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Zweites Kapitel Die Teuta

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„Piraten im Schwarzen Meer?“, sagte ich ungläubig. Nicht, dass ich mich dem Glauben hingab, das Piratentum sei für alle Zeiten ausgemerzt, nur weil in den vergangenen Jahrzehnten die Freibeuterei der Karibik und das Korsarentum des Mittelmeers niedergegangen waren, bedingt durch die politischen Entwicklungen betreffend der Großmächte und ihrer Kolonialreiche, wie auch der technischen Neuerungen, etwa der windunabhängigen Dampfschiffe. Auch wusste ich, dass die südlichen Küsten am Persischen Golf von den Briten nicht von ungefähr Piratenküste genannt wurden, wegen der Überfälle auf Handelslinien, die Waren aus Indien nach Europa brachten, vom scheußlichen Sklavenhandel unmenschlicher Verbrecher ganz zu schweigen. Dass es nach einigen Verhandlungen zwischen dem Empire und den betreffenden Emiraten zu Vertragsunterzeichnungen gekommen war und offiziell Frieden und Einigkeit herrschen sollten, änderte nur wenig an den grausamen Tatsachen, denn Übeltäter scheren sich nicht um offizielle Dokumente. Ich wusste also sehr wohl, dass es türkische und arabische Piraten gab in den Gewässern des osmanischen Reichs. Und selbst hier, auf dem Schwarzen Meer, hatte es Kosaken zur See gegeben, welche von der Krim und der Mündung des Dnjepr aus Beutezüge unternahmen. Doch dies war vor zweieinhalb Jahrhunderten gewesen. Und so spukhaft die Szenerie auch sein mochte, mit dem finsteren Schiff und dem nächtlichen Sturm, so würde es sich wohl kaum um geisterhafte Piratengestalten handeln. So sehr ich den Dichter Wilhelm Hauff schätze, der in seiner Erzählung vom Gespensterschiff die Sage vom Fliegenden Holländer ins Morgenland verbracht hat – diese war nun einmal ein Märchen.

Hier aber hielten wahrhaftige Segel auf uns zu, und der Erste Offizier schien besorgt. Ich wollte ihn aber ernst nehmen: „Was haben Sie gesehen?“, fragte ich, wobei ich nicht davon ausging, dass er mir nun von einer Flagge mit Totenschädel und gekreuzten Knochen berichten würde. Damit wären wir bei den übertriebenen Abenteuergeschichten, welche vor allem im angelsächsischen Sprachraum in billigster Heftung an der Hintertreppe vertrieben werden, als sensationelle Lektüre für schlichtere Gemüter. Letztere sind gute Menschen, die eben ihren eigenen Geschmack haben; jene, die aber solcherlei Schund verfassen, empfinde ich als Schande innerhalb der schreibenden Zunft. Wie gut, dass ich selbst nur von meinen Reisen und Erlebnissen berichte und mich nicht dem Flunkern und Fabulieren ergeben muss.

„Es ist die Teuta“, sagte Bossoi und hob erneut das Fernrohr ans Auge, wie um sich zu vergewissern.

Das gab mir Zeit zum verwunderten Nachsinnen. Ich war mit meinen Gefährten ja vom Balkan hergekommen, wo wir den Schut besiegt und sein Reich zerstört hatten. In diesem Land der Skipetaren, weit im Westen an der Küste des Adriatischen Meeres, in Albanien und Dalmatien, hatte in der Antike der Volksstamm der Illyrer geherrscht, und deren Name ging auf jene Gebiete über, bis in die heutige Zeit. Ich will nicht über Ländergrenzen und Gebietsansprüche referieren, über Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich. Der Name Teuta wies auf viel frühere Zeiten hin, denn so hieß eine Königin der Illyrer, im dritten Jahrhundert vor der Zeitrechnung, zwischen den Punischen Kriegen, als Gnaeus Flavius Konsul war. Dieser bekämpfte Teuta in den sogenannten illyrischen Kriegen, die begonnen wurden, weil die kriegerische Dame einige nahe griechische Städte in Überfällen verheert hatte, die nichts anderes waren als – Piratenangriffe. Wenn sich also eine heutige Piratin Teuta nannte, so lag diese Namenswahl nicht allzu fern – obgleich das Schwarze Meer doch einiges von der illyrischen Adria entfernt war, so wie unsere heutige Zeit von der Ära der Römer. Dennoch wollte ich dies nicht so recht glauben. Man mag es mir nachsehen und mich nicht der männlichen Überheblichkeit zeihen, als ich Bossoi fragte:

