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Оглавление19. September – Donnerstag
»Jetzt, Herr Biss, müssen S’ mir bitte erst mal erzählen, wie Sie auf mich gekommen sind. Dass i ab und zu als Detektiv arbeit – oder sagen wir lieber: a bisserl an Kriminalfällen herumstöber, des weiß eigentlich keiner. Es war immer inoffiziell. Es ist ja ned so, dass i Visitenkarterl verteilen daat.«
Wimmer saß auf seinem blauen Kanapee in seinem Zimmer unter dem Dach der Metzgerei. Seinen Gast hatte er in einen der beiden bequemen Lehnstühle gesetzt und musterte ihn nun. Sein Gegenüber war Ende vierzig, hatte einen deutlichen Bauchansatz, eine Halbglatze und dicke Tränensäcke. Er war unauffällig gekleidet – beige Bundfaltenhose, ein einst weißes, nun aber sehr, sehr hellgraues Polohemd und ein beiges Sakko. Alles in allem hätte er ein Beamter sein können oder ein Lehrer. Wenn man genauer hinsah, wirkte er ein wenig angeschmuddelt. Das an den Ellbogen ausgebeulte Jackett mit der vom Sitzen zerknautschten Rückseite hatte schon bessere Zeiten gesehen, die Schuhe waren abgeschabt, und auch das Polohemd hatte fadenscheinige Stellen am Kragen.
»Herr Wimmer, Sie unterschätzen wohl Ihre Mitbürger und deren Neugier. Ihre Heldentaten schweigen sich sozusagen herum. Man weiß, dass Sie an Verbrechen nicht nur interessiert sind, sondern schon mehrfach an der Lösung derselben beteiligt waren. Da gab es doch den toten Apotheker, den Sie entdeckt haben. Haben Sie da nicht auch den Täter identifiziert? Und die beiden Leichen in Eichstätt, auch das hat man nicht übersehen und ebenso wenig, wie Sie da der Polizei geholfen haben.«
»Und wer hat Ihnen den Tipp gegeben?«, wollte Wimmer wissen. »Wer genau?«
»Sagen wir so … Ich hab einen Freund aus früheren Tagen in der Polizeiinspektion Geisenfeld.«
Die Polizei … ja, die wusste natürlich von Wimmers privaten Ermittlungen oder von seinem »penetranten Herumgeschnüffel«, wie man es auch schon genannt hatte.
»Und Sie san also a Detektiv. A echter Privatdetektiv?« Wimmer lenkte das Gespräch zurück auf den Anlass.
»Genau! Eingetragenes Mitglied im Berufsverband der bayerischen Detektive.«
»Aha.« Wimmer zeigte sich weniger beeindruckt, als er es war. »Und Sie wünschen sich jetzt von mir ›kollegialen Beistand‹? Um was geht es denn überhaupt, und wie stellen Sie sich das vor?«
»Sie werden verstehen, dass ich nicht zu sehr ins Detail gehen kann. Diskretion gegenüber meinem Mandanten, ja? Aber so viel kann ich Ihnen sagen: Ich soll ein Haus finden. Er hat aber nur eine Fotografie und die Information ›Wolnzach‹.«
»A Haus sollen S’ finden? Warum? Ich mein, wieso will er denn dieses Haus finden? Wenn ich da am End an Einbruch vorzubereiten helf, dann …«
»Nein, es ist sicherlich nichts Illegales. Warum genau mein Mandant dieses Haus finden will, weiß ich nicht, aber es scheint ihm sehr wichtig zu sein. Aber schauen Sie, das Bild ist schon älter. Soweit ich weiß, ist es über fünfzig Jahre alt. Wolnzach hat sich verändert. Ich vermute, dass dieses Gebäude heute anders aussieht. Ich habe es nicht finden können. Aber mit Ihrer Hilfe … Ich meine, Sie kennen Wolnzach auch, wie es früher war und wie es sich entwickelt hat. Oder Sie kennen die richtigen Leut, die man fragen muss. Mit Ihnen habe ich eine echte Chance, das Haus zu finden. Ich biete Ihnen dreihundert Euro pro Tag.«
Wimmer zögerte.
»Das Geld gibt es erfolgsunabhängig! Ich bezahl Sie in jedem Fall, ob wir das Haus finden oder nicht.«
Wimmer seufzte und wollte gerade antworten.
»Und fünfhundert Euro extra, wenn wir es finden.«
»Herr Biss. Ich muss mir das erst noch überlegen. Ob ich Ihnen zusag oder nicht, hat dann aa nix mit der Bezahlung zu tun. Die ist schon in Ordnung. Kann ich Sie heut am Abend anrufen?«
Der Detektiv gab Wimmer seine Visitenkarte. Wimmer legte sie auf seinen Schreibtisch, dann brachte er den Besucher zur Tür.
