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Viertes Kapitel Botschaften und Wegweiser

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„Nun“, bemerkte ich, „das ist ja recht vage. Aber immerhin ein Anhaltspunkt.“

Ich drehte das Papierchen in meinen Fingern, um zu schauen, ob nicht noch etwas anderes darauf geschrieben stand, aber die Zeile auf der einen Seite war die gesamte Botschaft. Ich nickte Halef zu. „Ich kann jedoch verstehen, warum Lohse sich so knapp ausdrückt. Falls die Taube und die Nachricht in falsche Hände gerieten, wüsste niemand, auf was sich die Worte beziehen.“ Ich überlegte. „Aber diese Vorsicht Lohses ist auch etwas übertrieben, da die Entführer ja wollen, dass wir sie verfolgen.“

„Das weiß der Lehrer doch nicht“, entgegnete Halef.

„Richtig“, gab ich zu. „Also denn, verkünden wir diesen wichtigen Hinweis den anderen.“

Wir gingen zum Zelt Maleks, in dem Haschim und Sir David zu Gast waren.

Als wir eintraten, schaute Malek mich kritisch an. „Kara Ben Nemsi, nach dem Mahl rauchen wir meinen Tombak aus Bagdad. Der Schischeh ist schon bereitet, und du wirst verstehen, dass ich den silbernen Khedra nicht hervorhole und auch nicht den köstlichen Schiras. Für beides ist nicht der Anlass, denn dies ist keine Feierstunde. Aber ich bitte dich, wenn dir nach Schlichterem zumute ist, kann ich dir auch einen gewöhnlichen Bery aus Kokosschale von einem der Krieger besorgen. Doch bitte rauche hier kein Papier, das ist eine unschöne und würdelose Sitte des Westens.“

Er zeigte auf die Botschaft Lohses, die ich in meinen Fingern zu einer kleinen Röhre aufgerollt hatte, die tatsächlich an eine Zigarette erinnerte.

„Ein Missverständnis, Malek“, erklärte ich. „Mit Genuss werde ich mich Schischah und Tombak hingeben. Dies in meiner Hand ist kein Rauchpapier, sondern eine Nachricht von Lehrer Lohse, dem Mudarris eurer Kinder. Eine seiner Tauben hat sie überbracht.“

Malek klatschte in die Hände. „Gepriesen seien die klugen und nutzbringenden Sitten des Westens, die Vögel sprechen zu lassen. Ich fand es stets seltsam, dass der Mudarris Losa sich mit Tauben abgibt, wo doch der Falke das fliegende Geschöpf ist, welches sich für einen Mann geziemt.“

Malek nickte zu Haschim hin, von dem er wusste, dass er den weißen Falken Manakir besaß. Ich bezweifle aber, dass Haschim diesen je zur Beizjagd nutzte, statt ihn Botschaften überbringen zu lassen, wie ich ja selbst bereits einige aus den Klauen jenes edlen Wesens erhalten hatte. Der weise Haschim hatte aus seinem Falken gewissermaßen eine Taube gemacht, jedoch ohne ihm im übertragenen Sinne Flügel oder Schnabel zu stutzen.

Malek fragte also: „Was hat Mudarris Losa zu berichten? Er war ja ausgezogen, die Spur der Entführer zu finden. Ich zweifle kaum daran, dass es ihm gelungen ist, denn er ist sehr klug. Vielleicht wird er eines Tages kein schlichter Mudarris mehr sein, nicht nur ein Lehrer, sondern ein Ustad, ein Meister!“

„Nun, warten wir ab“, meinte ich. „Aber du hast Recht mit deiner Aussage, Lohse sei klug, denn er hat ja eine Brieftaube mit sich geführt, um jenen wichtigen Hinweis zu senden, wohin die Entführer geritten sind. Wie gut aber, dass ich den jüngst zurückgekehrten Botenvogel entdeckt habe. Wer weiß, ob dies nicht unbemerkt geblieben wäre! So können wir gleich morgen früh aufbrechen!“

„Dann sag uns wohin“, klang Amschas Stimme hinter meinem Rücken auf. Sie hatte gerade das Zelt betreten und baute sich neben mir auf, mit verschränkten Armen.

