Читать книгу Der Schweinehund auf dem Jakobsweg - Alexander Altmann - Страница 8
ОглавлениеKatalonien über alles
Von München nach Barcelona
Der Adrenalinspiegel steigt und steigt und hat offenbar nicht vor, sich an irgendwelchen unserer Wünsche zu orientieren. Unsere letzte längere Reise, die wir nur zu zweit unternommen haben, ist bereits eine Weile her. Freilich wirkte der Herr vor Jahren in der Verantwortung für seine kleine Familie noch weitaus souveräner und selbstbewusster als heute vor diesem Pilgertrip, ganz allein mit mir.
Die Flugtickets von München über Barcelona nach Bordeaux haben wir zum allerersten Mal ganz eigenständig übers Internet gebucht. Nix war’s diesmal mit der gewohnt freundlichen Beratung im Reisebüro unseres Vertrauens. Daher gab’s auch nur eine Buchungsbestätigung und keine ausgedruckten Billets. Man will ja nicht unken, aber ob das alles so funktioniert?
Drei Stunden bis zum Abflug!
Der Check-In-Schalter der Airline ist so früh noch geschlossen. Wir haben erst mal eine Menge Zeit. Warten, Geduld haben – das wird wohl auf dem Pilgerweg zur Normalität gehören. Zeit haben, Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Reflektieren, Zeit für … Klingt nicht sehr aufregend.
Was genau spricht denn gegen Entspannung, Wellness und einen bequemen Liegestuhl? Zu einem Urlaub mit Sonne und Meer könnte man doch auch das Fahrrad mitnehmen?
Innere Schweinehunde haben angeblich von nichts wirklich Ahnung, reden nur grundsätzlich bei jedem Thema mit. Dabei möchten wir doch nur potenziell unnötiger Anstrengung vorbeugen. Weshalb es oft so schwierig ist, gegen uns anzukommen, hat wohl mit den überzeugenden Argumenten zu tun, die meist dem einfachsten aller Wege sehr nahe sind.
Obwohl wir ursprünglich ganz vorne standen, sind wir schließlich nur noch die Vierten in der Warteschlange, als der Schalter der Fluggesellschaft endlich öffnet. Zwei Familien, deren hyperaktive Kinder ungeniert Fangen spielen, und ein Schwabe mit Aktentasche und auffällig kleiner Fliege um den Hals haben sich zwischenzeitlich forsch vor uns geschoben.
»Woisch, i bin au mal mit na Rad g’floge! Desch is koi Problem mehr heutsdag«, versucht uns der Allgäuer ein Gespräch aufzudrängen.
Es geht los: München–Barcelona–Bordeaux, mit dem Rad und mir, seinem »Inneren Schweinehund«, dem sogenannten Sperrgepäck!
Schwaben mit fliegenden Rädern! Bewundernswert!
Ganz groß macht der Herr seine braunen Augen, sagt aber kein Wort, schaut den Mann aus dem bayerischen Südwesten nur an, so verständnislos wie irgend möglich. Gleichzeitig lässt er seinen nagelneuen Ausweis unauffällig in der Hosentasche verschwinden.
»Nix verstehen, oder? Bischd ein Spanischer, oder?«, probiert der schwäbelnde Mitreisende erneut, uns eine Reaktion zu entlocken.
Bevor er dann einen Konversationsversuch beim vollkommen überforderten Familienvater startet, bedenkt uns der beleidigte Business-Allgäuer noch mit einem verächtlichen Blick über die Schulter. Die Kindererziehung ist zu unserem Glück ein sehr ergiebiges Thema, über das sich der Schwabe endlos auslassen kann.
Aufruf nach Barcelona!
Dass Sperrgepäck als besonders eilig und bevorzugt eingestuft wird, kann hier am Airport Barcelona nicht der Fall sein: Erst neunzig Minuten nach der Landung dürfen wir am Schalter für unhandliche Fracht endlich unser aufwendig plastifiziertes Gefährt entgegennehmen. Ganz schön zerfleddert, das Ding, als hätte es Gefrierbrand.
