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Zweites Kapitel Der Schmerz der Haddedihn
ОглавлениеDie Rückkehr in die Dschesireh, in die Gefilde und Weidegründe der Haddedihn, ist mir stets eine Freude gewesen. Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Besuch, damals allerdings noch ohne die tieferen Verbindungen zu diesem Stamm, welche mir aus dem gemeinsam ausgefochtenen Befreiungskampf und schließlich auch der engen Freundschaft zu Halef und dessen Aufnahme in jene Gemeinschaft erwuchsen. Ich war damals, vor fünf Jahren, mit Sir David durch diese Gegend geritten, den ich erst kurz zuvor durch eigentümliche und glückhafte Fügungen in Maskat am Golf von Oman getroffen und der mir auf seinem Dampfboot eine Passage den Golf hinauf, bis zum Tigris durch den Schatt-el-Arab, gewährt hatte, mit Landgang in Basra. Von Basra aus waren wir dann zu Pferd in unser erstes gemeinsames Abenteuer aufgebrochen, so wie ein weiteres vor einem Jahr ebenfalls in Basra seinen Anfang genommen hatte, an dessen Ende wiederum die Reise zu den Haddedihn stand, mit der jungen Djamila, auf dem Weg in die Arme ihrer verlorenen und wiedergefundenen Familie.
Was waren diese Reisen doch heiter gewesen, nicht allein vom Zustand des Gemüts her betrachtet, sondern auch von jenem der Umgebung. Damals hatte die Steppe geblüht, jeder Hufschlag der Pferde hatte den Wohlgeruch der Blumen aufgewirbelt, die als buntfarbiger Teppich den Grund bedeckten. Dies war jenes Gefilde, das der Araber als Merdsch kennt, so wie der Afrikaner seine Savanne und der Amerikaner seine Prärie. Und doch wirken diese Wiesen der Dschesireh um so vieles prächtiger, wenn sie den Reisenden empfangen – nach den vom Sandsturm durchtosten, von tödlichem Licht versengten Wüsten – und sich die zerklüfteten und verschmachteten toten Flussläufe der Wadis ebenso zurückgezogen haben wie die tückischen wandernden Dünen aus stechend heißem Sand.
Gewiss herrscht ein ähnlicher Gegensatz zwischen den Wüsten Amerikas und Afrikas und den jeweiligen Graslanden, und in Asien ist es kaum anders bestellt. Doch man bedenke, dass die Düfte und Wohlgerüche Arabiens sprichwörtlich sind, und nicht von ungefähr auch die kleinste Blüte einen besonderen Zauber verströmt, zudem wenn man über sie hinweg zu lieben, vertrauten Menschen reitet.
Doch hier und heute war die Merdsch verblüht. Ein trübes Licht ergoss sich über die faden Gräser, aus denen sich nurmehr die farblosen Überreste der einst so herrlichen Blüten matt erhoben. Dumpf klangen unsere Hufe, nur Staub wölkte empor, kein Duft nach Leben, sondern allein der Dunst von Verderbnis und Tod. Mich hätte es kaum verwundert, wenn sich in dieser trostlosen Steppe auch noch eine wüstenhafte Fata Morgana gezeigt hätte, um uns mit einem Trugbild zu narren und zu verhöhnen.
Wir wussten nicht genau, was uns im Duar, im Lager der Haddedihn, erwartete, auch wenn der Spiegelstein uns einen Anschein gezeigt hatte.
Endlich kamen wir heran und sahen die ersten Zelte der Haddedihn in der Ferne. Ich war froh, dass keine Rauchschwaden von ihnen gen Himmel stiegen, wenngleich der Gedanke töricht war. Denn jeglichen Brand, der durch den Überfall entstanden war, hatte man doch längst erstickt und gelöscht.
