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5 DIE STEREOTYP-FALLE Das sehe ich doch auf den ersten Blick!
Oder: Warum stellen wir uns mit unserem Wissen selber ein Bein?
ОглавлениеWenn Sie schon mal im Flugzeug in der Businessclass geflogen sind, dann fällt es Ihnen leicht, sich die folgende Situation vorzustellen – aber es geht auch, wenn sie bisher wie viele nur Holzklasse fliegen durften: Versetzen Sie sich einfach gedanklich auf die besseren Plätze, denn Sie gehören jetzt zu dieser schon etwas hervorgehobenen Gruppe von Passagieren vor der Abtrennung. Also setzen Sie sich einfach hin.
Sie haben sich angeschnallt? Gut. Es kann eigentlich losgehen. Da nimmt neben Ihnen ein weiterer Passagier seinen Sitzplatz ein: Groß und kräftig, kurze Haare, schwarze Stiefel, Lederhose, ärmelloses T-Shirt und eine ebenfalls ärmellose Lederweste, Sie sehen eine Tätowierung auf einem der muskulösen Oberarme. In diesem Moment denken Sie sich wohl spontan wie die meisten von uns: Was will der denn hier? Kann sich so ein Biker denn die Businessclass leisten? Hat er den rechtmäßigen Passagier überfallen und sich dessen Ticket angeeignet? Es werden Ihnen vielleicht noch weitere Fragen einfallen, die Sie dennoch lieber nicht stellen möchten. Doch dann kommen Sie mit Ihrem Nebensitzer trotzdem ins Gespräch. Und Sie stellen fest, der Mensch ist nicht nur sympathisch, er spricht sogar ein gutes und präzises Deutsch. Die Überraschung ist perfekt: Er ist Investmentbanker in Frankfurt. Und jetzt ist er mit seiner Harley auf dem Weg zu einem Treffen von Gleichgesinnten, denn sein Hobby ist das Motorradfahren. Natürlich kann er sich mit seinem Beruf solche Ausflüge leicht leisten, auch ohne Meilengutschrift. In seinem täglichen Job trägt er natürlich einen maßgeschneiderten Anzug, handgemachte Schuhe und eine hochwertige Uhr. In dieser Uniform hätten wir ihn auf dem Nachbarsitz sofort richtig platziert.
Nun muss es nicht gerade ein Biker sein, doch so etwas Ähnliches ist Ihnen doch sicher auch schon passiert, oder? Wir treffen auf Menschen und wissen in der Regel über sie gut und schnell Bescheid – und zwar oft schon nach wenigen Augenblicken, bevor wir sie wirklich kennenlernen. Unser erster Eindruck wird dabei beeinflusst von der Größe, dem Gewicht, der Haut- und Haarfarbe, Tätowierungen und einer Brille oder von der Farbe der Kleidung.
Das geht noch weiter bis zur Gesamtbeurteilung aufgrund einzelner Faktoren. Daher wissen wir es einfach: Muskelbepackte Männer sind dumm, Bibliothekare sind ruhig und zurückgezogen, Italiener sind emotional und Versicherungsvertreter sind Betrüger – wir alle kennen solche Standardbilder von anderen Menschen, auch wenn wir sie nicht teilen. Beim Betrachten anderer Menschen reagieren wir unbewusst auf bestimmte Merkmale: Eine Stupsnase und volle, rote Lippen empfinden wir beispielsweise als feminin, eine hohe, eckige Stirn und ein kantiges Kinn als maskulin.
Dabei treten diese Merkmale bei beiden Geschlechtern auf, mit entsprechenden Folgen für die Wahrnehmung. „Wer typisch männlich aussieht, dem werden typisch männliche Eigenschaften zugetraut, die wiederum einer erfolgreichen Führungskraft zugeschrieben werden“, sagt die Sozialpsychologin Anke von Rennenkampff gegenüber Spiegel Online. „Männlich“ verhält sich, wer durchsetzungsfähig, dominant und entscheidungsfreudig ist, „weiblich“, wer hilfsbereit, sensibel und rücksichtsvoll ist. Damit die Bewerbung auf einen anspruchsvollen Posten Erfolg hat, sollen die femininen Attribute nicht noch betont werden, rät Anke von Rennenkampff, „sofern es sich nicht um einen klassischen Frauenberuf wie Krankenschwester oder Grundschullehrerin handelt“. Die langen Haare sollten lieber hochgesteckt oder zusammengebunden, der Schmollmund sollte nicht noch mit einem Lippenstift angemalt werden.
