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Friedrich, ein Konservativer?
ОглавлениеBesonders beliebt, aber auch gefährlich war der Rückgriff auf den genialen Friedrich, dessen Untugenden und moralische Schwäche dem neuen Staat als Vorbild dienten. Friedrich wurde zum Neuruppiner Bilderbogen, gefügt aus der existenziellen Härte des Krieges, der Toleranz des Philosophenkönigs, den preußischen Tugenden des ersten Dieners seines Staates und der sozialen Gesinnung eines Volkskönigs. Einwände hiergegen wurden verdrängt. Vergessen schien, was Lessing, der dem König keine Beförderung zu verdanken hatte, an seinen Freund Nicolai schrieb: »Sonst sagen Sie mir von ihrer Berlinischen Freiheit zu denken und zu schreiben, ja nichts! Sie reduciert sich einzig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion so viele Sottisen zu Markte zu bringen, als man will…«. Vergessen schien auch, was der König selbst zu den preußischen Tugenden zu Papier brachte. Auf das Gesuch einer Beamtenwitwe um eine Pension gab er uns die schriftlich erhaltene staatserhaltende Bemerkung: »Ich habe den Esel an die Krippe gebunden, warum hat er nicht gefressen?« Und auf das Gesuch eines in Not geratenen Dieners schrieb er: »Der Dummkopf! Ich hatte ihn an die Raufe gestellt, warum zog er sich kein Heu heraus?«
Theodor Schieder, sein berühmter, ihn preisender Biograph, hatte schon Recht, wenn er schrieb: »Seine Gefühlskälte und sein Zynismus waren oft erschreckend.« Friedrichs Eintritt in die preußisch-deutsche Geschichte im Jahre 1740 bestätigt dieses Urteil. Wie würde man im Privatleben eine Handlungsweise beurteilen, die darauf hinausläuft, dass man die Tochter des Mannes, der einem das Leben gerettet hat, kurz nach dessen Tod auf der Straße überfällt und ausraubt? Gewiss, Vergleiche hinken und Staatsraison ist mit Privatmoral nicht ohne weiteres vergleichbar. Wer an Preußens deutsche Sendung glaubte, für den war dieser Raub eine Notwendigkeit, die Notwendigkeit der aufsteigenden, aufstrebenden Macht. Und doch ist es selbst Bewunderern Friedrichs schwer gefallen, Raub und Annexion Schlesiens zu verteidigen. Thomas Mann hat darüber 1916 in seiner Verteidigungsschrift des deutschen Überfalls auf Belgien zu Recht bemerkt: »Chronisten und Kritiker, welche vor allem ritterlich empfanden, haben dieses Verhalten immer abscheulich genannt.« Der englische Historiker und Friedrich-Biograph Gooch hat den Raub Schlesiens zusammen mit der Teilung Polens zu den sensationellen Verbrechen der Geschichte der Neuzeit gerechnet. Denn es war eben nicht nur eine Frage privater Moralität gegenüber der Kaisertochter Maria Theresia, deren Vater Friedrich vor dem rasenden Zorn des eigenen Vaters bewahrt hatte. Das 18. Jahrhundert hatte sich um die Entwicklung des Völkerrechts bemüht, das eine rechtsgrundlose Annexion unmöglich machen sollte. Selbst die zutiefst ungerechten »Reunionen« Ludwigs XIV., denen auch Straßburg zum Opfer fiel, wurden mit Rechtstiteln begründet, weil nicht einmal der Sonnenkönig sich nackten Raub leisten zu können glaubte. Und gemeinsam hatten die europäischen Staaten Preußen an der Seite des Prinzen Eugen und Marlboroughs in einem langen Krieg den Rechtsbruch der Einverleibung Spaniens durch Frankreich mit den Waffen zurückgewiesen. Friedrich hatte mit seinem Verhalten die Uhr zurückgedreht und den mühsamen Prozess der Zivilisierung von Gewalt abgebrochen. Er war sich über den Charakter seines Tuns durchaus im Klaren. Den Versuch seiner Diplomaten, Rechtstitel zu finden, bedachte er mit der Randbemerkung »Bravo, das ist die Arbeit eines trefflichen Scharlatans«. Und dem französischen Gesandten sagte er: »Melden Sie Ihrem Herrn, dass ich sein Spiel spielen und, wenn ich gute Karten kriege, den Gewinn mit ihm teilen werde.