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ОглавлениеSehnsucht
In der Tiefe des Seins gewinnt die Sehnsucht an Stärke und sucht nach einer Möglichkeit, sich zu leben. Sie durchzieht stetig wachsend das Nichts. Ihr Ziel ist es, die Harmonie wiederherzustellen, die durch übergreifende, mächtige Manifestation von Ignoranz und Gleichgültigkeit gestört wurde. Als sie in einen Nebel eintaucht, der weite Teile einer beliebigen, amorphen Galaxie des Geistes durchflutet, werden Gedanken an entgangenes Glück geboren und unzählige Tränen geweint. Planeten sehnen sich nach Zukunft, wohl wissend, dass es nur diese eine Zukunft gibt, die gleichzeitig auch Vergangenheit ist und endlich. Die Sehnsucht wird so mächtig, dass sie neue Gefäße erschaffen muss, um ihrem Streben nach Existenz gerecht werden zu können. So bildet sich der Mensch als Gefäß voller Harmonie aus dem Nichts und sein erstes Gefühl ist Sehnen. Dann, als das Gleichgewicht rekonstruiert ist und das Nichts in seiner Ausgewogenheit viele andere Wege gefunden hat, die vollkommene Harmonie des Seins zu gestalten, verschwindet er wieder, der Mensch. Er war nicht viel wert, weit weniger als viele andere Individuen, die es verstanden, ihr Dasein sinnvoll zu gestalten. Das nächste Mal, wie so viele Male zuvor, wird es vielleicht wieder der Hass sein, der sich des Menschen als Gefäß bedient, um die Übermacht der Liebe, die ab und zu im Nichts existiert, auszugleichen. Für den Hass scheint er geeigneter, aber auch das währt nur einen Moment.
Während so rein und klar fühlende Gase sich gegen stinkenden Dreck zur Wehr setzen und der Krieg zwischen rivalisierenden Manifestationen in der Bedrohung des Gleichgewichts gipfelt, unsagbares Leid weite Teile der Unendlichkeit erfasst und würgt, wird irgendwo eine neue Spezies geboren mit dem einzigen Ziel, die Energie des Nichts zum Ausgleich aller Empfindungen zu nutzen. So, wie es keine Grenzen in der Schöpfungskraft des Nichts gibt, so gibt es auch keine Ausprägung von Sein, die nicht möglich wäre. Allem Sein ist die Wahrheit des Nichts inne und alles Sein ist Momentaufnahme zum Zwecke des Ausgleichs der unveränderbaren Energie des Alles – so ist jedes Individuum, unabhängig von seiner derzeitigen Ausprägung und seinem aktuellen Aggregatszustand, immer nur Teil des Ganzen. So, wie Sehnsucht ein Teil des Ganzen ist.
Der Mensch kommt in seiner Betrachtung des Phänomens ‚Sehnsucht’ und im ersten Ansatz des Verstehens, dass das Nichts unendlich ist, sehr schnell an seine Vorstellungsgrenzen – ist er doch so tief verwurzelt in eigener Logik. Wenn das Nichts unendlich ist, denkt er, und Sehnsucht ein ausgleichender Bestandteil des Nichts ist, glaubt er zu verstehen, dann ist auch die Sehnsucht unendlich. Die Unendlichkeit kann sich aber nicht ausgleichen, weil sie immer ausgeglichen ist.
Diese Annahme ist wahr und dennoch so kleingeistig wie dumm, denn es geht in Bezug auf den vollkommenen Ausgleich aller Mächte im Nichts nicht nur um die manifestierte Sehnsucht, um bei diesem Beispiel zu bleiben, sondern auch um die verborgene, aber existente Sehnsucht des Seins. Während die Sehnsucht also in ihrer Unendlichkeit nicht ausgleichbar ist, so ist durchaus die manifestierte Sehnsucht in ständigem Ungleichgewicht.
Wie träge ist nun aber das Nichts? Wie lange dauert es, bis ein entstandenes Ungleichgewicht in Bezug auf die manifestierte Sehnsucht und ihre Gegenspieler Ignoranz, Gleichgültigkeit und Desillusion, wieder ausgeglichen ist? Zeit existiert nicht, also kann auch ein Ungleichgewicht nicht über eine bestimmte Zeit existieren, sondern ist nicht vorhanden, obwohl es in Bezug auf eine manifestierte Macht real ist. Genauso, wie die Sehnsucht im Nichts zu jedem Zeitpunkt einer Veränderungsmöglichkeit unterworfen ist, sind es auch alle manifestierten Ausprägungen von Sehnsucht, ohne allerdings die Verbindung zueinander zu verlieren. Die Manifestation selbst hat keinerlei Relevanz. Der Ausgleich erfolgt über das Alles, denn alles steht in Verbindung zueinander. So kann es also jede manifestierte Ausprägung des Nichts zu jedem konstruierten Zeitpunkt treffen, dass sie zum Ausgleich beiträgt. Zu jedem empfundenen Zeitpunkt ist es möglich, dass der Mensch Sehnsucht hat oder nicht hat, oder alle möglichen Abstufungen der Gefühlsintensität dazwischen. Dies ist in Abhängigkeit zu seinen grundsätzlichen Fähigkeiten beeinflussbar durch ihn selbst.
