Читать книгу Die Berge der Rache - Alexander Röder - Страница 10
Sechstes Kapitel Ein fremder Freund
ОглавлениеIch war verblüfft, gar verwirrt!
„Du weißt nicht, wo deine Tochter ist?“, rief ich. „Es ist dir nicht vorzuwerfen, dass du sie hast mit Marah Durimeh gehen lassen, denn diese ist eine gute und weise Seele. Doch warum weißt du nicht, wohin?“
Der Hosta Mazu verzog das Gesicht.
„Weil meine Schwiegerahne um vieles, wenn nicht alles, ein rechtes Geheimnis macht. Nicht umsonst ist sie mit dem Ruh-i-Kulyan im Bunde.“
Der Mann wusste also nicht, dass es sich bei jenem Geist der Höhle um niemand anderen handelte als Marah Durimeh selbst. Ich würde ihm dieses Geheimnis gewiss nicht enthüllen.
„Hat Marah Durimeh denn nicht gesagt, wann sie wiederkehren würde, und Schakara mit ihr?“
„Nein. Seit einem Jahr bekomme ich dann und wann einen Brief, dass meine Tochter wohlauf ist.“
„Seit einem Jahr!“
„Nun, was soll ich tun? Ich muss Marah Durimeh glauben und tue es auch. Obzwar es scheint, dass du, Emir, meine Schakara nur dem Tode entrissen hast, damit Marah Durimeh sie mir wieder nehmen konnte.“
„Sag so etwas nicht“, entgegnete ich mit leiser Empörung. „Schließlich ist Schakara aus freien Stücken gegangen.“
„Das mag man so oder so sehen …“
Ich hob die Hand. „Bitte, ich verstehe deinen Schmerz, aber äußere doch keine Mutmaßungen, gar Beleidigungen. Stattdessen sag mir lieber, warum du nicht nachgeforscht hast, wenn dich die Sache so leiden lässt? Warum hast du den Boten nicht gefragt, woher die Briefe stammen?“
„Weil der Bote den Brief von einem Boten erhielt, der wiederum …“ Der Hosta Mazu schüttelte bitter den Kopf. „Meine Tochter ist in einem Geheimnis verschwunden, da könnte sie auch tot sein.“
Ich wollte dem Mann helfen und sagte bestimmt:
„Wir finden deine Tochter und geben dir Kunde, wo sie ist und wann sie zurückkehrt.“
Das war vielleicht etwas viel versprochen und nicht unsere Aufgabe. Aber wenn wir Marah Durimeh fanden, würden wir auch Schakara treffen, und nach einem Gespräch mit beiden würden wir wohl deren Beweggründe verstehen, den armen Vater im Ungewissen zu lassen. Vielleicht könnten wir die beiden Frauen zu etwas Barmherzigkeit bringen …
Doch was dachte ich da? Wie konnte ich glauben, dass Marah Durimeh grausam war? Schließlich gab sie dem Vater regelmäßig Nachricht, wenn auch nicht zu dessen Zufriedenheit. Nun, es würde sich wohl alles klären. Aber dazu mussten wir weiterreisen. Ich erhob mich.
„Guter Gastgeber, hab Dank. Wir wollen dir deine Freundlichkeit vergelten, indem wir sogleich aufbrechen und dich nicht weiter belasten.“
„Aber wollt ihr nicht zum Essen bleiben? Ein Geschäftsmann ist oft einsam, zumal wenn er verwitwet und verwaist ist …“
Dies hätte mich sonst gedauert, aber ich wollte keine weitere Zeit vertändeln. Wir hatten einiges erfahren, aber nichts Brauchbares. Ich beharrte auf Abschied. Der Hosta Mazu schaute so betreten wie sein Hund, obwohl der junge Halb-Tazi noch ein wenig trauriger dreinblickte, als wir zur Tür gingen. Es mochte aber nur sein, weil sein Wohltäter Halef jetzt entschwand und sein eigentlicher Herr ihn doch recht knapp hielt, denn unter dem Fell erkannte man Muskeln und Rippen etwas deutlicher, als es wohl nötig war.
„Wie heißt dein Hund?“, fragte ich.
„Mazu, wie sonst?“, kam es zurück. „Denn ich bin der Hosta Mazu.“
Halef hob das Kinn. „Und wie alt mag er sein?“
„Wohl etwas über ein Jahr“, meinte der Hosta Mazu, dessen Name nun eine weitere Bedeutung erfahren hatte. „Er lief mir zu, weil die Katzen des Melek ihm übel zugesetzt hatten. Ich bin kein Hundefreund, doch seine Gesellschaft ist besser als keine.“
Halef rechnete anscheinend etwas und blickte mich dann wissend an, sagte aber nichts.
„Auf bald“, sagte ich zum Hosta Mazu und dann verließen wir das Gallapfelhaus. Unsere Pferde warteten bereits auf uns, gefüttert und getränkt.
Als wir in die Sättel stiegen, räusperte sich Halef.
