Читать книгу Die Melodie in dir - Alessandra Grimm - Страница 10
ОглавлениеKapitel 8
Die Zeit in den Ferien verflog rasch. Nahezu jeden Tag hatten sich Ben und Mia getroffen, oder sich im Chat unterhalten. Ab und an hatten sie sogar telefoniert. Sie sprachen über alles Mögliche. Musik, Literatur und von Urlaubserlebnissen aus der Kindheit. Mia erzählte, wie gerne ihre Eltern mit ihr nach Fuerteventura flogen und sie stellten fest, dass sie sogar beide zur selben Zeit die Insel besucht hatten. Während Familie Stein den Cluburlaub genoss, war Ben mit seiner Familie zu Gast bei Verwandten. Sein Cousin hatte ihm in diesem Jahr das Surfen beigebracht. Stundenlang konnten sie miteinander reden und wenn sie beisammen waren, konnten sie auch schweigend zusammen Zeit verbringen. Es störte beide nicht.
Hörte Mia Bens Namen, musste sie in sich hinein lächeln. Sah sie seinen wuscheligen Kopf in der Ferne, kribbelte es in ihrem Bauch. Sie hatte viel über Liebe gelesen und sich immer vorgestellt, wie sie sich wohl anfühlen würde. Jetzt bekam sie eine Kostprobe dessen und ihr Gefühl wurde von Tag zu Tag stärker. Manchmal saßen sie gemeinsam im Café Giorgios und arbeiteten an ihren textlichen Kreationen. Mia an Gedichten, Ben an Songtexten.
„Na los, probier schon!“, forderte Ben sie eines Tages auf. Der Traum von vor ein paar Tagen wurde nun war. Ben schob ihr die Tasse mit dem weißen Schaum zu und forderte sie tatsächlich auf, das bittere Gebräu zu probieren. Kurz hatte Mia überlegt, Ben von ihrem Traum zu erzählen, der genau diese Situation ihr aufgezeigt hatte, entschied sich dann aber dagegen. Sie fand es selbst etwas gruselig.
Mia verzog angewidert das Gesicht und streckte die Zunge raus. „Warum zwingst du mich?“, fragte sie mit gequälter und quietschender Stimme.
„Weil Kaffee großartig ist und es putscht einen auf! Man kann sich viel besser konzentrieren. Glaub mir, beim Schreiben wirkt das Zeug wahre Wunder.“, antwortete Ben. „Na los!“, sagte er ungeduldig und untermalte seine Aufforderung mit einer Handgeste. Zögerlich griff Mia nach dem Getränk und nippte vorsichtig daran. Ein leises Schmatzen war von ihr zu hören, als sie versuchte den Geschmack auf ihrer Zunge wirken zu lassen. Ihre Mundwinkel fielen nach unten und sie legte die Stirn in Falten. Mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck sagte sie: „Wie kannst du das nur gut finden? Und du trinkst das auch noch ohne Milch!“ Ihre Empörung darüber, dass Ben diesen Geschmack tatsächlich als gut befand, war merklich zu hören. Ben griff nach dem Zuckerstreuer und ließ einige der weißen Kristalle in die Tasse hineinfließen. Mia rührte mit dem Löffel die blonde Flüssigkeit um. Skeptisch sah sie ihn an. „Probiere es jetzt noch mal.“, sagte er sanft. Mia nippte erneut. Schaum hatte sich auf ihrer Lippe abgesetzt, woraufhin sie mit der Zunge dort entlangfuhr, um ihn zu beseitigen. Ben schmunzelte bei diesem Anblick, hatte sie doch dabei etwas auf ihre Nase geschielt und sah dabei sehr lustig aus. „Besser.“, sagte sie. „Aber ich bin immer noch nicht überzeugt.“
„Das kommt noch. Ich habe mal gelesen, dass man Dinge sieben Mal probiert haben muss, bis es einem schmeckt und man sich daran gewöhnt hat. Danach wirst du es lieben!“ Bei dem Gedanken noch weitere sechs Tassen von diesem Gebräu zu trinken wurde Mia schlecht. Ben lachte, als er ihre erneute Verstimmung bemerkte. „Du wirst vermutlich bei jedem Kaffee immer an mich denken müssen.“
„Vermutlich.“, stimme sie ihm zu.
An einem Tag gingen sie im Park spazieren und Ben hatte zögerlich ihre Hand genommen. Die Berührung ihrer Haut ließ beide Herzen lauter schlagen, doch beide verhielten sich noch sehr schüchtern zueinander. Seit jenem Tag hatten sie sich nicht wieder geküsst, aber ihr Umgang miteinander war dennoch liebevoll.