Dass der Weg auf Pumps leicht ins Karriere-Aus führen kann, beschrieb auch das Magazin Focus anschaulich. Managerinnen riskieren demnach ihre Aufstiegschancen, wenn sie sich zu sexy kleiden. High Heels und Minis können „feindselige Äußerungen“ hervorrufen, so das Magazin mit Berufung auf eine US-Studie im Personalbereich. Nun geht es in Deutschland in den Büros und im offiziellen Geschäftsleben zwar um einiges legerer zu als in den USA, wo bereits Hosenanzüge für Business-Frauen als nicht korrekt gelten. Doch Doris Brenner, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung, stellt klar: „Auch deutsche Managerinnen sollten sich eher konservativ kleiden.“ Diese Ratschläge geben Karriereberater nicht von ungefähr: Laut einer Studie der Uni Mannheim sammeln Bewerberinnen mit offenen langen Haaren bereits dadurch erste Minuspunkte beim Eindruck. Doris Brenner gibt den Frauen einen Hinweis, womit sie rechnen müssen: „Ihr Äußeres wird mehr diskutiert als das männlicher Kollegen.“ Dies gilt nicht nur bei Studentinnen auf dem Weg in den ersten Job, sondern sogar bei gestandenen Frauen, die 15 Jahre Erfahrung als Führungskraft haben, Verantwortung in Spitzenpositionen in Deutschland trugen und männliche Konkurrenten zielsicher aus dem Feld schlagen konnten. Falls Sie sich jetzt fragen, wer das sein soll: Wir sprechen von Angela Merkel. Denn nicht nur im Wahlkampf fanden immer wieder Diskussionen über ihr äußeres Erscheinungsbild statt, die bei einem Mann als eher abwegige Debatten gesehen worden wären.
Wenn etwas aus dem gewohnten Schema der Wahrnehmung herausfällt, dann glauben wir es nicht auf Anhieb. Wir hatten noch keine Frau als Bundeskanzlerin, und da muss sogar die Kleidung als Beurteilungskriterium zur Einordnung herhalten. Dieser Effekt, der hier für die Betroffenen hinderlich sein kann, hat auch eine zweite Seite. Die ist dann genau umgekehrt zum Vorteil des Betroffenen: nämlich eine Art Vorschuss der Wahrnehmung, wenn ein bestimmter Faktor der Eindrücke gut bekannt ist. Doch Obacht: Der Vorschuss muss gar nicht zu Recht bestehen, er wird auch gegeben, wenn er gar nicht zutrifft. In seinem Buch „Blink“ zeigt der Redakteur des US-Magazins New Yorker, Malcolm Gladwell, eindrucksvoll und nachvollziehbar, dass wir Verbindungen zwischen Eindrücken dann schneller herstellen, wenn wir diese Eindrücke aufgrund ihrer Merkmale miteinander assoziieren. Solche Verbindungspaare sind zum Beispiel Größe und Macht oder gutes Aussehen und Intelligenz. Besonders bei Männern deuten viele Befunde darauf hin, dass Größe im beruflichen Wettkampf Vorteile bietet. So belegt eine Untersuchung unter den Vorständen der 500 größten US-Unternehmen, den „Fortune 500“, dass die Vorstandsvorsitzenden dieser Unternehmen in der Mehrheit nicht nur weiße Hautfarbe haben, sondern dass 58 Prozent von ihnen im Mittel 180 Zentimeter groß oder größer sind. Es ist kein Zufall: Wir assoziieren bevorzugt Körpergröße und Führungsstärke, etwa nach dem Motto, dass Menschen, zu denen wir aufschauen, uns auch in die richtige Richtung leiten können. Dass dies nicht stimmt, zeigen einige Menschen von stattlichem Wuchs, die als Angeklagte in den großen Wirtschaftsprozessen der letzten Jahre auftreten mussten.