« Es lässt sich nicht leugnen, dieser Gewaltakt bringt erneut etwas Amoralisches in die europäische Politik. Friedrich verachtete religiöse, juristische und humanitäre Hemmungen. Als Handlungsmaxime formulierte der Dreißigjährige: »Als Grundgesetz der Regierung des kleinsten wie des größten Staates kann man den Drang zur Vergrößerung betrachten«, und seinem Freund Jordan nennt er auch seine Motive: »Meine Jugend, die Glut der Leidenschaft, der Ruhmesdurst, ja selbst die Neugier, um Dir nichts zu verhehlen, kurz ein geheimer Instinkt hat mich den Freuden der Ruhe entrissen. Die Genugtuung, meinen Namen in den Zeitungen und später in der Geschichte zu wissen, hat mich verführt.« Und ein Jahr später in der Geschichte meiner Zeit: »Der Besitz schlagfertiger Truppen, eines wohlgefüllten Staatsschatzes und eines lebhaften Temperaments: das waren die Gründe, die mich zum Krieg bewogen.« Dass er dabei der Kaiserin, während seine Truppen bereits marschierten, durch seinen Gesandten mitteilen ließ, dass er nicht die Absicht habe, sie anzugreifen, rundet nur das Bild des Verfassers des Antimachiavell ab. Noch einmal: historische Vergleiche hinken! Und dennoch: Haben wir Schlesien anders verloren, als wir es gewonnen haben? Kann man über die Annexion Schlesiens, was die Rechtmäßigkeit anlangt, kaum streiten, so hat der Beginn des Siebenjährigen Krieges unterschiedliche Deutungen erfahren. Friedrichs Überfall auf Sachsen ist von den einen als notwendiger Präventivschlag, also als Ausbruch aus der Einkreisung gesehen worden, andere haben auch hierin allein das Ziel territorialer Vergrößerung erblickt. Friedrich selbst hatte 1752 in seinem »Politischen Testament«, auf dem Bismarck 130 Jahre später noch »Dauernd geheim halten« vermerkte, davon geträumt, dass Preußen Sachsen und Westpreußen erobern müsse. Allerdings hatte er diese Eroberungen an Bedingungen geknüpft, die 1756 nicht vorlagen. Doch auch der preußische Historiker Delbrück, ein Bewunderer Friedrichs, kommt in seiner Studie über den Siebenjährigen Krieg zu dem Ergebnis: »Friedrich hat … mit der tiefsten Verschlagenheit auf einen großen Krieg hingearbeitet, der seinem Staate Sachsen und Westpreußen bringen sollte.« Der Streit der Meinungen kann hier dahingestellt bleiben, denn auch im Fall des Präventivschlages war Friedrichs Politik unter diplomatischen wie politischen Gesichtspunkten verheerend. Er hatte das für unmöglich Gehaltene, ein Bündnis Habsburgs mit Frankreich, zustande gebracht und dafür mit England einen Partner gewonnen, der an einer Entscheidung in Nordamerika und nicht in Europa interessiert war. War die Annexion Schlesiens nach dem Fouché-Wort ein Verbrechen, so war der Überfall auf Sachsen mehr als das – nämlich eine Dummheit. Die Art und Weise der Behandlung Sachsens ist damals so einhellig verurteilt worden wie zuvor die Annexion Schlesiens. Thomas Mann in der schon erwähnten Rechtfertigungsschrift: »Von dem Lärm, der sich über diesen unterhörten Friedens- und Völkerrechtsbruch in Europa erhob, macht man sich keine Vorstellung.« Friedrich besetzte das Land, schoss – 180 Jahre vor den angloamerikanischen Bombengeschwadern – die Dresdner Altstadt in Brand, ließ das Staatsarchiv unter Androhung körperlicher Gewalt gegen die in Dresden zurückgebliebene Königin abtransportieren und zwang die in Pirna eingekesselte sächsische Armee unter preußische Fahnen. Wieder hatte er ein neues Element in die deutsche Politik eingeführt: »Das ständige Roulettespielen mit unzureichenden Mitteln, das Hasardieren; das Alles-auf-eine-Karte-Setzen; das Glückhaben-Müssen; der ständige Gedanke an Gift und Dolch, wenn’s schiefgeht; die permanente Überanstrengung.