„Meinen Sie den Namen des Schiffs?“

Der Erste Offizier blickte mich scharf an. „Sie mögen verzeihen, aber dies kann nur ein Mann sagen, der ausschließlich die Landwege dieser Breiten, aber nicht die Seewege kennt. Sonst würde auch Sie der Name Teuta mit Respekt erfüllen, wenn nicht gar Ehrfurcht.“

„Aber wenn sie doch eine Piratin ist, warum spielt die Ehre in die Furcht? Verbrecher sind ohne Ehre, und diese sollte ihnen nicht zugesprochen werden.“

„Teuta ist die letzte Piratin. Oder die erste …“

„Warum dies?“

„Weil sie von ihrem Gemahl das Schiff und die Mannschaft und die Profession ererbte. Sie ist Witwe. Und ihre Seele ist so schwarz wie ihr Schiff.“

„Es gab in China, in den fernöstlichen Gewässern einst eine Witwe Cheng, welche …“

„Teuta ist die letzte Piratin, weil sie sich nicht dem Schicksal ergeben hat, welches die Dampfkraft über die Segler gebracht hat. Ihr Schiff behauptet sich weiter in jedem Manöver. Weil Teuta mit dem Teufel im Bunde ist.“

Ich seufzte. In dieser Erzählung steckte doch wieder nur allzu viel Seemannsgarn, das zudem auf übliche Art gesponnen war. Irgendjemand hatte wohl von der chinesischen Piratenwitwe Cheng reden hören. Diese war mit ihrer ererbten Piratenflotte tatsächlich eine Bedrohung im Reich der Mitte gewesen, aber dies hatte sich zu Beginn des Jahrhunderts ereignet – und auch die Witwe hatte den Niedergang der Piraterie nicht aufhalten können, und seit fünfzig Jahren war auch im Gelben Meer dieser Spuk vorüber. Nun, und dieser Spuk des Schwarzen Meeres und der Adriatischen See? Ich konnte nicht umhin, kopfschüttelnd zu lächeln. Da hatte man dem Fliegenden Holländer wohl nur einen Rock um die Hüften gewunden, ansonsten aber Teufelsbund und Fluch und Zauberschiff beibehalten, alles was es für eine abergläubische Klabauterei nach Seemannsgeschmack benötigte.

Ich wollte Bossoi aber nicht verhöhnen und fragte interessiert: „Woran haben Sie das Schiff der Teuta erkannt?“

„Am goldenen Ziegenkopf unter dem Galion.“

Jetzt begriff ich: das Symbol der Illyrer. Dies war mir im Land der Skipetaren begegnet, es schmückte die Helme der Fürsten Skanderbeg und Dukagjini, zumindest deren sterblicher Überreste. Und die Hexe Qendressa hatte uns mit einem ziegenförmigen Schmuckstück eine Botschaft übersandt. Es lag also nahe, dass sich eine illyrische Piratin mit diesem Signet ausgestattet hatte, oder wer auch immer jenes Schiff führte und sich mit Schauermärchen schmückte oder mit dergleichen belegt wurde. Und nun erinnerte ich mich an die launige Bemerkung jenes österreichischen Beamten in Dalmatien, dass von einer Piratin gemunkelt werde, die vom leibhaftigen Bocksbeinigen begleitet werde. Ja, und selbst mein guter Freund Sir David hatte von einer Schiffsbegegnung erzählt, die er und seine Mannschaft auf der Fahrt von Malta zum Balkan, kurz vor der albanischen Küste gehabt hatten. Ein Schiff mit rötlichen Segeln und einer gehörnten Figur am Vordersteven. Und es hieß, man habe ein Meckern vernommen …

Ich schaute Halef an, der in meiner Unterhaltung mit Bossoi das Wort Pirat zweifellos hatte ausmachen können und der von uns zu dem nahenden Schiff und wieder zurück blickte.

