Читать книгу Die Melodie in dir - Alessandra Grimm - Страница 5
ОглавлениеKapitel 3
„Seid ihr bereit für Interrobang?“, fragte der Moderator, ein Schulkamerad aus dem Abiturjahrgang, der jede Gelegenheit nutzte, um auf der Bühne seine Show abzuziehen. Die Zuschauer jubelten und es war klar, dass die Band bereits einige Fans in der Menge zu zählen hatte. Vollkommene Newcomer waren sie demnach nicht. Ben kam auf die Bühne und heizte dem Publikum ein. Nach ein paar Worten begann er den ersten Song anzuspielen. Die Lichter waren auf die Jungs gerichtet. In kreisenden Spots fiel jedoch die totale Aufmerksamkeit auf Ben. Das Schlagzeug stand mittig auf der Bühne und einen halben Meter weiter hinten als die Plätze des Gitarristen und Bassisten. Obwohl damit etwas im Hintergrund nahm Ben die vollkommene Präsenz auf der Bühne ein, als er sich hinter die Trommeln setzte. Eins wurde damit schnell klar, Ben war der Star der Band. Die Lichtkegel ließen seine in Schweiß gebadete Haut schimmern. Wenige Perlen zeichneten sich von seiner Schläfe ab und sein Haar begann strähniger zu werden.
Die Musik war nicht schlecht, aber Mia gefiel nur ein einziger Song mit dem Titel Niemals darfst du gehen. Ben hatte keine gute Stimme. Er war nicht als Sänger geboren. Zwar traf er die Töne und aufgrund der Stimmung war die Performance auch live in Ordnung, aber ein richtiger Sänger war er definitiv nicht. Dafür war seine Stimme nicht aufregend genug, aber das würde Mia ihm erstmal nicht sagen.
Mia wurde warm. Die Menschen und die fehlenden Fenster sorgten für eine stickige Atmosphäre. Die Temperatur erinnerte an einen heißen Sommertag, obwohl bereits Herbst war und sie freute sich jetzt schon auf die kühle Brise, die für alle ein Segen sein würde.
Mia hatte sich einen Weg in die erste Reihe gebahnt und sah kurz zu Ben hinüber, dessen Shirt mittlerweile vollkommen durchtränkt war. Ein Schauder lief über ihren Rücken. Zu sehr ekelte sie sich vor dem Schweiß und wollte gar nicht wissen, wie er wohl nach dem Auftritt riechen würde. Seine Bandkollegen schwitzten zwar auch, aber nicht so intensiv wie er. Schlagzeugspielen schien einer Sporteinheit zu gleichen. Sie drehte sich um, ihre Freundin Becky schlängelte sich ebenfalls einen Weg nach vorne mit zwei Plastikbechern in der Hand, denn gleich würde Good-For-Nothing die Bühne betreten. Bens Haare waren mittlerweile vollkommen durchnässt und während er seinen Kopf im Takt schüttelte, trafen einige Schweißperlen die vordere Menge. Mia beobachte dieses Schauspiel angewidert und zog Becky ein wenig zur Seite, um nicht getroffen zu werden. Interrobang spielte den letzten Song.
*
Ben erblickte das Mädchen mit den langen, schwarzen Haaren in der Menge. Ihre Locken hatten sich noch stärker gekräuselt als zuvor im Backstage-Bereich. Unbegeistert wippte sie im Takt mit, hielt dabei ihre Umhängetasche am Riemen umklammert. Ein Mädchen mit Engelslocken gesellte sich zu ihr und drückte ihrer Freundin ein Getränk in die Hand. Deutlich mehr von der Musik begeistert, begann das fremde Mädchen zu tanzen und versuchte dabei keinen Tropfen auf der Tanzfläche zu hinterlassen. Von Mia nach wie vor keine andere Reaktion. Selbst als ihre Freundin ihre Hand nahm, um sie zum Tanzen zu animieren, rührte sie sich nicht. Sie zog die Hand zurück, schüttelte lachend den Kopf und nippte an ihrem Becher. Fand sie die Musik wirklich so furchtbar? Er versuchte sich davon nicht verunsichern zu lassen. Er kannte sein Talent und wusste, dass er ein guter Musiker war. Wer war schon dieses junge Mädchen? Ihre Meinung hatte nichts zu bedeuten.