„Gewiss“, sagte ich rasch, entrollte das Papier und las vor: „Die Spur führt nach Westen.“

Halef nickte in die Runde. „Also nicht zurück nach Dauha, genau wie du erwartet hast, Sihdi.“

„Ich bin froh“, sagte Sir David, „dass sich die Blüten der Windrose somit bis auf eines entblättert …“ Er stutzte. „Nein, das ist kein schönes Bild.“ Er räusperte sich, „Wie gut, dass wir nun den Weg kennen, um die Töchter von Lady Amscha zu finden.“

Haschim ließ die leicht erhobenen Augenbrauen sinken und schaute mich an. „Die Verbrecher haben also erwogen, sich nach Westen zu wenden. Sollten wir annehmen, dass sie diesen Weg weiter verfolgen? Denn dann erreichen sie irgendwann das Meer.“

„Eben dies ist meine Vermutung“, antwortete ich. „Sie wollen zur levantinischen Küste. Dies ist wohl wegen zweier Punkte ihr Plan: Zum einen treiben im östlichen Teil des Mittelländischen Meeres jene abscheulichen Freibeuter ihr Unwesen, die von westlichen Schiffen weiße Frauen rauben. Die Entführer sind Sklavenhändler, die wohl dem toten Schurken Abu Kurbatsch nahestehen oder auch dem gleichsam verstorbenen Youssef al-Fuladhy, welcher der eigentliche Kopf der Bande war. Sie wollen sich Ersatz für jene zunächst bedauernswerten, dann glücklichen Geschöpfe besorgen, die wir in Dauha haben befreien können. Für uns ist der eingeschlagene Weg der Verbrecher auch eine Drohung an uns. Sie könnten Hanneh und Djamila an andere Sklavenhändler verkaufen, worauf sich die Spur verlieren würde – und wir liefen in die Irre.“ Ich blickte Amscha an. „Ich habe dieses mögliche Schicksal deiner Töchter nicht leichtfertig erwähnt, um uns zu erschrecken oder die Dringlichkeit unserer Verfolgung zu betonen. Es ist eine Möglichkeit, doch ich glaube fest daran und bin überzeugt, dass die Sklavenhändler dies nicht tun werden. Im Grunde wollen sie Halef quälen und zu sich locken. Doch sie haben vergessen, dass sie durch dieses Spiel nicht allein Halef bekommen werden, sondern auch uns.“

Sir David reckte sich. „Das wird ihnen kaum schmecken!“

Haschim überlegte. „Ich frage mich, wie viel die Verbrecher über uns wissen. Sie kennen den Namen Halefs; aber sind sie sich dessen gewahr, wer ihm in Dauha geholfen hat? Wir waren durchaus verborgen und auch verkleidet.“

Ich nickte. „Es mag uns helfen, dass sie unsere Zahl überschätzen.“

Halef schaute kritisch. „Das ist aber das Gegenteil von dem üblichen glücklichen Umstand, wenn die Zahl der eigenen Kämpfer vom Gegner unterschätzt wird.“

