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Fünftes Kapitel Das Gallapfelhaus
ОглавлениеIch hatte schon auf dem Weg nach Lizan die Veränderungen bemerkt. Zwei Jahre zuvor war das fruchtbare Land im Tal des Zab brach gelegen, denn niemand hatte damals in größerem Umfang Felder anlegen und bestellen wollen, als noch die Kämpfe zwischen Kurden und Nestorianern gewütet hatten. Welcher Bauer wollte schon seine Ernte geplündert, seine Frucht auf dem Acker verheert sehen, Zeuge werden, wie die Mühe seines Tagwerks in den Mägen der Feinde verschwand oder in Rauch aufging?
Auf diesem neuerlichen Ritt entlang des Flusses nun, am Ufer oder den Höhen darüber, waren mir doch schon die weitgreifenden Felder aufgefallen, die im Herbst wohlgefüllte Scheunen und Speicher versprachen. So war es nun einmal: Der Krieg gebiert Hunger, der Frieden speist das Volk. Wie gut also, dass die Kämpfe zwischen dem Bey von Gumri und den verschiedenen Meleks der umliegenden Orte beigelegt waren und nun Land und Leute gleichermaßen gedeihen konnten.
Doch was ist der Anblick von Feldern – auf denen zwar körnerpralle Halme wogten, wo zuvor nur Gras und Unkraut wucherten, doch das ist ja schlussendlich nur Werk der Natur – gegen die Veränderung, die der Mensch zu bewirken imstande ist!
Lizan, das alte Dorf, war dahin. Die elenden Häuser und Hütten, die sich zu beiden Seiten des Zab in den Erdendreck geduckt hatten, waren gründlich ausgebessert, gar neu erbaut worden, und etliche waren hinzugekommen, nachdem das Verheeren und Brandschatzen endlich ein Ende hatte. Irgendwann verliert ein jeder die Kraft, das Haus, die Hütte immer wieder zu reparieren, wenn es doch nur wieder zerstört wird. Und wer entkräftet und hungrig ist, schreinert und mauert auch nicht gut, zumal es am Geld fehlt, wenn kein Überschuss aus der Ernte verkauft werden kann.
Jetzt aber gedieh Lizan ebenso wie das Korn auf den Äckern, und die Gemüse und Kräuter, die in den Gärten prangten, verhießen in all ihrer Buntheit nahrhaften Wohlgeschmack.
Doch nicht nur im persönlichen Besitz hatten die Bewohner Lizans sich verbessert, auch die Brücke über den an dieser Stelle reißenden Zab war nicht mehr das erbärmliche Gebilde aus einigen Holzpfeilern und Flechtwerk, über das jeder Passant, ob Mann oder Pferd, nur ängstlich und schwankend geschritten war. Jetzt saßen die gemauerten Pfeiler fest im felsigen Flussbett und ein robustes Konstrukt aus Balken und Bohlen spannte sich über das rauschende Gewässer. Dort im Strom lagen zwar noch immer die vielen Felsen, welche keine Floßfahrt zuließen und das Schwimmen nachgerade lebensgefährlich machten, aber wer will mäkeln, wenn alles andere aufs Beste gerichtet ist. Lizan war schließlich kein Badeort für Kurgäste, sondern ein rechtschaffenes Dörfchen mit guten, schlichten Leuten.
Diese schauten nun einigermaßen neugierig auf und um die Ecken herum, wer denn da herankäme. Dass wir keine Türken oder Kurden waren, sah man ja sogleich, doch auch wenn wir von der Kleidung anders wirkten, war dies für die Menschen hier kaum verwunderlich, denn Mesopotamien war nicht weit, auch Persien nicht. Jedenfalls kamen wir nicht kriegerisch daher, selbst wenn unsere Waffen gut sichtbar waren, jedoch friedlich an den Sätteln befestigt oder bequem am Gürtel zurechtgeschoben.
Ich grüßte den Nächstbesten und fragte nach dem Melek, also dem Anführer, dem Bürgermeister sozusagen, obgleich Melek eigentlich König heißt, wobei sich ja auch anderswo so mancher Dorfschulze wie ein Monarch fühlen mag. Ich erfuhr, dass der Melek in seiner Residenz weilte und gewiss zu sprechen sei, was mich vermuten ließ, dass man uns für Händler hielt. Das war gar nicht das Schlechteste, und so dankte ich und schlug den Weg zum Haus des Melek ein, den ich ja kannte, und zudem hatte der Mann wie erwartet am Ufer des Zab entlanggedeutet.
Dort lag das Haus noch immer, halb in das Wasser des Flusses hineingebaut, wo der kühlende, stärkere Luftzug die Mücken verscheuchte. Das obere Stockwerk des Gebäudes hatte keine Mauern; es bestand einfach aus dem Dach, welches an den vier Ecken von je einem Backsteinpfeiler getragen wurde und so einen luftigen Raum schuf, der früher das Staatsgemach des Melek gewesen war. Allerdings war von dem Backstein der Pfeiler kaum mehr etwas zu sehen, denn an ihnen wanden sich blühende Ranken empor, bis zum Dachrand und quer durch die Balustraden, welche die Pfeiler verbanden. Auch am Fundament des Hauses waren Blumen gepflanzt, selbst unter den Fensteröffnungen hingen hölzerne Kästen mit bunten Blüten, wenig anders als bei einem deutschen Bürgershaus im Biedermeier.
