Читать книгу Der Trockene Tod - Alexander Köthe - Страница 9
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d e r N e u e n Z e i t
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1 t e r T a g i m 1 t e n M o n a t
d e r Z e i t d e r B l ü t e
A m s p ä t e n A b e n d
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S t r a ß e n a c h I s t e n d a h
Niekas verbrachte noch zwei Stunden im Sattel seines kleinen braunen Pferdes mit dem Namen Brauer. Er ritt in mäßigem Tempo den Steinweg nach Istendah entlang, ohne einer Seele zu begegnen.
Die mit elektrischen Eisen-Laternen beleuchtete Straße führte ihn zunächst durch mit verschiedenen Gräsern bewachsene Hügel, auf denen auch vereinzelte Sträucher und Büsche standen. Ab und an vernahm er die entfernten Geräusche nachtaktiver Echsen. Doch schon wenige Meilen später verwandelte sich die spärlich-grüne Landschaft in eine leere, karge Wüste aus Steinen und brauner toter Erde.
Im letzten schwachen Licht der Dämmerung konnte Niekas in der Ferne die mächtigen schwarzen Schatten aus Stein und Stahl erkennen, städtische Überreste aus der ‘Alten Zeit’, seit Jahrhunderten dem Verfall überlassen. Ehemals riesige menschliche Bauten waren nunmehr nichts als Schutt und Trümmer.
Irgendwann verschwanden die riesigen Kolosse in der hereinbrechenden Nacht und einsame Pflanzen tauchten neben dem Steinweg auf. Der kühle Nachtwind wehte Niekas um die dicke, knorrige Nase und erweckte zwei braune Büsche am Wegesrand zu unheimlichem Leben.
Einige weitere Meilen später, als ihm der Abstand zu Arstorn groß genug erschien, suchte Niekas die an ihm vorbei rauschende Umgebung nach einem geeigneten Schlafplatz ab und fand eine kleine, von hohen Sträuchern umgebene Grasfläche am Rand der Straße. Er stoppte. Ein kleiner Schatten mit langem schuppigem Schwanz fuhr aufgeschreckt hoch und sprang hastig ins Gestrüpp.
Während Brauer sofort damit begann, die nur spärlich vorhandenen Grashalme abzuzupfen, stieg Niekas ab, schnallte eine mit Gänsefedern gefüllte Leinendecke von seinem Sattel und holte einen kleinen, mit Jaru-Beeren gefüllten Lederbeutel hervor. Brauers Kopf schnellte blitzartig zu ihm herum. Das kluge Tier merkte sofort, wenn es was zu Schlecken gab. Er schüttete die roten Beeren in seine Handfläche. Während Brauer diese daraufhin genüsslich ab schlabberte, tätschelte Niekas ihm den kräftigen Hals und Strich über seine lange hellbraune Mähne.
“So, Brauer. Für heute ists gut. Jetzt wird geschlafen!”
Niekas nahm seinem Steppenläufer den Sattel ab und band sich die Zügel ums linke Handgelenk.
Nur zur Sicherheit.
Dann füllte er das zwölf Schuss fassende Magazin seiner Handgan auf - ebenfalls nur zur Sicherheit - und betrachtete seine Lieblingswaffe im Licht des aufgegangenen Mondes. Sie bestand aus reinem Boritium, einem Metall, das auf der Erde gar nicht vorkam, sondern von einem abgestürzten Meteoriten stammte, den man in der Hadjan-Wüste gefunden hatte - extrem kostbar, ultraleicht und quasi unzerstörbar. Um den typischen grünlich-bronzefarbenen Glanz des Boritiums und damit den Wert der Waffe zu verbergen, hatte Niekas sie matt-schwarz gefärbt. Der gleichfarbige gummierte Griff war extra für ihn angefertigt worden und besaß Fingerrillen und eine Daumenstütze, die sich perfekt an seine große rechte Hand anschmiegten.
Eine wahrlich prachtvolle Waffe.
Niekas grinste und steckte seine Handgan zurück in das lederne Halfter an seinem grünen Kirik-Gürtel. Dann legte er sich eingekuschelt in seine Leinendecke ins Gras und schloss die violetten Augen.
…
Eine ganze Weile später.
Etwas zieht an seinem Arm, zunächst sanft, dann immer stärker. Niekas erwacht, öffnet die Augen und lauscht mit seinen übermenschlich guten Ohren in die Nacht hinein.