„Halef“, sprach ich ihn an, „was hattest du über jenes Geräusch gesagt …“

In diesem Augenblick heulte der ferne Sturm auf und schien wie eine Windsbraut heranzufegen. Die Wolken quollen in gewaltig sich türmenden Wänden auf uns zu, ihre erzdunkle Schwärze durchgrellt von silberhellen Adern aus Himmelsfeuer. Und der Gewitterfront voran rauschte das Schiff mit den glühenden Segeln und dem goldenen Blitzen am Bug.

„Sie halten auf uns zu“, bemerkte Bossoi. Dies war augenscheinlich, wie ich befand. Seine weitere Einschätzung erstaunte mich jedoch: „Sie wollen entern.“

„Im Sturm?“, fragte ich und setzte nach: „In der Nacht?“

„Das ist die Teuta“, gab Bossoi zurück, als wäre dies hinreichende Antwort, als müsse mir dies alles sagen. Er presste die Lippen aufeinander und schob vehement das Fernrohr erst ineinander, dann in das Etui am Gürtel. Er blickte mich eindringlich an. „Verlassen Sie das Deck. Ich gebe Alarm.“

Letzteres war seine Entscheidung, Ersteres sah ich nur als Empfehlung, der ich nicht folgen musste. Bossoi stieß sich von der Reling ab und lief zum Ruderhaus, wobei er jedes Schwanken des Decks geschickt und erfahren mit seinen eigenen Bewegungen ausglich. Ich blieb neben Halef stehen und blickte dem Schiff entgegen, das vor dem Sturm heranflog.

„Es ist nicht möglich, ein Schiff bei Sturm aufzubringen“, sagte ich. „Dieses Manöver ist nur ein Schreckensakt, um die abergläubischen Seeleute zu verunsichern.“

„Aber Sihdi“, meinte Halef, „warum all das, wenn doch nur wir und die Nachtwache es sehen können?“

„Wie du bemerkt hast, eilt der eifrige Offizier zum Kapitän und scheucht die Besatzung aus den Kojen. Ein schöner Aufruhr und ausreichend Publikum für das Schauspiel.“ Ich musterte den Kurs des schwarzen Seglers. „Es wird kaum möglich sein, dass sie längsseits gehen, wie es für ein Entermanöver nötig ist. Bei diesem Wind können sie gar nicht mehr beidrehen.“ Ich erläuterte Halef mit den Händen, was ich meinte. „Sie werden wohl hinter unserem Heck vorbeifahren.“

„Und wenn sie das nicht schaffen und uns rammen? Oder rammen wollen?“

Halef umklammerte mit beiden Händen die Reling, als bereite er sich auf einen Aufprall vor.

„Das wäre auch für sie äußerst gefährlich. Schließlich ist es ein recht moderner Segler und kein antikes Kriegsschiff mit einem Rammsporn. Das ist ein …“

„Ein großes Ding aus Metall, das vorn am Schiff aus dem Wasser ragt?“

„Ja, richtig.“ Mein kluger Halef ist von rascher Auffassungsgabe.

„Dann hat das Schiff einen Rammsporn“, rief Halef und getraute sich, eine Hand von der Reling zu lösen und fahrig nach vorn zu deuten. Ich folgte seinem Wink und sah tatsächlich, dass sich einiges unter der schimmernden Galionsfigur ein weiteres glänzendes Etwas zeigte, als es sich aus den Fluten vor dem Bug erhob, wann immer das Schiff durch die Wellen stampfte. Es mochte ein solider Balken sein, der in den Kiel eingefügt und mit Kupferblech beschlagen war und so, ähnlich wie die Bocksfigur am Steven, das Licht zurückwarf.

„Das ist nur Blendwerk“, sagte ich grimmig. „Um ein Schiff gezielt zu rammen, braucht es Ruderer, die auch rückwärtig sozusagen für Vortrieb sorgen könnten, damit …“

„Was immer du da meinst, Sihdi“, rief Halef, „es scheint die da drüben nicht zu kümmern!“

Tatsächlich hielt das finstere Gefährt weiter auf uns zu, und wie ich verwundert bemerkte, auf einem Kurs, der exakt senkrecht zu dem unseren angelegt war, dwars oder querab, wie es in der Seefahrt heißt. Doch wir bewegten uns ja ebenfalls, und so hätte ich doch eine Schrägstellung des Rumpfes bei unserem Gegenüber bemerken sollen – denn dieser würde uns doch folgen müssen und hätte niemals andauernd auf unsere Mitte zielen können! Ich konnte jedoch stets von vorn auf den Bug blicken, und der Bockskopf schien mich ebenfalls anzustarren. Das war unmöglich! Ich spürte ein Ziehen in meinem Nacken, als mich diese Erkenntnis überfiel, und für einen Augenblick schien mir, als würde die abergläubische Saat des Seemannsgarns in mir aufgehen, in diesem Klima, das für Schauergeschichten so gedeihlich ist: Mitternacht und Sturmesbrausen.

