Читать книгу Lacroix und das Sommerhaus in Giverny - Alex Lépic - Страница 4

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Die Fenster im 63er-Bus standen weit offen, und Lacroix schloss die Augen, um den Fahrtwind zu genießen, während sich die Fahrerin ihren Weg bahnte, vorbei am Quai d’Orsay und am Außenministerium. Die Seine lag durch die Trockenheit so tief in ihrem Flussbett, dass sie von der Straße aus nicht mehr zu sehen war.

An der Avenue Bosquet stieg der Commissaire aus und ging die letzten Meter zu Fuß.

Die Hitze lag immer noch schwer auf der Stadt und strahlte vom schwarzen Asphalt ab, doch dunkle Wolken kündigten für die Nacht ein Gewitter an.

Unter dem Pont d’Alma fuhren im Minutentakt die Ausflugsboote über den Fluss, die Oberdecks waren voller Menschen, und Lacroix lauschte einen Moment lang den Ansagen auf Chinesisch, Japanisch und Arabisch.

An der Flamme de la Liberté, der Freiheitsflamme, blieb er kurz stehen. Die goldene Skulptur war zum Symbol geworden für den Tod Prinzessin Dianas, die im Tunnel darunter zu Tode gekommen war. Dabei stand das Denkmal schon viel länger. Die Amerikaner hatten es den Franzosen Ende des 19. Jahrhunderts als Dank für die Restaurierung der Freiheitsstatue geschenkt. Doch nun lagen zu Füßen der Skulptur Tag für Tag Blumen und Kerzen, die an die englische Prinzessin erinnerten.

Einen prestigeträchtigeren Ort würde man in Paris wohl nur schwer finden, dachte Lacroix und sah auf das elegante Haus, das direkt auf das Denkmal und die Seine blickte. Erste Reihe am Fluss, rechts Trocadéro, gegenüber der Eiffelturm, zentraler und zugleich eleganter ging es nun wirklich nicht. Die Avenue de New York war, wenn man aus dem Zentrum kam, die erste Straße des mondänen sechzehnten Arrondissements.

Das Haus war frisch sandgestrahlt, die schmiedeeisernen Balkone erst kürzlich gestrichen, orangene Sonnenmarkisen schirmten die bodentiefen Sprossenfenster ab. Ein echter Prachtbau. Und ganz oben, in der dritten Etage, dort, wo der Balkon umlaufend war, befand sich die Wohnung der Familie de Touquet, für die wenigen Wochen im Jahr, in denen Madame eben nicht in Giverny war.

Lacroix klingelte beim Concierge, einem mürrischen Portugiesen, der den Lift rief und den Commissaire wortlos einsteigen ließ. Nun würde er oben anrufen und die Ankunft des Gastes ankündigen.

Und richtig: Als sich die alte Aufzugtür öffnete, sah Lacroix, dass die Wohnungstür schon offen stand.

Er trat ein, und sofort eilte ihm eine junge Frau in einer weißen Schürze entgegen. Sie war von rundlicher Erscheinung, das Gesicht ganz und gar freundlich.

»Monsieur Lacroix, nehme ich an?«

»Ganz recht.«

»Nicht zu warm?«, fragte die Haushälterin und wies auf den Hut des Commissaire.

»Ach«, sagte Lacroix lächelnd, »der leistet bei der Sonne gute Dienste.«

Er reichte ihr seinen Sommermantel und den Hut, und sie verstaute beides an einer großen schmiedeeisernen Garderobe in der hinteren Ecke des Flurs.

Dann führte sie den Commissaire weiter in die Wohnung hinein, stieß eine Flügeltür auf und ließ ihn in den Raum treten, wo ihn sogleich das grelle Sonnenlicht umfing.

Lacroix musste die Augen zusammenkneifen, um sich an das Gegenlicht zu gewöhnen.

Er fand sich in einem riesigen Salon mit drei hohen Fenstern wieder, die den Blick freigaben auf die Seine und rechts gegenüber – eine unbezahlbare Aussicht – auf den Eiffelturm.

»Madame wird gleich bei Ihnen sein, Monsieur, nehmen Sie doch Platz. Madame wird es übernehmen wollen, Ihnen einen Apéro zu servieren, deshalb biete ich Ihnen nichts an.«

Mit diesen Worten verschwand sie, und Lacroix war allein.

Er sah sich um, nahm die Weite des Raumes in sich auf und ließ den Blick über die Einrichtung schweifen. Hier war die gute alte Zeit noch nicht vorbei: die zwanziger Jahre, als in den Salons die Boheme tanzte, feierte, trank, als große Literatur erschaffen wurde, als Paris die Hauptstadt der Welt war.