Brauer ist unruhig und schnauft leise. Sein Kopf geht ruckartig auf und ab. Die Zügel an seinem Handgelenk folgen der Bewegung.
Büsche rasseln.
Nicht weit entfernt: Dumpfe schwere Schritte, selbst für Niekas enorm feines Gehör kaum wahrnehmbar, treffen auf spärlich bewachsenen, sandigen Boden. Er spürt sie durch die ganz seichten Vibrationen in der Erde, wie die Ausläufer eines weit entfernten Erdbebens.
Etwas Großes ist da draußen.
Schnell und geräuschlos springt Niekas auf. Mit seinem rechten Zeigefinger löst er den ledernen Sicherheitsbügel seines Waffenhalfters und zieht die Handgan heraus.
Vorsichtig macht er einen Schritt auf Brauer zu und tätschelt dem Pferd besänftigend den Hals.
Während er die Zügel von seinem Handgelenk löst, spürt er eine erneute Erschütterung der Erde.
Noch ein schwerer Schritt. Diesmal näher!
Niekas schließt die Augen, konzentriert sich auf die Dunkelheit um ihn herum und versucht seine geschärften Sinne wie unsichtbare Späher nach allen Seiten hin auszuweiten.
Die Sekunden verstreichen.
Niekas hält den Atem an, um jedes noch so leise Geräusch wahrzunehmen. Doch er hört nichts außer dem seichten, unruhigen Schnaufen seines Pferdes.
Zu spät erkennt er, dass es keine verräterischen Laute mehr geben wird. Der Jäger ist bereits in Position, näher als gedacht, bereit zum Angriff.
Die Sträucher hinter Niekas explodieren in einer Wolke aus Staub und zerfetzten Blättern. Mit brachialer Kraft schießt der Prädator aus seinem Versteck und schnappt mit seinen mächtigen Kiefern zu.
Die mehr als fünfzehn Zentimeter langen Reißzähne verfehlen Niekas Kopf nur, weil er sich instinktiv zur Seite fallen lässt. In der gleichen blitzschnellen Bewegung rollt er sich weg von der riesigen Echse, wirbelt herum und landet breitbeinig in Hockstellung, bereit, mit einem seitwärts gerichteten Sprung einem erneuten Angriff sofort auszuweichen.
Brauer flieht.
Auch die Echse wendet augenblicklich. Doch statt direkt wieder anzugreifen oder dem Pferd nachzustellen, verharrt sie in Lauerstellung und blickt Niekas mit ihren gelb leuchtenden Augen abschätzend an.
Mit knurrenden Geräuschen öffnet sie ihr riesiges Maul voller langer scharfer Zähne, die im Mondlicht elfenbeinfarben leuchten.
Eine Schreckens-Echse.
Der Prädator ähnelt stark einem prähistorischen Fleischfresser aus den frühen Anfängen der ‘Alten Zeit’. Er misst vom Kopf bis zum Ende seines dicken, langen Schwanzes, dessen Spitze vier schräg nach oben gerichtete mächtige Dornen trägt, über acht Ellen und ist doppelt so groß wie ein Mensch. Seine langen kräftigen Arme enden in riesigen Klauen mit zwanzig Zentimeter langen, sensengleichen Krallen, die wie Dolche in Niekas Richtung weisen. Die beige schuppige Haut ist übersät von braunen Streifen und zahlreichen Sprinklern in verschiedenen dunklen Grüntönen. Die perfekte Tarnung für die hiesige karge Landschaft. Seinen Rücken entlang laufen zahlreiche spitz zulaufende Erhebungen, ein natürlicher Panzer aus außen liegenden Knochenplatten, die ihn wie eine Rüstung schützen.
Während die Augen der Schreckens-Echse auf ihre Beute fixiert bleiben, läuft sie auf ihren mächtigen, muskulösen Hinterbeinen einige schwere Schritte seitwärts. Der intelligente Jäger wartet ab, genau wie Niekas, der sich jetzt langsam aufrichtet. Seine rechte Hand ist leer, die Handgan während der ersten Attacke irgendwo in der Dunkelheit verloren.
Ebergrütze!
