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Edmund Burke

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Über Edmund Burke ist so viel Falsches gesagt und geschrieben worden, dass es schwierig ist, unter den vielfältigen ideologischen Ansprüchen im Politiker des 18. Jahrhunderts den zeitlosen Theoretiker zu erkennen, zumal er kein Philosoph war, der ein systematisches, in sich geschlossenes Werk hinterlassen hat. Seine theoretischen Arbeiten galten praktischen Zwecken und sind von den politischen Umständen, unter denen sie entstanden sind, nur mit Vorsicht zu trennen, ohne dass ihnen Gewalt angetan wird. Edmund Burke hat keine Theorie erfunden und keine »Schule« begründet. Dennoch enthält sein Denken Elemente, die für eine heutige politische Orientierung brauchbar sind. Burkes Denken wurzelt in einem spezifischen Menschen- und Gesellschaftsbild: in einer skeptischen Anthropologie, in der Gegnerschaft gegen den liberalen Individualismus wie einem autoritären Kollektivismus und in einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber der Fortschrittsdynamik der Moderne, egal, ob sie sich in der sozialen Revolution oder im liberalen Imperialismus manifestiert. Burkes Partei – die Rockingham Whigs –, der er mit seinen »Gedanken über die Ursache der gegenwärtigen Unzufriedenheit« ein brillantes Parteimanifest schrieb, hatte sich drei große Themen auf ihre Fahnen geschrieben: die Versöhnung mit Amerika, die Parlamentsreform und die Reform der indischen Verwaltung. Gegenüber den amerikanischen Kolonisten ging es zu Beginn um Versöhnung durch die Abschaffung der unseligen Stempelsteuer, am Ende um ihre Unabhängigkeit von England. Sein Kampf gegen den Generalgouverneur der Ostindien-Kompanie, Warren Hastings, den er vor dem Parlament anklagte, war ein Kampf für die Unterdrückten in Indien wie für die Reinheit der aristokratischen Institutionen in England, die durch indisches Gold korrumpiert wurden. Schließlich verschafften ihm die Ereignisse von 1789 in Frankreich jenen welthistorischen Anschauungsunterricht, der es ihm erlaubte, seine Prinzipien in den Betrachtungen über die Französische Revolution zusammenzufassen. In ihr fand er einen neuen und mächtigeren Feind all dessen, was er bewahrt sehen wollte. Burke ist auch in diesem Kampf seinen Überzeugungen treu geblieben und hat nicht jene, das Reaktionäre streifende, konservative Verwandlung durchgemacht, die Freunde und Gegner – je nach ihrem politischen Standort – bejubelt oder verdammt haben. Er war auch in dieser Phase seines Lebens nicht der vorbehaltlose Apologet des Bestehenden, der dem Staat kosmologische Bedeutung beimisst und ihn auf diese Weise allem Wandel entzieht.

Burke gehorchte zuallererst einem romantischen Impuls. Er liebte das Altehrwürdige, das durch die Traditionen Geheiligte, das seit Generationen stetig Gewachsene: die großen aristokratischen Familien, die alten Landhäuser, die britische Verfassung mit ihren Ungereimtheiten, die alten Freiheiten der amerikanischen Kolonisten, die indischen Religionen und Bräuche. Alles Erhabene und Schöne flößte ihm Ehrfurcht und den Wunsch nach Bewahrung ein. Die Politik des Königs bedrohte die amerikanischen Freiheiten und die gewachsene Macht des Parlaments, die neureichen Nabobs bedrohten die englische Aristokratie und die ostindische Kompanie mit ihrem Generalgouverneur die alten Religionen Indiens. Sein Kampf galt »den Sophisten, den Ökonomisten und Rechenmeistern«, die die Schönheiten der Erde in Mark und Pfennig ummünzten. Was ihn in seinem ästhetischen Jugendwerk über die Ursprünge unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen bereits bestimmt hatte – eine typisch irische Liebe zu den »lost causes« –, hat ihn zeit seines Lebens auch politisch geleitet. An den Herzog von Richmond konnte er deshalb schreiben: »Sie, als Vertreter großer Familien und vererbter Vertrauensstellungen, sind in einer anderen Lage als Leute wie ich. Was immer wir auch sein mögen zufolge unseres raschen Wachstums und der Früchte, die wir hervorbringen und auf die wir stolz sind, so kriechen wir doch auf dem Boden, um zu Melonen zu werden, die zwar vorzüglich sind nach Größe und Geschmack, aber einjährige Gewächse, die nach unserer Zeit zugrunde gehen. Sie aber, wenn Sie tatsächlich dem entsprechen, was Sie sein sollen, gleichen den hohen Eichen, die dem Lande Schatten spenden, und Sie verleihen Ihren guten Taten Dauer von Generation zu Generation.«