Der Salon sah aus, als wäre seitdem keine Zeit vergangen. An einer Wand stand ein Sekretär aus Nussbaum, daneben ein hoch aufragender Schrank mit hölzernen Türen, in den Lacroix zu gern einen Blick geworfen hätte. Seine Ornamente waren zweifellos handgearbeitet. Gegenüber befanden sich zwei dreisitzige Sofas aus glänzendem und mit rosa Blumen bedrucktem Chintz. Dahinter sah Lacroix eine Bar, die mit Spirituosen aller Couleur, Eisbehältern und diversen Gläsern beladen war.

Was daneben nicht ins Bild passte, war der extravagante Lady Chair, ein Designersessel, den Lacroix nur kannte, weil seine Frau immer davon schwärmte. Doch das Möbelstück nach dem Entwurf eines italienischen Designers war ihnen nicht nur zu teuer gewesen – es war schlicht unbezahlbar. Hier, inmitten all der antiken Möbel, sah der moderne Sessel wie ein Fremdkörper aus.

Die linke und die rechte Wand waren übervoll, dicht an dicht mit kleinen und großen Gemälden behängt. Lacroix trat näher heran und musste nicht lange schauen, um festzustellen, dass es allesamt Originale waren. Dieses hier, ein expressionistisches Porträt eines Mädchens mit einer Katze auf dem Arm, war von Franz Marc. In der Luft lag ein Hauch von Parfum, nur dezent süß, als sollte der Duft so nobel sein wie der Rest der Wohnung.

Der Commissaire ging zur Rückseite des Raums, wo ein gewaltiger Marmorkamin in die Wand eingelassen war. Oben auf dem Sims ein einziges gerahmtes Foto, lang gezogen und in Schwarz-Weiß: Die Menschen darauf aber waren modern gekleidet, sie standen vor dem Haus, das Lacroix sehr bekannt vorkam. Und in das er schon bald einen Fuß setzen würde – zum ersten Mal. Nur wusste er das noch nicht.

Er beugte sich ein Stück hinunter, um das Foto genauer zu betrachten. Alle Mitglieder der Familie de Touquet waren darauf zu sehen.

»Sie sind pünktlich, Monsieur. Ich hatte nichts anderes erwartet.« Die Stimme hinter ihm klang zufrieden. Lacroix hatte sie nicht bemerkt. Er spürte, wie er automatisch die Schultern straffte, dann wandte er sich zu ihr um.

»Madame de Touquet«, entgegnete er. »Es ist mir eine Freude.«

Das letzte Mal war er ihr auf dem Bahnsteig in Giverny begegnet, am Gleis nach Paris. Sie hatten sich aus der Ferne zugenickt, ein Zeichen des Erkennens. Doch das hier war etwas anderes: Ihre Präsenz war beeindruckend, jetzt, wo sie so dicht vor ihm stand. Hier, in ihrem Reich, wirkte sie wie eine Königin. Dabei war sie winzig, vielleicht etwas über anderthalb Meter groß, die weißen Haare fielen glatt zu den Seiten herab, auf der Nase trug sie eine kleine runde Brille mit metallenem Rand. Lacroix erinnerte sich nicht, wie alt sie genau war. Sicher aber Ende achtzig. Dennoch zeigte ihr Gesicht kaum Falten, die kleinen Augen, die sich schnell bewegten, zeugten von einer überbordenden Intelligenz. Sie trug ein enges graues Wollkleid und braune Lederschuhe. Ihre Kleidung war im pariserischen Sinne stilvoll und modern zugleich.

»Bitte«, sagte sie, ohne ihm die Hand zu geben, »nehmen Sie Platz.«

Sie wies zu dem Sofa, und Lacroix ging die paar Schritte hinüber, vor die breite Fensterfront.

»Beginnen wir den Abend doch mit einem Laphroaig. 25-jährig.«

Sie fragte ihn nicht, sondern trat an die Bar, gab Eis in zwei Tumbler und schenkte großzügig ein. Whisky an diesem heißen Tag – er musste aufpassen, dass er nachher noch zwei gerade Sätze herausbrachte. Lacroix ließ sich auf dem Sofa nieder, dessen Polster fest wirkten, in denen er aber sofort versank. Er fühlte sich, als würde er eingesogen. Es würde schwer sein, später wieder würdevoll daraus aufzustehen.

Sie trat ums Sofa herum und reichte ihm sein Glas, dann setzte sie sich ohne zu zögern in den modernen Sessel.

»Auf Ihr Wohl, Monsieur«, sagte sie und hob ihr Glas kaum wahrnehmbar.