Auch sahen wir die Herden der Schafe und Kamele als Gruppen niederer heller und aufragender dunkler Flecke, die sich grasend bewegten. Warum nur hatte ich mir in unruhigen Träumen den blutbedeckten Grund mit Kadavern jener Tiere übersät vorgestellt, wie das Schlachtfeld eines Menschenkrieges am Tag nach dem scheußlichen Morden? Die Tiere wären doch bei einem Angriff – ob durch feindliche Beduinen oder rächende Sklavenhändler – wohl eher gestohlen oder vertrieben worden oder eben vor dem Aufruhr geflohen!
Dennoch erkannte ich, dass die Herden ausgedünnt waren, und auch wenn mich meine Erinnerung täuschen mochte, so sagte mir ein rascher Blick zu Halef, dass ich Recht hatte.
Als wir uns näherten, zerstob ein weiterer Angsttraum und mit ihm das furchtbare Bild des Spiegelsteins. Denn die Zelte waren nicht länger umgestoßen, in sich zusammengefallen oder gar verbrannt. Sie standen wieder so stolz und aufrecht wie ihre Bewohner – denn alle Zerstörung war von jenen eifrig getilgt worden. In der Zeit zwischen dem Überfall und unserer Ankunft hatten die Haddedihn die Zelte wiedererrichtet, die verbrannten durch neue ersetzt – denn wer wollte schon in Trümmern leben, wo die Erinnerung schmerzlich genug war. Gewiss sah man hier und da eine angesengte Zeltstange, eine Stoffbahn, die geflickt war – denn was noch zu gebrauchen war, wurde niemals fortgeworfen, und so wie ein Krieger seine Narben trägt, so behält auch ein Duar die Spuren dessen, was er erlebt hat.
Jetzt aber kamen die Menschen, die Haddedihn, heran.
Ich hatte bei unserer Annäherung bereits in der Ferne die Späher und Wachen zu den Seiten unseres Weges bemerkt, die Reiter mit den Gewehren und den Lanzen, mit denen sie sich in einem eigentümlichen Mixtum von Moderne und Altertum bewaffneten. Die Haddedihn waren nach dem Überfall noch wachsamer geworden, als es ohnehin angeraten war. Doch hatte man uns nicht angehalten und überprüft, denn die Wächter hatten Halef und mich wohl erkannt und waren stattdessen in den Duar geritten, um Meldung über unser Herannahen zu machen.
Und nun kamen uns die Haddedihn entgegen. Rasch ließ ich meine Blicke über sie gleiten, indem ich bekannte, vertraute Gesichter suchte, um mein rasendes Herz zu beruhigen.
Doch musste ich bedenken, dass die stolzen Beduinen auch in Not und Schmerz noch ihre Regeln befolgen und die Würde der Begrüßung bei den Oberhäuptern liegt. Niemals hätte ich erwarten dürfen, dass Halefs gesamte Familie herangestürmt wäre, damit sie einander erleichtert und lachend in die Arme fallen konnten – oder auch mit gesenktem Kopf und Tränenblick, weil einige von ihnen …
Der Scheik der Haddedihn, Amad el Ghandur, trat vor und hob die Hände. Sein Gesicht zeigte nur strenge Ernsthaftigkeit, keine Spur von Leid über das Geschehene oder Freude über unsere Ankunft – beide Gemütsregungen konnte er sich nicht erlauben. Doch ich ahnte, dass unter seinem schwarzen Bart, der ihm lang bis über die Brust fiel, das Herz schwer war.
„Willkommen euch, in dieser schweren Stunde, die uns erleichtert wird durch euer Eintreffen, das rascher geschah, als wir je hätten hoffen mögen! Allah hat euch in seiner Güte rasch auf den Weg gesandt und gut behütet, während er uns zuvor schwer geprüft hat.“
Wir entboten einander die angemessenen Grußformeln, die ich nicht wiedergeben will, da sie mir zwar tief empfunden, aber doch ein wenig automatenhaft über die Lippen kamen. Ich spürte, wie meine Aufregung und Sorge zum Teil einer Taubheit wichen, die aber umso heftiger biss und stach, weil das Wichtigste noch immer im Ungewissen blieb.
