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Singin’ in the rain

Von Contis-Plage nach Hossegor

Den Abend haben wir bis weit nach Mitternacht auf »unserer« Veranda zugebracht, doch ganz plötzlich und noch vor dem Schlafengehen fängt der künftige Pilger an zu packen. Kaum war der Gedanke ausgereift, hier am Wasser einen Kurzurlaub vom Pilgern zu verbringen, schon hat er ihn wieder verworfen. Das kann er doch mit mir nicht machen, wie unfair, das nehme ich ihm übel. Faulenzen werden wir auf irgendwann später verschieben, bekomme ich ganz nebenbei mitgeteilt.

Nun ist es geschafft! Unser Holzhäuschen ist sauber aufgeräumt und für die finale Abnahme durch den Hygiene-Supervisor bereit. Selbst die Dusche hat der Herr sicherheitshalber noch mal trocken nachgewischt. Also alles picobello!

Der Inspektor indes wirkt misstrauisch. Der ungemein pedantische, dazu sehr germanisch aussehende Kontrolleur nimmt seine Arbeit auf. Zuallererst hat er es auf den Mülleimer abgesehen. Mit süffisantem Lächeln zieht er den leeren Beutel aus dem Abfalleimer und untersucht ihn auf Spuren von Was-auch-immer, Hauptsache, er hat etwas zu beanstanden. Als ehemaliger CSI-Agent, zumindest aber Beamter einer Vollzugsanstalt, darf man schließlich keine Nachsicht üben.

Er macht ja auch nur seinen Job, beschwichtigen wir uns, und versucht auch nur, seine Familie durchzubringen. Allerdings bitte nicht von unserer Kaution! Diese Provision wird er sich nicht verdienen.

Seelenruhig und mit geschultem Blick, dabei völlig sicher, fündig zu werden, durchforstet der Mann unser kleines Anwesen. Ganz umsonst bekommen wir zwischenzeitlich einen herablassenden Blick zugeworfen, der so viel bedeutet wie: So ein langhaariger Möchtegern-Pilger hat ja mit Gewissenhaftigkeit auch nicht viel am Hut, das ist doch sicher ein Hippie.

Wir wären ja längst abfahrbereit und möchten auch gerne los, aber das veranlasst den Aufseher keineswegs zur Hetze. Unendliche dreißig Minuten lässt er uns auf der Terrasse warten.

Absolut nichts zu finden, was eine Einbehaltung der Kaution rechtfertigen würde, ist für diesen konservativen Zeitgenossen anscheinend gar nicht vorstellbar. Zugegeben: Wir verfolgen doch mit einiger Genugtuung, wie beim Schnüffler nach und nach die Einsicht heranreift, dass er dem Herrn den leihweise überlassenen Geldschein wieder aushändigen wird müssen. Ich bin richtig stolz auf uns. Das schreit förmlich nach einem Kaffee zur Belohnung! Allein der Gedanke an so ein schwarzes Heißgetränk beflügelt mehr, als das so mancher Energy-Drink vermag, selbst solche mit Gummibärchengeschmack.


Kaum zu übersehen: Hier sind wir auf dem richtigen Weg zum angestrebten Sündenerlass, der Compostela.

Die ersten paar Kilometer bis zur Ortschaft Lit-et-Mixe strampeln wir wieder in den allseits bekannten Wellen. Der Weg führt uns durch flacheres Gelände, doch weiter und weiter weg vom Ozean. Der Küstenweg gen Süden lebt vom stetigen Auf und Ab und führt als breiter Radweg zwischen vertrauten Pinien und Korkeichen wieder in die Ausläufer des La Forêt. Niemals zuvor haben wir in solcher Stille derartige Laute vernommen und so intensiv und schnell wechselnd die Düfte des Waldes gerochen. Kräuter, die herbe Süße der Nadelbäume, Moos, Harz und manchmal faszinierend Undefinierbares. Die verschiedenen Aromen haben wir überdeutlich in der Nase, selbst als geruchseingeschränkter Raucher.

Dabei scheint es heute erneut sonnig und trocken zu bleiben. Wolken mit nassen Einlagerungen, die sich wie vom Wetteramt prognostiziert heftig entleeren werden, sind erst für den morgigen Tag angesagt. Ein konzentriertes, generell angenehmes Dahinrollen, möchte man meinen, wenn nicht gerade heute die Stunden im Sattel eindrucksvoll zu spüren wären. Das Hinterteil meldet die Frühstufe zu einer möglicherweise schmerzvollen Reizung an. Die regelmäßige Gewichtsverlagerung von der einen auf die andere Pobacke ist ein eindeutiges Indiz für eine Sitzfleischüberlastung. Auffallend oft bevorzugen wir deshalb heute auch die stehende Position ohne Kontakt zum Sattel.