„Diesmal mag es anders sein“, begann ich meine Erklärung. „Die Sklavenhändler dürften wegen der empfindlichen Schmach, die wir ihnen beigebracht haben, von einer großen, erfahrenen, vor allem aber konkurrierenden Sklavenhändlerbande ausgehen. Jener Halef, den sie sich vorstellen, würde auf seiner Jagd nach den Entführern seiner Familie doch gewiss einen großen Trupp ruchloser Kämpfer um sich scharen und wie ein Heerzug hinterdrein stürmen. Sie stellen sich so etwas vor, denn sie können nicht anders denken. Sie erwarten nicht, unsere kleine Schar aus gerechten Streitern gegen sich zu haben.“ Ich zeigte in die Runde und sprach weiter. „Selbst wenn sie von einigen Tatsachen wüssten: Sollte etwa neben deinem belauschten Namen auch das eine oder andere Auge im Dienste der Verbrecher unser Befreiungsmanöver betrachtet haben – noch im Ungewissen, was geschah, und erst später im Rat der Schurken zu einem Ganzen gefügt –, so erwarteten sie als Verfolger eine Gruppe, die neben uns auch aus zwei schottischen Soldaten im Dienste Sir Davids und zwei arabischen Kriegern im Dienste Haschims bestand. Doch diese sind nicht bei uns, lassen also unsere Gruppe nicht erkennbar sein. Ebenso wenig begleitet uns die Holländerin, die recht auffällig wäre.“

Amscha blickte mich höhnisch an. „Wie gut, dass ich auf die dummen Männer stets wie ein Mann wirke, weil sie nicht glauben können, dass eine Frau Waffen trägt. Und würde ich Röcke tragen, wie es die Frau, von der du sprichst, wohl getan hat, würdest du mir bestimmt raten, eurer Gruppe fernzubleiben, weil ich dann ebenfalls recht auffällig wäre.“

Ich hob besänftigend die Hand. „Wie du sagtest: Die Dummheit der Männer wird unsere Chance sein. Auch wenn die Verbrecher dich erlebt haben, wie du Hanneh und Djamila verteidigt hast, so werden sie kaum erwarten, dass du sie verfolgst. Sie verbinden durch ihren Handel mit Sklavinnen alles Weibliche nur mit Angst und Schwäche. Das wird sich rächen.“

„Das wird es!“, sagte Amscha und ihr Blick gegen mich hatte sich etwas gemildert.

„Also“, sprach ich weiter, „die mehrfache Unwissenheit der Verbrecher wird uns nützen. Ihre eigene, falsche Vorstellung wird ihnen zum Verhängnis werden. Und ich will noch eine weitere Hoffnung aussprechen, die seltsam klingen mag, und ich bitte, dass sie niemand mir übelnimmt, weil unschöne Erinnerungen geweckt werden. Aber ich glaube, dass die Schurken sich noch wundern werden, wen sie da entführt haben. Es ist ja nicht nur Hanneh, die Tochter der Kriegerin Amscha. Sondern auch Djamila, die Tochter Abu Seifs. Und auch wenn sie im Grunde herzensgut ist, so schlummert doch vieles von seinem Wesen in ihr.“

„Ja“, seufzte Halef mit einer Geste zu Amscha hin. „Sollten die Verbrecher einen Augenblick unachtsam sein, dürfte ich um meine Rache an ihnen gebracht werden.“

Amscha nickte und ihr Blick war zweideutig. „O ja.“

Und wir alle begriffen, wie seltsam das Schicksal doch spielt.

Am Morgen hatten wir uns für die Jagd gerüstet. Amad el Ghandur brachte mir meinen Hengst Rih, den ich seit jener Zeit nicht mehr gesehen hatte, als ich ihn wie so oft bei den Haddedihn untergebracht hatte, damals am Ende unseres langen Kampfes gegen Al-Kadir. Seitdem war ich für ein Dreivierteljahr in der Heimat gewesen, bis ich von der Holländerin zum Kampf gegen ihre einstigen Peiniger gerufen worden war. Für den Weg nach Dauha, durch das Gebiet der arabischen Wüste, hatte ich mich entschieden, Rih in den Gefilden der Haddedihn zu belassen.

Was freute ich mich nun, ihn zu sehen! Und das edle Tier erkannte mich sogleich und begrüßte mich mit einem stolzen Nicken des schönen Hauptes und mit blinzelnden blanken Augen, nicht wie seinen Herrn, sondern wie einen alten Freund. Und es rührte mich, dass Halef mit seinem Söhnchen Kara dort stand, denn die Vorstellung des kleinen Kara im Sattel Rihs erfüllte mich zudem mit einem eigentümlichen Stolz.

