Читать книгу Die Melodie in dir - Alessandra Grimm - Страница 4
ОглавлениеKapitel 2
Simon umarmte seine beste Freundin so sehr, dass viele an ein lang ersehntes Wiedersehen dachten, oder aber eine frische junge Liebe. Oft hatten sie mit Gerüchten in der Schule zu kämpfen, dass sie ein heimliches Paar wären und es nur nicht zugeben wollten. Selbst die Lehrer rätselten regelmäßig im Lehrerzimmer darüber und mussten jedes Mal verschmitzt grinsen, wenn sie in ihrer Klasse die beiden wieder nebeneinander vorfanden. Mia und Simon konnten diese Gerüchte überhaupt nicht nachvollziehen. Sie fühlten sich wie Geschwister und auch Mias Mutter sprach immer von ihrem Sohn, wenn es um Simon ging. Bekannt miteinander waren sie seit der fünften Klasse und seitdem, trotz der Tatsache, dass sie nicht in dieselbe Klasse gingen, unzertrennlich. Tatsächlich hatte der Schulchor die beiden zueinander geführt, zum Leidwesen von Herrn Pittek, der die beiden immer ermahnen musste. Nur Albernheiten im Kopf und manchmal lachten sie so laut, dass sie regelrecht die Chorprobe störten. Irgendwann begannen sie aber, sich zusammenzureißen, da sie doch lieber sangen, als sich von Herrn Pittek ständig Standpauken anhören zu dürfen und von der Probe ausgeschlossen zu werden.
In der siebten Klasse hatten sie dann den Französischkurs zusammen gemeistert, wohl gemerkt eher schlecht als recht und mit jeder Stufe häuften sich die gemeinsamen Kurse. Zum Leidwesen der Lehrer, denn zwar wurden sie gemocht, aber wirklich fleißig und motiviert waren beide nicht. Immer wieder hatten die Lehrer versucht, sie auseinanderzusetzen, damit der Einfluss von Einser-Schülern auf sie abfärbte. Wie zu erwarten brachte das natürlich gar nichts, woraufhin sie die kapitulierten und die beiden wieder nebeneinandersitzen ließen. Es lag auch nicht an mangelnder Aufmerksamkeit. Sie hatten beide immer die Hausaufgaben gemacht und beteiligten sich mal mehr, mal weniger am Unterricht. Aber beide waren offen gesagt unheimlich faul, was das Lernen betraf und taten es nur für Fächer, die sie wirklich interessierten. Ihr Notenschnitt ließ schon früh erahnen, dass wohl keiner von beiden jemals Medizin studieren würde.
„Ich habe dich früher erwartet!“, erwiderte Simon vorwurfsvoll. „Ich habe mein Shirt nicht gefunden.“, gab Mia achselzuckend wieder. „Lass mich raten, deine Mutter hat es wieder ausversehen in ihren Schrank gepackt?“, dabei formte er Anführungszeichen mit den Fingern, als er das Wort „ausversehen“ aussprach. Mia nickte und grinste ihn an. „Welche Bands sind denn heute noch dabei? Ich habe gar nicht auf die Liste geschaut.“, fragte sie.
„Viele, die man nicht kennt. Eine Band nennt sich Spontan, finde ich jetzt nicht so kreativ. Tim ist auch dabei mit The Pressure.“
Mia kannte Tim seit etwa einem Jahr. Er war etwas jünger als sie und sie hatten sogar am selben Tag Geburtstag. Die Freundschaft hatte sich leider nach einiger Zeit etwas aufgelöst, da er sich irgendwann in sie verliebt hatte, sie aber leider nicht in ihn. Erinnern wir uns an jeden Tag, denn die Geschichte ist für manche belustigend, für andere schockierend. An jenem Tag waren sie mal wieder bei ihm verabredet. Tim hatte den Luxus mit seinem älteren Bruder in einer eigenen Wohnung zu leben. Die Eltern wohnten nebenan. So waren die Jugendlichen ungestört von den prüfenden Blicken der Eltern, weswegen die meisten sich immer bei ihm zu Hause treffen wollten. Fast jeden Samstag fuhr sie nach Düsseldorf, um Tim zu besuchen. Sie hörten gemeinsam Musik, schrieben Song-Texte und ab und an überredete er sie sein Schlagzeug auszuprobieren. Hoffnungslos. Wenn Mia in etwas kein Talent hatte, dann in der Koordination der Schläge von Trommeln und Blechen. Daher ernteten Schlagezuger bei ihr schnell den höchsten Respekt.