Das sollte dem Herrn hoffentlich Motivation genug sein, die heutige Fahrt zeitnah zu beenden. Dazu scheint das Wetter gerade umzudisponieren: Die Vorhersage für den morgigen Tag ist nicht viel wert, wenn sie bereits heute eintritt. Noch geben sich die hellgrauen Wolken am Firmament völlig unscheinbar, haben es aber recht eilig damit, dunkler zu werden. Was die Beine noch herzugeben bereit sind, übertragen sie direkt an die Pedale.

Schwere Regentropfen haben noch jedermann aus seinen Gedanken gerissen. Dieser Murphy oder wie der Knabe heißt, dessen Gesetz man da bemüht, wenn man die Regenjacke zuerst in der falschen Packtasche sucht, der macht seinem Ruf gerade alle Ehre.

Als es richtig zu schütten anfängt und der Sturm seine volle Kraft zu entfalten beginnt, sind wir kurz vor dem Surfer-Mekka Hossegor.

Mit gesenktem Haupt und ausgeprägter Körperspannung bewältigen wir die letzten nassen Meter hinein in den Ort. Gerade will uns der Orkan zeigen, wer hier am längeren Hebel sitzt, da fahren wir unter die Überdachung eines kleinen entzückenden Hotels. Wenn sie uns aufnehmen, werden wir bleiben. Wer will jetzt noch lange suchen?

Wir hatten ohnehin vor, diesen Wallfahrtsort für Surfer nicht nur touristenmäßig zu erkunden. Zusätzlich wollen wir etwaigem Ärger mit Magen und Verdauungsorganen vorbeugen. Die kennen da keine Nachsicht und werden schnell sauer, sollten sie nicht mehr anständig gefüllt werden.

Das Zimmer ist bezogen, der Körper und die Wäsche gereinigt – nun schlendern wir ins Zentrum des kleinen Küstenorts. Der Regen hat inzwischen nachgelassen, als wir zufällig an einem Straßencafé vorbeikommen, das uns direkt ins Auge sticht. So und nicht anders muss eine Brasserie im Paris der Jahrhundertwende ausgesehen haben. Natürlich vom 19. auf das 20. Jahrhundert – Jugendstil! Der Maler Henri de Toulouse-Lautrec und seine Muse, die Cancan-Tänzerin La Goulue, wären hier sicherlich Stammgäste gewesen.

Nicht immer kann man erklären, weshalb man bestimmte Entscheidungen trifft. Der Blick des Herrn bleibt an der knallig grellorangen Markise des Cafés hängen. Dann, spontan und aus dem Bauch heraus, bestimmt er das Orange Bleu zu unserem Lokal für diesen Abend.

Wie gewohnt allein am Tisch sitzend, bestellt der Herr bei der ungesund schlanken Kellnerin ein Glas trockenen Weißwein. Sie war wohl früher Model bei Modezar Gaultier und ist danach die Konfektionsgröße Doppel-Zero nie mehr losgeworden.

Ihr Vorschlag fürs Horsd’œuvre lautet: Austern nach Art des Küchenchefs. Sie wählt die Vorspeise, als Hauptgang einigen sich die beiden dann auf eine Galette. In unserem Fall besteht sie aus einem geräucherten Fischfilet, welches in den dünnen Buchweizenfladen gebettet ist. Die Spezialität aus der Bretagne kann man sich auch hier mitten in der Gascogne vorzüglich schmecken lassen.

Austern schmecken so, als ob dich das Meer auf den Mund küsst – zumindest drückte es der französische Dichter Léon-Paul Fargue so aus. Wo sonst, wenn nicht am Meer, bekommt man ein Dutzend wirklich frische Austern zum bescheidenen Preis eines Pilgermenüs?

Da kann man ja fast vom Sparen reden.


Nach überstandenem Regenguss: eine gemütliche Bleibe in Hossegor

Inzwischen nimmt der Regen wieder zu und wächst sich schließlich zu einem waschechten Platzregen aus. Doch unter dem leuchtend orangen Schutzdach scheinen wir erst mal sicher und gut versorgt. Beim Herrn zeigt der Wein bereits ganz schön Wirkung. Nach einem weiteren Glas und einem klitzekleinen Espresso machen wir uns auf den Heimweg. Der warme Regen kann nicht schrecken und der Wein beschwingt den bayerischen Pilger zu einer Spontaneinlage von Singin’ in the rain. Dabei patscht er sogar mit seinen Schlappen in die Pfützen am Straßenrand.

Gene Kelly konnte besser singen, das ist unbestritten, viel besser in den Pfützen patschen konnte aber auch er nicht. Unser Herr braucht dazu nicht mal einen Schirm. »I’m singin’ in the rain, yes, singin’ in the rain, what a glorious feeling, I’m happy again …«

LEKTION DES TAGES

Wohlbehagen verdirbt nicht!


Den gesamten Pilgerweg trifft man auf viele kleine Kapellen, imposante Kirchen und auch gewaltige Kathedralen.

Der Schweinehund auf dem Jakobsweg

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