„Bitte“, sagte ich, „keine sentimentalen Tiergeschichten.“
Ich gebe zu, das ist nicht mein Metier. Auch wenn ich dem treuen Dojan in meinen Erinnerungen und Berichten ein gerechtes Denkmal gesetzt habe. Meine wahre Tierliebe gilt dem Pferd, besonders meinem Rih, und deshalb klopfte ich ihm auf den Hals, denn es mochte sein, dass er den Hund witterte, der um uns herumgestreift war.
„Ach, Sihdi, das wollte ich doch gar nicht. Ich wollte vielmehr fragen, warum wir das Essen ausgeschlagen haben. Zweimal gab es süße Sachen, die wohl schmackhaft waren, aber nun habe ich Hunger nach etwas Rechtschaffenem, für einen anständigen Männerappetit.“
„Du sprichst wahrlich wie ein Kerl, Halef. Und erinnerst mich an die Worte von Sir David, als wir damals in dieser Gegend waren. Der brummte stets über sein Gelüst nach Bärentatzen und Bärenschinken, geräuchert und geselcht.“
„Ich dachte, dergleichen isst man nur im Indianerland jenseits des Ozeans?“
„Nein, überall, wo es Bären gibt.“
„Dann sollten wir in die Wälder hinein, und du erlegst uns einen mit deiner Doppelflinte. Ich würde tatsächlich die eine oder andere Bärentatze verspeisen.“
Bis wir das Dorf verlassen hatten, konnte ich Halef noch auf den deutschen Begriff des Bärenhungers hinweisen, sowie auf das Kuriosum, dass es ein Schokoladengebäck namens Bärentatzen gibt, und gleichzeitig darauf, dass wir die jüngst genossenen Gebäcke zunächst verdauen sollten, was durch tüchtigen Ritt befördert würde. Ein kräftiges Mahl würden wir uns damit wiederum auch verdienen. Halef fügte sich und war still, und ich glaube, sein Magenknurren war ohnehin nur eingebildet.
Dass aber auch Haschim schwieg, machte mich neugierig.
Als wir das letzte Haus von Lizan passiert hatten und wieder am Zab entlangritten, um später die Route in Richtung des Dorfes Schohrd einzuschlagen, fragte ich ihn:
„Sagt, Haschim: Ihr kennt Marah Durimeh nach Euren Worten doch länger und genauer als ich. Was habe ich davon zu halten, dass sie ihre Urenkelin so lange Zeit vom Vater forthält?“
„Nun, Kara Ben Nemsi, zum einen ist forthalten wohl nicht der rechte Begriff. Schakara wird wohl aus freien Stücken mit ihrer Ahne gegangen sein. Über Marah Durimeh will ich mich nicht weiter auslassen, doch ist es Euch sicher bekannt, dass weise Frauen sich dann und wann Schülerinnen suchen, um ihr Wissen an diese weiterzugeben, damit sie irgendwann deren Nachfolge antreten können.“
„Aber warum wird der Vater dann im Ungewissen gelassen?“
„Wer sagt, dass es so ist? Nur weil er sich darüber nicht geäußert hat?“
„Ihr meint, er weiß es wohl, aber ist seiner Schwiegerurgroßmutter gram?“
„Dies wäre nichts Ungewöhnliches unter der Sonne, nicht wahr? Zumal er auch Kaufmann ist und mehr auf das Materielle bedacht, also auf die Früchte der Galleneiche denn auf die Früchte des weisen Geistes.“
„Welche wiederum Marah Durimeh das Wichtigste sind, und eben auch Euch, Haschim. Doch was sagt Ihr dazu: Ich versprach dem Hosta Mazu, seine Tochter zu finden, und dies wird uns wohl gelingen, auch aus dem Grunde, dass wir Marah Durimeh aufsuchen. Ich sehe die Möglichkeit, dass uns Ingdscha, die Schwiegertochter des Rais von Schohrd, Nedschir-Bey, vielleicht zu ihrer greisen, weisen Vertrauten führen kann, wie sie es schon einmal für mich getan hat. Doch solches erhoffte ich mir ja bereits von Schakara in Lizan und wurde enttäuscht. Ich muss Euch also fragen, Haschim: Habt ihr vielleicht Kenntnis über Marah Durimehs Aufenthalt?“
„Ich weiß nicht, wo sie sich jetzt befindet, Kara Ben Nemsi. Ihr wisst doch, dass ich nicht über die Gabe der Hellsicht verfüge …“
„Das meinte ich nicht …“
„… an welche Ihr ja ohnehin nicht glauben werdet. Aber meine Verbindung zu Marah Durimeh ist auch nicht so stark, dass ich spüren würde, wo sie sich aufhält. Ihr müsst bedenken, dass es lange Jahre zurückliegt, seit ich mit ihr sprach.“
„Wie kam es zu Eurer Bekanntschaft mit Marah Durimeh?“
„Nun, man könnte sagen, dass es ähnlich war wie bei Euch. Es musste jemand gerettet werden, und Marah Durimeh sorgte dafür.“
„Sie rief Euch zu Hilfe?“
„Sie rief mich.“
„Ich bemerke, wie Ihr nicht allzu auskunftsfreudig seid …“
„Vielleicht habe auch ich Hunger und meine Zunge möchte nicht sprechen, sondern schmecken?“
Ich lächelte Haschim an, indem ich versuchte, jenes milde, wissende Lächeln nachzuahmen, welches er mir stets schenkte. Wie gut mir dies gelang, konnte ich nicht beurteilen. Doch ich war mir bewusst, dass ich nicht allzu klug gesprochen und gefragt hatte, sondern neugierig gewirkt haben mochte, wie ein … nein, ich möchte die Damen des Wäschergewerbes nicht schmähen, zumal nicht die gesetzteren Alters. Es würde sich die Zeit finden, wo mir Haschim meine Fragen beantwortete, und überhaupt waren diese Antworten wohl weniger wichtig als andere. Ich würde in der nächsten Zeit gut damit leben können, dass Haschim für mich noch immer ein Mensch voller Geheimnisse war, kaum weniger als Marah Durimeh. Und es ist ja auch so, dass ich selbst ein Mann bin, von dem nicht alle alles wissen, vor allem, wenn es um die Vergangenheit geht. Aber ich will mich nicht unnötig offenbaren und gestehe mir zu, ebenso wie Haschim ein wenig geheimnisvoll zu sein und meinen Lesern besser weiterhin von fremden Ländern und Leuten zu berichten als von mir selbst, der ich doch nur bescheidener Reiseschriftsteller bin.