Wir waren kaum aus den Sätteln gestiegen, als sich oben über dem Blütengerank ein rundes Gesicht zeigte, mit dichtem Schnauzbart und schiefem Turban. Man hatte uns wohl angekündigt. Der Melek hob beide Arme in einer Geste, die halb Willkommens-, halb Segensgruß war und rief „Guten Morgen“, obgleich schon beinahe Mittag war. Dann wurden wir mit einem Ruf hinaufgebeten, der freundlich-überschwänglich war, jedoch keinen Widerspruch duldete. Nun, warum auch. Halef und ich wandten uns dem Eingang zu, während Haschim zögerte.
„Ich bewache die Pferde und die Waffen“, verkündete er und warf mir einen eigentümlichen Blick zu. Ich hatte ihm auf dem Weg nach Lizan von unseren früheren Erlebnissen berichtet, von der einstigen Feindschaft mit dem Melek, aber dass sich schließlich, auch durch den Einfluss von Marah Durimeh, alles zum Besten und zum Frieden gewendet hatte.
„Hier droht keine Gefahr, kein Verrat“, sagte ich voller Überzeugung.
„Nicht wie in früheren Zeiten, gewiss“, gab Haschim zurück. Dann schaute er milde. „Lasst mir meine Eigenheiten, mein Freund. Und wenn Euch dort droben etwas Köstliches kredenzt wird, lasst mir doch etwas herunterbringen …“
Ich nickte ergeben. Haschim begann mit Interesse die Umgebung zu betrachten, vor allem einen der Berghänge zur Rechten, an dem eine Mauer zu erkennen war.
Halef und ich betraten das Haus und gingen die Stiege hinauf. Ich bemerkte, dass die unteren Räume recht karg eingerichtet waren, jedoch war es nicht die Kargheit des Ärmlichen, sondern die Strenge, mit der sich manche, aber eben doch nur sehr wenige Wohlhabende umgeben. Oben empfing uns der Melek von Lizan. Er war schon immer ein kräftiger Mann gewesen, nun aber war er feist, nahezu fett. Seine lange Jacke stand offen, ich erkannte, dass die Doppelreihe der Knöpfe und Ösen gezerrt und ausgeleiert war und der Tuchgürtel nur locker um den mächtigen Wanst gewunden. Auch der Turban war nachlässig gebunden. Es schien, als habe das süße, friedliche Leben den einstigen Krieger faul werden lassen.
„Kara Ben Nemsi Effendi“, kollerte der Melek, und seine Wangen und die Kinne bebten. Dann tat er einen raschen Sprung auf mich zu, der noch von der alten Kämpferkraft zeugte, doch er kam schwer vor mir auf, trat mir beinahe mit den Pantoffeln auf die Stiefelspitzen. Was eine herzliche Umarmung werden sollte, war dann doch eher ein klammerndes Haltsuchen. Die noch immer muskulösen Arme hielten und pressten mich tüchtig, und die weichen Backen drückten sich erst rechts, dann links in meinen Bart. Dann hielt der Melek mich auf Armeslänge von sich.
„Weißt du noch“, begann er, „was ich dir damals sagte, kurz bevor wir voneinander schieden?“
Wie hatte ich dies vergessen können; ich hatte es schließlich später aufgeschrieben, im Bericht über meine Abenteuer im wilden Kurdistan!
„Du sagtest: ‚Ich zürne dir, denn du hast mich besiegt. Ich fürchte mich vor dir, aber ich habe dich dennoch lieb.‘“
Die Augen des Melek, die früher so hart wie Säbelstahl geblitzt hatten, füllten sich mit Tränen. „Und jetzt, jetzt habe ich dich nur noch lieb, Effendi! Kein Zorn mehr, keine Furcht! Ich liebe dich und ich liebe alle Menschen.“
„Das ist sehr schön, Melek. Wenn nur alle so dächten, hätten wir Friede auf Erden.“
Der Melek schniefte. „Wie wahr, wie wahr.“ Dann starrte er über meine Schulter, bis ich mich ebenfalls umwandte, aber dort war nichts außer den Blumen, die überall aus den Ranken und Blättern leuchteten. Ich blickte zurück zum Melek und der beendete seine Blütenschau und nickte. Er deutete zum Boden, der nicht wie früher allein mit zierlichen Matten bedeckt war, sondern zudem mit wulstigen Kissen, die nicht prächtig waren, aber sehr bequem ausschauten.
„Nehmt Platz, du, Effendi und dein Diener.“
„Das ist Halef, mein Gefährte und Freund.“
„Ja“, strahlte der Melek, „Gefährten und Freunde braucht es. Die dienen besonders gern und gut. Ich bin ja auch nicht der Melek der Menschen von Lizan, sondern ihr Freund, Gefährte, Diener.“
Er ließ sich schwer in die Kissenwülste fallen und war darin kaum noch zu erkennen, da sowohl seine Kleider als auch die Polster von schlichten braunen Farben waren, und die Blumen und Blätter mit ihrem glänzenden Grün und der rot-weiß-gelben Buntheit alles überstrahlten. Doch noch etwas Besonderes zeigte sich zwischen den Kissen. Der Melek nannte zwei Katzen sein eigen, die der seltenen Rasse entstammten, welche rund um den See des Van lebte, und die deshalb Katzen von Van, kurdisch Pisîka Wanê, genannt wurden. Ihr Fell ist rein weiß, die Augen hellblau oder grün-bernsteinfarben und die wertvollsten haben jeweils ein Auge in diesen Tönen. Die Vankatzen des Melek gehörten dazu, und ihr doppelt zweifarbiger Blick verfolgte mich während der gesamten Zeit unseres Besuchs.