Tim hatte diesmal in der Küche einen kleinen Brunch vorbereitet. Es fanden sich frisch gepresster Orangensaft, Croissants, schön geschnittene Gurken und Tomaten und verschieden Aufstriche und Aufschnitte wieder. Sie wusste noch, dass sie gar keinen Hunger gehabt hatte und mehr als überrascht über den reichlich gedeckten Tisch war. Oft hatte Tim im Chat beton, dass er ein wunderbares Frühstück zaubern könne, doch Mia blieb davon unbeeindruckt und nahm die Aussage stumpf zur Kenntnis. Womöglich wollte er sich beweisen, dachte sie sich. Doch als ihr Blick von den Konfitüren hin zur Tischecke wanderte, sprang ihr die Rose ins Auge. Schlagartig zog sich ihr Magen zusammen und ihr wurde speiübel. Sofort wusste sie, was jetzt passieren würde und ihr war das mehr als unangenehm. „Ich weiß, du magst keine roten Rosen und findest es kitschig, darum habe ich eine gelbe Rose besorgt.“, fing Tim an zu sprechen.
„Du weißt, das Gelb für Neid steht?“, unterbrach sie ihn direkt. Ihr Magen pochte. Am liebsten wäre sie aus der Wohnung gerannt und hätte am nächsten Tag so getan, als wäre dies alles niemals geschehen und Tim hätte das alles nur in seinen Träumen gesehen. „Oh, nein das wusste ich nicht! Tut mir leid!“, sagte er und schaute verlegen zu seinen Füßen, während er einen Arm hinter seinen Kopf zog und sich dort kratzte.
„Nicht schlimm, der Gedanke zählt.“, murmelte sie kaum hörbar.
„Ich… also ich wollte dir damit natürlich etwas sagen. Ich kaufe dir nicht ohne Grund diese Rose.“, fuhr er fort. Bitte nicht, dachte Mia. Tim war ihr lieb und teuer, die Freundschaft würde nach der Abfuhr niemals wieder wie zuvor sein, das wusste sie.
„Ich habe mich in dich verliebt, Mia.“ Ein unangenehmer Schwall bahnte sich den Weg ihrer Speiseröhre hoch. Mit der einen Hand packte sie den Stuhl, mit der anderen umfasste sie ihren Bauch. „Alles gut?“, fragte Tim erschrocken. „Du bist auf einmal so blass!“
„Ich glaube, ich muss ums Eck!“, keuchte sie und verschwand ins Bad. Von außen waren noch die Würggeräusche hörbar gewesen. Bis heute plagt Mia das schlechte Gewissen Tim gegenüber und sie brachte es kaum fertig, ihm in die Augen zu sehen. Immer wieder musste sie an ihren Fauxpas denken und wie sie ihn gekränkt haben musste. Trotz dieser unangenehmen Geschichte kamen sie überraschenderweise gut miteinander aus und Mia bekam das Gefühl, dass Tim sich sogar freute, wenn er sie auf einem Konzert wiedersah. Die alleinigen Treffen in Düsseldorf fielen seither natürlich aus.
„Ah cool, da kann ich ja auch ein paar Songs noch mitsingen.“, sagte Mia zu Simon.
„Genau. Und sonst gibt es noch so ein Trio. Die haben einen Namen der was für dich ist mit deinem Lieblingsfach.“, er pikste sie in die Seite. Direkt wissend, dass er auf den Deutsch-Kurs anspielte, erwiderte sie mit hoch gezogener Augenbraue: „Die drei Fragezeichen sind aber leider schon vergeben.“
„Nein, so nennen die sich natürlich nicht. Wie heißt das denn noch mal, wenn Frage- und Ausrufezeichen zusammen sind. Inter?“, Simon kratzte sich am Kopf. „Interrobang?“, half Mia nach.
„Ja genau! Interrobang nennen die sich.“, seine Hände trafen aufeinander und das entstehende Klatschen erinnerte an einen Peitschenhieb. „Wieso kannst du dir so was merken?“
„Na, weil das in den Marvel-Comics oft verwendet wird. Und irgendwann habe ich nachgeguckt, ob es dafür einen Namen gibt.“, erklärte sie.