Dann aber presste ich die Zähne aufeinander und ballte die Fäuste an der Reling. Ich spähte angestrengt zu den Aufbauten hinüber, ob ich nicht doch den Schlot einer verborgenen Dampfkesselbefeuerung erkennen könnte. Ich bin wahrlich kein Ingenieur der Marine, aber vermochte man ein solches Manöver, wie ich es hier beobachtete, vielleicht dadurch zu erreichen, dass es eine seitliche Schiffsschraube gab? Gewiss war dies zweifach absurd: Wer würde solch ein altes Segelschiff mit derartiger Technik ausstatten – und zudem, welchem Kopf entspränge eine solche Idee, wenn nicht einem Romanschriftsteller, der Fabeln über phantastische Fahrten erdachte, wie etwa der Franzose, der den deutschen Lesern als Julius Verne bekannt ist?

Bevor ich aber noch weiter darüber nachsinnen konnte, hörte ich hinter uns das Poltern schwerer Seestiefel. Die russischen Matrosen kamen heran, mit Gewehren und Beilen in den Händen, auch Stangen mit Haken an der Spitze. Das war wohl das Gegenkommando für den befürchteten Enterversuch, und Bossoi befehligte sie, diesmal nicht mit einem säbelähnlichen Teleskop in der Hand, sondern einem tatsächlichen Säbel, der möglicherweise schon bei Borodino gegen Napoleon geschwungen worden war, dann aber gewiss von Bossois Großvater. Der Marinerevolver, den er trug, war jedoch neu. Am Schwung des Hammers erkannte ich, dass es sich um die Kopie eines amerikanischen Modells aus der russischen Waffenfabrik in Tula handelte, eine Stadt, die auch für ihre vorzüglichen Samoware und köstlichen pryaniki, also Lebkuchen, bekannt ist. Den amerikanischen Waffenschmieden wäre es wohl lieber, wenn sich die Russen auf diese beiden Dinge beschränkten und nicht Revolver nach fremdem Vorbild bauten. Nun, sollte es wirklich zum Kampf kommen, war es mir einerlei, woher die Waffe des Offiziers stammte, wenn er nur geschickt damit umgehen könnte. Und jetzt fiel mir auf, dass ich selbst unbewaffnet war. Diesen Umstand mag man mir nachsehen, denn ich trage weder Revolver noch Henrystutzen, schon gar nicht den Bärentöter bei mir, wenn ich auf einer Schiffspassage übers Schwarze Meer kurz zum mitternächtlichen Luftschnappen das Deck betrete.

Bossoi schaute zu mir herüber und deutete mit dem Kolben seines Revolvers erst auf mich und dann auf seinen Gürtel. In dessen Halfter steckte eine zweite Waffe.

„Darf ich anbieten, Sie zu bewaffnen, Gaspadin Nemets? Ein vorzügliches Modell, russische Erfindung. Besser als ‚Kalt‘ oder ‚Smissenwessen‘.“

Ich fragte mich, ob er scherzte und sich absichtlich dieses schweren Akzents bediente.

„Danke, nein“, gab ich zurück. „Ich habe ausreichend Feuerwaffen in meiner Kajüte.“

„Aber nicht hier, wo Sie sie brauchen!“

„Warten wir ab.“ Ich wollte die Entscheidungen des Offiziers nicht in Frage stellen, aber ich glaubte noch immer nicht an einen Angriff.

„Wie Sie meinen“, rief Bossoi über ein Aufheulen des Windes, und als er sich abwandte, um angespannt über die Reling zu spähen, sah ich, wie er etwas gewiss Despektierliches murmelte. Das störte mich nun, obwohl ich es dem Mann nicht verdenken konnte. Ich seufzte und wandte mich an Halef.