Halef und ich setzten uns sachte nieder. Der Melek klatschte in die Hände, und schon kamen zwei Mädchen und eine Frau heran und boten uns Früchte und kleine Speisen auf Holztellern und in Bastkörbchen, dazu Wasser. Ich fragte, ob unser Freund vor dem Haus auch etwas von den Erfrischungen erhalten könnte.
„Noch ein Freund und Gefährte?“, rief der Melek. „Mag er sich nicht zu uns gesellen?“
„Wir sind ein wenig in Eile. Dies soll nur ein höflicher Besuch sein, um der alten Zeiten willen.“
„Der neuen Zeiten willen, denn diese sind gut, ganz anders als die alten, schlechten.“
„Wie man eben so sagt, Melek …“
„Nenn mich Dost, nenn mich Hewal!“
Ich nickte, sprach dann aber weiter, ohne ihn als Freund oder Gefährten zu bezeichnen.
„Wir möchten Marah Durimeh aufsuchen. Und ich erinnere mich, dass deine ehrenwerte, alte Mutter mir damals hat sagen können, wo sich diese ihre weise Freundin aufhielt …“
Der Melek atmete tief ein und unterdrückte ein Schluchzen.
„Es dauert mich sehr, Effendi. Sie ist tot.“
Ich spürte mein Herz einen Schlag aussetzen. Neben mir ächzte Halef und ließ eine Maulbeere zurück in das Bastkörbchen fallen.
„Aber sie war, wie du sagtest, schon sehr alt, wenngleich nicht so alt wie Marah Durimeh.“
„Ach so …“, atmete ich auf.
„Doch da mein Bruder ja Priester ist, konnte er ihr das schönste Begräbnis geben, das Lizan je gesehen hat!“
„Mein Beileid“, hauchte ich tief empfunden, auch wenn mich der vorige Schrecken noch umfangen hielt. „Eure Mutter wird im Himmelsparadies ihren verdienten Platz erhalten.“ Mir war etwas unwohl, als ich den Melek sich vor meinen Augen in den Kissenpolstern rekeln und mit seinen Kinnen nicken sah.
„Das wird sie. Mein Bruder hat sie sogleich begleitet, denn er war ebenfalls ältlich. Nach der Zeremonie hat ihn der Schlag gerührt. Sein Begräbnis war schlichter, sein Nachfolger hat es zelebriert, aber da mein Bruder ein wahrer Heiliger war, bin ich guter Dinge, dass auch er seinen Himmelsplatz erhält, wie es ihm zusteht.“
Er rührte mit einem wulstigen Finger in einer Schale mit Walnusskernen, bis er schließlich eine auswählte und verspeiste. Traurig kaute er.
Ich überlegte. Gewiss hatte ich nicht erwartet, Marah Durimeh in der alten Felsenstätte des Ruh-i-Kulyan anzutreffen, wie damals, als mir des Meleks Mutter mit ihren Worten den Weg gewiesen hatte. Denn den Höhlengeist hatte Marah Durimeh ja nur für die Leichtgläubigen gespielt. Vielleicht aber hätte ich einen Hinweis erhalten, wo sich die weise Frau mittlerweile aufhalten mochte. Dann entsann ich mich einer anderen Quelle für diese Kunde, die ich ohnehin hatte aufsuchen wollen; aber Vernunft und Höflichkeit hatten eben verlangt, zuerst das Oberhaupt des Dorfes zu begrüßen, selbst wenn dieses gar kein Oberhaupt mehr sein wollte. Es gab in Lizan noch den Mann, den ich in Ahmadija kennengelernt hatte – just zur selben Zeit, als ich zum ersten Mal auf Marah Durimeh traf. Ich war als vermeintlicher Arzt zu einer jungen Frau gerufen worden, die sich versehentlich mit einer Tollkirsche vergiftet hatte und der der örtliche Hekim, der eben kein Doktor, sondern ein Quacksalber war, nicht hatte helfen können. Die junge Frau, ein Mädchen noch, hatte Schakara geheißen und war die Tochter von …
„Wo wohnt der Händler …“, begann ich und bemerkte mit Erstaunen, dass ich den Namen des Mannes vergessen hatte. Wie konnte dies sein? Hatte er ihn mir damals gar nicht genannt? Hatte ich ihn inmitten der Sorgen um Schakara und dem Zorn über den stümperhaften Hekim und seine nutzlosen Amulette nicht erfragt, er ihn nicht genannt? Wie peinlich! Ich sprach also anders weiter: „… der Händler noch hier in Lizan, der Galläpfel vertreibt?“ Ich war mir nicht sicher, ob es nicht noch einen anderen geben mochte, denn Galläpfel waren ein Hauptprodukt dieser Gegend, ebenso wie Walnüsse, und so fügte ich hinzu: „Der mit der langen Stirnlocke. Der, obgleich Kurde, sich der Geschäfte wegen wie ein Türke kleidet?“
Der Melek schaute nicht mehr trauernd, doch auch nicht so heiter wie zuvor, sondern ein wenig feindselig. Es konnte aber auch sein, dass nur das feiste Gesicht seine Augen schmal machte.
„Nicht der Geschäfte wegen, sondern weil er Mohammedaner ist und nicht Christ wie unsereiner.“
„Und doch ist er dir gewiss ein Freund und Gefährte, weil er hier in Lizan unter deiner Führung lebt“, sagte ich rasch. „Denn das tut er doch?“
„Ja, das tut er.“ Der Melek griff in die Schale und schaufelte eine Handvoll Nüsse in seinen Mund. Während er kaute, deutete er über die Blumenranken ans entfernte Ende des Dorfes.