Kara würde in der Zeit, wo ich mit den anderen beiden Mitgliedern seiner Familie, Halef und Amscha, auf Verbrecherjagd auszog, bei einem Stamm in der Nähe unterkommen. So hatten wir es beschlossen, denn wir fürchteten, die Sklavenhändler würden vielleicht weitere Schergen entsenden, um auch den Jungen zu entführen, als weiteres und noch grausameres Druckmittel gegen Halef. Kara Ben Halef würde mit jener Vertrauten der Familie, die ich bereits an seiner Schlafstatt gesehen hatte, zu einem entfernteren Nachbarstamm gehen.

Wir ritten also fort von den Haddedihn, nach Westen. Wir hatten Amad el Ghandur Rache und Vergeltung für die Verluste des Stammes an Männern und Vieh versprochen und Malek geschworen, seine Enkeltöchter zu befreien und zu ihm zurückzubringen. Gerade dieser wünschte uns Segen und Glück, und unter aller Sorge in seinem Blick sah ich Hoffnung und, wie ich glaubte, sogar Stolz, dass seine Tochter Amscha uns begleitete.

Unser Weg nach Westen war uns von der Botschaft des Lehrers Lohse angezeigt worden. Dennoch setzte ich meine Künste des Spurenlesens ein, um den genauen Pfad der Verfolgung zu bestimmen. Der grobe Hinweis ersparte ja nur Zeit, die wir vergeudet hätten, wenn wir in einem Stern um den Duar der Haddedihn herum alle erkennbaren Fährten geprüft hätten. Gewiss wäre es mir früher – oder leider eben auch später – gelungen, die Spuren der Entführer zu erkennen, zudem ihrer beider Gruppen, denn wir wussten ja, dass sie Hanneh und Djamila zunächst getrennt verschleppt hatten. Und dann hätte ich das Zusammentreffen der aufgeteilten Verbrecherbande als Ansatzpunkt für den weiteren Weg genutzt.

Wie gut also, dass Lohse sich, wohl mit einigem Glück, auf die Spur zumindest eines Teils der Sklavenhändler hatte setzen können – bis die endgültige Route der Verschleppung sich darbot. Mein Respekt galt aber auch der Geistesgegenwart des Lehrers, jene Brieftaube mit sich zu führen. Mein Bild von Lohse war allerdings etwas seltsam: ein Lehrer, der als Rächer hinter den Entführern hergaloppierte, hinter dem Sattel einen Vogelkäfig. Immerhin verfiel ich in meinen Gedanken nicht in Klischees: Selbst wenn ich Lohse nur kurz getroffen hatte, erinnerte ich mich, dass er keine Nickelbrille trug und auch kein Stöckchen besaß, denn dergleichen lehnte er wohl ab. Halef hatte mir erzählt, Lohse hätte, danach befragt, warum er denn keine Rute nutzte, wie man doch von Lehrern gemeinhin erwarten würde, geantwortet, dass der Metrek doch für Kamele sei und nicht für Kinder.

Nun, Lohse schien also ein moderner Pädagoge zu sein, mich sollte es der Sprösslinge der Haddedihn wegen freuen. Zumal ich glaubte, dass Halef doch allzu gern der Einzige sein wollte, der dann und wann mit Hieben drohte, wenngleich er eben doch nur drohte. Ich stellte mir eine kuriose Szene vor, worin ein deutscher Lehrer mit einem Beduinen über die Vorzüge von Rohrstöcken und Kurbatsch diskutierte, allerdings rein vom Gegenstand her und nicht wegen dessen Wirkung. So erheiternd dieser Gedanke war, ich war doch etwas befremdet von der Vorstellung des Lehrers Lohse als Rächer und Spurensucher.