Einfach, schnell und sicher ein Bild von anderen zu bekommen – das ist ein alter Wunsch, vermutlich so alt wie die Menschheit. Vom griechischen Denker Pythagoras wird überliefert, dass er Studenten in die Augen schaute, um das Maß ihrer Begabung zu erkennen. Der Wiener Arzt Franz-Joseph Gall erforschte das menschliche Gehirn und den umgebenden Schädel. Er wurde zum Erfinder der Phrenologie, die für sich in Anspruch nimmt, den Charakter eines Menschen anhand seiner Schädelform bestimmen zu können. Und noch 1954 schloss der US-Psychologe William Sheldon mittels durchaus fehlerhafter Studien auf einen engen Zusammenhang zwischen Körperform und Persönlichkeit. Wir neigen nun einmal alle dazu, Menschen in Kategorien einzuordnen, sie zu klassifizieren. Und es ist ja eigentlich auch gar nicht schlecht – hilft es uns doch, Urteile schnell zu fällen und auf der Basis gesammelter Erfahrungen unsere weiteren Handlungen mit anderen Menschen zu bestätigen oder eben daran neu auszurichten.
Doch leider ist unser Denkapparat auch hier alles andere als perfekt, was zu Fehleinschätzungen führt, die uns schaden können. Wir unterschätzen damit nämlich die Unterschiede zwischen Personen aus einer Kategorie, und ebenso überschätzen wir die Unterschiede zwischen verschiedenen Kategorien. Informationen, die nicht zu den Erwartungen der jeweiligen Kategorie passen, nehmen wir schlechter oder gar nicht wahr – nach dem Motto: Was der Bauer nicht kennt, das sieht er erst gar nicht. Und bei der Beurteilung anderer Menschen unterläuft uns ein weiterer systematischer Fehler. Wir nehmen an, dass die Unterschiede zwischen den Angehörigen anderer Gruppen geringer sind als die Unterschiede, die wir bei den Angehörigen derjenigen Gruppen wahrnehmen, zu denen wir gehören. Im Klartext: Als Münchner und Fan des FC Bayern würden Sie auf Anfrage ein recht differenziertes Bild der Bayern-Anhänger zeichnen können (da gibt es solche und solche), während Ihnen als Bayern-Fan zu den Anhängern von Schalke 04 eher eindeutige Merkmale (die sind alle so) in den Sinn kämen.
Ein weiterer Punkt ist nicht zu unterschätzen: Wir neigen dazu, den Zusammenhang zwischen einzelnen Aspekten einer Persönlichkeit falsch einzuschätzen. Wir nehmen dort scheinbare Korrelationen zwischen Variablen an, die lediglich gemeinsam auftreten. Bestimmte Verhaltensweisen oder Eigenschaften von Frauen oder Männern werden immer dann aufmerksamer wahrgenommen, wenn sie in unser grundsätzliches Bild von Frauen oder eben Männern passen. Wir behalten diese Meinungen gerne bei, auch wenn die Sachlage unser Bild keineswegs unterstützt. Was könnte das sein? Sie werden Beispiele dafür sicher schon einmal gehört haben wie etwa das mangelhafte Orientierungsvermögen oder die größere Teamfähigkeit von Frauen. Diese Stereotype setzen sich in der medialen Vermittlung fort. Schlagen wir eines der aktuellen Managementhefte oder genauso eines der bunten Boulevardmagazine auf, so finden wir in schöner Regelmäßigkeit Artikel, die mit Titeln wie „Frauen führen anders“ oder „Frauen sind stark im Team“ um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Empirische Belege für diese Thesen gibt es nicht, aber natürlich finden sich immer anekdotische Beispiele für die Behauptung im Titel, die einen Beleg im Einzelfall darstellen.
Ein weiteres Beispiel dafür ist das Buch „Das weibliche Gehirn“ von Louann Brizendine. Darin formuliert sie zum Beispiel die These, dass Frauen pro Tag dreimal so viel sprechen wie Männer. Das klingt doch auf den ersten Blick plausibel, nicht wahr? Und es passt so gut zu unserem gesellschaftlich kolportierten Bild von den Geschlechtsunterschieden. Der Phonetikprofessor Mark Liberman von der Universität Pennsylvania hat sich jedoch die Mühe gemacht, eine umfangreiche Literaturrecherche anzustellen. Er kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: „Ich konnte keine einzige wissenschaftliche Studie finden, die die Anzahl der Wörter pro Tag überhaupt verlässlich erfasst.“ Liberman fand heraus, dass die meisten Studien über kürzere Zeiträume entweder feststellten, dass es gar keinen Unterschied gibt – oder sogar, dass Männer mehr reden! Auch die renommierte Wissenschaftsjournalistin Robin Marantz Henig hat Brizendines Quellen überprüft, und zwar auf die Behauptung hin, dass Mädchen eher Konflikte vermeiden. In den neun angegebenen Studien untersuchten jedoch drei Arbeiten nur Mäuse oder Affen, und nur eine der Studien am Menschen bezog sich überhaupt im Titel auf einen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Könnte es vielleicht sein, dass es kaum einen anatomisch nachweisbaren Unterschied gibt zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen? Und auch weniger funktionale, als viele gerne glauben möchten?