Aber ich versuche stets, ein einfühlsamer Gefährte zu sein, und so ließ ich mich von den Bedürfnissen Halefs und Haschims leiten, wie ernst Letzterer seine Worte auch gemeint haben mochte. Wir machten also Rast, auf einer Hügelhöhe über dem Zab, der wild über die Steine seines Bettes rauschte. Durch das Buschwerk und die Bäume rings um die kleine Lichtung drang das Geräusch jedoch nur noch als sanftes Murmeln, und das Licht war ebenfalls mild, da sich die Sonne langsam zu senken begonnen hatte und nur noch knapp über die Berge schien. Die Eichen, welche sich aus dem Unterholz erhoben, waren stattlich, aber ich bemerkte, dass sich an den Blättern keine Galläpfel befanden, was ich durchaus begrüßte. Ich hatte genug von diesen Kugeln und allem, was mit ihnen zusammenhing. Man kann sich an einem Anblick sattsehen, wie es so schön heißt, selbst wenn es nicht das Ding an sich ist, sondern Nachbildungen als Schmuck der Wohnstatt. Dennoch will ich dem Hosta Mazu einen gewissen guten Geschmack nicht absprechen, noch weniger gute Gastfreundschaft, denn es war so, dass er uns wegen unseres frühen Aufbruchs aus seinem Haus, kurz bevor wir davonritten, durch seine Dienerschaft, vor allem die Köchin, mit jenem Mahl bedacht hatte, das er mit uns nicht hatte einnehmen können. Und so waren wir in der bequemen Lage, uns an jenem lauschigen Rastplatz unter Eichen nicht mit den Mühen des Abkochens zu belasten, sondern nur die Tuchbündel auseinanderschlagen mussten, die man uns überreicht hatte. Und schon lagen dort ein tüchtiger Braten und frisches Brot vom Morgen als auch etliche Zukost, die wohl aus dem Garten des Kaufmanns stammte, wie Tomaten, Lauchzwiebeln und anderes, welches uns sehr willkommen war, denn diese Dinge eignen sich nicht dazu, als robuster Dauervorrat auf Überlandreisen zu dienen. Und nicht immer ist ein Markt oder Dorf in der Nähe, um dieses zu kaufen, so es denn Saison hat, wie Landwirte und Küchenmeister sagen. Und ich habe es mir zum Gesetz gemacht, nicht irgendwelchen armen Landbewohnern ihr mühevoll der Scholle abgerungenes Nahrungsmittel abzuschwatzen, gar mit übertriebener Münze abzukaufen. Denn Geld kann man nicht essen, wenn es nichts zu kaufen gibt. Solcherlei Gedanken und Prinzipien schmälern im Übrigen nicht den Appetit, sondern befördern ihn sogar durch gutes Gewissen, und wenn man sich an dem gütlich halten kann, was ein Brite wie Sir David ein lönsch päcket genannt hätte, so schmeckt es noch einmal so gut. Der Braten war kalt, aber scharf und fettig, das Brot und die Gemüsefrüchte milderten aufs Angenehmste, und als wir anschließend dann bei Kaffee und Tabak saßen, war es dunkel geworden und wir drei recht guter Dinge. Wir sprachen kaum und hingen unseren Gedanken nach – wir hatten mit zwei Herren lange Gespräche geführt, dies war für einen Tag wohl genug. Ich blies den letzten Tabaksrauch gegen den Feuerschein und lehnte mich bequem gegen meinen Sattel. Ich hatte die Kleidung gelockert und wollte gemütlich die Arme verschränken, als mein Finger unabsichtlich in die Westentasche glitt und den Goldreif des Musaddas berührte. Ich zog die Hand zurück – nicht schreckhaft, nicht heftig, sondern gelassen. Ich wollte jetzt nicht über Zauberringe, Al-Kadir und dergleichen Dinge nachsinnen, so gesättigt und ein wenig müde. Es war noch nicht die Zeit, um sich ein Lager für die Nacht zu bereiten, aber durchaus die Gelegenheit, für einen Moment die Augen zu schließen und dem Mahl, dem Kaffee und dem Tabak nachzuschmecken. Von ferne rauschte der Zab, über mir raschelte das Blattwerk der Bäume, im Feuer knackten die Scheite, auch hörte ich die Pferde leise grasen und schnauben. Im Unterholz knisterte es.