Erneut weit über den menschlichen Horizont hinaus begibt man sich aber bei der Einbeziehung von jeglicher Manifestation.
Welche Sehnsüchte hat ein Berg?
Da es keinen qualitativen Unterschied zwischen manifestiertem Lebendem, manifestiertem nicht Lebendem und nicht manifestiertem Nichts gibt, kann auch ein Berg Sehnsucht haben und somit als Werkzeug des Nichts zum Ausgleich des Alles beitragen. Es ist den allerwenigsten Menschen vergönnt, den Gemütszustand eines Berges erfahren zu können, so wie es generell nur außerhalb der menschlichen Normalität möglich ist, irgendetwas zu verstehen, irgendetwas zu erahnen von den natürlichen Ausgleichsmechanismen des Nichts.
Immer wieder, keiner verständlichen Regelmäßigkeit unterworfen, blitzen tiefste Empfindungen in den unterschiedlichsten Wesensarten auf, die vermuten lassen, dass ein Verstand zumindest ansatzweise begriffen hat. Es sind die sogenannten „Naturvölker“, die Dingen und vermeintlich toter Materie Eigenschaften zusprechen, die im Verständnis des normalen, gebildeten Menschen nur lebender Materie zugestanden werden können. Die vornehmlich religiös getriebene Ehrfurcht vor allem Sein dient hier als grundsätzliche Haltung und ermöglicht das Erleben dessen, was wahr ist. Je einfacher das Gemüt, kann vielleicht als Regel aufgestellt werden, desto besser der Zugang zu den Zusammenhängen, die zwischen allen Formen des Seins bestehen. Je unbelasteter durch Wissen und je kritischer gegen sich selbst eingestellt das Individuum ist, desto näher an der Wahrheit ist das Erleben des Seins. Also sind es die Einzeller, die den wirklichen Durchblick haben oder vielleicht sogar der Stein im Flussbett, der sich selbst als das erfährt, was er wirklich ist – als sehnsüchtiges Nichts. So trauerten schon in grauer Vorzeit die Berge und die dort wohnenden Götter mussten mit Opfern besänftigt und eingestimmt werden. Die stärksten Kulturen in der Vergangenheit hatten immer den intensivsten Bezug zu ihrer Umwelt, weil sie es vermochten, ihre eigene Sehnsucht im Kontext mit der Sehnsucht der Natur zu verstehen. So öffnet dieser ehrfurchtsvolle Bezug zu allem Sein die Tür zu umfassendem Verständnis für das Alles und sie Zusammenhänge zwischen dem wahren Wesen aller Bestandteile untereinander. Nur wer mit Bestimmtheit weiß, dass auch ein Berg, ein Baum oder ein See Sehnsucht empfinden kann und durch dieses Vermögen als Teil des Ganzen für den Ausgleich innerhalb des Alles sorgt, kann den notwendigen Respekt vor solch elementarer Instanz spüren und den Bezug aufbauen, der einem Berg, einem Baum oder einem See gerecht wird.
Als Erfahrung dieser umfassenden, unendlichen und, als solche, nicht ausgleichbaren Sehnsucht erlebt der Mensch seine eigene Sehnsucht als Insel des Gefühls, weil er sich nicht vorstellen kann, dass auch dieses Gefühl nur Summe von Gefühlen ist und der Grund für das gerade so persönlich Empfundene derjenige ist, dass ein irgendwo entstandenes Missverhältnis ausgeglichen werden muss. Vielleicht ist es die Mut- und Perspektivlosigkeit des Nachbarn, die für das plötzliche Aufkeimen der eigenen Sehnsucht verantwortlich ist oder die schwindende Hoffnung eines sterbenden Sees.
Besonders schwierig wird das Erkennen wahrer Zusammenhänge dadurch, dass es nicht das eigentliche, persönliche Gefühl ist, das den Ausgleich herstellt, sondern das auf das Alles bezogene Gefühl. Eine absolute Deckungsgleichheit gibt es hierbei nur in Ausnahmefällen. In erster Linie ist der Grad der eigenen Selbsterkenntnis ausschlaggebend dafür, ob die Beschreibung eines empfundenen Gefühls dem tatsächlichen Gefühl entspricht. In zweiter Linie ist es der Zustand der Klarheit einer Gefühlsregung, denn in den allermeisten Fällen vermischen sich Gefühle und können dann nicht mehr eindeutig erkannt oder beschrieben werden. Letztendlich ist es aus der Sicht des Fühlenden ohnehin und so lange gleichgültig, wie sie/er/es keinen Zugang zur Wahrheit hat, also eine Diskrepanz zwischen der eigenen Gefühlsbeschreibung und dem wahren Gefühl nicht erkennen kann.