Der zweite starke Impuls, der sein ganzes Werk durchzieht, ist eine Großzügigkeit des Herzens, ein Mitleiden mit den Unterdrückten, eine tiefe Moralität und daraus gespeist ein reformerischer Eifer, das Los der Menschen zu bessern. »Alle Menschen sind Gottes Geschöpfe, und es ist der Zweck des Staates, die Wohlfahrt der Menschen zu befördern.« Das galt für die Inder wie für die Engländer und Amerikaner. In Burkes Anklagerede gegen Warren Hastings findet sich der Satz: »Die Aufgabe dieses Tages ist nicht das Schicksal dieses Mannes, es geht nicht allein darum, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig ist, sondern darum, ob Millionen Menschen elend oder glücklich sein werden.« Diese Sorge um das Schicksal der vielen Einzelnen machte Burke misstrauisch gegenüber allen Abstraktionen, gegen die Anrufung der Menschheit wider die Schwächen des Menschen, gegen die abstrakte Freiheit, die sich nicht in Institutionen zur Sicherung der Freiheit des Einzelnen verwirklicht, gegen gesellschaftliche Entwürfe vom Reißbrett, die die Traditionen von Jahrhunderten außer Acht lassen, gegen eine Raison des Staates, die den Staatszweck losgelöst von den Menschen definiert, gegen die Vergötzung der Nation sowie gegen alle Spekulationen, die, von einem neuen Menschen träumend, die menschliche Gesellschaft neu erfinden und Verfassungen auf ein leeres Blatt Papier schreiben wollen. Über die Moralität einer Politik entscheidet nach Burke nicht die Güte ihrer Prinzipien, sondern entscheiden allein die Wirkungen, die sie für die einzelnen Menschen hat. Nur das Glück des Einzelnen ist als Maßstab zur Beurteilung der Qualität einer Politik tauglich. Daraus folgt für Burke ein schonender Umgang mit dem Gewordenen und Gewachsenen.

Nur im äußersten Notfall durften Regeln verändert, Verträge aufgekündigt, Privilegien beseitigt werden. Bereits in seiner Satire auf Bolingbroke hatte Burke den Versuch verspottet, eine bestehende Ordnung durch eine »natürliche Ordnung« zu ersetzen. Denn die Gesellschaft ist für ihn ein Teil der großen Übereinkunft, die alle Dinge miteinander verbindet, die Ordnung der Welt begründet und damit unabhängig von der Willensentscheidung der Einzelnen Bestand hat. Zwar gibt es auch für Burke Situationen, in denen die gewachsene politische Form, die den Frieden und den Fortbestand sittlicher Traditionen garantiert, durch Gewalt zerstört werden muss, aber dieses Revolutionsrecht ist ein Notrecht unter der Bedingung zwingender, unabweisbarer Notwendigkeit.