Nun trat Scheik Malek vor, der Vater von Amscha und Großvater von Hanneh und Djamila. Er war bei unserer ersten Begegnung bereits nahe am Alter eines ehrwürdigen Greises gewesen, und dem entsprach auch seine etwas gebeugte Haltung, die jedoch noch immer den starken Wuchs des Kriegers ahnen ließ. Die Falten seines Gesichts waren noch tiefer geworden, nun wohl nicht nur wegen des Alters, sondern der schrecklichen Umstände wegen. Was mich aber verwunderte, war die Farbe seines langen Barts, den ich als so weiß in Erinnerung hatte, wie jener Amad el Ghandurs schwarz war. Maleks Bart besaß nun einen seltsam schimmernden Grauton, satt und tief wie Glanzkohle, welche man auch Anthrazit nennt.
Halef bemerkte meinen Blick und ließ ein abgehacktes Glucksen hören, als erinnerte er sich an einen Scherz, über welchen laut zu lachen oder ihn gar zu äußern, die Situation verbot. Er winkte mit leiser Geste ab und ich begriff, dass er mir alles beizeiten erklären würde. In diesem Augenblick verspürte ich aber weniger Neugierde als vielmehr Erleichterung darüber, dass sich das Herz meines kleinen Freundes vor lauter Sorge nicht so sehr verhärtet hatte, dass es ihm bei der nächsten Erschütterung im Leib zersprungen wäre.
Jetzt sprach Scheik Malek die Grußformeln, welche wir erwiderten, und endlich, endlich erfuhren wir, was geschehen war.
Sie waren in der Nacht gekommen, in unbekannter Anzahl. Und sie hatten nicht angegriffen wie Beduinenkrieger, selbst wenn es dafür Anzeichen gab.
„Eine Finte“, befand Amad el Ghandur. „Um uns glauben zu machen, es seien andere Stämme gewesen. Aber die Zerstörungen der Zelte waren nur Ablenkung, während andere das eigentliche Ziel verfolgten.“
Malek ergriff fest die Hände Halefs. Seine Augen schimmerten und seine Stimme strafte die verzweifelte Kraft seiner Hände Lügen, denn sie war brüchig. „Sie haben Hanneh entführt. Und Djamila.“
Halef erbebte, doch er ließ sich nicht von dieser furchtbaren Nachricht überwältigen, sondern fragte sogleich nach Amscha und Kara Ben Halef, seinem kleinen Sohn.
Malek atmete zitternd ein. „Dein Sohn ist wohlauf. Er war während des Überfalls bei den Kriegern, welche die wertvollen Pferde ausritten. Kara Ben Halef ist mit seinen fünf Jahren schon ein guter Reiter, ein stolzer Bedu.“
Halef nickte erleichtert und stolz.
Malek nickte mit ihm. „Und meine starke Tochter hat ihre Wunden tapfer ertragen, die sie sich zuzog, als sie ihre Töchter und meine Enkeltöchter verteidigte, wenngleich vergeblich. Ich musste ihr befehlen, auf ihrem Lager zu bleiben, statt sogleich hinter den Entführern herzujagen.“
„Was ist mit jenen?“, fragte Halef.
