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Friedrich und die Folgen
ОглавлениеIn der Friedrich-Verehrung bündelte sich das falsche Denken, wie es – exemplarisch für den Geist von 1914 – in Werner Sombarts Händler und Helden zutage tritt: »Militarismus ist der zum kriegerischen Geiste hinaufgesteigerte heldische Geist. Er ist Potsdam und Weimar in höchster Vereinigung. Er ist ›Faust‹ und ›Zarathustra‹ und Beethoven-Partitur in den Schützengräben. Denn auch die Eroika und die Egmont-Ouvertüre sind doch wohl echtester Militarismus.«
In Ernst Kantorowiczs Buch über einen anderen Friedrich II. kann man nachlesen, welche Bewunderung das gebildete Deutschland einer Herrscherpersönlichkeit entgegenbrachte, die, frei von moralischen Bedenken, jene Härte der Seele besaß, die zu großen Taten befähigte. Friedrich Meinecke hat später in seinem Buch über Die deutsche Katastrophe davon gesprochen, dass das geistige Klima in Deutschland in diesen Jahren geprägt gewesen sei von einer Offenheit und Nacktheit, von einer prinzipiellen Schärfe und Bewusstheit, der Freude an rücksichtslosen Konsequenzen und der Neigung, etwas zunächst doch Praktisches zu etwas Weltanschaulichem zu erheben.
Was sich zu Beginn des Jahrhunderts in der Abwehr der Ideen von 1789 zum ersten Mal gezeigt hatte, wird jetzt zur herrschenden Ideologie. Die Vorstellung von einem »Inneren Reich« und, damit verbunden, die Neigung zu Träumerei und verschwommenen Gefühlslagen begünstigten die Abwendung vom Westen und den fatalen Glauben an eine deutsche kulturelle Mission, an die Brückenfunktion zwischen West und Ost.
Der deutsche Kulturpessimismus betritt die Bühne und wendet das Gesicht des neuen Deutschlands nach Osten. Es ist heute kaum nachvollziehbar, dass ein wirres, in schlechtem Deutsch geschriebenes Buch über Rembrandt als Erzieher von Kritikern als »das bedeutendste Buch unseres Jahrhunderts« gepriesen wurde. Es findet sich in Julius Langbehns Machwerk wenig über Rembrandt, dafür werden alle Themen des deutschen Konservativismus angeschlagen: Ablehnung der zeitgenössischen Kultur, Verhöhnung der Vernunft und Furcht vor den Wissenschaften. Langbehn setzt nicht auf Reformen, sondern auf die Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft. Modernität und Rationalismus sind verwerflich, nur ein neuer Primitivismus kann die elementaren menschlichen Leidenschaften freisetzen und eine neue germanische Gesellschaft schaffen, deren Grundlagen Kunst, Genialität und Macht sind. Wie Paul de Lagarde vor ihm und Oswald Spengler nach ihm formuliert Langbehn ein konservatives Krisenprogramm, das mit den konservativen Grundüberzeugungen vom Bewahren und Anpassen nichts mehr zu tun hat. Statt in konkreter Begrifflichkeit zu argumentieren, wird dem absolutistischen Erbe der französischen Aufklärung mit absolutistischer Gegenaufklärung begegnet.
Dem utopischen Entwurf einer Gemeinschaft von Freien und Gleichen wird das Bild einer rassisch getönten Volksgemeinschaft entgegengesetzt. Nicht die Sicherung der Freiheit des Einzelnen durch Institutionen, sondern das Aufgehen des Individuums in der Schicksalsgemeinschaft Nation ist das Programm der Gegenrevolution.
In diesem Geist liest das deutsche Bürgertum die Philosophie Friedrich Nietzsches. Seine Kritik an neudeutschem Kulturphilistertum, Machtrausch, nationaler Überhebung und Rassenwahn verschwindet hinter dem Lob des Übermenschen. Seine Bewunderung für mediterrane Klarheit, die französischen Moralisten und die Musik Bizets passten nur schlecht zum radikalen Kulturpessimismus und spielten deshalb in der populären Nietzsche-Rezeption keine Rolle.