Trotzdem machen wir jeden Tag deutliche Unterschiede, zum Beispiel in der Arbeitswelt. Wie groß der Geschlechtseffekt der Stereotype im Geschäftsleben sein kann, kennen wir aus der Personalarbeit von Unternehmen. So werden etwa Mitarbeiter gebeten, an eine Person zu denken, die nach Ansicht der Mitarbeiter so etwas wie natürliche Autorität besitzt und verkörpert. Dazu soll diese Person auch mit zwei Adjektiven, an die man dabei denkt, genauer beschrieben werden. Wenn man diese kleine Befragung entsprechend wiederholt, um eine größere Fallzahl zu bekommen, so wird man etwas Interessantes feststellen: Die überwiegende Zahl der Befragten – und zwar Männer wie Frauen – wird an ganz unterschiedliche Personen denken, die aber vor allem eines verbindet – sie sind alle männlich. Werden dann die Adjektive aus der Beschreibung analysiert, so kommen fast immer sehr positiv besetzte Begriffe zum Vorschein. Gegen dieses Stereotyp – ob unterschwellig oder klar erkennbar – haben Frauen in Führungspositionen immer noch jeden Tag anzukämpfen, trotz bereits vorhandener Bestrebungen und Maßnahmen für geschlechterindifferente Führung in Unternehmen.
Nun werden für einen postulierten Unterschied zwischen den Geschlechtern auch häufig evolutionäre Erklärungen herangezogen. Die grundsätzliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern (Männer jagen und kämpfen, Frauen sammeln und erziehen die Kinder) dient dabei als Hintergrund für die unterschiedliche Ausbildung von Kompetenzen wie räumlicher Orientierung oder Sprachgebrauch. Selbst wenn es so sein sollte, fällt uns der Nachweis schwer, wissen wir doch reichlich wenig davon, wie es vor mehreren zehntausend Jahren wirklich war.
Wie hausgemacht solche Täuschungen sein können, zeigt uns ein anderes Beispiel, nämlich die Marmorstatuen des Altertums. Die meisten von uns kennen diesen makellosen, weißen Marmor aus den Museen, und in den Geschichtsbüchern haben wir auch davon gelesen. Doch stimmen muss es deshalb noch lange nicht. Es ist vielmehr so, dass die Wahrnehmung ganzer Generationen hier in die Irre geleitet wurde, zum Beispiel durch Johann Joachim Winckelmann. Er gilt als der Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und der Kunstgeschichte. In seiner 1764 erschienenen „Geschichte der Kunst des Altertums“ definierte er das klassizistische Schönheitsideal kraft seiner Autorität mit diesem Satz: „Da nun die weiße Farbe diejenige ist, welche die mehresten Lichtstrahlen zurückschicket, folglich sich empfindlicher machet: so wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weißer er ist.“ Und für lange Zeit wagte niemand zu widersprechen, obwohl viele es besser wussten, einschließlich Winckelmann selbst. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung stellt dazu fest: „Zwar konnte auch Winckelmann damals nicht blinden Auges an erhaltenen Farbspuren auf antiken Skulpturen vorbeigegangen sein. Doch die ‚barbarische Sitte des Bemalens von Marmor und Stein‘ war und blieb ihm ein Gräuel.“
Diese Beispiele deuten auf ein immer wieder zu beobachtendes Phänomen: Wenn wir uns erst einmal ein Bild von einer Sache gemacht haben, dann neigen wir dazu, an diesem Bild auch festzuhalten. Und das Bild machen wir uns immer vor dem Hintergrund der größtmöglichen Vereinfachung. Und wenn wir dieses Bild erst einmal entwickelt haben, dann weichen wir nur ungern wieder davon ab: „Verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen.“ Und es passt doch alles so schön. Unter Journalisten wird dieser Umstand selbstironisch mit dem Ausspruch kommentiert, zu viel Recherche mache einem sogar die beste Geschichte kaputt.