„Er wohnt im Gallapfelhaus. In Prunk und Pracht. Aber das wird er nicht mitnehmen können, denn …“
„… das letzte Hemd hat keine Taschen, wie man in meiner Heimat sagt“, bemerkte ich, um den Melek zu besänftigen. Ich übersetzte es natürlich in orientalische Begriffe und tat noch ein wenig fromme Schnörkel daran, um den Eifer des Mannes zu dämpfen. Das und die köstlichen Nüsse, die übrigens in aufgeschnittene Feigen gestopft noch vortrefflicher munden, ließ den Melek wieder milde werden. Wir plauderten noch ein wenig, und es blitzte etwas von dem einstigen Krieger durch, als er an die Episode erinnerte, wie ich mich in diesem Haus mit Nedschir-Bey geprügelt hatte. So nannte der Melek es, ich erinnerte mich an einen fairen Faustkampf aus ehrenhaften Gründen. Aber dazu würde ich später noch kommen, denn den Bey würde ich auch noch aufsuchen müssen, auf unserer Suche nach Marah Durimeh.
Dann verabschiedeten wir uns rasch genug, ohne unhöflich zu wirken, und stiegen unter vielen Grüßen und Wünschen des Melek und mit je einer Blüte bedacht die Stiege hinab. Die Vankatzen schlichen bis zur Schwelle und blickten uns nach.
Halef betrachtete seinen rötlichen Blumenkelch, drehte den Stiel in den Fingern und schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Sihdi“, meinte er, „dass du mir auch nicht recht erklären kannst, warum der Melek – der Freund aller Freunde – sich so verändert hat?“
„Das kann ich nicht, Halef“, gab ich zu. „Mag es die Trauer sein oder der Friede, der einem alten Kämpfer zusetzt – aber es ist nun einmal der Lauf des Lebens, und …“
„O Sihdi!“, maulte Halef. „Ich weiß, du bist ein guter Mensch! Ein Gutmensch, müsste man sagen, damit die beiden Worte so recht dicht beisammen sind, aber du musst nicht gar so viel Allgemeines daherreden, wenn du die eigentliche Antwort nicht weißt!“
Ich zwirbelte meine weiße Blüte und schnupperte daran, damit Halef mein Feixen nicht so genau sehen konnte. Wie gut er mich doch kannte. Und wie froh ich war, dass mein guter Halef wohl auf immer seine manchmal so unerwartet scharfe Zunge behalten würde. So viele Walnüsse und Feigen konnte es gar nicht geben, dass dieses Instrument sich stumpfschleifen würde. Oder gar Ermahnungen seines Sihdi, um die er sich ohnehin selten scherte.
Vor dem Haus fanden wir Haschim bei unseren Pferden. Neben ihm, auf dem Sattel seiner Stute Risha, balancierten ein Becher und ein Körbchen mit Walnüssen; die leeren Schalen sammelten sich neben den Stiefeln Haschims.
„Dieser Melek ist kein guter Gastgeber“, sagte er trocken. „An euren Kleidern sehe ich, dass ihr die Nüsse bereits geschält erhalten habt. Aber das macht nichts.“
Halef und ich sahen erstaunt, oder eben doch nicht erstaunt, wie Haschim eine Nuss leicht zwischen Daumen und Zeigefinger nahm und die Schalen mit einem Mal zu beiden Seiten hinabfielen, ohne dass man gesehen hätte, dass Haschim Druck ausübte. Zudem hätten seine Finger dann aus Eisen bestehen müssen, was sie meiner Kenntnis nach nicht taten. Aber wer wusste das schon. Haschim warf den Nusskern in seinen Mund.
„Wohin nun?“, fragte er.
„Zum Gallapfelhaus“, sagte ich.
„Ein kurioser Name. Ich bin gespannt.“
Haschim setzte Becher und Körbchen auf einer Bank vor der beblümten Fassade nieder und griff dann die Zügel, um sein Pferd zu führen. Wir taten es ihm gleich und gingen durch Lizan, zum uns gewiesenen Dorfrand hin. Vor den Hütten und Häuschen stapelten sich große Körbe, und lange Stangen lehnten an den Wänden. Das war das Handwerkszeug, mit dem sowohl Galläpfel als auch Walnüsse geerntet wurden, indem man sie von den jeweiligen Eichen- oder Nussbaumzweigen herunterschlug und aufklaubte. Es schien aber noch nicht die rechte Zeit für die Ernte zu sein, denn die Walnuss- und Gallapfelsammler, das wusste ich, zogen gemeinhin in die bewaldeten Berge hinauf und blieben dann für einige Zeit dort und wohnten in rasch errichteten Laubhütten, schlichten Unterkünften, die aus frischen Zweigen zurechtgebogen und -gesteckt wurden. Dies ist ohnehin Brauch bei den Kurden, die auf diese Weise in den heißen Monaten sozusagen Sommerfrische machen. Ob dies allerdings auch bei den Einwohnern von Lizan so gehalten wurde, deren Ort vom rasch fließenden Fluss stets eine gewisse Kühle empfing, wusste ich nicht.