„Bist du so gut und gehst ausnahmsweise alten Dienerspflichten nach? Oder eher noch denen eines Schildknappen oder Waffenmeisters …“

Halef legte den Kopf schief. „Ich soll unsere Gewehre holen, Sihdi?“

„Die Revolver sollten reichen“, meinte ich. Dies war keine fahrlässige Verkennung der möglichen Gefahrensituation, sondern hatte auch andere Gründe. Halef schaute an mir vorüber, zu den Aufbauten unseres Schiffes hin.

„Das kann ich nicht, Sihdi.“

„Aber …“

Halef deutete über meine Schulter und ich wandte mich um. Vor dem Deckshaus stand Scheik Haschim mit finsterer Miene, doch wachen Augen. Seine helle Kleidung schien unter dem dunklen Umhang hervor, als sich die Ölhaut im Wind blähte. Und so sah ich auch, dass über Haschims eigenem Waffengurt, an dem er Säbel, Dolch und Revolver trug, locker mein eigener Gürtel um seine Hüften lag, mit meinem eigenen Revolver und dem Bowiemesser. In den Händen trug Haschim meinen Henrystutzen und Halefs Büchse, samt gefülltem Patronengurt.

Stumm trat Haschim an uns heran, reichte uns die Gewehre, und als er meinen Gürtel ablegte und ihn mir übergab, sagte er:

„Ich habe eine Präsenz gespürt, Kara Ben Nemsi. Und sie verheißt Unheil.“

Ich legte mir den Gurt mit Messer und Revolver um, den Henrystutzen hatte ich mir am Riemen über die Schulter gehängt. An seinem Gewicht spürte ich, dass er vollständig geladen war. Es ist meine Gewohnheit, die Waffe nicht nur regelmäßig, vor allem nach Gebrauch, zu reinigen und zu prüfen, auf dass sie stets tadellos ihren Dienst verrichten kann. Sondern ich wechsle auch immer die Patronen, wenn sie längere Zeit im Röhrenmagazin verharrt haben, sowohl in ihrer Position, als auch gegen neue. Der Henrystutzen ist eine verlässliche und robuste Waffe, die aber ihre Eigenheiten hat. Diese kenne nur ich, und so ist dies neben der speziellen Funktionsweise jenes Gewehrs eine weitere Sicherungsmaßnahme gegen fremden Gebrauch. Ich hatte die Passage auf dem Schwarzmeerdampfer für eine grundlegende Wartung des Stutzens genutzt, und so wusste ich, dass er an diesem Abend zur Hälfte auseinandergenommen auf meiner Koje gelegen hatte. Und als ich an Deck gegangen war, hatte ich die Kabinentür verriegelt.

Ich wechselte einen Blick mit Haschim, in dem kein Vorwurf lag, sondern nur Verwunderung, vielleicht auch ein wenig Bewunderung, vor allem aber Respekt. Der Scheik ließ seine Mundwinkel nur kurz zucken, das weise Lächeln, welches sonst bei solchen Gelegenheiten um seine Lippen spielte, zeigte er nicht. Dies ließ mich begreifen, wie ernst die Lage sein mochte. Und dieser militärische Begriff, der mir in den Sinn kam, erinnerte mich daran, dass wir uns noch immer im Krieg mit dem finsteren Magier Al-Kadir befanden, selbst wenn er nicht mehr auf dieser Erde weilte, sondern im Geisterreich darauf harrte, Rache an uns zu nehmen und uns zu vernichten.