„Würde ich jetzt auch behaupten, damit das Wissen darüber cooler wirkt. Willst du mit Backstage kommen und die Jungs begrüßen?“, ohne eine Antwort abzuwarten legte er seinen Arm um sie und zerrte sie mit zum sogenannten Backstage-Bereich, der einfach ihr Musikklassenzimmer war. Direkt sah sie Tim der ihren Blick auffing und strahlend auf sie zuging. „Mia!“, umarmte er sie und hob sie dabei, wie üblich, hoch. Er war jetzt schon über einen Kopf größer als sie und konnte sich den neckischen Spitznamen Kleine nicht verkneifen, was ihr natürlich gar nicht gefiel.
„Wie geht es dir Tim? Haben uns auch wieder ewig nicht gesehen.“ Sie versuchte den besagten Tag voller Peinlichkeiten zu verdrängen. Bei jedem Wiedersehen keimte die Erinnerung daran wieder auf und ihr schlechtes Gewissen klopfte energisch gegen die Tür. Alleine die Tatsache, dass sie sich nach einer süßen Liebeserklärung übergeben musste, sprach schon für sich. Kein Wunder, dass sie noch keinen Freund bisher gehabt hatte.
„Alles bestens! Ich habe jetzt eine Freundin!“, sagte er und reckte seine stolze Brust ihr entgegen. „Das freut mich! Ist sie auch hier?“
„Leider nicht. Ihre Eltern erlauben es ihr noch nicht, sie sei zu jung. Vielleicht in zwei Jahren mal.“
Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis die Bandkollegen von Simon dazu kamen. Sie waren allesamt älter als Simon, aber von ihrer Art her hätte man keinen Altersunterschied gemerkt. Obwohl unter anderem Sven schon achtzehn war, dachte Mia manchmal, sie würde mit einem vierzehn-Jährigen reden. Die regelmäßigen Chats am Abend blieben nicht aus und oft half sie Sven bei seinen Songtexten. Immer wieder versuchte Mia ihn dazu zu bringen, auch mit Becky zu schreiben, denn ihre Freundin war ziemlich in den Gitarristen verschossen. Doch leider hatte er überhaupt kein Interesse an ihr.
Mia unterhielt sich mit allen die sie kannte und teilweise kamen auch die Fremden mit in die Runde. Zu groß war die Neugier, wer hier im Backstage-Bereich so viel Aufsehen und Lacher erregte, gab es sonst kaum Angehörige der einzelnen Bandmitglieder, die sich dort blicken ließen. Außerdem spielte Mia mal wieder ihre Flachwitz-Kassette ab, die viele äußerst amüsant fanden. „Ist das deine Freundin, Simon?“, ertönte eine dunkle Stimme von hinten. Mia drehte sich um. Ein Junge stand vor ihr mit kinnlangen, braunen Haaren. Seine Augen trugen dieselbe Farbe. Hier und da hatte er ein paar Pickel am Kinn. Von Bartwuchs noch keine Spur. Er sah schlaksig aus, aber wer tat das in diesem Alter nicht? Definitiv war er älter als sie. Sie schätzte ihn auf mindestens siebzehn ein.
Seine vollen Lippen formten sich zu einem Lächeln und ließen seine hellen Zähne hervorblitzen. „Warum guckt sie denn so kritisch.“, erwiderte er, ohne den Blick von ihr zu nehmen. Irritiert sah sie zu Simon und bemerkte erst dann, dass sie tatsächlich die Stirn krausgezogen hatte und dadurch eher sauer wirkte, als freundlich. Simons Miene hatte ihr das deutlich wieder gespiegelt. Er strich sich durch sein schwarzes Haar, das ebenfalls zu lang für ihren Geschmack war. Die Mode damals war eben anders. „Nein, das ist meine beste Freundin Mia. Mia das ist Ben, der Sänger und Gitarrist der Band Interrobang.“
Mia reichte ihm die Hand. „Nett, dich kennenzulernen. Bin auf eure Musik gespannt.“ Sein Blick wanderte von ihren Augen hin zur Hand, dabei biss er sich verlegen auf die Unterlippe, sah wieder hinauf und entgegnete endlich der Geste. Als sich ihre Hände berührten, spürte Mia ein leichtes Kribbeln auf ihrer Haut, gefolgt von einem flauen Gefühl in ihrer Magengrube. „Freut mich auch, beste Freundin von Simon. Ich bin gespannt, wie dein Urteil ausfallen wird.“
„Mia.“
„Was?“
„Mia ist mein Name. Noch bist du nicht so berühmt, als dass du dir Namen nicht merken solltest.“ Verblüfft sah er ihr hinterher, als sie die Hand rasch wegzog und den Backstage-Bereich verließ.