Dann erreichten wir das Gallapfelhaus. Und wenn Haschim bereits bemerkt hatte, dass der Name eigentümlich war, so galt das für das Aussehen des Gebäudes noch viel mehr. Ich mag nur mutmaßen, wie es auf meine Gefährten oder die Menschen Lizans oder durchreisende Fremde wirken mochte. Ich hingegen hatte das Gefühl, ich blickte auf das Gehäuse einer riesenhaften Schwarzwälder Kuckucksuhr! Anders als die gemauerten Häuser des restlichen Dorfs war dieses ganz aus Holz gebaut. Die Balken und Bretter glänzten in dunklem Braun, als sei das Holz nach dem Glätten mit Lasur bestrichen oder aber geölt worden. Was aber alles noch sonderbarer erscheinen ließ, war die Tatsache, dass die Balken, Balustraden, Tür- und Fensterrahmen beider Stockwerke über und über mit Schnitzereien verziert waren, die nur ein einziges Motiv zeigten, namentlich Eichenblätter mit Galläpfeln daran. Der Anblick all dieser Wellenlinien und Kugeln war verwirrend, und je mehr man alles beschaute, desto mehr Blätter und Blättchen und Gallen und Äpfelchen entdeckte man.
Halef staunte, bis sein Gesichtsausdruck der Begeisterung wich, Haschim hatte zunächst skeptisch, gar misstrauisch geblickt, dann aber wohl festgestellt, dass es nur ein hölzernes Haus war, an dem außer dem Zierrat nichts Besonderes war. Unerwarteterweise beruhigte mich dies. Dann aber sagte ich mir, dass ja nicht jedes seltsame Gebäude ein Hort der Finsternis sein musste, wie etwa die stählerne Festung des Schut, die über dem Wasserfall des Halbsterntals geschwebt hatte, im Land der Skipetaren, auf dem fernen Balkan.
Dies hier war nur die Behausung eines wohlhabenden Kaufmanns, der sich und seiner Handelsware ein Denkmal setzen wollte. Und man musste zugeben, dass dies gut gelungen war: Das prächtige, geradezu kunstvolle Haus, wie es sattbraun schimmernd vor dem Hintergrund der grün bewaldeten Berghänge stand, darüber die grauen Gipfel vor dem blauen Himmel, und der Zab rauschte wie ein Gebirgsbach dahinter. Ich war nachgerade froh, dass sich unter dem Giebel des Dachs kein Fenster oder auch nur eine Luke zeigte, denn sonst hätte ich wohl erwartet, dass sich dort ein riesenhafter Holzvogel gezeigt und uns die Stunde gepfiffen hätte. Nun, dies war meine seltsame Eingebung. All meiner üblichen Nüchternheit des Weltreisenden und Schriftstellers zum Trotz erfassen mich manchmal diese phantastischen Anwandlungen, die, so muss ich entschuldigend anfügen, doch meist nur von den Schrulligkeiten und kauzigen Ideen anderer hervorgerufen werden. Und dass gerade Menschen, die zu Wohlstand gekommen sind, diesem auf sehr merkwürdige Weise Ausdruck geben und dies nicht immer mit gutem oder zumindest schlichtem Geschmack einhergeht, ist nur allzu bekannt. Aber ich will nicht als Kritiker daherkommen. Wer weiß, was ich mir für ein hübsches Heim erbauen werde, wenn ich mich dereinst zur Ruhe setze und statt zu reisen und zu schreiben, vielleicht nur noch schreibe, an eben jenem Ort. Doch das dürfte wohl noch einige Zeit in der Ferne liegen.
Nun aber standen wir vor dem Gallapfelhaus und wollten uns weiter nähern, als die Tür sich erst langsam bewegte, dann nach innen schlug und ein hellbraunes Geschöpf aus dem dunkelbraunen Eingang hetzte. Unsere Pferde schnaubten kurz und traten einen Schritt zurück, auch wir Menschen reagierten für einen Lidschlag so, als würden wir angegriffen, doch dann erkannten wir, dass es nur ein Hund war, und ein freundlicher noch dazu, denn er verbellte uns nicht, sondern trat schwanzwedelnd von einer Pfote auf die andere. Und dabei schaute er mich an.
Als ich ihn wiederum musterte, fiel mir auf, dass es sich um einen recht jungen Windhund handelte, welcher der Rasse der Slogi entstammen mochte, jenen seltenen und kostbaren Tieren, die von den Kurden Tazi genannt werden. Dieser hier mochte aber nicht ganz reinrassig sein, denn die Tazi besitzen ein gelbgraues Fell, während dieser junge Rüde, wie schon erwähnt, von hellbraunem Haar bedeckt war. Zudem wirkte seine Schnauze nicht ganz so edel geschnitten, sondern war etwas kurz, doch nicht stumpf, und die Ohren standen lustig spielend vom Scheitel empor. Ich hätte ihn bei flüchtigem Blick auch für einen deutschen Schäferhund halten können. Aber dies war wohl nur eine Nachwirkung meiner vorigen Vision, die ebenfalls meine Heimat betraf. Vielleicht war es an der Zeit, dass ich wieder einmal für länger dorthin zurückkehrte. Aber ebenso wie ich nicht zurückblicken wollte, wollte ich auch noch nicht in die fernere Zukunft schauen. Zunächst hatten wir eine Aufgabe für die kommenden Tage.
„Das ist wohl der Hund des Hauses“, meinte ich also. „Er hat uns somit angekündigt, der Hausherr dürfte sogleich folgen.“ Ich schaute zum Eingang, während der Hund auf den Hinterbeinen saß und mich anhechelte.