»Auf Ihres, Madame.«

Dann tranken sie. Sofort legte sich der Duft von Sherry und Äpfeln auf seine Zunge, die Würze, der Rauch, das alles blieb in seinem Kopf, die Aromen der fünfundzwanzig Jahre, die der Whisky Zeit hatte zu reifen.

»Das Gute daran ist, dass ich keine Sorge mehr um meine Gesundheit habe, jetzt, wo ich spüre, dass sich alles dem Ende zuneigt.«

Er sah sie interessiert an, doch ihr Gesicht war ohne Traurigkeit, es war eher, als prüfte sie seine Reaktion, dabei hatte sie es so ungerührt gesagt, als wollte sie über das Wetter reden.

»Wie meinen Sie, Madame de Touquet?«

Sie räusperte sich, dann betrachtete sie die schimmernde Flüssigkeit in ihrem Glas.

»Jemand ist auf dem besten Wege, mich zu töten.«

Lacroix erwiderte nichts. Er hatte geahnt, dass Madame de Touquet ihn nicht nur zum Plaudern eingeladen hatte. Aber mit dieser Offenbarung hatte er nicht gerechnet. Er brauchte sie nicht aufzufordern weiterzureden.

»Tatsächlich, Monsieur Lacroix, habe ich große Lust, so viel Whisky zu trinken, wie ich nur kann, weil ich sorgenfrei bin, was meine Zukunft angeht. Hingegen habe ich überhaupt keine Lust darauf, jetzt schon von dieser Welt abberufen zu werden. Die Mitglieder der Familie de Touquet, müssen Sie wissen, werden im Allgemeinen sehr alt. Mit hundert Jahren ist meine Mutter noch zu Jagdgesellschaften gegangen. Und bis dahin fehlen mir noch ein paar Jährchen.«

Lacroix versuchte, sich im Sofa aufzurichten, aber es gelang ihm nicht gänzlich, also räusperte er sich und rieb sich die Stirn.

»Wie sollen Sie denn daran gehindert werden, hundert zu werden, Madame?«

»Es geschieht bereits«, sagte sie leise und deutete mit dem linken Zeigefinger auf ihre Brust.

»Was geschieht?«

»Hier drinnen. Es arbeitet. Ich spüre es.«

Es ging ihm gegen den Strich, das alles hier. Ihre Unverblümtheit und gleichzeitige Geheimnistuerei, dieses Sofa, die Art und Weise, wie sie ihn hierherbestellt hatte. Lacroix stellte sein Glas neben sich und sagte:

»Madame, ich weiß, dass meine Frau sehr verlässlich ist – und sehr pünktlich, erst recht, wenn es sich um eine Einladung bei Ihnen handelt. Sie wird also bald hier sein. Und Sie wollen mir sicherlich sagen, worum es geht, bevor sie eintrifft. Es wäre also gut, wenn Sie zum Kern des Problems kommen würden.«

Es war härter herausgekommen, als er es gewollt hatte, aber sie hatte dem Commissaire etwas mitteilen wollen, und wenn es um seinen Beruf ging, war Zögerlichkeit nicht seine Sache.

»Jemand vergiftet mich«, brach es aus ihr hervor, mit lauter Stimme, es schien, als würde ein Stück ihrer Schale abplatzen. »Jemand will, dass ich sterbe. Ich spüre es, an meiner Übelkeit am Morgen, am Grummeln in meinem Bauch. Ich habe keine Gebrechen, ich hatte niemals welche. Deshalb weiß ich, wenn etwas nicht stimmt. Und hier stimmt etwas ganz gewaltig nicht.«

Lacroix schüttelte sanft den Kopf.

»Madame de Touquet, das überrascht mich, wenn ich das so sagen darf. Eine Vergiftung …«, er ließ die Worte in der Luft hängen, »aber … also wenn dem so sein sollte, dann werden wir es herausfinden.« Er sah sie ernst an. »Waren Sie schon bei einem Arzt, um Ihre Theorie untermauern zu lassen?«

Sie schüttelte entrüstet den Kopf.

»Wo denken Sie hin, Monsieur? Ich pflege nicht derart persönliche Dinge in die Öffentlichkeit zu tragen.«

»Ihr Arzt ist ja sicherlich so diskret, wie Sie es verdienen. Und nun erzählen Sie es ja auch mir.«

Sie wedelte mit der Hand im Raum herum. »Ich bitte Sie, Monsieur, Sie sollten nicht kokettieren. Sogar in meinem Salon wird Ihr Name ständig im Mund geführt, wenn es darum geht, wie verkommen die Pariser Behörden sind, Sie aber als Leuchtturm aus diesem ganzen Sumpf von Misswirtschaft und Unvollkommenheit herausragen. Deshalb gab es für mich keinen Zweifel, dass ich mich an Sie wenden muss – schließlich geht es um eine sehr persönliche Frage von Leben und Tod. Verstehen Sie? Ich möchte nicht, dass der Urheber dieser Sache sein Ziel erreicht, und gleichzeitig möchte ich den Ruf meiner Familie …«

Wieder ließ sie den Satz unvollendet.