Er strich ihre Locke hinters Ohr, als sie wieder zum Schauplatz der damaligen Romantik gefahren waren. „Wie hast du diesen Ort eigentlich gefunden?“, fragte er sie und beobachtete das sich spiegelnde Licht im Wasser des Baches. Er machte einen sehr zufriedenen und zur Ruhe gekommenen Eindruck. Das Schillern der Sonnenstrahlen tauchte den Bach in verschiedene Gelb- und Gold-Töne und strahlte eine ungeheure Wärme aus, obwohl die Temperatur eher Gegenteiliges aufzeigte. „Ich habe als Kind hier schon gespielt.“, antwortete Mia, die tief den Duft des Waldes einsog.
„Räuber und Gendarm?“, fragte er mit Ironie in der Stimme. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Mia einem Kinderspiel dieser Art nachgegangen war. „Nein. Eher Hexe und Fee, oder was uns sonst eingefallen ist. Der Wald hat schon etwas Mystisches.“ Ben pflichtete ihr bei und legte seinen Arm um sie. Sanft zog er sie an sich heran und Mia legte ihren Kopf auf seine Schulter. Zögerlich nahm er ihre Hand und verwebte seine Finger in ihre. Sanft streichelte er mit seinem Daumen den Teil des Handrückens, den er erreichen konnte. Obwohl des immer kühler werdenden Wetters, fühlten sie sich in diesem Moment geborgen und warm. Das Rascheln der vergilbten Blätter und das Rinnen des Bächleins formten sich zu einem Lied in ihren Ohren. Aneinander gekuschelt genossen sie die warmen Sonnenstrahlen, welche sich wie Punkte durch die Äste hindurch auf ihren Wangen niedersetzten. „Ich schreibe einen neuen Text.“, erwähnte Ben, als er seinen Kopf schließlich auf ihren legte. Ihre graue Mütze war angenehm weich und roch nach ihr. „Ja? Worüber?“, fragte sie mit geschlossenen Augen und genoss den Moment der Nähe.
„Liebe.“, hörte sie seine sanfte Stimme sagen. Mia wurde rot und kicherte verlegen. „Es wird dein Song.“, ergänzte er. Verstohlen blickte sie zu ihm hoch. Sanft streichelte er ihr Gesicht. „Du siehst wie ich wirklich bin.“, sagte er und küsste sie. Mia wurde heiß. Seine Lippen waren weich und gaben ihr das Gefühl, den Himmel empor zu steigen. Das schmatzende Geräusch, welches sich in ihre Ohren nistete, nachdem sie ihren Kuss gelöst hatten, war wie ein Auftakt eines neuen Liedes. „Nur mit dir kann ich leben im jetzt und hier.“, flüsterte Mia in sein Ohr. Ihr warmer Atem kitzelte ihn, fühlte sich aber angenehm an. Seine Nackenhärchen stellten sich wohlig auf. „Falls du Inspiration für den Text brauchst.“, zwinkerte sie ihm zu. Der Ausdruck an Respekt zeichnete sich in Bens Gesicht ab. „Das ist dir eben einfach so eingefallen?“, fragte er neckend. Mia nickte und presste ihre Lippen erneut auf seine.
*
Ihr Tagebuch war lange nicht mehr so oft aufgeschlagen worden, wie in den letzten Wochen. So viele erste Male, so viele neue Eindrücke mussten von ihr für die Ewigkeit festgehalten werden. Mia lag auf dem Bauch auf ihrem Bett, die Füße über Kreuz in der Luft wippend. Sie schrieb zum heutigen Tag den Satz auf, den sie Ben für seinen Song schenkte und malte ein Herzchen daneben. Sie biss sich halb lächelnd auf die Unterlippe und notierte: „Ich glaube, ich bin verliebt. Wer hätte ahnen können, dass Ben Richter von einem arroganten Jungen zu meiner ersten Liebe werden würde.“
Vor sich hin grinsend knabberte sie an dem oberen Ende ihres Kugelschreibers und dachte nach. Im Hintergrund hatte sie die Musik von Good-For-Nothing aufgelegt. Obwohl sie die Aufnahmen selbst getätigt hatten, war die Qualität äußerst gut. Nach reiflicher Überlegung ergänzte sie in Klammern: „Und er kann wirklich gut küssen!“ Zumindest empfand sie es so. Ihr erster Kuss war ein Junge aus ihrem Fuerteventura-Urlaub gewesen. Er war aus England und hauste im selben Club-Hotel wie Mia. Sie war dreizehn Jahre alt gewesen. Eines Abends saßen sie gemeinsam am Pool, während ihre Eltern an der Party an der Bar teilgenommen hatten. In ihrem gebrochenen Englisch konnten sie sich einigermaßen verständigen und versuchten sich über den neuesten Harry Potter-Film auszutauschen, den Mia an die fünfzig Mal auf Englisch angeschaut hatte. So wollte sie ihre Sprachfähigkeit ausbauen. In einem Moment der Stille, die Füße im kalten Wasser haltend, hatte er sich dann zu ihr gebeugt und sie einfach geküsst. Es hatte sich wunderbar angefühlt, aber nicht so gut wie die Küsse von Ben. Seither hatte sie keinen Jungen mehr so nah an sich rangelassen. Die Urlaubsromanze hatte sie nie wiedergesehen.