»Bitte lassen Sie mich nicht im Stich. Ich zähle auf Ihre Hilfe«, meinte Biss beim Abschied, dann schloss Wimmer hinter ihm die Haustür. Nachdenklich kehrte er in sein Zimmer unter dem Dach zurück.
Gegen drei Uhr hörte Wimmer, wie Anna heimkam, die Haustür ins Schloss warf, einen Gruß in die Metzgerei rief und nach oben stürmte. Bevor sie in ihr Zimmer verschwinden konnte, das Wimmers schräg gegenüber lag, rief er zu ihr hinüber: »Hast du an Moment Zeit?«
»Naa. Und du aa ned.«
»Oha? Wieso? Brennt’s denn?«
»Ja, weißt es denn nimmer? Hast du ned gestern versprochen, mir machen heut an Ausflug mit der Maschin?«
Wimmer lächelte. Ganz so war es nicht gewesen. Doch immerhin hatte Anna ihm ein »Ja, des können wir schon machen« abgeschmeichelt, als sie es hartnäckig zum dritten Mal vorschlug. Er hatte noch die Worte »bei nächster Gelegenheit« im Ohr.
»Aber Anna, du hast ja noch gar keinen Helm ned!«, versuchte Wimmer, das Unvermeidliche noch einmal abzuwenden.
Woher Anna in weniger als einem Tag einen Helm gezaubert hatte, blieb ihr Geheimnis. Wimmer hatte den Kopf geschüttelt und sich umgezogen. Er hätte es wissen sollen, dass Anna den Begriff der »Gelegenheit« wie ein Winkeladvokat in ihrem Sinne auslegen würde. Andererseits … Besseres hatte er im Moment tatsächlich nicht vor, die Sonne tauchte alles in ein goldenes Licht, und die Luft war angenehm warm. Wimmer gab nach.
So verpackten sich Enkelin und Opa jeweils in ihren Zimmern in robustes Leder und stiegen eine Viertelstunde später auf die alte BMW R 50 S.
Auf Annas Wunsch rollten sie einmal der Länge nach und einmal quer durch den ganzen Ort, damit alle Anna bewundern konnten, dann aber fuhr Wimmer hinaus. Er steuerte das Motorrad vorsichtig und gemütlich auf Nebenstraßen und hielt nach zwanzig Minuten hinter Geisenhausen bei einem Bankerl, das im Schatten einer Eiche und einer Buche neben einem Feldkreuz stand.
»Lass uns amal a bisserl hersetzen«, lud Wimmer sie ein.
Der Platz für die Bank war gut gewählt. Sie stand, nach Osten blickend, hoch über einem kleinen Tal mit den inzwischen leeren Drahtgespinsten, an denen bis vor ein paar Wochen noch Hopfen gewachsen war. Auf der anderen Seite, schräg gegenüber, schwang sich auf einer langen, harmonischen Reihe von Rundbögen das Viadukt der Autobahn über das Tal, ein riesiger Tatzelwurm aus Stein.
»Motorradfahren ist ja Hammer!«, sprudelte es aus Anna heraus. Ein paar Minuten ließ Wimmer ihrer Begeisterung Zeit. Dann aber berichtete er ihr von der Begegnung mit Dirk Biss. Anna lauschte. Sie kannte ihren Opa gut genug, um auch das Ungesagte zu hören.
»Du magst den Mann nicht, richtig?«
»Ich kenn ihn doch kaum.«
»Ob man wen mag oder nicht, das weiß man doch schon nach weniger als einer Minute.«
»Also gut, Freunde werden wir sicher ned. Aber i hab aa nix gegen den Mann. Und er ist wohl a echter Profi. Des wär a Gelegenheit, noch was zu lernen.«
»Genau. Du könntest amal schau’n, wie er die Leut so ausfragt. Oder wo er seine Informationen findet. Er kann ja nicht immer seine Spezl bei der Polizei fragen. Opa, ich tät’s machen.«
»Und deine Mama?«
»Na ja. Ich halt mich da raus. Ich muss da ned auch noch mitfahr’n. Er hat ja dich eing’laden und nicht mich. Außerdem muss ich eh Französisch büffeln, da gibt es bald a Schulaufgabe. Wenn ich mich da raushalt – offiziell zumindest –, wird die Mama sich schon ned so aufregen. Und außerdem sucht ihr ja keinen Mörder, sondern nur a Haus, das irgendwer Gott weiß wann fotografiert hat. Das ist was ganz anderes wie a Mörderjagd und sicher ned so gefährlich.«
Karola protestierte tatsächlich kaum, als sie hörte, dass Anna dieses Mal nicht involviert sei, und als ihr klar wurde, dass es nur um ein altes Foto ging, lenkte sie unerwartet rasch ein. Dass Wimmer sich insgeheim als Ermittler bei den Leuten herumgesprochen hatte, fand sie einerseits sehr unpassend für »ordentliche G’schäftsleut«, andererseits kannte man ihn als »guten Detektiv« und empfahl ihn sogar einem Profi. Diese Kompetenz erkannte sie an und war – trotz aller Ablehnung – auch ein wenig stolz auf ihren Vater. Gegen sieben Uhr abends setzte sich Wimmer an seinen Schreibtisch und sagte Biss zu.