Durch eine kurze Muskelbewegung seines linken Unterarmes schnellt im selben Augenblick eine Assassinen-Klinge über seiner Hand hervor. Der silbern glänzende Stahl findet seinen Anfang in einer komplizierten Armschiene - verborgen in den langen, weiten Ärmeln seines Stoffhemdes - und ragt ganze dreißig Zentimeter über Niekas Hand hinaus. Die Klinge ist ungewöhnlich dick. Sie besteht nicht aus einem Ganzen, sondern aus zehn übereinandergelegten hauchdünnen Dolchen, die zusammen als Stichwaffe verwendet oder einzeln abgeschossen werden können.
Klingen gegen Krallen.
Niekas ergreift die Initiative. Langsam aber bestimmt geht er auf die Schreckens-Echse zu. Er will das Tier nicht töten, aber er wird sich verteidigen und das Ganze jetzt beenden.
Wütend ruft er seinem Gegner entgegen:
“So, du halb krumme Gurke! Ich bin echt am Arsch! Die lange Reise, dann dieser Gwenninger und jetzt auch noch du! Und anstatt mich gleich aufs Ohr hauen zu können, nachdem ich dich wieder geradegebogen hab, darf ich noch mein Pferd suchen gehen! Ich könnt so was von abkotzen! Das glaubst du gar nicht!”
Die letzten Worte schreit er förmlich.
Er ist dem Prädator jetzt ganz nah. Dieser scheint durch Niekas Verhalten verunsichert, weicht einen Schritt zurück.
Doch dann geschieht das Unausweichliche. Die Schreckens-Echse reißt ihr Maul weit auf, brüllt in schier unerträglicher Lautstärke ihre vom Hunger getriebene Mordlust in die Nacht hinaus und greift an.
Ihre langen, krallenbesetzten Arme packen Niekas, können den starken, ledernen und Eisen-besetzten Brust-Rücken-Panzer aber nicht durchdringen.
Niekas versucht sich mit aller Kraft zu befreien.
Dann: ein schrecklicher, stechender Schmerz. Eine dolchartige Echsenklaue findet eine ungeschützte Stelle in Niekas Flanke und bohrt sich durch seine ledrige grüne Haut tief in sein Fleisch.
Er schreit vor Schmerz, doch die Wunde treibt ihn nur noch mehr an.
Niekas hebt seinen linken Arm und lässt die Assassinen-Klinge mit brutaler Gewalt auf die in ihm steckende Kralle niederschießen.
Er trifft.
Blut spritzt. Knochen bersten, zersplittern.
Eine Hälfte der linken Echsenpranke fällt abgetrennt zu Boden. Die andere lässt von Niekas ab.
Der Prädator flieht, rennt davon … und bleibt abrupt stehen.
Zu groß ist der Hunger.
Die Schreckens-Echse wendet. Ihre schweren Beine donnern über den kargen Boden. In vollem Lauf treffen Jäger und Gejagter aufeinander.
Im letzten Moment lässt sich Niekas zu Boden fallen und rutscht unter der Echse hindurch. Seine Dolchhand weit von sich gestreckt, erwischt er den Gegner an der empfindlichen rechten Verse und durchtrennt Haut und Muskeln.
Die Echse schafft keinen weiteren Schritt. Das verletzte Bein knickt unter ihrem Gewicht weg und sie stürzt schwer verletzt zu Boden.
Blitzschnell springt Niekas auf, bereit zum letzten tödlichen Stoß.
Der Kampf ist vorüber. Die Schreckens-Echse liegt besiegt im Staub.
Mit einem heftigen Ruck und zusammengebissenen Zähnen zieht Niekas die noch in ihm steckende Kralle aus seiner Flanke und schmeißt sie weit von sich.
Langsam geht er auf das Tier zu.
Die gelb leuchtenden Augen der Echse blicken ihn feindselig an. Sie windet sich, will aufstehen, fliehen.
Doch mit jedem Schritt, den sich Niekas nähert, wird sie ruhiger. Die Feindseligkeit verschwindet aus ihren Augen, die jetzt angsterfüllt, hilflos wirken, fast, als wenn sie um Gnade bitten würde.
Als Niekas die Echse erreicht, ist seine Wut erloschen. Anstatt das hilflose Tier zu töten, lässt er seine Armklingen wieder verschwinden und sagt in festem Ton:
“Du rührst dich nicht von der Stelle! Verstanden?”