»Madame, meinen Sie etwa …«

Sie nickte fest.

»Ja, ich meine, dass mir jemand aus meiner eigenen Familie nach dem Leben trachtet.«

»Wie kommen Sie darauf?«

Sie stand auf und ging flinken Schrittes zur Bar, füllte ihr Glas aufs Neue und betrachtete kurz das Glas von Lacroix, das noch halb voll war. Dann nahm sie wieder Platz und trank einen kleinen Schluck.

»Es hat begonnen, als wir alle zum dîner zusammensaßen. Draußen in Giverny. Es war ein sehr merkwürdiger Abend, etwas lag in der Luft. Die Schmerzen begannen am nächsten Morgen. Und seitdem sind sie nicht mehr verschwunden.«

»Wann war das?«

»Vor etwa zwei Monaten.«

»Sie werden seit zwei Monaten vergiftet? Verzeihen Sie die Frage, Madame, aber warum sind Sie dann noch hier?«

»Derjenige, der es tut, ist klug. Er macht es langsam. Es ist ein …«, sie schwenkte den Whisky im Glas, »ein langsames Verschwinden. Der Täter will es so aussehen lassen, als würde ich langsam, aber sicher gebrechlich. Als würde ich mich nicht wundern, wenn auf einmal, aus heiterem Himmel, Beschwerden auftreten. Aber ich kenne meinen Körper. Ich weiß, wenn etwas nicht stimmt.«

»Sie sagten, es war ein merkwürdiger Abend draußen in Giverny. Was meinen Sie damit, Madame?«

»Wir sind eine große Familie, Monsieur Lacroix. Eine hochintelligente Familie, die zugleich ein wenig … nun ja, speziell ist. Jeder von uns hat seine ganz besonderen Eigenheiten. Und ich?«

Sie lachte leise und zurückgenommen, gänzlich damenhaft.

»Ich bin der Seismograph dieser Familie. Ich sehe meine Kinder an – und ihre ganz und gar reizenden Gefährtinnen – und weiß sofort, wenn sich eine Krise ankündigt. Ob etwa eine Scheidung ins Haus steht, die auf keinen Fall in der Paris Match erwähnt werden darf. Oder ob eine der jungen Damen ein Baby unter dem Herzen trägt. Ich spüre es. Und an diesem Tag lag etwas in der Luft, Nachwuchs war es allerdings nicht.«

»Madame, haben Sie denn jemanden in Verdacht?«, konnte Lacroix noch fragen, doch dann hörte er den leisen Gong. Ausgerechnet jetzt, als es wichtig wurde.

»Ich habe einen Plan, Commissaire. Wir reden drüber, wenn die Zeit reif ist.«

Dann kniff sie kurz die Augen zusammen, als hieße sie ihn schweigen. Sofort veränderte sich der Ausdruck auf ihrem Gesicht, wie ein Vorhang, der heruntergelassen wurde.

»Madame Lacroix ist gekommen«, sagte das Hausmädchen, als es eintrat, hinter ihr gemessenen Schrittes Dominique. Der Commissaire spürte Erleichterung, seine Frau zu sehen, gleichzeitig hätte er das Gespräch mit der alten Dame gerne fortgesetzt.

»Madame de Touquet, es ist mir eine große Freude«, sagte sie, und die alte Dame griff nach ihrer Hand, zog sie heran und gab ihr zwei Begrüßungsküsse. Kein Zögern, keine Distanz. Kein Zweifel, hier begegneten sich zwei Frauen auf Augenhöhe.

Dominique Lacroix war die eben wiedergewählte Bürgermeisterin des noblen siebten Pariser Arrondissements, eine erfolgreiche Politikern der konservativen Partei – wahrscheinlich sah Madame de Touquet in Madame Lacroix eine jüngere Ausgabe von sich selbst.