Gleichwohl konzentrierte ich mich auf meine eigenen Fertigkeiten. Schon bald hatte ich die verräterischen Spuren entdeckt. Die Huftritte von vier Pferden, die von Reitern geführt wurden, welche doch eher gewohnt waren, Dromedare zu lenken, sowie von zwei Pferden, die nicht vom Sattel aus, sondern durch die nach vorn gelegten Zügel geleitet wurden. Zweifellos die Gruppe der Sklavenhändler mit ihren beiden Gefangenen.

Wir durchmaßen bekanntes Gebiet und so musste ich nicht mit den Augen des Reiseschriftstellers die Landmarken betrachten. Im Norden erhob sich der Dschebel Sindschar, der Gebirgszug mit dem heiligen Ort der Jesiden darauf. Als wir dessen karstige Klüfte in der Ferne passierten, dachte ich kurz an meine Abenteuer mit jenen Menschen, an ihre Herzlichkeit und wie ich ihnen im Kampf hatte helfen können. Doch die Namen Ali Bey und Mir Scheik Khan flogen in meinem Geist ebenso rasch vorbei wie deren Gesichter; und auch die Erinnerung an die Orte Baadi und Mossul, an die Schlachten und Feste, waren nur Schemen der Vergangenheit. Ich musste meine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart richten, in der wir die Entführer verfolgten, und kaum an die Zukunft denken, in der ich jene zu stellen hoffte.

Bald hatten wir den Lauf des Chabur gequert, eines Nebenflusses des Euphrat, welcher zu dieser Zeit in seinem breiten, flachen Tal jedoch sehr schmal und nahezu wasserlos war, sodass wir nur durch niedriges Wasser von geringer Ausdehnung zu reiten hatten. Der Ort war von den Entführern wohlgewählt, denn er war abgelegen und wurde derzeit auch nicht von Beduinen der Schammar besucht, die sonst hier ihre Herden tränkten und von den Gräsern und Büschen des Ufers sich nähren ließen. Die Trostlosigkeit der Gegend – so besonders drückend, weil man sie ja fruchtbar und grünend kannte – war ein Spiegel meines Gemüts, wenngleich der Zorn auf die Verbrecher, der uns alle erfüllte, wohl eher einem glühenden Feld aus Lava zu vergleichen gewesen wäre.

Ich entsann mich, dass sich unweit dieses Landstrichs Spuren von alten Siedlungen der Assyrer befanden, doch der Gedanke an solch ferne Vergangenheiten, zumal auch niedergegangene Kulturen, war mir zu drückend, als dass ich sie referieren wollte. Manchmal quält mich der Schatz an Dingen, von denen ich gehört und gelesen habe und die sich in meinen Sinn drängen, obwohl ich doch Anderes, Wichtigeres, Dringlicheres habe, das mich umtreibt. Ich schüttelte all den Ballast ab und blickte nach vorn, auf die Strecken, die wir zu durchmessen hatten.

Da die Entführer einiges an Vorsprung hatten, ritten wir rasch und gönnten uns und den Pferden nur die allernötigste Rast. Während einer solchen ergab es sich, dass ich mit Halef über Djamila sprach.

„Meinst du, Halef“, begann ich, „dass es Djamila wirklich gelingen mag, sich selbst und Hanneh zu befreien? Du kennst sie besser als ich. Zu den Zeiten unseres gemeinsamen Abenteuers war sie noch die Diebin aus Basra. Wie war es nun in den Monaten, als sie bei den Haddedihn war, und du ebenfalls?“

„Ach Sihdi, es fiel mir recht schwer, ihr sowohl Schwager als auch Onkel und zudem Vatersersatz zu sein. Das sind recht viele familiäre Aufgaben auf einmal, zumal ich ja auch Ehemann und leiblicher Vater sein muss …“

„Und Schwiegersohn, nicht zu vergessen“, sagte ich etwas launig, mit einem Seitenblick zu Amscha, die bereits schlief. Sie wusste, dass sie ihre Kraft brauchte, sodass sie nicht etwa, wie man bei einer Amazone der Beduinen vielleicht erwarten würde, am Lagerfeuer stets ihre Klingen schärfte.