Herrenmenschentum und rücksichtslose Verachtung alles Schwachen hingegen ließen sich problemlos von ihren ästhetischen und philosophischen Voraussetzungen in Griechentum und Renaissance lösen und zur Herrenmoral einer neuen deutschen Elite stilisieren. So endet in der Verherrlichung der Barbarei, was als Kampf gegen die akademische Orthodoxie einer lebensfeindlichen Wissenschaftskultur begann. Novalis hat diese in Nietzsche triumphierende Geisteshaltung am treffendsten kritisiert: »Das Ideal der Sittlichkeit hat keinen gefährlicheren Nebenbuhler als das Ideal der höchsten Stärke, des kräftigsten Lebens, was man auch das Ideal der ästhetischen Größe benannt hat. Es ist das Maximum des Barbaren und hat leider in diesen Zeiten der verwildernden Kultur gerade unter den größten Schwächlingen sehr viele Anhänger erhalten. Der Mensch wird durch dieses Ideal zum Tier-Geiste – eine Vermischung, deren brutaler Witz eben eine brutale Anziehungskraft für Schwächlinge hat.« Und so resümiert Gottfried Benn bewundernd die Machtergreifung: »Heimkehr der Asen, weiße Erde von Thüle bis Avalon, imperiale Symbole darauf: Fackeln und Äxte und die Züchtung der Überrassen, der solaren Eliten, für eine halb magische und halb dorische Welt. Unendliche Fernen, die sich füllen! Nicht Kunst, Ritual wird um die Fackeln, um die Feuer stehen.«
Vom zwiespältigen Bürgerbewusstsein der wilhelminischen Zeit war nach dem verlorenen Weltkrieg nur noch der Hass auf die westliche Zivilisation geblieben: »Der Westen ist Deutschlands Tod: die Rettung erfordert sich loszulösen von allem, was aus dem Westen kommt und was westlich ist. Alle westlichen Elemente, die Deutschland selbst in sich trägt, sind Spione, Soldaten, Advokaten und Missionäre der westlichen Mächte. Weil es um Sein oder Nichtsein geht, bleibt Deutschland, wenn es sich selbst erhalten will, das schwerste nicht erspart: die Bartholomäusnacht und Sizilianische Vesper gegen alles, was an Westlichem in ihm lebt. Mit grausamer Härte muss es in sich selbst ausrotten, was in ihm dem Westen verbündet ist, dem Westen Zuträgerdienste anbietet, dem Westen Vorschub leistet. Das Bürgerlich-liberale ist unter den heutigen Weltverhältnissen für Deutschland ›Feind im Land‹; es ist die Romanisierungs-, Zivilisations-, Urbanisierungs-, Verwestlichungs- und Entdeutschungsform des deutschen Menschen. Je mehr einer Bürger ist, desto weniger ist er Deutscher.«
Die hier zum Ausdruck kommende Geisteshaltung war die der »konservativen Revolution«, die schon begrifflich als »erhaltender Umsturz« eine logische Unmöglichkeit war. Obwohl dieser Begriff von Hugo von Hofmannsthal geprägt wurde, der als genuiner Konservativer kulturelle Traditionen und Ausdrucksformen bewahren wollte, spiegelt sich in diesem Begriff das falsche Denken vermeintlicher Konservativer, die nicht mehr darauf aus sind, Dinge zu bewahren, sondern in einem revolutionären Prozess erst »Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt«.
Der Tod als Gemeinschaftserlebnis und die Ersetzung des »Ich« durch das »Es« bei Heidegger bezeichnen die extremsten Fluchtpunkte vom westeuropäischen Geist. »Der Verfall an den Betrieb, – an die großen Worte, die Rhetorik ohne Gehalt – die Emotion der Selbst- und Massenberauschung in Wechselwirkung, – an das man, – an das Technische«, wie Jaspers in seinen Notizen zu Martin Heidegger schreibt, bezeichnen auch das Ende der klassischen deutschen Philosophie, mit der der Konservativismus im 19. Jahrhundert über weite Strecken verbündet war. »Heidegger weiß nicht, was Freiheit ist« – dieses Jasperswort richtet auch den deutschen Konservativismus, der sich von seinen Ursprüngen entfernt und die europäischen Traditionen verraten hatte. Der Konservativismus hatte sich – ein »Wanderer ins Nichts«, wie Karl Radek in seinem Nachruf auf Albert Leo Schlageter formulierte – ins Lager seiner Gegner begeben und – gemessen an seinen Ursprüngen – den entferntesten Punkt seines geschichtlichen Weges erreicht. Auf die Frage: Christus oder Barabbas, hatte die »Konservative Revolution« sich für Barabbas entschieden und nicht – wie Donoso Cortés einst gehöhnt hatte – die Frage mit einem Vertagungsantrag oder der Einsetzung einer Untersuchungskommission beantwortet. Es war – um mit Karl Heinz Bohrer zu sprechen – unser letzter Versuch überhaupt – mit welch geistigen und moralischen Mitteln auch immer uns selbst als besondere Kategorie, die Metaphysik des Ichs gegen eine internationale Regel ins Feld zu führen. Die sich diesem Versuch einer Ablösung vom Abendlande – wenn auch spät, zu spät – entgegenstellten, wurden in Hitlers Konzentrationslagern ermordet. Im Widerstand fanden die nobelsten deutschen Konservativen wieder Zugang zum Allgemeinverbindlichen, allerdings nicht aus der deutsch-nationalen Ideenwelt, sondern durch persönliche Entscheidung und die Besinnung auf Grundsätze der Ethik, die außerhalb dieser Ideologie lagen. Mit ihnen ging der preußisch-deutsche Konservativismus zugrunde. Und er ist auch nicht wieder heraufzurufen, da seine Voraussetzungen mit ihm untergegangen sind.