Noch hatten Ben und Mia nicht darüber gesprochen, ob sie nun offiziell ein Paar waren, oder nicht. Aus diesem Grund schreckte sie davor zurück, Simon etwas von der Liebelei zu erzählen. Er mochte Ben, doch sie wusste nicht, wie ihr bester Freund auf ihren womöglich bald ersten Freund reagieren würde. Diesen Umstand hatten beide noch nicht erlebt. Simon hatte bisher keine Freundin gehabt und sie keinen Freund. Es gab hin und wieder kleinere Schwärmereien, aber nichts Ernsteres. Diese neue Situation könnte ihre Freundschaft womöglich auf die Probe stellen und sie hatte so oft in ihrer Klasse mitbekommen, dass vermeintliche Kumpels plötzlich eifersüchtig wurden, wenn die gute Freundin in einer Beziehung war. Auch andersherum hatte sie dieses Phänomen schon beobachtet. Bei ihr und Simon würde das bestimmt nicht so kommen, aber sie wollte ihn erst einweihen, wenn sie sicher war. Aber ganz genau wusste sie nicht so recht, warum sie Ben vor ihm und auch allen anderen verheimlichte. Vielleicht konnte sie nicht so wirklich glauben, dass dies alles gerade passierte und er sich tatsächlich für sie entschieden würde.
„Mia! Simon ist da!“, rief ihre Mutter im Flur, die soeben die Tür geöffnet hatte. Simon tapste vollbepackt mit Knabbereien in ihr Zimmer herein. „Du meine Güte, wer soll das alles essen?“, fragte Mia. „Na ich!“, antwortete er mit größter Selbstverständlichkeit. Mia stand auf und nahm ihm die Tüten Popcorn und Chips ab. „Die M&Ms gehören mir.“, sagte sie und funkelte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Bitte, bitte. Gönnen sie sich Fräulein Stein!“
Sie machten es sich gemütlich und schauten sich den Film The Queen of the Damned an. Mia hatte die Bücher von Anne Rice verschlungen und Simon war von der Musik begeistert. Daher hatten sie den Film bestimmt schon sechs Mal gesehen und hatten ihn immer wieder für großartig befunden. Im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden.
„Wie macht sich eigentlich Ben?“, fragte Simon bei einer unspektakulären Szene. „Im Ernst? Du fängst ein Gespräch während des besten Films des Jahrzehnts an?“, fragte Mia empört.
„Wir kennen ihn auswendig, also ja.“
„Das ist fast so schlimm wie während Harry Potter zu reden!“, sagte Mia vorwurfsvoll. „Blabla.“, erwiderte Simon.
„Ich glaube er macht sich gut. Wir haben ein paar Sachen ausprobiert, damit er sich seinen Gefühlen bewusster wird oder wie du es umschrieben hast, sie aus dem Archiv rausholen kann. Ich habe ihn aber noch nicht singen gehört. Er meinte, er schreibt gerade einen neuen Text.“
„Das klingt gut. Ihr verbringt viel Zeit miteinander, kann das sein?“
„Nicht mehr als mit dir.“, antwortete sie und mied seinen Blick. „Nicht, dass ich hier noch ersetzt werde!“, grinste Simon, während er eine Handvoll Popcorn raschelnd aus der Tüte zog und sie einzeln in die Luft warf, um sie mit dem Mund zu fangen. „Wenn mein Bett heute Nacht voller Popcorn ist, werde ich Rache an dir nehmen.“, ermahnte Mia ihn. Simon grinste sie nur verschmitzt an.