So ist ein von diffuser Sehnsucht geplagter Mensch die absolute Ausnahme, denn sie ist als persönliche Empfindung in der Regel zielgerichtet und als übergeordnetes Gefühl im Plan des Ausgleichs zweckgebunden. Sehnt sich ein Mensch zum Beispiel nach Urlaub, sind seine wahren Bestreben Alltagsflucht und Konfliktvermeidung. Als reflektiertes Individuum wüsste er das. Im Kontext des Seins keimt dieses Gefühl aber vielleicht deshalb genau zu diesem Zeitpunkt auf, weil das Nichts die Dominanz eines Gegenspielers, z.B. der Desillusion, ausgleichen muss. Diese Tatsache, Mittel zum Zweck zu sein und sonst nichts, wird der Mensch nicht verstehen wollen, weil es ihm augenscheinlich sein höchstes Gut, die Selbstbestimmtheit, rauben würde. Wie soll aber einem Individuum, das eigentlich nicht existiert und, das nur als Bestandteil des Ganzen funktioniert, etwas so Wertvolles geraubt werden? Erst die Erkenntnis, wahrhafter Teil des nicht existierenden Ganzen zu sein, kann hier Linderung des Verlustschmerzes bringen. Bis dahin ist nur Leid.
Ein elementarer Bestandteil der Sehnsucht ist Hoffnung. Diese ist ebenfalls im persönlichen Empfinden zielgerichtet, hat aber als globalgalaktischer Bestandteil eine eigene, wichtige Aufgabe. Sie ist Motor, Kraft und Energie, um Veränderungen anzustoßen, sie begleitet jeden mehr oder weniger anstrengenden Veränderungsprozess und ist mitverantwortlich für die generelle Zielerreichung. Ohne den erheblichen Anteil Hoffnung an der Sehnsucht würde das sich sehnende Individuum niemals in den Urlaub fahren. Jede Hoffnung gleicht Desillusion und Verzweiflung aus, um im Nichts den Einklang aller existierenden Werte, Gefühle und Gedanken aufrecht zu erhalten.
Das vom Menschen vollkommen überbewertete Gefühl der Liebe ist ebenfalls ein, wenn auch sekundärer, Bestandteil der Sehnsucht, denn kein Ding wird sich sehnen nach etwas, was es nicht auch ein ganz klein wenig liebt. Im Nichts spielt Liebe eine untergeordnete Rolle, denn es gleicht die Gegenspieler der Liebe radikaler und effizienter durch viele andere Regungen aus. Während für den Menschen der Hauptgegenspieler der Liebe ‚Hass’ ist, wird im Nichts lediglich die Gleichgültigkeit durch Liebe neutralisiert. Kaum ein anderes Wesen im Universum hält die Liebe für so wichtig wie der Erdenbewohner und die Gründe dafür sind mehrere eigene Bücher wert. Als Bestandteil der Sehnsucht ist Liebe für die Eingrenzung der Möglichkeiten verantwortlich, denn ein sich nach Urlaub sehnender könnte ja letztendlich überall Urlaub machen, sehnt sich aber an den Ort, der ihm die Erfüllung seiner Vorlieben verspricht. In Bezug auf die Sehnsucht nach einem bestimmten Menschen interpretiert der Sehnsüchtige so viel Liebe in sein Gefühl, dass er letztendlich seine Gier nach Befriedigung mit der Liebe gleichstellt und somit behauptet, aus reiner Liebe zu vögeln oder wenigstens vögeln zu wollen. In diesem Aspekt ist das Nichts von absoluter Klarheit geprägt. So ist zum Beispiel die Sehnsucht spezieller Kunststoff- oder Latexpuppen unermesslich.
Jeder Ausgleich ist eindeutig und kann nicht falsch interpretiert werden. Ein Arzt lässt ein Kind, begünstigt durch seine Gleichgültigkeit Ausländern gegenüber, sterben und im selben Moment wird ein ausländisches Kind aus Liebe gezeugt. Dies geschieht, weil es geschehen muss. Weder der Arzt noch die Mutter haben die Möglichkeit der Einflussnahme. Der Fluss der Energie regelt jeden Bestandteil des Alles zu jedem Zeitpunkt in jeder Galaxie und in jeder existierenden oder nicht existenten Ausprägung aller parallelen Universen. Kommt es zu Verlagerungen von Instanzen, die energetisch verschiebend wirken und das absolute Gleichgewicht stören könnten, greifen Automatismen, die neben spirituellen Ausgleichsmechanismen unter Umständen sogar Manifestationen und temporäre Materialisierungen hervorbringen.
Ich habe solche Mechanismen, Manifestationen und Materialisierungen erfahren und muss davon berichten…