„Wir haben Krieger auf ihre Spuren angesetzt. Doch sie flüchteten in vielen Gruppen. Die Entführer selbst teilten sich mit Hanneh und Djamila auf und verschwanden in zwei Richtungen. Und jene, die ihnen halfen, indem sie das Lager zerstörten, nahmen einen guten Teil der Schafe und Kamele. Als Lohn, denn sie haben sie sogleich den Nachbarstämmen zum Kauf geboten. Vergeblich. Und so töteten sie die Tiere, die für sie nur Ballast waren. Dann flohen sie.“
„Aus Furcht vor der Rache der Haddedihn“, rief Halef. „Zu Recht! Sich zu Schandtaten verleiten zu lassen, für einen Lohn, der dann ausblieb. Dumm und töricht – doch dies schützt vor Strafe nicht.“
„Unser Bündnis mit den ringsum siedelnden Stämmen ist noch gefestigt worden. Sie verweigerten den Kauf der ihnen bekannten Tiere, und so erlassen wir ihnen für eine Weile den Tribut. Auch haben sie sich bereit erklärt, die Banditen zu jagen, damit wir uns ganz der Befreiung unserer Stammestöchter widmen können.“
„Das wird meine Aufgabe sein. Und die meiner Freunde! Doch nun möchte ich Amscha sehen und Kara Ben Halef!“
Malek wies den Weg und wir folgten ihm, obgleich wir doch wussten, wo das Zelt von Halefs Familie stand. Ich erkannte ringsum, dass doch noch nicht alle Spuren des Überfalls verwischt waren. Auf dem Grund sah man deutliche Brandflecke und aufgewühlte Erde, in den Zeltbahnen bemerkte ich die Löcher, welche Flintenkugeln gerissen hatten. Der Angriff musste heftiger gewesen sein, als die Haddedihn sich wollten anmerken lassen. Ich sah die geröteten Augen der Witwen und Waisen. Und würde ich den Duar verlassen, fände ich im Umkreis sicher mehr als eine Handvoll frischer Gräber. Ob jene Beduinen, die ich namentlich oder vom Ansehen her kannte, nun aber nicht erblickte, bei den Herden waren oder auf Kauffahrt in die Städte oder auf der Jagd nach den Verbrechern – oder eben in ihrer letzten Ruhestatt weilten, vermochte ich nicht zu sagen. Wohl aber bemerkte ich den Zorn in den Blicken, der sich in Hoffnung wandelte, als sie meine Freunde und mich erkannten: Die Haddedihn vertrauten darauf, dass wir würden helfen und retten und rächen können.
Wir näherten uns Halefs Zelt, welches wir in jenem Schreckensbild des Spiegelsteins so verwüstet gesehen hatten, mit der verwundeten Amscha auf dem Lager. Halef schaute bang, und auch ich vermischte vor meinem geistigen Auge das Geschaute mit dem, was uns wohl erwarten würde.
Dann aber zeigte Malek auf ein wiedererrichtetes Zelt nebenan, und dies war jenes von Amscha, welches man ihren Witwensitz hätte nennen mögen – wäre der Vater ihrer Kinder ein ehrbarer Ehemann und nicht der scheußliche Schurke Abu Seif gewesen und ehrenvoll gestorben und nicht wegen seiner schändlichen Taten gerichtet worden. Amscha hatte danach nie geheiratet.
„Amscha ist dort drinnen“, sagte Malek. „Sie wird euch gleich empfangen. Aber Halef soll zunächst seinen Sohn sehen.“
Er zog die Zeltbahn beiseite und wir sahen das Innere wiederhergerichtet, und auf einem Lager schlummerte der kleine Kara Ben Halef, bewacht von einer jungen Beduinin, die ihm mit einem Tuch die Stirn kühlte.
Halef trat auf den Teppich mit sachten, bedachten Schritten, die ihm sichtliche Mühe bereiteten. Doch er wollte durch jene Zurückhaltung sowohl sein Gesicht wahren als auch den schlafenden Jungen nicht wecken.
„Ist er krank?“, fragte er mit trockener Stimme.
Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Nicht am Leib, sondern vor Sorge über seine Mutter und Tante. Aber er ist stark, und es wird helfen, dass sein Vater nun bei ihm ist.“
Sie erhob sich und bot Halef ihren Platz am Lager des Jungen an, dann verließ sie das Zelt. Halef setzte sich nieder und hatte nur noch Augen für Kara, weswegen Malek die Zeltbahn sinken ließ.