« (Rudolf Augstein) Mit Friedrichs Drittem Schlesischem Krieg stellte er sein Glück allein auf den Erfolg der Waffen. Nirgendwo anders, so urteilt der englische Historiker Gooch, hat sich damals der Glaube an die Waffen als das natürliche Mittel, Streitigkeiten auszutragen, durchgängigerer Achtung erfreut; wurde die Drohung mit dem Krieg als ein Instrument der Politik so systematisch angewandt; bestand so wenig Gefühl für internationale Zusammenarbeit. »Ich habe Europa mit der Seuche des Krieges angesteckt«, schrieb Friedrich 1742 an Voltaire. Dass er in diesem Krieg nicht unterging, verdankte er allein dem glücklichen Umstand des rechtzeitigen Todes der Zarin Elisabeth. Gewiss hat Jacob Burckhardt Recht, wenn er in seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen über Friedrich in diesem Kriege schreibt: »Schicksale von Völkern und Staaten, Richtungen von ganzen Zivilisationen können daran hängen, dass ein außerordentlicher Mensch gewisse Seelenspannungen und Anstrengungen ersten Ranges in gewissen Zeiten aushalten könne. Alle seitherige mitteleuropäische Geschichte ist davon bedingt, dass Friedrich der Große dies von 1759 bis 1763 in supremem Grade konnte.« Aber auch dieses Urteil steht und fällt mit dem für Friedrich gerade noch rechtzeitigen Tod der Zarin.
Ein Jahr später wäre Preußen als Staat vernichtet gewesen. Man kann Friedrich nicht die Fehler oder gar Verbrechen seiner Nachfolger zurechnen, und dennoch: Auf das »Wunder des Hauses Brandenburg« hofften auch Hitler und Goebbels im Bunker, als sie vom Tode Roosevelts erfuhren. Und schon Thomas Mann verglich den deutschen Überfall auf Belgien im Jahre 1914 mit Friedrichs Überfall auf Sachsen, ein durchaus zulässiger Vergleich, wenn man die Motive untersucht. In beiden Fällen hatten sich Preußen und Deutschland diplomatisch isoliert, waren von einem Ring von Feinden umgeben, aus dem sie auszubrechen versuchten, in beiden Fällen unter Bruch des Völkerrechts.
Wilhelm II. hoffte wie Friedrich, dass den Sieger niemand zur Verantwortung ziehen würde. Doch Hasardieren ist keine Politik, und was Friedrich mit Glück gelang, misslang 1918 und endete 1945 in einer Katastrophe. Bismarck hat schon gewusst, warum er die Deutschen immer wieder vor der Konstellation des Dritten Schlesischen Krieges gewarnt hat und das Suchen nach Verbündeten zum Herzstück seiner Außenpolitik machte. Denn auch nach dem glücklichen Ausgang des Siebenjährigen Krieges war Preußen gefährdet wie kein anderer europäischer Staat. Es bleibt die historische Frage, ob Friedrich mit dem Rückgriff auf die reine Macht nicht das Lebensgesetz Preußens formulierte. Resultierte die Radikalität des Handelns Friedrichs aus der Ausnahmesituation eines Staates, für die es keine Parallele gab, so war eben diese Radikalität die Ursache für die dauernde Gefahr des Untergangs, in die er sich selbst und seinen Staat stürzte. Trotz des preußischen Klassizismus, der Humboldt’schen Reformen, des märkischen Arkadien und Fontanes Stechlin bleibt der Satz des Historikers Erdmann gültig, dass es keine preußische Idee gab, mit der dieser Staat – anders als Frankreich, England oder auch Spanien – in die Welt hätte hinauswirken wollen. Was man Preußen schließlich verzieh, solange es dauerte, hat man Deutschland nie verziehen. Friedrichs Legitimation war das Recht der aufsteigenden Macht, das Recht des Stärkeren. Auf eine fast naive Weise hat Gerhard Ritter, der Historiker Preußen-Deutschlands, dies belegt. Hieß es in der ersten Auflage seines Friedrich-Buches 1936 noch »Er (Friedrich) hat damit den Grund für die Größe Preußens gelegt; und so ist seine Tat vor der Geschichte gerechtfertigt«, so stand da 1954: »Er hat damit den Grund für die Größe Preußens gelegt; und solange dessen Aufstieg dauerte, konnte seine Tat als gerechtfertigt vor der Geschichte erscheinen.«