Ich fuhr auf. Die Pferde blieben ruhig. Ich erkannte, dass der leise Windhauch aus der dem Laut entgegengesetzten Richtung kam. Halef und Haschim folgten meinem Blick.
Am Rande der Lichtung funkelte etwas im Flammenschein, wie zwei kleine Lichter, dicht über dem Grund, halb verdeckt vom niedrigen Gesträuch.
Mir fuhr es als schneidende Erinnerung durch den Sinn: damals, in der Wüste der Al-Badiya, als Al-Kadir viele Spione in Gestalt tierischer Späher besaß, in Form von Füchsen …
„Es ist ein Hund“, erkannte Halef. Und schon kam vorsichtig der Vierbeiner heran, mit gespitzen Ohren und wedelndem Schweif, dennoch ein wenig geduckt.
„Es ist Mazu“, sagte Haschim. „Nun hat es hier immerhin einen Gallapfel …“
Ich schaute von dem Tier zu den beiden Männern und fragte mich, warum sie all dies rascher erkannt hatten als ich selbst. Auch umgekehrt hatte Mazu mich selbst genau erkannt, blieb vor mir stehen und musterte mich eindringlich.
„Siehst du, Sihdi“, meinte Halef, „ich habe Recht behalten. Das ist nicht einfach irgendein Hund, sondern …“
„Lass gut sein“, gab ich zurück und streckte die Hand aus, um dem Tier über den Scheitel zu fahren, danach aber ein strenges Wort an es zu richten. „Du musst zurück zu deinem Herrn!“ Als ich die Hand fortnahm, um in die Richtung Lizans zu weisen, hob Mazu den Kopf und beleckte meine Finger.
Halef lachte. „Das ist mein kluger Sihdi! Er lässt den Hund den Braten kosten, der ihn an die heimatliche Küche erinnert! Aber er wird ihm nichts von den Resten geben, sondern mit so geschärftem Appetit nach Hause eilen lassen.“
Ich betrachtete die Schnauze des Hundes. „Ich glaube, Mazu hat schon gespeist. An seinen Lefzen klebt Blut.“
„Dann war seine Beute aber nicht allzu schmackhaft, sonst hätte er wohl alles fortgeschleckt.“
„Halef, ich glaube, dich hungert noch etwas, da du stets vom Speisen sprichst.“
„Ich meine ja nur, Sihdi!“
Ich wandte mich dem Hund zu. „Geh!“, sagte ich nachdrücklich und zeigte in das Gebüsch, aus dem er gekommen war. Und tatsächlich wandte Mazu sich um und lief eilig davon, um im Unterholz zu verschwinden.
„Das war ein kurzer, netter Besuch“, befand ich. „Wie gut, dass der junge Gallapfel weiß, wo sein Herr ist. Der soll nicht klagen, dass ihn nach der Tochter auch noch der Hund verlassen hat.“ Ich stand auf. „Und jetzt mag es Zeit zum Schlafen sein.“
Haschim schaute zum Waldrand. Es knackte wie zuvor, jedoch heftiger.
„Das bezweifle ich, Kara Ben Nemsi. Hier ist etwas, das uns wach halten könnte.“
Ich folgte seinem Blick und sah Mazu, wie er erneut über die Lichtung auf uns zukam, doch dieses Mal schleppte er etwas in seinen Kiefern mit sich. Ich sah einen haarigen Balg und einen buschigen Schwanz, und als Mazu seine Beute nahe des Feuers ablegte, erkannte ich, dass es ein toter Fuchs war, mit zerrissener Kehle.
Halef grunzte. „Ein zweifelhaftes Geschenk. Aber was soll man von einem Jagdhund auch anderes erwarten.“
Mir missfiel weniger der blutige Kadaver als die Tatsache, dass er meine Erinnerung von zuvor Gestalt werden ließ. Aber es handelte sich um keinen sandfarbenen Wüstenfuchs, was mich in diesen bewaldeten Bergen doch etwas beunruhigt oder zumindest in zoologischer Hinsicht verwundert hätte. Was dort mit verkrümmten Läufen im Gras lag, war ein Kurdenfuchs, wie er in dieser Gegend heimisch war und sich zwar vom üblichen Rotfuchs in einigen kleinen Details unterschied, aber eben nichts Ungewöhnliches an sich hatte.
Haschim hingegen atmete tief.