„Sihdi“, rief Halef, „ist dir aufgefallen, was das für ein Hund ist?“
„Ein Tazi“, meinte ich beiläufig, „wenngleich wohl nur zum Teil.“
„Und an wen erinnert er dich?“
„An einen Schä … an einen Slogi, wie diese Tiere auch genannt werden.“
„Du hattest einmal einen solchen Hund, Sihdi!“, sagte Halef mit Nachdruck, fast ein wenig empört. Und dann dämmerte es mir.
Gewiss! Der treue Dojan, den mir damals bei unseren ersten Abenteuern in Kurdistan der Älteste des Dorfes Spandareh geschenkt hatte. Der Hund hatte seinem Namen gemäß, der ‚Falke‘ bedeutete, mir und den Meinen als tapferer tierischer Gefährte gedient, bis er von ruchlosen Räubern erschossen wurde. Es mochte sein, dass ich dieses schmerzliche Ereignis ein wenig verdrängt hatte und mich deshalb nicht sogleich erinnern konnte, nur allein durch den Anblick eines Tazi in Lizan.
„Gewiss“, nickte ich zu Halef hin. „Aber der gute Dojan war nicht so ein drolliger Streuner wie jener hier, sondern ein edler Windhund.“
„Ihn selbst scheint es nicht zu kümmern, dass du nicht sein richtiger Herr bist, sondern ein fremder Effendi“, bemerkte Halef.
„Wahrscheinlich riecht er die Walnüsse …“
„Keine Ausreden! Ich glaube, dass dich da jemand erkennt!“
„O bitte, Halef! Du bist doch kein Hindu, der an Wiedergeburt glaubt. Noch dazu bei einem Hund!“
„Ich weiß nicht, wie diese Wiedergeburt abläuft und was sie genau bedeutet, aber vielleicht liegt es nicht nur an dem, der wiedererkennt, sondern auch an dem, der wiedererkannt wird!“
„Halef, jetzt klingst du nicht hinduistisch, sondern sophistisch. Wende die Tatsachen nicht um und um, und lass den Hund einen Hund sein. Und so ein wiedererkennbarer Mensch bin ich nun auch wieder nicht!“
„Kara Ben Nemsi Effendi!“, rief es da aus der Tür des Gallapfelhauses und heraus trat, nein eilte, ein wahrhafter Gallapfelmann!
Da er mich erkannt und beim Namen gerufen hatte, musste es wohl der Gallapfelhändler sein, auch wenn er völlig anders aussah als zu jener Zeit in Ahmadija, als ich seine Tochter Schakara vor dem Gifttod gerettet hatte. Damals hatte er türkische Tracht getragen, Ähnliches trug er auch noch heute, aber das Aussehen war fern jeglicher Tradition. Am Kopf schon fing es an: Der Turban war so akkurat gewunden, dass er eine äußerst kugelige Form besaß und auch farblich an einen gelbgrünen Gallapfel erinnerte. Eine Schmucknadel prangte über der Stirn, und auch diese Nadel hatte erwartungsgemäß eine passende Form. Es war das emaillierte Abbild dreier Eichenblätter, auf denen je eine Kugelgalle saß. All diese Motivik setzte sich auf der restlichen Kleidung fort: Eichenblätter und Galläpfel, allüberall in gelbgrünem und braunem Garn gestickt, auf den braunen und gelbgrünen Stoffen, aus denen Hemd und Hose und Weste und Tuchgürtel bestanden. Auf den Pantoffelspitzen saßen ebenfalls kleine Gallapfelbommeln, die Knöpfe am Gewand waren Gallapfelkugeln.
Immerhin war das Gesicht des Mannes weder gelbgrün, noch waren es seine Augen; und seine Nase war erfreulicherweise auch kein Gallapfel. Die Wangen waren stattdessen von gesundem Rot, die Augen von wachem Braun.
All dies konnte ich mit Mühe in dem Heranstürmen des Mannes erkennen, bis er überschwänglich meine Finger ergriff, sie abwechselnd küsste und an seine Stirn drückte, dass mir die lange Stirnlocke unter dem Turbanrand den Handrücken kitzelte.
„Effendi! Hekim! Emir!“, tönte der Mann, als er einen Schritt zurücktrat und mich anstrahlte. „Wie schön, dass du wieder hier bist, bei deinem ewig dankbaren Diener, dessen Tochter du gerettet hast.“
Es war damals so gewesen, dass er mich zunächst für einen Hekim, also Arzt, gehalten hatte, dann aber meinte, mir den Titel eines Emirs verleihen zu müssen, da ich so weise und uneigennützig, das heißt, nutzbringend und ohne Bezahlung mein bescheidenes medizinisches Wissen angewendet hatte, welches doch nur darin bestand, dem Töchterchen mit der Tollkirschenvergiftung ein Brechmittel aus Kaffee und Zitronensaft zu verabreichen und sie mit Salmiakgeist vor einer gefährlichen Ohnmacht zu bewahren.
„Oh, das war doch selbstverständlich und ist kaum des Dankes wert, noch dazu nach so langer Zeit, mein ehrenwerter …“
Ich stutzte, da ich mich noch immer nicht des Namens des Mannes entsann.
„Hosta Mazu!“, rief er und warf sich in die Brust.
Das war nicht sein Name gewesen, dessen war ich mir sicher, denn ich hätte es mir gewiss gemerkt, wenn er sich damals als ‚Meister Gallapfel‘ vorgestellt hätte. Aber schon sprach er stolz weiter: „Im ganzen Zweistromland berühmt und von Istanbul bis Teheran geschätzt bin ich wegen Mazi Dschallii!“
Ich wusste nun nicht, ob er damit nur große, dicke, prachtvolle Galläpfel meinte, oder ob dies der Name seines Geschäfts war, so wie er sich selbst zum Meister aller Gallen ernannt hatte.