Nehmen wir einen anderen Aspekt: Wir alle kennen das Kinderspiel Stille Post. Dabei geht es ja darum, dass eine erste Person die nur von ihr gehörte Botschaft an einen Nachbarn weitergibt und das geht dann so weiter über vier oder fünf Stationen. Der Spaß an der Sache rührt daher, dass die Nachricht über die verschiedenen Stationen hinweg immer erhebliche Veränderungen erlebt. Dabei geht es nur vordergründig um besser oder schlechter zuhören und weitererzählen. Denn die vorgenommenen Veränderungen haben häufig mit unseren stereotypen Vorstellungen von Personen oder Situationen zu tun und ob es plausibel ist, was uns da erzählt wird. Mit diesen Erwartungen übereinstimmende Aspekte einer Geschichte werden bevorzugt übernommen und weitererzählt, nicht übereinstimmende Aspekte werden häufig korrigiert, verkürzt oder weggelassen.
Wir machen also die Sache für uns passend. Wenn wir uns nun fragen, warum Menschen sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, dann greifen wir auf die Zuschreibung von Ursachen zurück. Die Sozialpsychologie nennt das Attribuierung. Dabei nehmen wir an, dass die Ursachen dafür in äußerlichen Quellen (die Situation hat uns veranlasst, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen) und in inneren Quellen (wir sind so aggressiv, friedlich oder anderes) zu finden ist.
Warum ist das so? Der bekannte US-Psychologe Harold Kelley geht davon aus, dass wir bei der Attribuierung von Ursachen des Verhaltens ein wenig wie Wissenschaftler vorgehen. Wir analysieren, ob ein bestimmtes verursachendes Merkmal vorliegt, wenn das Verhalten auftritt. Wie ist es mit den inneren Faktoren als Ursache des Verhaltens? Wir vermuten es in persönlichen Faktoren zum Beispiel dann, wenn ich mich anders verhalte als andere Personen um mich herum (ich beschwere mich als Einziger über den Geschmack des Essens), ebenso wenn ich in vielen unterschiedlichen Situationen ein ähnliches Verhalten zeige (ich beschwere mich in verschiedenen Restaurants bei unterschiedlichen Gerichten über den Geschmack), aber genauso, wenn ich mich in vergleichbaren Situationen stets gleich verhalte (ich beschwere mich immer über das Salatdressing). Im Gegensatz dazu nehmen wir an, dass die Ursachen des Verhaltens in äußeren Faktoren liegen, wenn sich auch andere ähnlich verhalten (alle im Restaurant beschweren sich über die Vorspeise) und wenn das Verhalten spezifisch ist (ich meckere sonst nie über das Essen) und wenn mein Verhalten durchgängig so ist (über „medium“ gebratenes Steak beschwere ich mich oft).
Hinzu kommt: Wir haben die Neigung, die Ursachen für unser Verhalten und für das anderer Personen unterschiedlich zu interpretieren. Wir schreiben die Ursachen für unser Verhalten mehr den Bedingungen der Situation zu und das Verhalten anderer der Persönlichkeit. Wir reagieren in dieser Hinsicht besonders stark in bestimmten Situationen, die wir zum Beispiel aus dem Berufsleben kennen:
Wenn das Verhalten „unpassend“ für die Situation ist, wie beispielsweise das Tragen ungewöhnlicher Kleidung („Wollen Sie so auf den Messestand gehen?).
Wenn uns das Verhalten der anderen Person direkt betrifft, weil es uns etwa in Schwierigkeiten bringen kann, dann neigen wir dazu, der Person selbst die Schuld zu geben („Sie haben mich vor dem Chef blamiert“).
Wenn eine Handlung erfolgreich ist. Hier schreiben wir die Erfolge der Person zu („ich habe die Präsentation selbst entworfen“), die Ursachen für Misserfolge suchen wir in der Situation oder den Umständen („der PC ist einfach zu langsam für diese Präsentation“). Genau umgekehrt handeln hier viele Führungskräfte in Bezug auf ihre Mitarbeiter: Erfolge schreiben sie bevorzugt der Situation zu („unsere Produkte lassen sich nun mal gut verkaufen“), Misserfolge der Person („Müller ist halt kein richtiger Verkäufer“). Die vermutete Ursache liegt darin, dass es bei Misserfolgen oder Versagen leichter ist, an den Personen etwas zu ändern als an der oft komplexen Situation. Bei Personen mit hohem beruflichen oder sozialem Status verhält es sich genau umgekehrt: Erfolge werden bevorzugt auf ihr individuelles Geschick zurückgeführt.