*
Es folgte der Schlussakkord und die Menge jubelte, verlangte sogar eine Zugabe. Doch Ben vertröstete seine Fans mit der Ausrede, er müsse erstmal seine Haare auswringen, sonst würde die Menge sich bald noch stärker in seinem Schweiß baden. Mia war ganz froh über den Ausfall, so hatte Good-For-Nothing die Möglichkeit, eine längere Spielzeit zu ergattern. Immerhin waren sie das Highlight und die letzte Band, die heute auftrat. Quasi der Stolz der Stadt unter den Jugendlichen.
Interrobang verließ die Bühne und es folgte eine kurze Pause, in welcher Mia versuchte ihre Cola Light so schnell wie möglich hinunter zu kippen. Gleich würde sie die Tanzfläche rocken.
Eine Handvoll weiterer Mädchen eilten an ihr vorbei in Richtung des Backstage-Raums. Ben und seine Freunde hatten ihn gerade verlassen, offensichtlich auch mit frisch gewechselten Shirts und hatten allesamt ein Bier in der Hand. „Ben, du hast so toll gesungen!“, hörte sie ein Mädchen kreischen und rollte genervt mit den Augen, als sie sich von diesem Bild abwandte. Es war nichts Neues, dass die Bandmitglieder gerade von Mädchen auf den Konzerten angesprochen wurden, um hinterher Nummern zu tauschen. Groupies gab es eben auch für Schulbands und besonders die Gitarristen waren an ihrer Schule beliebt. „Wie findest du die Band?“, fragte sie Becky, die weiterhin im Takt wippte, als Last Resort von Papa Roach gespielt wurde. „Ganz okay, aber die Stimme ist so lala.“, antworte Mia unbeeindruckt. Becky nickte zustimmend. „Aber dieser eine Song, wo die Freundin niemals gehen darf, der war doch ganz gut, oder?“
„Ja, der war tatsächlich nicht schlecht. Der Text könnte etwas ausgefallener sein, aber er hat definitiv einen Ohrwurm-Charakter.“
Die Musik verstummte und die Menge fing wieder an zu jubeln. Die Tanzfläche füllte sich erneut und alle warteten gespannt auf das Finale. Good-For-Nothing kam auf die Bühne und als Mia Simon sah jubelte sie ihm fröhlich zu und klatsche laut.
Es war so grandios, wie es immer war. Die Songs rissen alle Leute mit, die Menge kannte jede Textzeile und bei der Ballade Auf dem Dach um Mitternacht, lagen sich Freunde und Freundinnen gerührt in den Armen. Mia stieg der Geruch von Sandelholz in die Nase. Als sie ihr Gesicht nach links wandte, stand Ben vor ihr. Er trug das gleiche Good-For-Nothing-Shirt wie sie. „Und ich dachte schon, du wärst so eine stille Genießerin von guter Musik.“, lächelte er sie an.
„Wenn Musik mich berührt, reagiere ich auch entsprechend.“, gab sie zurück und presste die Lippen aufeinander.
„Du findest also meine Band nicht gut?“
„Das habe ich nicht gesagt“
„Aber du hast nicht getanzt.“
„Woher willst du das wissen? Vom Licht her dürftest du doch kaum jemanden in der Menge erkannt haben.“
„Wenn eine Person sich gar nicht regt und der Rest vollkommen eskaliert, erkennt man das.“
Mia fühlte sich ertappt und wusste nicht, ob sie etwas Nettes sagen sollte, oder nicht. Wobei das Meiste vermutlich geheuchelt wäre, fand sie den Auftritt immerhin alles andere als berauschend. Unsicher, ob sie die negative Kritik äußern sollte, versuchte sie einen Mittelweg mit ihrer Antwort zu finden. „Sagen wir so, ich muss erstmal mit neuer Musik warm werden und wollte meine Energie für jetzt aufsparen.“ Ben platzte ein dumpfer Lacher heraus, während er an seiner Flasche Bier nippte und den Blick von ihr wegwandte. Mia fand diese Reaktion äußerst kindisch und unpassend. Was dachte er denn, wer er sei? Der neue Bon Jovi?
„Du musst mir nicht glauben. Wichtig ist doch nur, dass dir deine eigene Musik gefällt und den anderen hier im Raum hat es scheinbar auch gefallen.“, sagte Mia und widmete sich wieder ihrer Lieblingsband zu. Im Augenwinkel konnte sie sehen, wie er genervt und abschätzig mit den Augen rollte und sich von ihr abwandte.
Simon schlug mit seinen Drumsticks auf das große Becken und beendete so den letzten Song. Kreischende Mädchen hielten die Hände in die Höhe und klatschten euphorisch. Zugabe, hörte man wiederholt rufen. Und die bekamen sie.