„Lassen wir ihm diesen Augenblick.“
Ich nickte und wollte ein sanftes Wort an den Urgroßvater richten, das von der Sorge ablenkte. „Malek, ich bemerkte ein Bündel in der Armbeuge von Kara. Es sah wie – eine Puppe aus?“
Malek lächelte. „Es ist ein Tier aus Tuch, ausgestopft mit Haaren. Djamila hat es ihm geschenkt und wohl auch selbst verfertigt. Sie sagt, dass es ihm Mut und Kraft geben würde, wann immer er übel träumt.“
Ich nickte angetan. „Eine schöne Gabe.“
Malek wiegte den Kopf. „Nun, ich weiß nicht, ob es ihm nicht überhaupt erst üble Träume bereitet. Ich dachte zunächst, es solle ein Kamel sein, bis ich den unpassenden Kopf und den Schwanz bemerkte. Von Löwe und Schlange. Was soll dies nur darstellen?“
Ich wechselte einen Blick mit Haschim, dem Verwunderung im Gesicht geschrieben stand. Djamila hatte Kara das Ebenbild eines Mantikors geschenkt, jenes Ungetüms, welchem wir unter Al-Kadirs Festung begegnet waren. Das Mädchen hatte wahrhaft eigentümliche Ansichten, was als Spielzeg und Talisman für einen jungen Bedu geeignet war.
„Nun“, meinte Malek, „aber meine jüngere Enkeltochter ist ohnehin etwas Besonderes. Sie hat gewisse – Grillen im Kopf.“
„Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte ich.
Nein, nicht nur vorstellen: Ich hatte dies ja selbst erlebt und wusste nur zu gut, was Malek meinte.
Er wiegte den Kopf. „Aber selbst ich gebe ihr dann und wann gern nach.“
„Inwiefern?“
„Sie meinte, der weiße Bart würde mich älter machen, als ich bin, und so empfahl sie mir, ihn zu färben mit einer Mischung aus …“
Halef schlug die Zeltbahn zurück und trat wieder zu uns. „Ich wollte Kara nicht wecken. Es tat mir wohl, ihn zu sehen, da es ihm doch gut geht. Jetzt will ich ans Krankenlager von Mutter Amscha.“
Malek strich sich über den glänzenden dunklen Bart. „Es wird dir ebenso wohltun, Amscha zu sehen …“
Er wies auf das Zelt und wir gingen hinein, wobei wir uns an die Bilder erinnerten, die Amscha reglos auf ihrem Lager gezeigt hatten. Was bedeutete es, dass sie nun wieder in ihrem eigenen Zelt war – etwa, weil sie dort …
Amscha lag nicht mehr auf Matten und Kissen, sondern saß auf einem geschnürten Ballen in der Mitte des Zeltes – gleichwohl reglos. Rings um sie sah ich Bündel und Beutel, wie bereitgelegtes Reisegepäck. Und neben und vor ihr lagen Waffen, wie sie die Beduinenkrieger tragen: ein Yatagan, also ein leichter Säbel, wie ihn auch Halef wohl zu führen wusste, dazu auch ein Sarras, eine schwere Ausführung jener gebogenen Klinge. Dann ein Tüfenk, eine prächtig mit Einlegearbeiten geschmückte, wenngleich etwas altmodische Flinte, und ein Dscherid, der Wurfspeer, der auch als Stoßlanze dienen konnte. Auch zwei Tabandschab, einschüssige Pistolen, in bestickten Hüllen waren dabei.
Amscha trug nicht mehr die blutbefleckte Kleidung, in der wir sie gesehen hatten und die aus dem hellen Stoff bestand, aus dem die Alltagskleider der Beduinenfrauen gewirkt sind. Nun trug sie das Gewand eines Beduinenkriegers, gegürtet, um die Klingen und die Kugeln für die Feuerwaffen aufzunehmen, und die Hosen steckten straff in den geölten Stiefeln.
Die Kriegerin blickte uns an.
Ihre Augen waren dunkel, von den Fältchen des mittleren Alters umstrahlt, doch schauten sie fest und brennend. Ihre Züge waren ruhig und gefasst. Ich erkannte, dass die Jahre des glücklichen Familienlebens die Spuren der Strapazen und Entbehrungen, welche Amschas Gesicht bei unserer ersten Begegnung nahe Dschidda getragen hatte, durchaus gemildert hatten. So erkannte ich noch deutlicher die Ähnlichkeit mit ihrer Tochter Hanneh, Halefs Ehefrau, und diese mochte in zwei Jahrzehnten ebenso erscheinen – wenngleich ihr gewiss jener Anflug von Härte abgehen würde, den Amscha wegen ihres Schicksals in den Händen Abu Seifs besaß. Jetzt aber, als Halef ihr entgegentrat, schaute sie gütig und glücklich. Sie erhob sich – und für einen Herzschlag erkannte ich das Zucken körperlichen Schmerzes, der wohl von den frischen Verletzungen herrührte, die unter Bandagen und Kleidung verborgen waren. Amscha stand jedoch aufrecht, als litte sie nicht, und streckte die Arme nach Halef aus.