„Und wohl zu recht, wenn ich von den Früchten Eures Profits schließen darf.“ Ich wies auf seine Kleidung und sein Haus.
„Wundervoll, nicht wahr? Alles dank der Eichen und der Wespen.“
Es war interessant, dass er so generös war, seinen Reichtum jenen kleinen Insekten zuzuschreiben, die durch ihre Stiche, Eier und Larven überhaupt erst die knolligen Auswüchse auf den Blättern der Eichen hervorriefen, aus welchen man jene Gallussäure gewann, die für die Herstellung von, wie der Name schon sagte, Eisengallustinte und anderen Farbstoffen wichtig war, für Teppichgarne, Papiere und dergleichen.
„Dann ist dieses Haus wohl nicht allein mit Gallengeld gebaut, sondern auch aus Eichenholz?“
Meister Gallapfel verlor für einen Herzschlag seine rosigen Wangen, doch dann kehrte die Farbe umso kräftiger zurück.
„Aber Emir! Wie könnte ich für mein bescheidenes Heim die wertvollen Eichen fällen?“
„Walnuss dann?“, mutmaßte ich, weil die Wälder ringsum auch von dieser Art Baum reiche Bestände besaßen.
Hosta Mazu wackelte mit dem Kopf. „Nun ja. Ich wollte die Konkurrenz nicht schädigen. Die sollen mit den Nüsslein doch ihr Leben bestreiten. Aber wer will schon alle Tage Huhn auf Tscherkessenart oder Fisch mit syrischer Soße essen? Meine Mazi werden zu Tinte und Farbe und dienen dann zur Erstellung edler Koranseiten, schöner Teppiche, feiner Malereien – und die ein oder andere Arznei wird auch daraus bereitet. Was sind also ein paar Nüsse gegen meine Mazu?“
„Zweifellos, zweifellos.“ Was sollte ich anderes entgegnen?
„Und du, Emir? Was führt dich hierher? Bist du etwa unter die Händler gegangen, oder darf ich mich geschmeichelt fühlen, dass du den ewig dankbaren Vater seiner Tochter besuchen magst?“
„Das Letztere ist genau mein Anliegen, guter Mann!“
„Dann kommt herein und lasst mich ein geehrter Gastgeber sein! Meine Knechte kümmern sich nur allzu gern um eure Pferde.“ Er brüllte ein paar Befehle zur der Seite des Hauses hin, hinter der sich die Ställe und Lagerräume befanden. Eilfertig kamen zwei junge Burschen und ein älterer Mann herbei. Ich hatte schon befürchtet, dass Haschim auch dieses Mal das gastfreie Haus nicht betreten wolle, aber er begann bereits, seine wertvolleren Habseligkeiten an sich zu nehmen, um den Rest den Knechten zur Aufbewahrung und Bewachung zu überlassen. Auch ich schulterte meine beiden Gewehre, nachdem ich den Hosta Mazu um Erlaubnis gefragt hatte, sein Haus mit Waffen zu betreten.
„Aber gewiss, gewiss“, sagte er. „Gewehre sind gut, damit sichere ich meine Warentransporte und mein Heim! Ich habe mir eine schöne Sammlung zugelegt und übe mich in der Kunst des Schießens.“
Ich erinnerte mich daran, dass ich vor zwei Jahren meine eigenen Schießkünste vor einigen Männern Nedschir-Beys hatte beweisen müssen, indem ich Galläpfel von Eichenblättern herunterschoss. Das erwähnte ich gegenüber dem Hosta Mazu wohl besser nicht, wer wusste, ob er mir dies nicht als Frevel an seinem Handelsgut auslegte. So herzlich und wohlwollend er auch auftrat, erschien mir dieser Mann doch ein wenig zweifelhaft. Ich wusste nicht, warum, doch mein Gefühl gegenüber Menschen hatte mich bislang selten getrogen – außer es war Zauberei im Spiel gewesen. Wie gut also, dass Haschim nun neben mir sitzen würde. Denn ich glaubte, auf Halef nicht recht zählen zu können, wenn wir uns erst im Gallapfelhaus befänden.
Und ich behielt Recht. Wobei ich zugeben muss, dass auch ich mich durchaus dem Staunen hätte hingeben können. Aber ich bin Reiseschriftsteller und kein Händler, der Maulaffen feil hält. Ich beschaute die kuriose Behausung, in die uns der Hosta Mazu hineinkomplimentiert hatte. Drinnen war es dämmrig wie in einem Eichenwald, denn vor den Fenstern hingen dicht an dicht Schnurvorhänge, wie man sie aus heißen Ländern kennt und die dazu dienen, die Fliegen draußen zu halten, während die frische Luft einströmt. Hier trugen die Schnüre natürlich keine Perlen, sondern Galläpfel, zierlich aus Holz geschnitzt und bemalt. Rechts und links der Fenster wiederum gab es Vorhänge von aufgefädelten Eichenblättern, die wohl aus grünem Filz geschnitten waren und gleichermaßen das einfallende Licht streuten und ihre Schatten warfen. Diese Schatten verwirrten den Blick noch weiter, da sie auf Wände und Balken fielen, die mit den bereits von der Fassade bekannten Mustern verziert waren. Die Schränke und Truhen und Kommoden, oder eben ihre orientalischen Varianten, waren nicht weniger von Schnitzwerk überladen, und auf allen Teppichen und Kissen und Polstern zeigten sich gestickte und gewirkte Galläpfel und Eichenblätter. Und von einem der Deckenbalken hing an zierlichen Kettchen ein breiter Leuchter mit ausladenden Armen, der aussah, als habe man aus der Krone eines recht kleinen, aber ungewöhnlich akkurat gewachsenen Eichenbaums ein Quersegment getrennt. Allerdings war es wohl ein sonderbarer Baum gewesen, denn die Blätter schimmerten wie Metall und die Galläpfel wie Glas.