„Ich hatte es befürchtet, glaubte aber, es sei nicht möglich.“
„Was meint Ihr?“, fragte ich.
„Dass Al-Kadir auch aus der Geisterwelt heraus in die unsere hineinwirken kann.“
Ich verspürte ein leises Brennen in meinem Magen, und es lag wohl nicht am reichlichen Abendmahl. Ich schloss kurz die Augen, auch um Haschims wissendem und besorgtem Blick nicht zu begegnen. Dann griff ich in die Westentasche und zog den Musaddas hervor. Ich hob ihn nicht an mein Auge, dazu schien mir mein Arm zu schwach. Ich hielt ihn über den Kadaver des Fuchses und sah, wie sich in dem Goldkreis die Farbe des Fells von schmutzigem Rot in ein finsteres Schwarz verwandelte, das wie Erdpech schimmerte. Es war nicht nötig, den Musaddas noch über den Schädel zu schwenken, um als letzte Gewissheit zu erleben, wie sich die toten Augen mit dem gebrochenen Blick von ihrer dunklen Farbe in geisterhaftes Weiß wandeln würden. Dies war ein Schattenfuchs, ein Tha’lab al-Azrak, ein scheußliches Wesen, das Al-Kadir zu Diensten war. Was es gesehen hatte, bevor der treue Mazu es erlegen konnte, würde auch Al-Kadir vor Augen gestanden haben. Wo auch immer er sich gerade aufhalten mochte, er wusste nun, wo wir waren. Und es würde nicht mehr lange dauern, bis sich uns nicht nur ein Späher des Magiers, sondern auch seine Schergen in den Weg stellen würden. Da Al-Kadir nun unseren Lagerplatz kannte und wohl an seine Henkersknechte in der Menschenwelt weitergeben würde, waren wir an diesem Ort in Gefahr und würden ihn besser verlassen. Nun ist es zwar so, dass eine Gefahr, wenn sie denn erst erkannt ist, auch leicht zu bannen sein mag, wie der Volksmund sagt. Doch wie so oft gibt es auch ein gegenteiliges Sagwort, nach dem die Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit ist.
Wir packten also zusammen und brachen auf. Mazu lief währenddessen eifrig zwischen uns herum, sodass Rih sich gezwungen sah, herrisch mit dem Huf zu stampfen. Der Hund hielt sich daraufhin von meinem Rappen fern, jedoch nicht von mir. Als ich schließlich im Sattel saß, brachte dies den jungen Halb-Tazi in Entscheidungsnöte. Ebenso wie mich.
Halef beschaute sich das Bild vom Hund und seinem Wahlherren, der jedoch zauderte.
„Ja, Sihdi, was nun?“, fragte Halef. „Diesen treuen Begleiter wirst du wohl nur los, wenn du ihn mit Steinwürfen forttreibst.“
„Ich würde nie mit Steinen nach einem Hund werfen“, gab ich zurück.
„Dann mit Galläpfeln. Aber hier gibt es ja keine.“
Ich seufzte. „Es wird wohl kaum möglich sein, ihn zu vertreiben. Er würde uns sicher weiter folgen. Also nehmen wir es hin, ebenso wie der Hosta Mazu nun hinnehmen muss, dass sein Hund fortgelaufen ist.“
„Umso mehr wird er sich freuen, wenn wir ihm Hund und Tochter gemeinsam zurückbringen“, befand Halef.
„Nun, das ist nicht …“, begann ich, doch dann sprach Haschim, dessen Blick über Mazu und den toten Schattenfuchs gestreift war.
„Dieser Hund hat uns geholfen“, befand Haschim. „Er kann uns auch weiterhin helfen. Und wenn er Euch ohnehin folgt, können wir ihn bei uns aufnehmen.“
„Da muss ich wohl zustimmen“, sagte ich, wenngleich ich meinte, dass Haschim diese Sache doch allzu nüchtern betrachtete.
„Aber“, fügte Haschim an und lächelte, „ein tapferer Hund sollte einen besseren Namen tragen als Gallapfel.“
„Oh, ich weiß einen Namen“, rief Halef. „Er soll Fuchstod heißen! Auf Kurdisch würde das also …“ Er schaute zu mir herüber und hob den Finger. „Nein, Sihdi, bitte lass mich selbst nach Worten suchen. Fuchs heißt Rovi. Und Tod – ich glaube, Tewaf – oder war es Zewal?“
„Oder Mirin oder Kirbun oder Merg, je nach Bedeutung oder Dialekt“, zählte ich auf. „Aber abgesehen davon, dass wir solche Feinheiten nicht für den Namen eines Hundes abwägen sollten, so dürfte ein solcher Name doch derart lang geraten …“
„… dass der Hund schon weit fort ist, bevor man ihn zurückrufen kann.“ Halef nickte. „Kluger Sihdi. Und überhaupt gebührt ja dir die Aufgabe, den Hund neu zu benennen, denn er läuft ja dir hinterher.“ Halef wackelte mit dem Kopf und schaute den Hund prüfend an. „Vielleicht sollte er Hewar heißen, was Helfer bedeutet …“
„Sangar“, sprach ich knapp, und Sangar schaute zu mir auf und hechelte. „Du warst uns ein Schutz und deshalb sollst du auch diesen Namen tragen.“
„Ein guter Name“, stimmte Haschim zu.