»Es ist mir eine große Freude, Madame la Maire, und es wäre mir ehrlich eine größere Freude, wenn ich nicht diesen schrecklichen Kerl wählen müsste, den Ihre Partei seit gefühlt fünfunddreißig Jahren in meinem Bezirk aufstellt, sondern endlich auch eine Frau mit Ambitionen, wie Sie es sind. Sehen Sie, mein Quartier verstaubt, hier gibt es nur noch reiche Russen und Araber, doch bei Ihnen drüben rive gauche, da hat die Zukunft schon begonnen.«

»Das ist zu freundlich«, erwiderte Madame Lacroix. Der Commissaire wusste, dass seine Frau den alten Bürgermeister des sechzehnten Arrondissements sehr mochte, er war wie ein Mentor für sie. Auch Madame de Touquet musste das wissen – doch sie genoss es sicherlich wie viele elitäre Pariserinnen, alle Welt in Gesprächen in allzu klug erdachte Zwickmühlen zu bringen. Wenn Dominique sich provoziert fühlte, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken.

»Ihr Mann war etwas zu früh, ich habe ihm bereits etwas angeboten. Nehmen Sie auch davon?«

Skeptisch betrachtete Dominique die Flasche mit dem Whisky und lächelte sanft:

»Wenn es ginge, hätte ich gern einen Champagner.«

»Sehr gerne. Claire, Liebes, bringen Sie Madame la Maire einen Piscine?«

Sie hörten den Korken in der Küche knallen, Augenblicke später brachte die junge Frau das weite Glas mit Eiswürfeln, darauf floss der Champagner.

Lacroix wünschte sich, mutiger zu sein. Auch er hatte Durst. Ein geeister Champagner – die sogenannte Piscine – war für ihn zwar ein Frevel, heute wäre er jedoch genau das Richtige.

»Ich sehe schon«, sagte Madame de Touquet, »bringen Sie Monsieur Lacroix auch einen davon, er schielt so sehnsüchtig darauf.«

Sie war wirklich ein Seismograph, selbst die kleinsten Blicke fing sie auf – oder erwartete sie sogar, dachte Lacroix. Kein Zweifel, dass ihre Familie erst recht ein offenes Buch für sie war.

»Was hält Sie bei diesem Wetter in der Stadt, Madame?«, fragte Dominique. »Es muss doch jetzt herrlich sein draußen in Giverny. Die frische Luft, die leichte Brise, die aus dem Vexin herüberweht, Ihr altes Steinhaus …«

»Sie haben recht«, entgegnete Madame de Touquet und warf einen kritischen Blick aus dem Fenster. Erst jetzt fiel Lacroix der Eiffelturm wieder auf, der genau in seinem Blickfeld stand. Eigenartig, wie sehr ihn dieses Gespräch in den Bann gezogen hatte.

»Die Stadt ist bei dieser Hitze wirklich unerträglich«, fuhr Madame fort. »Aber ich habe einige Dinge zu erledigen, die keinen Aufschub dulden.«

Dabei sah sie mit einem kurzen Seitenblick zu Lacroix.

»Am Mittwoch werde ich aber wieder hinausfahren.« Sie sog die Luft ein. »Ich gebe ein großes Fest am kommenden Wochenende. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie meine Gäste wären. Das war auch der Grund für meine Einladung heute. Ich bin ja, Sie werden es wissen, Madame Lacroix, die Schirmherrin der Giverny-Stiftung – und ich würde es sehr schätzen, wenn Sie die Arbeit der Stiftung mit Ihrer Anwesenheit würdigen. Die Details würde ich gerne mit Ihnen besprechen, auf meinem Anwesen.«

»Madame de Touquet, das ist wirklich eine große Ehre«, begann Dominique, »allerdings wird es uns nicht möglich sein. Wir haben dringende Verpflichtungen, die uns an Paris binden, und ich befürchte …«

Der Commissaire räusperte sich, sodass Dominique ihn nicht einmal anzusehen brauchte, um zu wissen, dass sie sich besser unterbrach.

»Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit dir darüber zu sprechen«, sagte er, »aber meine Termine wurden abgesagt, deshalb«, er wandte sich Madame de Touquet zu, »nehmen wir Ihre Einladung an, mit großem Vergnügen.«

Dominique zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Ein Glöckchen klingelte, noch so ein Relikt aus vergangener Zeit.

Madame de Touquet erhob sich und führte sie nach nebenan in ein großzügiges Esszimmer, das denselben atemberaubenden Ausblick hatte.

Der Rest des Abends verging in überraschender und unaufgeregter Gesprächigkeit, und während draußen das letzte Licht des Tages verschwand, stellte Lacroix fest, dass auch in feinsten Kreisen überaus gut und reichhaltig gegessen wurde. Und der leicht gekühlte 2005er Château Gloria zum Kalbsfilet mit Steinpilzen war selbst in der Augusthitze eine großartige Wahl.

Lacroix und das Sommerhaus in Giverny

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