„Ja, auch das“, nickte Halef. „Aber Djamila muss ich eben dreierlei sein. Und sie ist nun auch noch zwei Personen, wie du weißt: die Beduinin und die Piratentochter, und mal überwiegt das eine, mal das andere.“

„Seien wir froh, dass sie das Diebesgebaren abgelegt hat. Aber sie war in Basra ja ohnehin nur dazu gezwungen, um ihr Leben zu fristen.“

„Nun Sihdi, bei den Haddedihn trägt man ja auch keine Geldbörsen herum wie auf dem Basar von Basra. Oder wie wir es damals so töricht getan hatten, als Djamila uns bestahl.“

Wir erinnerten uns an die wilde Hatz durch die Marktstände und Menschenmassen hindurch und lächelten.

Dann wurde Halef ernst. „Aber vergiss nicht, Sihdi, dass wir in Basra nicht allein Djamila fanden, sondern auch etwas anderes.“

Ich seufzte. „Ja, die magischen Dinge des Orients. Aber ohne weiter dabei zu philosophieren oder meine Ansichten, damals wie heute, zu diskutieren, möchte ich anmerken, Halef, dass wir das Zauberzelt und die magische Leuchtkugel mitnichten gefunden haben: Du hast sie beide gekauft! Zugegeben die Leuchtkugel bewusst und das Zauberzelt in der Perlentasche unwissend.“

„Und darum besitze ich die Kugel noch, aber das Zelt ist hergeschenkt, an den treuen Abdi, der jetzt in Istanbul wohl seine Freude daran hat. Du wolltest es ja nicht mehr haben, Sihdi, aus Gründen des Gewissens und des Stolzes und – nein, runzele nicht die Stirn – ich bin dir nicht gram, sondern habe dir damals zugestimmt und tue es noch heute. Aber es geht nicht um diese Dinge, es geht um Djamila, obwohl beides zusammenhängt.“

„Wie meinst du das?“, stutzte ich.

Halef seufzte. „Es ist so, dass sie damals noch eine Diebin war, und so hat sie wohl, als wir Al-Kadir in seiner Roten Festung aufgespürt, besiegt und vertrieben hatten, das ein oder andere von dort mitgenommen.“

„Nun, da muss man sie nicht des Diebstahls beschuldigen. Du erinnerst dich wohl, dass Haschim …“ Ich schaute zu diesem hinüber, der etwas abseits nicht schlief, sondern wohl eine Meditation durchführte, wie ich an seiner stillen, aufrechten Sitzhaltung abzulesen glaubte. „… dass Haschim auch einige Dinge von dort mitnahm. Etliche, die ihm selbst gehörten und die Al-Kadir ihm gestohlen hatte, und andere, die uns später wohl nützlich waren, im Kampf gegen diesen und den Schut und … Nun, ich weiß ja nichts Genaues.“

„Gewiss. Auch Sir David hatte jenen hübschen Stein als Andenken eingesteckt, der sich später als Wegkarte und Zauberschlüssel für sehr geheime Pfade herausstellte. Auch ein nützliches, magisches Ding, Sihdi.“

„Ja, und ich gebe zu, dass ich den Sechseckring, den Musaddas, von Abu Zanad nahm, dem Untergebenen Al-Kadirs. So ist es nun mal. Trophäen des Kampfes, Beute des Krieges – so manche, auch gerechte Schlacht wurde schon geschlagen, nicht mit gekauften Waffen, sondern solchen, die genommen wurden. Es ist nichts Verwerfliches daran.“

„Du musst nicht moralisch werden, Sihdi. Ich nehme es niemandem übel, sich Dinge zu nehmen, die der vorige Besitzer nicht mehr braucht, solange es keine schändliche Fledderei ist, da müsste die Not schon groß sein. Aber es geht nun um Djamila. Sie hat eben einige Dinge aus Al-Kadirs Besitz mit sich genommen.“