Burke hat nicht gegen die Aufklärung des 18. Jahrhunderts revoltiert, sein Widerspruch war nicht gegen die Rationalität, sondern gegen ihre Unvollkommenheit gerichtet. Er hat zweihundert Jahre vor Horkheimer und Adorno die »Dialektik der Aufklärung« gesehen. »Vernünftiges Handeln«, so hat es Dieter Henrich einmal formuliert, »kann nicht in Unkenntnis bisheriger Geschichte und in der dekretierten Abkehr von ihr ins Werk gesetzt werden. Es ist darauf angewiesen, sich der Traditionen zu vergewissern, in denen es steht, der Situation, die es vorfindet, auch der Handlungsmöglichkeiten, die stets beschränkt sind durch die Existenz von Motivzusammenhängen, welche nur durch Verständigung dauerhaft veränderbar sind, nicht durch Gewalt.« Burke ist kein Führer in die Irrationalität der politischen Romantik, er hat uns nur den vernünftigen Wert moralischer Verpflichtungen eingeschärft, ohne die eine Gesellschaft nicht bestehen und der Mensch als soziales Wesen nicht existieren kann. Nach Kenntnis dieser Gedankenwelt ist es nicht schwierig, Burkes Haltung gegenüber der Französischen Revolution zu verstehen. Hier war eine Kraft am Werke, die die Schönheit der alten Monarchie zertrümmerte, die Aristokraten und Priester drangsalierte und tötete und eine neue Gesellschaft auf den abstrakten Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit errichten wollte.

Der Romantiker Burke sah den Untergang der ehrwürdigsten Monarchie Europas: »Es ist jetzt 16 oder 17 Jahre, dass ich die Königin von Frankreich, damals noch als des Dauphins Gemahlin, zu Versailles sah; und nie hat wohl diesen Erdkreis, den die leichte Göttergestalt kaum zu berühren schien, eine holdere Erscheinung begrüßt. Ich hätte geglaubt, zehntausend Schwerter müssten aus ihren Scheiden fahren, um einen Blick zu bestrafen, der sie zu beschimpfen drohte. Aber die Zeiten der Rittersitte sind dahin. Das Jahrhundert der Sophisten, der Ökonomisten und der Rechenmeister ist an ihre Stelle getreten, und der Glanz von Europa ist ausgelöscht auf ewig.« Der Moralist Burke empfand mit den Verfolgten: »Ich hasse die Tyrannei, aber ich hasse sie am meisten, wo die meisten davon betroffen sind. Die Tyrannei der Menge ist nur eine vervielfältigte Tyrannei.«

Und der Gegner der Abstraktionen konnte sein Verdikt über die Verfassungsmacherei der Franzosen mit den Ereignissen von 1688 begründen, in denen die Freiheiten der Engländer und ihre in Jahrhunderten gewachsene Verfassung wiederhergestellt worden waren. Die Franzosen hatten alles zerschlagen und saßen nun ratlos auf den Trümmern einer fast tausendjährigen Vergangenheit; die Engländer hatten 1688 die Institutionen vorsichtig reformiert und die alten Rechte bewahrt. Das revolutionäre Notrecht hielt Burke im Falle Frankreichs nicht für gegeben, da er die Reformmöglichkeiten nicht für erschöpft ansah. Burke hat die Französische Revolution vor die Schranken des 18. Jahrhunderts gefordert und ihr Irrationalität bescheinigt, er hat nicht die Irrationalität zum Kampf gegen die Aufklärung aufgerufen. Burke war nicht der Begründer einer neuen konservativen Weltsicht. Burkes Botschaft ist die Botschaft des Maßes und der Mitte, der vorsichtigen Reform bei Bewahrung des Ganzen. »Alle Regierungen, ja alle menschlichen Freuden und Genüsse, jede Tugend und jede kluge Handlung ist auf einen Kompromiss, eine Balance gegründet. Wir wägen Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten ab, wir nehmen und geben, wir nehmen einige Rechte nicht in Anspruch, damit wir uns anderer erfreuen können, und wir wollen lieber glückliche Bürger sein als spitzfindige Disputanten.«

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