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Die Barfrau, die dich rettet

Von Mimizan nach Contis-Plage

Völlig egal, welches Auge wir an diesem Morgen zuerst öffnen: Der Blick fällt als Erstes auf das blauweiß kleinkarierte Hemd, das immer noch vor dem Fenster baumelt. Mittlerweile trockengeblasen, versperrt es der Sonne den Weg ins Gesicht. Sieht ganz danach aus, als könnte es heute ziemlich warm werden. Die apokalyptischen Wetterprognosen unserer britischen Frühstücksbekanntschaft haben sich bisher als komplett übertrieben erwiesen, geradezu als falsch. Das darf gerne auch weiterhin so bleiben.

Nach der gestrigen, lediglich »geringfügigen« Irrfahrt – haha – wird es heute keine lange Etappe geben. Die leichte Empfindlichkeit am Gesäß lässt sich aushalten, keinesfalls aber leugnen. Schließlich handelt es sich da um eine der wenigen Stellen an so einem Radpilgerkörper, auf die absolute Rücksicht genommen werden muss. Alle übrigen Körperpartien, auf die es beim Pilgern ankommt, verhalten sich ruhig. Sollte nichts Unerwartetes passieren, können wir tatsächlich bis morgen oder bequem bis übermorgen zu den Ausläufern der Pyrenäen vordringen. Selbst für einen Freizeitradler muss die Strecke in zwei, maximal drei Tagen zu schaffen sein. Sagen wir drei, schließlich will sich hier ja niemand überanstrengen.

Seit dem Aufbruch von Mimizan begleitet uns die Stimme von Mick Jagger, dem Frontmann von The Rolling Stones: »Goodbye Ruby Tuesday, who could hang a name on you? When you change with every new day, still I’m gonna miss you

Rechts zeigt der Pfeil nach Contis-Plage. Plage … hm, gehört dieser Begriff nicht zu unseren All-Time-Lieblingswörtern? »Strand« hört sich zumindest positiv und grundsätzlich nach Nichtstun an.

Ich protestiere nicht!

Der letzte Anstieg über die Düne hin zum Ozean macht noch mal kurzatmig, dann aber stehen wir vor einem grandios breiten, goldgelben Sandstrand. Wen würde da nicht die totale Urlaubslust packen?

Momentan hätte ich gegen ein wohltemperiertes Bad nichts einzuwenden, doch der Atlantik will uns einfach nicht. Nach erneutem Zehentest im eindeutig zu kalten nassen Element konzentrieren wir uns lieber gleich auf die Zimmersuche. Ein Kaffee wäre auch nicht schlecht, begleitet von einem dieser nikotinhaltigen Stängeln, die man vorne an der Spitze anzündet. Das mit der Raucherentwöhnung wird wohl doch nichts.

Beim Anstieg zur Mini-Düne sind wir gerade eben an einem schnuckeligen Hotel vorbeigekommen. Da ließe es sich sicherlich gut aushalten – freier Blick auf den Ozean und mit dem Meeresrauschen im Ohr einschlafen.

So träumt er dahin, der Herr Pilger, etwas abgehoben vielleicht und reichlich naiv, ahnungslos aber auf jeden Fall. Für wenige Stunden Schlaf 100 € zu berappen, ist für einen Pilger undenkbar und so hat es sich auch schon wieder mit der Anziehungskraft des besagten Etablissements. Ganz schnell reißt es den Herrn aus seiner Fantasiewelt zurück in die Realität. Es heißt umdisponieren!

Im westernartigen Saloon-Café an der Strandpromenade serviert uns Claudine mit dem buschigen Pferdeschwanz soeben unseren geliebten petit noir. Am Espresso nippend, versucht der Herr nun, Claudine bestmöglich unser aktuelles Problem zu erklären. Leider haben wir sie bei günstigen Übernachtungsmöglichkeiten in erreichbarer Entfernung nicht gerade auf ihrem Spezialgebiet erwischt, gibt sie zu.


Wieder ein Stück am Ozean entlang, doch lädt der mit seinen gefühlten 17,439 °C nicht zum Baden ein.


Die Stätte unserer Rettung! Claudine mit ihren Beziehungen


Unser Häuschen am Meer

Ihr Fazit ist ziemlich ernüchternd: »Ein Zelt wäre noch eine Option. Der Ort hat nur wenige Hotelzimmer und die sind ausnahmslos in den oberen Preisklassen angesiedelt«, informiert sie uns. Von Leihzelten ist ihr nichts bekannt.

Würde der unaufmerksame Franzose am Nachbartisch für einen Moment seine Nase aus dem Weinglas nehmen, wäre selbst für ihn die rapide nachlassende Stimmung meines Herrn unübersehbar. Aber selbstverständlich ärgert er sich nicht. Er bleibt ruhig und freundlich. Die hübsche Barfrau kann ja auch gar nichts dafür, wenn wir gleich wieder durch den Wald strampeln müssen.

»Entlang der Silberküste in Richtung Biarritz wird es kaum billiger werden«, meint Claudine.

Doch plötzlich huscht ein völlig anderes Lächeln – ein extrem breites Grinsen – über ihr Gesicht.

»Attends, un moment«, ruft sie, nimmt das Telefon und wählt, ohne das entwaffnende Schmunzeln wieder aus dem Gesicht zu kriegen.

Keine Viertelstunde später stehen wir an der Rezeption des örtlichen Campingplatzes und bekommen von Touristikpraktikantin Petra aus Nürnberg eine Holzhütte im Pinienwäldchen zugewiesen, ganz für uns allein. Wie romantisch!

Der Bettbezug ist im Preis inklusive, dazu eine penible Anleitung, was man in diesem Hüttendorf zu tun oder besser zu lassen hat. Für uns sind besonders die Punkte von Interesse, die das Putzen des Häuschens vor der Abreise regeln. Schließlich kann es nicht das Ziel sein, die Besitzverhältnisse des Fünfzig-Euro-Scheins zu ändern, den wir bei Petra als Kaution hinterlegen mussten. Ich mache alles, was ihr wollt, denkt sich da der Herr, solange wir nur in Contis bleiben dürfen! Ein gemütliches kleines Holzhäuschen mit eigener Veranda, ganz für uns allein – da jauchzen nicht nur Pilgerherzen. Ein perfekter, fast poetisch anmutender Sonnenuntergang, dazu der Genuss von einfachem, aber feinem Essen und erfrischenden Getränken auf der eigenen Terrasse: Da fällt einem nicht mehr viel ein, was zum vollkommenen Glück noch fehlt. Merveilleux – wunderbar!

Aber irgendein Manko muss so ein himmlisches Plätzchen ja haben: Heute Nacht wird zum ersten Mal das Mückenspray zum Einsatz kommen!

LEKTION DES TAGES

Hoffnungslosigkeit ist nichts für Pilger!

Der Schweinehund auf dem Jakobsweg

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