„Ähnlich wie Hewar“, meinte Halef. „Kurz und gut zu rufen. Obwohl …“
„Reiten wir!“, rief ich und wir verließen die Lichtung. Sangar folgte. Der Schattenfuchs lag tot neben dem gelöschten Feuer, aus dem ein letzter Rauchfaden aufstieg.
Der Weg nach Schohrd war nicht mehr weit gewesen. Ich hatte dennoch die Rast auf der Eichenwaldlichtung gewählt, auch wenn wir nach etwas mehr Zeit im Sattel das Dorf erreicht hätten. Ich hatte aber nicht am Abend dort ankommen und uns dem Rais von Schohrd, Nedschir-Bey, als Gäste aufdrängen wollen. Dies hatte weniger mit den Ereignissen in der Vergangenheit zu tun. Mit wem ich einmal Frieden geschlossen habe, der ist mir als Mitmensch so gut wie ein alter Freund, und ich würde unter seinem Dach wohnen, auch wenn ich einst sein Gefangener war. Damals hatte eben Krieg zwischen den Nestorianern und den Berwari-Kurden geherrscht, der Dank Marah Durimehs beendet worden war.
Nein, ich will ehrlich sein: Nach den beiden Besuchen bei den Herren von Lizan stand mir das Bedürfnis nicht mehr nach reicher Bewirtung und schon gar nicht nach bequemer und von Dienern umsorgter Unterkunft. Ich wollte nicht faul und weich werden. Der Krieg zwischen den Bewohnern dieser Berge mochte beigelegt sein, der Kampf zwischen uns und Al-Kadir stand noch bevor. Ich schalt mich selbst, so gemütlich im Eichenwald geschmaust zu haben, und für den Plan zu anschließendem satten Schlummer. Wenn Mazu, nein, Sangar nicht gewesen wäre … ja, was dann? Was wusste ich von der Macht Al-Kadirs aus der Geisterwelt heraus? Auch Haschim schien keine rechte Kenntnis zu haben. Wir mussten also hoffen, Marah Durimeh bald zu finden. Deshalb also Schohrd. Die Schwiegertochter des Rais, die junge Ingdscha, würde uns helfen können.
Wir suchten uns einen anderen Rastplatz, teilten die Wachen ein und nahmen uns abwechselnd den nötigen Schlaf. Die innere Unruhe, die uns der Schattenfuchs und die Erinnerung an die Bedrohung durch Al-Kadir beschert hatten, wurde nur ein wenig vom Wissen über unseren neuen Wachhund und der eigenen, neu geschärften Aufmerksamkeit besänftigt. Noch vor Sonnenaufgang brachen wir das neue Lager ab. Wir ritten den Flusslauf abwärts, bis sich zur Linken ein wildes Bergwasser zeigte, das sich in den Zab ergoss. Diese Stelle kannte ich nur zu gut und werde sie kaum je vergessen. Hier hatte man mich damals als Gefangenen emporgeführt, ohne Rücksicht, dass ich auf dem steilen Weg strauchelte und stürzte. Hernach war es durch wildes Geröll gegangen, durch wirres Dorngestrüpp, bis an eine Schlucht, welche in das Tal von Raola hinabzuführen schien. Unweit davon hatte man mich in eine rohe Steinbehausung geführt und an einen Pfahl gebunden. Meine Wärterin war die alte Madana gewesen, die Vertraute Ingdschas, die mich beide später befreit hatten. Wie gut wäre es, wenn sie mir diesmal wiederum helfen könnten, mich aus jener misslichen Lage zu befreien, die aus der Unwissenheit über Al-Kadir und die Geisterwelt bestand.
Das Dorf Schohrd selbst bot den gleichen erfreulichen Anblick wie zuvor Lizan, was nun schon keine Überraschung mehr war. Die ärmlichen Hütten und Häusertrümmer von früher hatten sich zu ansehnlichen Wohnstätten gewandelt, eben-so wie die Felder ringsum, die nun nicht mehr brache Ödnis, sondern reiche Äcker waren. Auch hier hatte der Friede für Wohlstand gesorgt, obgleich ich bemerkte, dass Schohrd dem zuvor besuchten Lizan doch ein wenig nachstand. Warum, würden wir wohl noch erfahren können.
Die Frage war, von wem. Denn Schohrd war trotz der frühen Stunde, in der sich ein wackeres Dörfchen gemeinhin regt und seine Bewohner den nötigen Arbeiten nachgehen, recht ruhig und wenig bevölkert. Niemand steckte neugierig den Kopf aus einer Fensteröffnung oder lugte um die Mauerecke, als wir die noch immer etwas holprige Dorfstraße entlangritten. Es wäre wohl ein einsamer Ritt geblieben, wenn Sangar nicht eine Katze entdeckt und verbellt hätte, worauf ein hutzeliges Weibchen um die Ecke kam und bös dreinschaute.
