Читать книгу Lacroix und das Sommerhaus in Giverny - Alex Lépic - Страница 8
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ОглавлениеDominique stieß das Flügelfenster des Wohnzimmers auf. Die Sommerluft drang herein und trug den Geruch des alten Hauses hinaus. Sie waren seit einigen Wochen nicht hier gewesen.
Das Sonnenlicht fiel bis in die hinterste Ecke des Zimmers. Lacroix besah sich diesen Ort, den er so liebte: Die antiken Möbel der Familie seiner Frau, den schweren Esstisch aus Eichenholz, den er mit nach Giverny gebracht hatte, den großen Marmorkamin, mit dem sie das Haus im Winter herrlich warm bekamen und dann stundenlang vorm lodernden Feuer saßen, Wein tranken und einfach nicht ins Bett wollten.
»Ich mache meine Runde«, sagte Lacroix kurz vor Mittag. Dominique nickte nur, dann war sie schon auf dem Weg in die Landküche, die sie vor Jahren renoviert und auf den neuesten Stand gebracht hatten.
Der Commissaire aber machte sich auf den Weg zu seinem ritualisierten Gang durchs Dorf. Er trat aus dem braunen Haus mit den weißen Holzbalken, das in der kleinen Straße Le Pressoir stand. Doch erst mal spazierte er nicht los, sondern setzte sich auf die Parkbank, die genau vor dem Haus unter einem alten Ahorn stand. Auch das tat er mehrmals täglich, wenn sie zusammen hier waren.
So dauerte es auch dieses Mal nicht lange, bis er die alte Madame Botary den schmalen Weg heraufkommen sah. Sie wohnte zwei Häuser weiter.
»Oh, Commissaire«, sagte sie und nahm Platz. Sie brauchte nicht zu fragen, sie fragte nie.
Sie trug wie stets eine Kittelschürze und einfache Pantinen.
»Ich wollte nur noch mal hinaus, kurz vorm Mittagessen, ein wenig frische Luft schnuppern. Es gibt heute andouillette bei uns, Commissaire. Sicher bleibt etwas übrig, das kann ich Ihnen später bringen.«
Lacroix nickte und murmelte:
»Das wäre großartig.«
Madame Botary kam aus Cambrai, hoch im Norden, und war eine exzellente Köchin. Beim Gedanken an ihre scharf angebratene Wurst aus Kalbsdärmen lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
»Ich dachte, Sie haben in Paris zu tun bis zur rentrée«, sagte die alte Frau. Sie konnte ihre Neugier nicht verhehlen.
»Ach, Madame Botary«, sagte Lacroix und schloss die Augen, weil er so besser spürte, wie der leichte Wind sein Gesicht kühlte, »es war so ruhig in der Stadt, da haben wir gedacht, dass wir über das lange Wochenende rausfahren. Außerdem …«, er stockte, entschied dann aber, dass keine Gefahr bestand, »haben wir eine Einladung zum Sommerfest der Familie de Touquet.«
Als Lacroix wegen der Stille die Augen wieder öffnete, erkannte er in ihrem Gesicht, dass er auch den Besuch des Präsidenten in Giverny hätte ankündigen können – es wäre aufs Gleiche hinausgelaufen.
»Sie gehen zu Madame de Touquet? Ins petit château?«
Das kleine Schloss – so wurde das Anwesen von den Dorfbewohnern genannt, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand.
»Ja, morgen Abend ist die Feier.«
»Ich weiß, ich weiß«, murmelte sie schnell. »Es gibt kein anderes Thema mehr im Dorf. Aber unsereins wird ja nicht eingeladen.«
»Waren Sie mal im petit château?«, fragte er.
»Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen«, sagte sie. »Dabei war es in den frühen Sechzigern. Ich war noch ein ganz junges Ding, Commissaire, Sie können es sich ja vorstellen.«
Lacroix nickte freundlich.
»Ich hatte die Post dabei, weil dem Briefträger unwohl war. Er hatte mich gebeten, für ihn einige Schreiben auszutragen. Ich habe geklopft, und Madame de Touquet hat geöffnet, sie war ja in meinem Alter, aber sie war natürlich aufs Internat gegangen, in Versailles, meine ich. Sie war ganz freundlich. Stellen Sie sich vor, Commissaire, sie hat mich hereingebeten, und wir haben Limonade getrunken, die uns der Diener gebracht hat. Was für ein Leben, habe ich gedacht, was für ein Leben. Ich hüte diese Erinnerung wie einen Schatz.«
»Es war sehr beeindruckend, nehme ich an.«
Die alte Nachbarin machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ach, Commissaire, es ist gar nicht das Haus, sondern sie! Klar, jeder hier im Dorf lästert über sie, weil er sie fürchtet. Weil sie nicht nur ihre Dienstboten zusammenstaucht, sondern jeden, der ihr in die Quere kommt und der nicht von ihrem Stande ist. Und doch ist sie eine beeindruckende Persönlichkeit. Frauen ihres Schlages werden heute nicht mehr gebaut, sage ich immer zu meinem Mann.«
»Wenn ich ehrlich bin, kenne ich Madame de Touquet viel zu wenig«, sagte Lacroix. »In all den Jahren habe ich vielleicht zwei oder drei Gespräche im Dorf mit ihr geführt. Kennen Sie ihre Familie, Madame?«
Die alte Frau nickte.
»Es wird viel geschwatzt, Monsieur le Commissaire. Ich weiß nicht, was davon stimmt, deshalb möchte ich lieber nicht …«
Lacroix erwiderte nichts, sondern sah nur an ihr vorbei auf das kleine Dorf, während ringsum die Vögel ihr Sommerlied sangen. Er kannte Madame Botary zu gut, um anzunehmen, dass sie nicht weitersprechen würde, und so geschah es nach einer Weile auch:
»Na ja, in jedem Fall hat sie vier Jungen. Einen älteren, Auguste heißt er, wenn ich mich recht entsinne. Und dann sind da die Zwillinge, deren Namen ich immer vergesse. Die sind alle drei verheiratet. Der jüngste heißt Aurélien, er soll ein richtiger Draufgänger sein, was man so hört. Ein Künstler, ein Maler, in der Zeitung stand mal irgendwas davon, dass sie ihn festgenommen haben, mit Drogen, stellen Sie sich das vor, Commissaire!«
»Und er ist nicht verheiratet?«
»Ich weiß es nicht, aber es wäre ein Wandel vom Saulus zum Paulus, wenn man glaubt, was so geredet wird. Der Älteste«, sie beugte sich verschwörerisch zu ihm rüber, »soll dem Sparzwang der Banken zum Opfer fallen, hat mir der Bäcker erzählt. Er ist bei irgendeiner dieser Großbanken in Paris – aber könnte sein, dass er bald wieder im petit château einzieht. Ach, Commissaire, ich bin ja ganz neidisch, dass Sie morgen dabei sein werden. Aber gut, ich hätte ohnehin nichts anzuziehen.«
Er auch nicht, dachte Lacroix. Aber es würde ein aufregender Tag werden, daran hatte der Commissaire keinen Zweifel.