Vierundzwanzig Stunden später saß er auf seinem Kanapee und berichtete Anna von seinem Tag.
»Wie war es? Wie arbeitet ein richtiger Privatdetektiv? Hast du dir was abschauen können?«
»Na ja … anscheinend machen wir schon eine ganze Menge richtig.«
Biss hatte Wimmer am Vormittag abgeholt.
»Wo ham S’ denn Ihren Wagen?«, fragte Wimmer und sah sich um.
»Sie stehn davor«, antwortete Biss und ließ die Schlösser per Funk aufschnappen. Es war ein japanischer Mittelklassewagen, schon älter, eierschalenfarben und so wenig markant, dass erst ein Blick auf das Markenlogo mit seinen drei Rauten ihm verriet, dass es sich um einen Mitsubishi handelte. Die Enttäuschung stand Wimmer wohl ins Gesicht geschrieben, denn Biss fragte ihn, als sie losgefahren waren: »Sind Sie enttäuscht? Haben Sie was anderes erwartet? Ich fahre die Schüssel ganz gern. Sie ist wunderbar unauffällig.«
»Na ja. Ich denk da an Verfolgungsjagden. Da hab ich mir schon a bisserl was Sportlicheres vorg’stellt.«
»Was hätte Ihnen denn da vorgeschwebt? Ein Aston Martin wie der James Bond, ein roter Jaguar wie Jerry Cotton oder Thomas Magnums Ferrari? Das wären so ziemlich die letzten Autos, die ich wählen würde. Und nicht nur wegen der teuren Reparaturkosten. Was die Verfolgungsjagden angeht, da hatte ich bisher sowieso nie eine. Eher kommt es vor, dass ich jemanden beschatte, dann aber immer mit Abstand.« Biss lächelte. »Trotzdem hat das Auto eine Sonderausstattung.«
»Ach was?« In Wimmers Kopf spukten Ölsprühdüsen, Ortungsradar und Wendekennzeichen herum. Doch das war natürlich cineastischer Unsinn, der in der Realität kaum etwas verloren hatte. Aber was konnte es dann sein?
»Der Wagen hat eine Standheizung. Sehr angenehm, wenn man im Winter observieren muss. Da beschlagen die Scheiben nicht dauernd. Kann ich nur empfehlen.«
Biss kramte in einer Aktentasche und nahm eine großformatige Fotografie aus einer Mappe heraus.
»Das ist die Vergrößerung, dies hier ist das Original. Sie sehen, die Qualität ist bescheiden. Auch digital kann man da nichts mehr rausholen. Wo nichts ist, kann das beste Programm nix machen.«
Es war eine quadratische Schwarz-Weiß-Aufnahme, in der Mitte schärfer als am Rand und insgesamt sehr hell und kontrastarm.
»Erkennen Sie das Haus? Wissen Sie, wo das ist?«
Wimmer schüttelte den Kopf. Das Bild zeigte drei Frauen, die in die Kamera lachten. Sie standen vor einem Bauernhaus, wie es in der Gegend Hunderte gab: Die Eingangstür wies zum Hof, zwei Reihen Fenster, weiter hinten Stalltüren und alles unter einem regelmäßigen Ziegeldach. Wimmer sah genauer hin. Über der Eingangstür wich die Wand ein wenig zurück und schuf Raum für einen kleinen Balkon. Zwischen den Fenstern war eine kleine Nische mit einer Heiligenfigur. Es gab noch ein paar markante hohe Laubbäume im Hintergrund. Doch die waren leider kaum mehr erkennbar. Im Vordergrund sah er große Körbe aus Bast gestapelt, sogenannte Hopfakirn, in die man beim Hopfenzupfen die Dolden sammelte.
»Das Jahr kann i Ihnen ned sagen, aber die Aufnahme ist beim Hopfenzupfen entstanden, Ende August oder Anfang bis Mitte September«, erklärte Wimmer. »Sie suchen den Hof von einem Hopfenbauern.«
Biss nickte. »Das hat mir schon mein Mandant gesagt, aber schön, dass Sie es mir bestätigen. Das Bild entstand wohl Ende der fünfziger Jahre. Vermutlich mit einer Boxkamera. Da hab ich mich erkundigt.«
»Tut mir leid, den Hof erkenn i ned.«
»Das wäre ja auch zu schön gewesen, Herr Wimmer! Dann müssen wir halt suchen.«
Den Rest des Tages fuhren sie der Reihe nach die Höfe von allen Hopfenbauern ab, die Wimmer persönlich kannte und betrachteten im Vorüberfahren einige andere. Biss nannte es zähneknirschend eine »Geduldsaufgabe«. Doch nirgends sah es aus wie auf dem Bild.