„Mein Sohn“, sagte sie gelöst, „du bist hergeeilt. Ich sandte dir in Gedanken eine Botschaft. Du hast sie erhört. Nun können wir Rache nehmen.“
„Aber Mutter“, begann Halef, „du musst dich schonen. Wir wissen um deine Wunden …“
„Jene des Körpers heilen von selbst. Doch wenn ich untätig bleibe, werden die Wunden des Geistes ewig offen bleiben. Deshalb habe ich mich gerüstet, und nur auf dich und die Deinen gewartet.“
Sie richtete den Blick auf mich. „Nun, Kara Ben Nemsi, du schaust, als würdest du mich erneut für einen Mann halten, wie damals, als wir uns das erste Mal trafen?“
„Nein, Bint-Scheik-Malek – Tochter des Scheiks“, entgegnete ich und erlaubte mir ein ebensolches leises Spiel der Mundwinkel wie Amscha selbst. „Damals war ich es noch nicht gewohnt, in diesen Landen Frauen zu treffen wie dich. Ich habe seitdem viel erlebt und gelernt. Vor allem, dass die Dinge sich ändern.“
„Es bleiben manche Dinge aber auch gleich. Du siehst meine Waffen und weißt, dass ich an sie mehr glaube als an anderes – wenn die Zeiten es erfordern. Deshalb habe ich gewartet, bis Halef mit dir eintraf, denn ich brauche dich und deine Waffen für meine Intikam, die Rache gegen die Entführer meiner Töchter und die Mörder meiner Stammeskinder.“
„Ich sagte dir schon damals vor Dschidda, dass ich keine Blutfehde aufnehmen werde. Die Verbrecher werden durch das Gesetz gerichtet, nicht durch mich.“
„Und doch sprachst du damals, dass du einen Feind in Notwehr töten würdest. Wenn wir den Entführern erst gegenüberstehen, werden sie sich wehren, uns töten wollen – und dann werden wir es mit Gleichem vergelten.“
„Damals sprachen wir von Abu Seif, der dich entführt hatte. Und ich möchte erinnern, dass er dies auch mit Halef und mir tat. Wir hatten allesamt gerechten Zorn gegen ihn und Drang nach Vergeltung, du noch mehr wegen seiner weiteren Taten. Wir kannten also das Ziel unserer Rache.“ Ich wies nach draußen. „Aber nun wissen wir nicht, wer …“
Ich zögerte. Ich hatte mich in eine unangenehme Lage argumentiert. Hätte ich doch nur bereits Halef und den anderen meinen Verdacht geäußert, dass es wohl die Sklavenhändler aus Dauha waren, die Nachfolger Abu Kurbatschs, welche die Haddedihn überfallen und die Töchter Amschas geraubt hatten.
Wie konnte ich dies nun enthüllen, ohne die Empörung meiner Freunde auf mich zu ziehen? Würden sie es mir nachsehen, dass ich zuvor im Zweifel war und sie vor Schmerz und Unbedacht hatte schützen wollen – weil ich doch selbst voller Schmerz gewesen war?