„Und wenn die Lichter entzündet sind, sieht es noch viel prächtiger aus“, sagte der Hosta Mazu, als er unsere staunenden Blicke bemerkte, die er zweifellos erwartet hatte. Dann komplimentierte er uns auf die Kissen und klatschte zwei Bedienstete herbei, die uns Tee brachten und einige Schalen mit Gebäck: Letzteres in Blatt- und Kugelformen. Der Tee immerhin schmeckte weder nach Galle noch Eichenblatt, was selbstverständlicher erscheint, als es meiner Ansicht nach war, denn es geht ja die Sage, dass etwa die alten Hellenen ein Gebräu aus gerösteten Eicheln oder Erbsen tranken, da sie den Kaffee noch nicht kannten. Es mochte dies aber auch der Scherz eines Historikers gewesen sein. Dennoch wechselte ich über mein Teeglas hinweg Blicke mit Haschim und Halef. Es war doch gut, dass wir aus einem ernsten Anliegen heraus in diesem Haus waren, sonst hätten wir uns in unangemessener Heiterkeit ergangen. Der Hund schlich um uns herum und wollte allzu gern einen Happen erbetteln, doch der Gastgeber war streng. Halef gelang es dennoch, dem Tier etwas zuzustecken, indem er es unauffällig fallen ließ. Nach einigen höflichen Schlucken Tees und dem Verkosten des Gebäcks, welches nach Mandeln und allerlei Nüssen schmeckte, nur eben nicht nach Walnuss, begann ich zu sprechen.
„Werter Hosta Mazu, ist denn auch dein Töchterlein zugegen, von dem ich natürlich hoffe, dass es ihr in den vergangenen Jahren ebenso wohlergangen ist wie ihrem Vater?“
„Gewiss, gewiss ist Schakara wohlauf. Und in den Monaten, nachdem du sie gerettet hast, Emir, hat sie oft von dir gesprochen und fand es sehr bedauerlich, dass sie dich wegen ihres damaligen Krankseins ja gar nicht recht gesehen oder gehört hatte. Deshalb warst du für sie stets der edle Emir, der ein noch besserer Hekim war als alle ringsum. Allerdings hat sie seitdem weder Kaffee noch Zitronen leiden mögen, und Maulbeeren rührt sie schon gar nicht mehr an. Aber sie liebt ebenso wie ich die Galläpfel, wenngleich aus etwas anderen Gründen.“
Ich erinnerte mich, dass die gefährliche Tollkirsche zusammen mit anderen durch eine unachtsame Person in die Schale mit den Maulbeeren geraten war, damals in Amadijah. Wie gut, dass ich dies bemerkt hatte, denn so war es mir möglich gewesen, weiteres Unheil zu verhindern und zugleich den Weg der Heilung zu erkennen, nämlich die magenleerende Mixtur aus Zitronensaft und Kaffeesud und einem Aufguss von Galläpfeln zu verabreichen.
„Nun“, meinte ich, „wie man so sagt, das gebrannte Kind scheut das Feuer. Und in diesem Fall mag es nicht das Schlechteste sein. Denn dieser Tee mundet wohl. Aber sagt, ist denn Schakara hier? Ich würde sie gern etwas fragen, das ihre Urgroßmutter betrifft.“
Der Hosta Mazu wackelte mit dem Kopf. „Ach ja, die Großmutter meiner seligen Frau. Hat dem lieben Mädchen so einige Grillen in den Kopf gesetzt.“ Er schaute mich streng an. „Marah Durimeh mag eine ehrenwerte Frau sein, und ich sage über Anverwandte nichts Schlechtes, zumal wenn sie das würdige Alter einer Greisin erreicht haben …“
Und noch darüber hinaus, dachte ich bei mir.
„… doch ich schätze es nicht, dass meine Schakara sich nicht bemüht, nach einem klugen und tüchtigen Ehemann zu suchen, der meine Geschäfte fortführen könnte, wenn ich einmal nicht mehr bin …“ Er deutete in der Luft herum, als wolle er auf jeden einzelnen Gallapfel zeigen. „… sondern stattdessen nach Wissen und Weisheit strebt. Wobei ich nicht weiß, ob sie ihrer Ahne nacheifern will oder dir, Emir, mit deinem weit gestreuten Wissen. Ich erlaube mir, deine Worte aufzugreifen: Wenn das gebrannte Kind ein anderes Feuer sucht, kann es auch dort drinnen verbrennen.“ Er stockte. „Oder wenn sie das Wasser sucht, welches das sie gefährdende Feuer gelöscht hat, dann kann sie darin ertrinken …“ Er wedelte mit den Händen, zeigte wieder auf die Galläpfel. „Was habe ich mit Worten zu schaffen, ich verstehe mich auf handfeste Dinge.“
„Dennoch wohl gesprochen!“, lobte ich. „Aber wo ist denn nun Schakara?“
„Das weiß ich nicht. Marah Durimeh hat sie mitgenommen.“