„Nun, der Stachel des Mantikors war ja eher eine Jagdtrophäe und nichts aus dessen schaurigem Studierzimmer.“

„Ich rede von Dingen, von denen ich nicht reden kann, weil ich sie nicht kenne. Aber Sihdi, man munkelt davon – im Stamm! Man mag Djamila, auch wenn man sie manchmal ein wenig fürchtet, wenn ihr Piratenerbe zu Tage kommt. Aber sie scheint sich in stillen Stunden mit Dingen zu beschäftigen, die sie von Al-Kadir genommen hat.“

„Es mag sein, Halef. Aber ich möchte mahnen: Was du da berichtest, scheint mir allzu nahe an den Verdächtigungen zu sein, die oftmals einer weiblichen Person unterstellt werden, wenn sie etwas anders ist oder für sich Dinge tut, die sie anderen nicht enthüllen mag.“

„O Sihdi, ich will doch nicht sagen, sie sei eine Hexe! Da habe ich ja nun eine richtige kennengelernt, und die manchmal kratzbürstige Djamila ist ein liebes Ding gegen jene Qendressa, die uns so verraten und gequält hat!“

„Und selbst diese ist nun keine Hexe mehr, da Marah Durimeh ihr die Zauberkraft entzogen hat. Also, Halef, bei der einen weiß ich es, und bei der anderen ahne ich es: Hier ist keine Hexerei zugegen.“

„Ach, Sihdi, du hast Recht. Ich sollte nicht wie ein altes Weib schwatzen und beschuldigen und noch viel weniger auf das Gerede von anderen hören. Auch die edlen und gerechten Haddedihn sind eben zunächst etwas schwierig, wenn es um Neuzugänge des Stammes geht. Ich kenne dies ja nun selbst. Und wenn Djamila ein paar seltsame Dinge besitzt – diese müssen ja nicht böse sein und machen sie selbst auch nicht böse.“

„Eben, Halef, die Bösen sind die anderen. Die, die wir verfolgen. Aber ich will ehrlich dir gegenüber sein, gerade weil ich dich jüngst so ungerecht im Dunkeln gelassen habe. Und dass du das Gespräch auf Magie gebracht hast, macht es mir leichter. Ich vermute, dass auch die Sklavenhändler, die Hanneh und Djamila entführt haben, von einem Zauberer begleitet werden. Wir kennen dies von al-Fuladhy und Abu Kurbatsch. Und dies wird uns den Kampf gegen sie nicht gerade leicht machen.“

„Wie gut also, dass Haschim bei uns ist.“

„Eben, Halef, und deshalb muss ich mit ihm über Magie reden. Ich hoffe, er hat uns bislang nichts verschwiegen, wie ich es törichterweise getan habe. Sonst fürchte ich, dass wir uns ernste Sorgen machen müssen, was Hanneh und Djamila betrifft.“

Ich hatte Haschim in seiner meditativen Versenkung nicht stören wollen, es war bereits spät geworden und der Schlaf war nötig, weil wir am folgenden Morgen wie gewohnt früh und eilig aufbrechen wollten. Deshalb wollte ich erst bei der folgenden Rast mit ihm das Gespräch über eine Sache führen, die ich bereits geahnt hatte, als wir in jener Schänke einkehrten, in welcher ich den ersten Hinweis auf die Herkunft der Entführer erhalten hatte.

Doch ich erschrak, als ich bei meinem Erwachen im Morgengrauen erkannte, dass Haschim nicht auf seinem Lager weilte. Dies allein war nun kein Grund zur Beunruhigung, er mochte sich bereits erhoben haben. Stattdessen aber sah ich, dass sein Lager unberührt war.

Haschim war verschwunden!

Auf der Spur der Sklavenjäger

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