Und in eben dem Moment, in dem Haschim von einer Präsenz sprach, die er gespürt zu haben glaubte, empfand ich ebenfalls etwas. Es war jenes leichte Brennen in meinem Innern, das sich bemerkbar machte, seit ich Al-Kadir in dessen roter Festung im Duell mit dem magischen Schachspiel besiegt hatte, wodurch mir ein Preis der Macht zugestanden worden war, den ich jedoch abgelehnt hatte. Doch trotz meines Kampfs dagegen und meines Widerwillens war laut Haschim ein Teil dieser Kraft in mir verblieben. Und diese befähigte mich, Magie und Zauberei zu verspüren, wann immer ich ihr begegnete. Allerdings war es nun so, dass meine Zweifel an dergleichen Dingen und mein nüchterner Verstand sich oftmals dagegenstellten, ich es schlicht nicht wahrhaben wollte, selbst wenn ich es mit eigenen Augen sah. Aber wie ein weiser Mann einmal gesagt hatte, er mochte Wissenschaftler gewesen sein, doch kein Mystiker: Deine Augen können dich täuschen, traue ihnen nicht. – Solange es also keine Thermometer oder Barometer oder Kompassnadeln gab, die eindeutig auf unwiderlegbare Kräfte der Natur oder eben der Übernatur hinwiesen, blieb ich doch skeptisch. Auch und gerade, weil ich durchaus über ein Instrument verfügte, um damit die, wie es hieß, wahre Natur der Dinge zu schauen, namentlich den Musaddas. Dieser goldene Sechseckring aus dem Besitz Al-Kadirs, hatte bei meinem jüngsten Abenteuer zwar durch Halefs Hand seine Form verloren, besaß diese aber nun wieder, dank der Kunst von Schimin dem Schmied – und ein wenig Anleitung von Seiten Haschims. Aber nun, um den Ring zu nutzen, musste man hindurchblicken, mit den so leicht zu täuschenden Augen. Ich trug den Ring in meiner Westentasche, mittlerweile eher aus Gewohnheit als aus dem Grund, ihn rasch bei der Hand zu haben. Aber auch nach Haschims Worten beschloss ich, den Musaddas nicht zu nutzen, um etwa durch seinen goldenen Kreis hindurch auf das sich so seltsam annähernde Schiff zu blicken. Um – ja, was zu sehen? Ich vertraute Haschim, er war ein kluger und ehrlicher Mann, und so wollte ich ihn sich erklären lassen. Zudem hatte ich keine Hand frei für das goldene Spekulum, jetzt wo ich den Henrystutzen von der Schulter nahm. Sollten uns tatsächlich Piraten attackieren, wäre er wohl nützlicher als ein Ringlein, um dadurch – um es der Situation angemessen hanseatisch auszudrücken – Spöken zu kieken.

Ich lud den Stutzen durch. Neben mir repetierte Halef den Bolzen seiner Büchse. Die Revolver würden erst später nötig sein, wenn es zum näheren Kampf käme. Und schließlich müssten die Klingen herhalten.

„Ihr seid bereit zum Kampf“, sagte Haschim.

„Gewiss“, gab ich zurück. Es war offensichtlich.

„Nicht dieser Kampf, Kara Ben Nemsi.“

„Wie soll man Piraten anders begegnen? Oder einer Piratin, wenn man dem Ersten Offizier Glauben schenken mag.“

„Es ist die Teuta“, nickte Haschim.

Ich war kaum verwundert, dass der Scheik diesen Namen kannte. Als Kundiger der magischen Künste wusste er wohl auch um allerlei Sagen und Legenden und abergläubische Dinge, denn all das ging ja, zumindest nach meiner Vorstellung, nahtlos ineinander über und ließ die nötige Trennschärfe vermissen. Ich wusste nicht mehr, woher ich diesen Begriff kannte, vielleicht hatte ich in einem Buch über Optik davon gelesen, mir schien er recht passend. Aber ich war verwundert, dass Haschim jenes klabauterhafte Piratenweib so bezeichnete, als sei Teuta kein Name, sondern ein Titel, gerade wie Bossoi zuvor. Aber nun, Ähnliches war in der Geschichte oft genug vorgekommen: Der familiäre Beiname Caesar wurde zur römischen Würdenbezeichnung, und der Name des Kaisers Karl – man beachte wiederum den Titel – wurde im Slawischen zum Wort für König: kral. Mochte es also eine Namens-Teuta gegeben haben, so war es eben nun eine Titel-Teuta, die mit ihrem Schiff die Seeleute in Schrecken versetzte – oder beides, mir war es einerlei.

„Und wer ist diese nun? Piratin oder Popanz? Eine reale Bedrohung oder eine Spukgestalt?“

„Schaut selbst.“

Ich sandte meinen Blick wieder über die Reling hinaus, nachdem ich mich etliche Herzschläge lang nur Haschim zugewandt hatte. Und ich erschrak! In dieser kurzen Zeit war das schwarze Schiff so nahe gekommen, wie ich es selbst mit Sturmwind in den Segeln kaum für möglich gehalten hätte. Und noch immer ragte uns der Vordersteven mit dem Bockskopf entgegen, darunter der drohende Rammsporn. Was mich jedoch am meisten erstaunte, war der Anblick einer Gestalt, die auf der Wurzel des Bugspriets stand, sich mühelos gegen das Schwanken und Stampfen geradehielt, die Hand nur locker an das Tau des Vorstags gelegt.

