Читать книгу Lacroix und das Sommerhaus in Giverny - Alex Lépic - Страница 7
Zweierlei Seerosen 6
Оглавление»Sie hat wirklich la petite gesagt?«, fragte Dominique und betrachtete prüfend das Gesicht ihres Mannes. Doch Lacroix war in Gedanken. Er grübelte seit zwei Tagen immer wieder über diese Vergiftungsgeschichte, über die Andeutungen der alten Dame, sodass er die Sonne vor dem Fenster, die Landschaft, die immer grüner wurde, all die Schönheit nur schemenhaft wahrnahm.
Der Zug war vor zwanzig Minuten am Gare Saint-Lazare losgeruckelt, vor ein paar Minuten hatten sie bei Asnières die Seine überquert, der Fluss hatte unter der Brücke geglänzt, und die Spitze der Île de la Grande Jatte war voller Ausflügler gewesen. Nun, hinter Argenteuil, war die Betonwüste vergessen, neben ihnen blühte der späte Raps.
»La petite«, sagte er und nickte, als wäre er eben aus einem Traum erwacht. »Ich glaube, ja, aber vielleicht habe ich mich auch verhört.«
»Denkst du, sie weiß, wer es auf sie abgesehen hat?«
»Ich glaube, es gibt wenig, was Madame de Touquet nicht weiß«, antwortete Lacroix.
»Ja, sie ist … bemerkenswert. Unglaublich, dass sie sterben sollte …«, flüsterte Madame Lacroix, obwohl das Abteil beinahe leer war. Statt in der ersten Klasse des Intercité nach Rouen waren die meisten Pariser längst am Strand in Deauville oder Le Touquet.
»Ich hätte allerdings auch auf eine Täterin getippt«, fuhr sie fort, »schließlich ist es ja in den Büchern so, dass stets Frauen die Giftmörderinnen sind, oder?«
»Ich hätte nicht gedacht«, sinnierte Lacroix, »dass ich es jemals wieder mit einem Arsenfall zu tun bekomme.«
»Was für eine absonderliche Einladung, ein Sommerfest, und wir sind nur dabei, um die Familie von Madame de Touquet zu beäugen und besonders alle petites dames unter Verdacht zu stellen.«
»Du allerdings darfst dich auch vergnügen, meine Liebe«, sagte Lacroix lächelnd.
»Habt ihr schon etwas von dem Gift nachweisen können?«, fragte Dominique.
»Ich habe Docteur Obert gestern einige Proben geschickt, von Speisen und Getränken, die ich in der Wohnung zusammengesammelt habe. Es war nicht ganz leicht, Madame de Touquet musste das Hausmädchen unter einem Vorwand nach draußen schicken. Nun untersucht der Docteur alles.«
»Dass sie nicht längst daran gestorben ist …«, sagte Madame Lacroix mit ehrlicher Betroffenheit. »Es muss doch ein enormes Leiden sein, wenn das Gift im Körper arbeitet.«
»Sie ist eine Dame, die die Zähne zusammenbeißt«, gab Lacroix zurück, »doch sie hat die ganze Zeit gespürt, dass etwas nicht stimmt.«
»Ich freue mich auf zu Hause«, sagte seine Frau und lehnte sich in ihrem weichen Sitz zurück.
Die Bürgermeisterin des siebten Arrondissements war keine Pariserin. Sie war in Giverny geboren, diesem Kleinod am Rande des normannischen pays du Vexin. Als Einzelkind hatte sie nach dem Tod ihrer Eltern das Familienanwesen geerbt – das Ehepaar Lacroix nutzte es als Sommerhaus. Für Dominique war jede Fahrt in das kleine normannische Dorf eine Reise in die Vergangenheit.
Sie spürte, dass er nicht weiterreden wollte, und griff zu ihrer Zeitung, wie stets Le Figaro. Er sah, wie sie sich darin vertiefte, und versuchte, weiter aus dem Fenster zu blicken, doch nach nicht einmal zwei Minuten brach es aus ihm heraus.
»Herrje, ich habe es nicht geglaubt. Ich dachte, sie ist verrückt geworden. Aber nun stimmt es. Sie wird wirklich vergiftet. Was soll ich tun? Eines ihrer Familienmitglieder verhaften? Da können wir doch gleich aus Giverny wegziehen.«
Sie zog eine Augenbraue hoch, dann ließ sie die Zeitung sinken.
»Es ist wirklich jemand aus der Familie, meinst du?«
Er sah sie an.
»Nichts anderes erscheint mir möglich.«
Seine Stimmung hatte sich weiter verfinstert, sodass sein Blick ziellos umherwanderte.
»Ach, mein Liebling«, sagte sie und berührte sanft seine Hand, »du wirst es schon richten.«
Dennoch legte sie die Zeitung weg, als wollte sie mit ihm zusammen nachdenken.
Er betrachtete die wechselnden Bilder vorm Fenster, doch im Geiste stand er immer noch im Salon von Madame de Touquet und sah das Familienfoto an – die Gesichter der vier Söhne und der vier Schwiegertöchter. Es fiel ihm leicht, sich jedes Detail des Bildes in Erinnerung zu rufen: die jungen Männer, in deren Gesichtern die Gnade der reichen Geburt abzulesen war. Sie alle stammten aus einer bedeutenden Familie – und in den Zügen der jungen Frauen neben ihnen war das Glück abzulesen, es in diese bedeutende Familie geschafft zu haben.
Mantes-la-Jolie lag längst hinter ihnen, die Landschaft war nun hügelig, immer wieder tauchte der dunkelgraue Fluss neben ihnen auf, dann verschwand er wieder. Nach dem Heizkraftwerk war alle Moderne verschwunden, nun schien es Lacroix, als wäre er in eine längst verloren geglaubte Welt eingetaucht. Eine Welt, in der Madame de Touquet immer noch lebte. Eine Welt der Herrenhäuser, der Adligen, der Diener und Köche auf den Höfen.
Auch Claude Monet hatte auf seiner Fahrt ins Grüne die Bahnlinie Paris–Rouen genommen. Tatsächlich hatte er aus dem Zugfenster das Haus gesehen, in dem er später wohnen sollte, mit dem Garten, in dem er seinen Seerosenteich anlegte. Er hatte sich aus dem Zug heraus in das Anwesen verliebt, es gekauft und nach seiner genauen Vorstellung gestaltet.
Endlich erfüllten schöne Gedanken seinen Kopf, dachte Lacroix, als sie in den Bahnhof von Giverny einrollten. Doch das Wochenende sollte den Blick auf sein geliebtes Dorf und die Menschen, die in ihm wohnten, gänzlich verändern.