Amscha nahm meine Geste auf und deutete aus dem Zelt hinaus. „Wir wissen es wohl. Ich weiß es wohl. Ich habe mit dem Anführer gefochten, als er mit seinen drei Banditen in das Zelt kam, während die anderen draußen das Lager verheerten und die Bedu töteten und das Vieh stahlen. Er dachte wohl, er könne meine Töchter leicht rauben, weil nur die alte Mutter bei ihnen war!“
Amscha reckte sich und zeigte auf ihre Waffen, als sie zornig weitersprach. „Wären wir doch nur in meinem Zelt gewesen und nicht in dem dort drüben. So hatte ich keine große Klinge, sondern nur ein Messer. Aber ich konnte dem Elenden einen tiefen Schnitt an der großen Nase setzen!“ Sie lachte höhnisch auf. „Wäre er doch nur noch tiefer gegangen!“ Dann wurde sie ernst. „Doch dann wurde ich hinterrücks niedergeschlagen. Feige und tückisch. Ich war darauf lange Zeit ohne Besinnung.“ Sie hob die Hand zum Hinterkopf. „Ich weiß nicht, was mich traf, und ich habe auch keine Wunde dort, nur jene aus dem Kampf.“
Die Verwunderung Amschas war meine Bestätigung. Ich warf einen Blick aus dem Augenwinkel zu Haschim, der diesen nicht bemerkte, aber gleichsam wissend schaute.
Amscha ballte die Fäuste. „Djamila wollte sich ebenfalls wehren, aber sie hat man wohl noch vor mir betäubt …“ Sie ließ den Kopf kurz sinken und richtete sich gleich wieder auf. „Es ging zu rasch. Und war sicherlich genau geplant.“
„Gewiss“, rief Halef, „Schurken planen ihre Raubzüge stets, wenn sie auf Vieh und Frauen aus sind!“
„Mein Sohn“, begann Amscha streng, „diese haben wohl unser aller Vieh gestohlen. Aber warum, glaubst du, nur meine beiden Töchter und damit auch deine Frau?“
„Ist das so?“, fragte ich, rascher als Halef es vermochte.
„Allerdings“, meinte Amscha finster. „Sie betraten das Zelt – ohne dass sie im Lager bemerkt worden wären.“ Amscha schaute kurz zu ihrem Vater Malek, der tief atmete – ob wegen der schmerzlichen Erinnerung an den Angriff und die Entführung oder wegen jenes Fehlverhaltens der Wachen. Amscha sprach weiter.
„Ich war empört, dass diese Fremden in unser Zelt kamen. Doch sie fragten kühl, wenngleich sie es zu wissen schienen, ob wir die Weiber des Halef seien.“ In Amschas Augen loderte es auf. „Meine Miene muss ihnen Antwort genug gewesen sein, denn sogleich drangen sie auf uns ein – und im gleichen Herzschlag brach draußen der Tumult los. Ohne dass sie ein Signal gegeben hätten. Als hätten die beiden Gruppen jeweils Uhren verwendet, wie die Menschen aus dem Abendland, um den bestimmten Zeitpunkt zu nutzen.“
Ich nahm ihre Worte nicht als Vorwurf. Zumal ich nun wusste, dass hier keine Mechanik am Werk gewesen war.
„Und als ich mit dem Anführer kämpfte, lächelte er mich an und höhnte, mich würde er nicht mitnehmen und auch nicht töten, denn ich solle Halef sagen …“ Sie schaute Halef zornig an, und ich wusste nicht, ob sie den Anführer der Banditen allzu gut nachahmte oder ob sie Halef etwa selbst zürnte. „Suche deine Frauen, Halef von den Haddedihn. Wir haben sie gestohlen, wie du unsere gestohlen hast. Jetzt suche und finde die deinen, so wie wir sie gesucht und gefunden haben.“ Dann wurde Amscha ruhig und kühl: „Halef, was hast du getan, das diese Männer zu solchen – Spielen treibt?“
„O Mutter“, rief Halef, „schelte mich nicht! Die Schurken verdrehen die Ereignisse! Wir haben in Dauha Sklavinnen befreit – und wir halfen dabei einer Frau, die selbst einst gefangen war! So wie du von Abu Seif. Wir halfen ihr gewissermaßen bei einer Intikam und …“ Halef wandte sich um und starrte mich an. „Sihdi! Die Banditen – sind die Sklavenhändler! Dies ist die Rache von Abu Kurbatsch – aus dem Totenreich!“
„Ja, Halef“, nickte ich betrübt und beschämt. „Ich weiß.“