*
Ben saß an seinem Schreibtisch. Er hatte nur die kleine Lampe darauf eingeschaltet. Der Rest des Zimmers blieb daher in Dunkelheit gehüllt. Um ihn herum lagen etliche, zerknüllte Papierkugeln. Immer wieder fing er von neuem an die Texte aufzuschreiben. „Dieses Feeling ist der einzige Sinn meines Herzens schlagen“, hatte er aus seinen älteren Notizen herausgekramt. „Will es immer in mir haben.“, notierte er. Ihm fielen immer nur Bruchstücke ein, die sich nicht zu einem Ganzen zusammenformen ließen. Warum fiel ihm ausgerechnet dieser Text so schwer? Sie hatte so fiel in ihm hervorgeholt. Dieses Gefühl hatte er noch nie vorher in sich vernommen, nicht einmal für Julia. Mia war anders als die Mädchen, die er bisher getroffen hatte. Er konnte mit ihr lachen, aber auch ernste Themen mit ihr besprechen. Sie schien ihn zu verstehen und seine Musik irgendwie auch. Außerdem war er fasziniert von ihrer literarischen Natur. Mit ihr fühlte er sich frei, ohne Zwang und Druck. Ihre wilde Mähne, die sein Gesicht kitzelte, wenn sie sich an ihn lehnte und der Wind wehte, wollte er nicht missen. Wie sich ihre zarte Haut anfühlte und ihre Lippen schmeckten. So süß, fast wie Honig. Jeder Moment mit ihr war, als würde er mit ihr zu einem Ort seiner Träume fahren. Das Gefühl war wunderbar. Trotzdem hinderte ihn etwas daran, es zu beschreiben und zu Papier zu bringen.
„Nur mit dir kann ich leben im jetzt und hier.“, notierte er auf ein Post It und klebte es an seinen Monitor. Er knabberte an seinem Kugelschreiber und lehnte sich zurück. Immer wieder wiederholte er leise diesen Satz. „Mia, du bist die Melodie in mir.“ Hastig richtete er sich auf, nahm das Post It wieder ab und fügte diesen Satz hinzu. Das wird ein Teil des Refrains, dachte er sich.
Das ICQ-AO ertönte. Er blickte auf. „Hey Schatz, wie geht es dir? Ich bin aus Schottland zurück.“, hatte Julia geschrieben. Ben blieb ein Kloß im Hals stecken. Julia hatte er in den Ferien vollkommen vergessen. Sie war mit ihrer Familie zu ihrem Onkel gefahren und er hatte mit ihr keinen einzigen Kontakt in der Zwischenzeit gehabt. Meistens war er unterwegs gewesen, sodass sie sich online verpasst hatten. Oft war er auch invisible, um nur mit Mia zu schreiben. Die SMS‘ waren zu teuer für Julia, weswegen sie ihm nicht geschrieben hatte. Ihm war bewusst, dass er mit ihr Schluss machen musste. Nur wusste er nicht, wie er das anstellen sollte. Immerhin war Julia seine erste, richtige Freundin. Ihm fehlte die Erfahrung darin.
„Hey, gut und dir? Wie war es dort drüben?“, schrieb er zurück.
„Nass. Ich habe dich vermisst!“
„Oh, es hat also viel geregnet. Hier blieb es die meiste Zeit trocken.“
„Ja, leider schon. Und meine blöde Cousine ging mir wieder auf die Nerven. Sie denkt sie sei so fancy, weil sie auf eine Privatschule geht und Haare bis zum Po hat.“
„Tut mir leid.“
„Was tut dir leid?“
„Dass du anscheinend keine gute Zeit hattest.“
„Ach so. Naja, ich bin ja zurück! Wann sehen wir uns?“
Ben zögerte. Er brauchte Zeit, um zu überlegen, was er ihr dann von Angesicht zu Angesicht sagen würde. Hinzu kamen die vermehrten Bandproben wegen des anstehenden Konzerts und er wollte an einem neutralen Ort mit ihr sprechen und nicht bei sich zu Hause, oder gar bei ihr. Es blieb ihm nichts Anderes übrig. Er schrieb: „Am Samstag?“
„Erst Samstag????“ Er hatte geahnt, dass diese Reaktion von ihr kommen würde.
„Ja, ich habe jeden Tag Bandprobe, weil wir Freitag ein Konzert im Kellercafé geben. Tut mir leid.“
„Ach so. Schade. Na gut, dann Samstag.“
*
Julia schrieb ihrer Freundin parallel: „Ich glaube, du hast Recht. Das Mädchen, das du mit ihm gesehen hast, scheint nicht nur eine Bekannte zu sein.“
Kapitel 9