Inneres auszudrücken, dass sie vor lauter Qual den Kiefer immer stärker zusammenpresste und manchmal plötzlich mit den Händen losfuchtelte: Vielleicht wollte sie etwas zeigen, vielleicht dem Gesprächspartner etwas einbimsen[28], was für sie selbst so klar und wichtig war. Es kam vor, dass Wadja dabei wirklich eine abkriegte, und das tat dann richtig weh. Nadja, nur noch mehr außer sich, lief ein Stück, atmete schwer, trat von einem Bein aufs andere, als würde sie es eilig haben wegzukommen, und blieb dann plötzlich stehen, fuchtelte mit den Armen und bewegte schnell gestikulierend die Finger.

Was Wadjas Lebensweg bestimmt und unwillkürlich Nadjas Herz erobert hatte, war seine Liebe zu Wladimir Wyssozki* und Viktor Zoi*. Fast alle Lieder des Ersten (Wadja nannte ihn kumpelhaft Semjonytsch) kannte er seit seiner Kindheit, von den Aufnahmen, die er, einen tragbaren Kassettenrekorder der Marke Wesna auf der Schulter, mit den anderen Jungs gehört hatte. Die Musik von Zoi hatte Wadjas Berufsschulzeit aufgehellt.

Die Lieder von Wyssozki sang er nicht, er brummte sie. Brummte sie in der Gefangenschaft und auch, als er schon mit Nadja ging. Insbesondere mit ihr. Er tat es selten, genierte sich. Im Park oder auf dem Bahnhof entfernte er sich immer ein Stück, hinter die Büsche, ans äußerste Ende des Bahnsteigs, wo er dann, als wollte er Geister beschwören, einfach losbrummte, ohne bestimmte Tonfolge, aber dann sang er sich ein, sein voller Bariton gewann an Kraft und Tiefe, und heraus kam weniger eine Melodie als ein rezitatives Muster, das mit dem bekannten Lied gar nichts zu tun hatte, es aber auf einmal von einer anderen Seite zeigte, auf ganz andere Art seine durchdringende Dramatik offenbarte, als würde die Bedeutung der Worte bloßgelegt, die nunmehr ihres melodischen Schmiermittels beraubt waren.

Es war erstaunlich, wie aus Wadjas unbeholfener Interpretation eine regelrechte Neuinszenierung dieses Liedes wurde. Nadja wusste das zu würdigen und lauschte mit offenem Mund.

Danach klopfte sie ihm auf den Rücken und sagte:

»Du Künstler!«

Doch er ließ sie nicht gleich an sich heran, auch sang er niemals, wenn sie ihn darum bat – da winkte er ab, wurde wütend, schnauzte sie an und ging für sein Gebrumme ein Stück von ihr weg, weil er sich schämte oder weil es für ihn eine Art heiliger Akt war. Und erst später, wenn er sich in das meditative Singen der großen Dichterworte versenkt hatte, wenn er seine Wachsamkeit eingebüßt und sich mit halbgeschlossenen Augen hingesetzt hatte – erst dann schlich sie sich zu ihm hin und erstarrte hingerissen. »Das Segel! Das Segel ist gerissen!«, sang er beispielsweise, »Parus! Porvali parus!«, wobei er nahezu jede Silbe einzeln hervorstieß, mit überraschenden Eskapaden, und es war unbegreiflich, woher er die Luft nahm.

28

j-m etwas einbimsen (разг.)  вдалбливать кому-либо что-либо, заставлять кого-либо выучить что-либо

Matisse / Матисс. Книга для чтения на немецком языке

Подняться наверх