„Gute Frau, guten Morgen“, rief ich. „Wo finden wir das Haus des Rais?“
Die Alte blickte mürrisch und deutete dann mit einem gichtigen Finger die ungefähre Richtung.
„Habt Dank“, sagte ich und wir ritten weiter. Sangar folgte uns, mit stolz erhobenen Ohren.
Die Residenz des Rais war einem Stammesoberhaupt in dieser Gegend angemessen. Ich hatte ihn als robusten, schlichten Mann kennengelernt und auch das Gebäude war trutzig, grob gemauert und mit rohen Balken und Brettern versehen. Es war durchaus repräsentativ und wir hätten es auch ohne Wegweisung gefunden und erkannt. Ich musste mir vergegenwärtigen, dass nicht alle wichtigen oder sich als wichtig empfindenden Männer in diesem Bergland solch schillernde Domizile bewohnten wie der Gallapfelhändler von Lizan.
Wir saßen ab und schritten auf den Eingang dieses Ensembles aus steinernen Quadern zu. Niemand kam uns begrüßend entgegen, obwohl man uns doch leicht hatte herannahen sehen können. Sangar witterte nach beiden Seiten, schüttelte dann den Kopf und starrte auf die Tür. Nun roch ich es auch. Ein Odor aus Verbranntem und Verrottetem, fauligem Fisch und Knoblauch und Spülwasser drang aus dem Haus.
Die Erinnerung ist eine seltsame Sache: Bekannte Gesichter und Namen entfallen, während man an manchem Ort glaubt, man sei schon einmal dort gewesen, obgleich dies nachweislich nie der Fall war. Manche glauben wahrhaftig, Dinge erlebt zu haben, die ihnen nie widerfahren sind, und verdrängen andererseits erfolgreich Ereignisse aus Kindheit und Jugend – teils zum Guten, teils zum Schlechten. Andere schwelgen in bildlichster Nostalgie und rufen sich Empfindungen aller Art mit Leichtigkeit ins Gedächtnis zurück. Dies vermag ich ebenso, sonst könnte ich meine Abenteuer und Erlebnisse auf Reisen nicht so getreulich niederschreiben. Aber mir ergeht es kaum anders als allen anderen Menschenkindern: Die Erinnerung an Anblicke, Laute und Geschmäcker mag im Laufe der Zeit zu trügen beginnen, doch Gerüche prägen sich meist so tief und nachhaltig ein, dass ein Wiedererschnuppern sogleich zweifelsfrei die Stunde des ersten Gewahrwerdens heraufbeschwört.
Und so erging es mir jetzt. Noch bevor sich also die Tür auf mein Pochen hin öffnete, wusste ich schon, wer mir da auftun würde: Madana, die alte Nestorianerin, deren Name Petersilie bedeutet, die aber niemals das Aroma jenes erfrischenden Würzkrautes umgeben hatte, sondern eben jenes Miasma, jener Pestdunst, den ich oben schilderte. So war es vor zwei Jahren gewesen und so war es auch heute noch.
Die Tür knarrte schwungvoll nach innen, der Sog schlürfte die reine Luft um mich herum ins Haus hinein, und gemäß der Lehre vom Vakuum und Atmosphärendruck strömte es vom Haus heraus in jene Hohlstelle zurück, denn die Natur verabscheut ja bekanntlich die Leere. Ich wurde also unsichtbar umwölkt von brandig-fauligem Gestank, während mein Auge allzu deutlich vom Morgenlicht erhellt die holde Madana sah. Ich hatte mich bei ihrem Anblick schon vor zwei Jahren ins Sarkastische geflüchtet, und auch jetzt blieb mir nichts anderes übrig. Es war nur allzu gerecht, denn Madana trug ähnliche, wenn nicht sogar genau die gleichen Kleider wie damals, wenn man sie denn Kleider nennen wollte: ein kurzer Rock wie ein Scheuerlappen, unter dem die schmutzigen Knie herausragten, eine Schärpe wie ein Küchenhandtuch, ein verfärbtes Leinenhemd und Fußlappen, die einstmals wohl rot gefärbt waren. Auf dem Kopf trug sie einen Hut mit breiter Krempe, welcher obenauf jedoch offen klaffte und den Scheitel sehen ließ.
Die gleiche Madana wie damals! Wie konnten der Wohlstand und das Ansehnliche des Dorfes so an ihr vorübergegangen sein?
„Was ist?“, grunzte sie heiser und blinzelte ungehalten ins Licht.
„Madana!“, sagte ich. „Ich bin es, Kara Ben Nemsi! Und ich …“
In den kleinen Äuglein der Petersilie leuchtete es wie ein Irrlicht und ihr Mund klappte auf, klappte zu und dann fuhren ihre Hände, die je ein Putztuch umklammerten, zur Hutkrempe hinauf.
„Ach du je!“, rief sie. „Der Herr Kara!“ Sie zupfte am Saum ihres Rockes. „Und ich in dem Aufzug!“
Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, schoss es mir unwillkürlich durch den Kopf, aber gleichzeitig stutzte ich. Bevor ich fragen konnte, sprach Madana weiter.