Es war eine Frau – es war die Teuta!

Ich konnte die hageren Züge ihres Gesichts erkennen, die Haut von Gischt und Sonnenglut gestrafft und verhärtet. Falten zogen sich als tiefe Linien hindurch, kaum weniger zahlreich als Taue und Stage in der Takelage des Schiffs, doch die Augen blitzten so wach wie der Goldschädel am Galion. Die Teuta mochte das mittlere Alter überschritten haben, ich erkannte ihr langes, graues Haar, das unter einem straff um den Schädel gewundenen Tuch hervorkam und im Wind nach hinten schlug, in verfilzten Strähnen, die mich an die Haartracht von Sufis oder Derwischen erinnerten. Doch ein Vergleich mit jenen heiligen Männern verbot sich wohl. Auch die Kleider waren wie die eines Mannes; an Jacke, Weste, Hemd konnte ich nichts Weibliches entdecken, was immer dies auch heißen mochte, denn Stickerei und Zierrat sind Dinge, die den Männern aller Kulturen keineswegs fremd sind. Ich sah keine Waffen, weder in der freien Hand noch im breiten Gürtel, und auch aus dem Stiefel ragte weder Dolchgriff noch Revolverkolben. Ja – aus dem einen Stiefel! Denn die Teuta stand am Bug ihres Schiffes und schwankte nicht, obgleich aus der einen gekappten Hosenröhre kein menschliches Bein aus Fleisch und Blut ragte, sondern eines, das aus Holz oder Elfenbein geschnitzt sein mochte. Dies war nun kein verwunderlicher Anblick, denn auch ohne die legendenhafte Beschreibung von Freibeutern und Bukanieren zu bemühen, sind hölzerne Beine eine Gehhilfe für Versehrte aller Art, hätten sie ihre Glieder nun durch Krieg, Unfall, Krankheit oder Schicksal verloren.

Doch die Teuta trug ein künstliches Bein, das gestaltet war wie der Lauf eines Bocks, vom Schwung der Linien bis hin zur Ausformung von Hinterklaue und Huf. Wäre die Teuta ein Mann gewesen, hätte man glauben mögen, man würde den bocksbeinigen Leibhaftigen erblicken! Ich aber erkannte, dass sie hiermit wohl ihre illyrische Herkunft und das alte Herrschersymbol würdigen wollte, wenn auch auf seltsam erscheinende Weise.

Ich riss mich von dem eigentümlichen Anblick los, denn die Männer um mich herum begannen zu wanken und zu zaudern. Sie glaubten nicht mehr, ein Kapermanöver verhindern zu können, allein mit einigen Salven aus den Gewehren oder ihrer schlichten Anwesenheit, die Bereitschaft zeigte, ein jedes Prisenkommando zurückzuschlagen.

Denn das geisterhafte schwarze Schiff mit den blutig leuchtenden Segeln und seiner teuflischen Kapitänin zeigte keine Kursänderung. Die Piraten wollten nicht längsseits gehen, für jedes Beidrehen war es wohl zu spät, es blieb allein der Rammstoß aus voller Fahrt!

Der Bocksschädel blitzte auf, ebenso der Metallsporn, welcher sich aus der schimmernden Gischt der Bugwelle erhob, und wir alle sahen den stummen, harten Blick der Teuta. Diese drei Anblicke bannten uns, und wir mussten uns von der Reling, von unseren Positionen regelrecht losreißen, um zu den Seiten zu fliehen, damit wir nicht an jener Stelle verharrten, die in wenigen Herzschlägen vom Aufprall des Sporns und des diesen tragenden Schiffs zerfetzt und zerschmettert würde. Ich warf einen hastigen Blick zurück zum Deckshaus und zum Schlot der Maschine. Würde der Rammsporn lang genug sein, der Aufschlag heftig genug, dass der Kessel zerrissen, gar zersprengt würde? Es wäre unser aller Ende!

Die Berge der Rache

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