Und wo nehmen wir jetzt ein Taxi her, das uns und unser ausgewachsenes Fahrrad transportieren kann? Es kommt auf gar keinen Fall infrage, unser Gefährt jetzt zu entpacken, nur um uns morgen vor dem Anschlussflug erneut mit einem unwilligen Einwickler herumärgern zu müssen.
Innere Schweinehunde schlafen nie, sind grundsätzlich faul und negativ und haben selten einen konstruktiven Beitrag parat – das sagen der Volksmund und mein Herr sowieso. Sämtliche Einwände meinerseits bleiben gänzlich unbeachtet. Seinen festen Vorsatz, sich auf dieser Reise weder zu ärgern noch ungeduldig zu werden, will er beherzigen, in jeden Fall.
Nun gut, moderne Smartphones haben, trotz aller Zusatzoptionen, noch immer auch die ganz ursprüngliche Funktion des Telefonierens beibehalten. Ein Taxi-Kollege mit dem nötigen Stauraum ist ganz in der Nähe. Gleich darauf rollen wir über die Stadtautobahn auf dem Weg zu unserer Übernachtungsmöglichkeit.
Unser liebenswürdiger Chauffeur outet sich als besonders patriotischer Einheimischer und gleichzeitig als richtige Plaudertasche. Im Schnellkurs lernen wir: Katalonien über Alles und im Speziellen Barcelona! Im Crashkurs werden wir in die stolzen, heimatverbundenen Grundsätze der Katalanen eingeweiht. Als der Fahrer dann erfährt, welches Reiseziel wir anvisiert haben, kommt der Gute ins Schwärmen. In seinem lispelnden Englisch erzählt er euphorisch davon, dass er selbst jedes Jahr für eine Woche auf dem Jakobsweg wandert. Jeden Sommer eine andere Teilstrecke.
»Maravillosa, wunderbare Frauen auf dem camino. Hollanderinnen, Franzosische und sogar señoras aus New York. Deutsch Frau sind viel schön, aber viel streng«, erklärt er verzückt.
Wir müssen ihn sehr erstaunt angesehen haben.
»Sí sí, no problema«, beteuert er mit Nachdruck. »Alle lieben spanische hombres!« Er macht eine Pause und beobachtet den Herrn aus dem Augenwinkel. »Sí, sí, all women! Latin Lover, Matador, Torero, Enrique Iglesias, Antonio Banderas, you know.«
Mit beiden Händen fuchtelt er in der Luft herum und schäumt fast über vor Begeisterung. Für einen kurzen Moment verlassen seine Hände das Lenkrad, währenddessen der VW Touran unkontrolliert über die mittlere Fahrspur nach links in Richtung Mittelleitplanke schlingert.
»Sí, sí, sí«, brüllt der Herr. »Ich glaube dir ja!«
Der Taxler hat alles im Griff, fängt den Wagen mit einer kurzen Lenkbewegung wieder ein. Keine Aufregung notwendig.
Sein freundliches Angebot, uns am Morgen wieder vom Hotel abzuholen, wird nach kurzer Risikoabwägung angenommen. Wenn er tatsächlich kommt, sollte der Rücktransport zum Flughafen genauso reibungslos klappen.
Wenn nicht …? Aah …? Hmm …?
»My name is José«, sagt er, »número de teléfono«, und überreicht uns eine wie von Kinderhand gemalte Visitenkarte. »Taxi nix brauchen, teléfono, por favor!«
Wir nehmen den Zimmerschlüssel und noch ein kleines Bier als Schlummertrunk mit, dann sollte es schon gelingen, die Augen geschlossen zu halten. Bier soll ja müde machen!
Seit wann trinken wir denn überhaupt Bier?
Vom jungen Katalanen an der Rezeption gibt es noch kostenlos den Tipp des Tages: Spanien sei gefährlich, meint er! »España is dangerous, señor, muy dangerous.«
Sicher ist sicher, denkt sich der Herr, und schon schleppen wir das noch verpackte Fahrrad über die Treppe in den zweiten Stock, in unsere habitación. Den Verlust des Fahrzeugs dürfen wir nicht riskieren.
LEKTION DES TAGES
Spanien ist gefährlich!