„Ich habe die alten Kleider angelegt, weil Putztag ist.“ Jetzt hob sie das Kinn und begann mit beiden Putztüchern zu wedeln. „Oder doch eher Putzwoche! Ich muss alles endlich sauber bekommen, jetzt wo Nedschir-Bey mal aus dem Haus ist. Ihr müsst wissen, er ist auf Jagd gezogen, mit seinem Hofstaat, und mir ist es nur recht, da habe ich eine Gelegenheit, alles in Ordnung zu bringen. Er lässt mich sonst ja nicht und haust hier wie ein Junggeselle mit seinen Jagdgenossen! Immer nur jagen, jagen, jagen! Und ich muss putzen, putzen, putzen!“
„Das musst du?“, fragte ich, etwas verblüfft ob ihres Wortschwalls.
„Das will ich! Es ist doch eine Schande, wenn das Dorf so schön geworden ist, nur das Haus des Rais ist ein … Nein, das spreche ich nicht laut aus!“
„Gute Madana, es ist also nie zu spät, sich zu ändern, das ehrt dich!“
Sie schaute mich unverständig an. „Wieso ändern?“
„Nichts, nichts“, sagte ich, denn ich hörte Halef hinter mir unterdrückt lachen. „Aber sag, Madana, ich bin eigentlich nicht wegen Nedschir-Bey hierher gereist, sondern wegen Ingdscha.“
„Ach?“, meinte Madana mit schiefem Blick.
„Ich muss ihr Fragen zu Marah Durimeh stellen.“
„Ach so“, brummte Madana. „Die ist nicht hier.“
„Das weiß ich, deshalb will ich Ingdscha nach ihrem Aufenthalt fragen, denn beide sind doch sehr vertraut, und Ingdscha führte mich schon einmal mit Marah Durimeh zusammen.“
„Natürlich ist Marah Durimeh nicht hier“, raunzte Madana. „Ich meinte Ingdscha, die ist auch nicht hier.“ Sie schüttelte unwirsch den Kopf. „Ihr könntet ja hier warten, aber …“
Ich hob beschwörend die Hände. Nichts würde ich mehr meiden, als dieses Haus zu betreten.
„… aber ich muss putzen, und da stören die Herren nur.“
„Wo ist denn Ingdscha?“
„Auf Jagd mit Nedschir-Bey.“
„Sie hat an der Jagd Geschmack gefunden?“ Das erstaunte mich.
„Eher an den Gepflogenheiten eines Herrschers. Aber Nedschir-Bey hofft, dass sie unter den jungen Prinzen endlich einen Ehemann findet.“
Die Frage war also, wer oder was bei dieser Pirsch nun wirklich gejagt werden sollte.
„Kannst du uns denn sagen, wo Nedschir-Bey dem edlen Weidwerk nachgeht?“
„Was meint ihr damit? Er jagt doch nur …“
„Und wo tut er dies?“
Madana zeigte die Berge hinauf und gab mir ausführlich weitere Hinweise, bezüglich diverser Landmarken, wie Felsen, Bäume, Bäche, Hänge und dergleichen, welche nur dem eingeborenen Ortskundigen etwas sagen würden – oder eben mir. Ich dankte recht schön und wünschte einen guten Putztag.
„Einen?“, krächzte Madana heiser. „Ich habe doch gesagt, dass ich wohl die ganze Woche zu tun habe! Ich werde erst am Sonntag ruhen, so wie der Herrgott selbst!“ Sie bekreuzigte sich, die gute Christenseele. Mir fiel bei ihren Worten ein, dass wohl Montag sein musste. Nun, auf Reisen achte ich nicht so sehr auf den Kalender, ich bin schließlich kein Kaufmann mit Termingeschäften. Doch unsere Taten waren nicht weniger drängend, deshalb verabschiedeten wir uns von der Petersilie und von Schohrd und ritten in die Berge, um die Jagdgesellschaft von Nedschir-Bey zu finden.
Wir passierten die Geröllhalde und das Dornendickicht oberhalb von Schohrd und drangen tiefer ins Gewirr der schroffen Felsen, die grau mit grünen Sprenkeln von allerlei Gräsern und Sträuchern aufragten, und der steilen Hänge, die grün mit grauen Sprenkeln von Steinen und Felsen abfielen. Ab und an gähnten dunkle Höhlenschlünde in den Bergflanken, und die versteckten Wäldchen aus Eichen und Walnuss wirkten finster, selbst die ersten roten Beeren von Hagedorn und Eberesche, die sich im Blätterwerk zeigten, wirkten nicht heiter, sondern schienen mir wie Tropfen von Blut, wie Vorbedeutung.
Als wir an einen mächtigen Felsbuckel kamen, welcher aus der Schulter eines Berghangs wuchs und von wirrem Gestrüpp bekrönt war, erkannten wir, dass sich auch hier eine tiefe Höhlung ins Gestein grub. Und aus dieser drang ein grauenerregender Schrei.