Wir sehen, von dieser sozialen Wahrnehmung hängt viel ab. Dabei läuft sie als zweistufiger Prozess ab: Im ersten Schritt nehmen wir das Verhalten wahr und machen eine schnelle Zuschreibung zu personenbedingten Ursachen, dann korrigieren wir diesen Eindruck um die situationsbedingten Einflüsse. Der erste Schritt ist einfach und vollzieht sich automatisch, der zweite ist überlegt und erfordert bewusste Anstrengung. Der Grund hierfür ist, dass die handelnde Person sichtbar ist und sich gewissermaßen vor dem unbewegten Hintergrund der Situation bewegt.
Es gibt allerdings einen wesentlichen kulturbedingten Unterschied: Diese Art der Zuschreibung von Ursachen ist eher für unsere westliche Gesellschaft typisch. Wir machen Menschen verantwortlich für ihr Handeln. In vielen nicht westlichen Gesellschaften herrschen andere Sichtweisen: Hier werden die Ursachen für Verhalten eher den situativen Ursachen zugeschrieben, etwa dem allgegenwärtigen Schicksal.
Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Einschätzung anderer Menschen besteht darin, dass wir implizite Persönlichkeitstheorien anwenden. Das heißt, wir schließen auf diesem Weg von einzelnen hervorstechenden Merkmalen auch auf andere Aspekte. So wird zum Beispiel ein erfolgreicher Sportler von vielen als jemand gesehen, der auch in anderen Situationen geschickt und erfolgreich agieren wird – der Erfolg steckt halt in ihm drin, egal, was er anpackt. Dass dem nicht so ist, können frühere Fußballstars, die heute bankrott sind, ebenso bestätigen wie so mancher Weltklasse-Tennisspieler mit wechselhaftem Erfolg als Unternehmer.
Da bleibt aber noch die Frage, wie stabil solche Meinungen von anderen sind, wenn wir uns dann eine gebildet haben? Wie die Forschung zeigt, sind diese in der Regel sehr stabil. Denn wir neigen dazu, bevorzugt nach Fakten Ausschau zu halten, die unsere Meinung bestätigen. Wir bevorzugen es, unseren Ansichten treu zu bleiben, statt sie zu ändern. Und das häufig sogar dann, wenn es genügend vorliegende Gegenbeweise gibt. Von einem der Großmeister der soziologischen Forschung, dem Amerikaner Robert K. Merton, stammt die Theorie der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Sie besagt im Wesentlichen, dass wir vieles in unserer Umwelt so beeinflussen, dass es mit unseren bestehenden Meinungen übereinstimmt. So ist beispielsweise seit Langem stichhaltig nachgewiesen, dass Lehrer Arbeiten dann besser bewerten, wenn sie glauben, diese stammten von Schülern mit guten Leistungen, als wenn sie glauben, diese stammten von schlechteren Schülern. Die sich selbst erfüllende Prophezeiung wirkt so, dass unsere Vorerwartung unser Verhalten beeinflusst, dieses entsprechende Verhalten löst dann natürlich wiederum ein entsprechendes Verhalten der betreffenden Person aus. Der Kreis schließt sich, die Stereotyp-Falle kann wieder neu zuschnappen.
„Sportler sind ehrgeiziger – das ist einfach so!“
Wir bilden Stereotype, um andere Menschen zu beurteilen.
Wir generalisieren einzelne Beobachtungen schnell auf alle Kategorien des Verhaltens einer Person.
Stereotype sind immer Schablonen und damit selten für den Einzelfall gültig.
Erfolg hat meistens die Person – Misserfolg ist oft das Ergebnis der Umstände, meinen wir.
Wir nehmen bevorzugt Facetten einer Person wahr, die unsere einmal gefasste Meinung bestätigen.
Finden Sie heraus:
In welchen Schablonen denke ich selber?
Welche Facetten zeigt die betreffende Person insgesamt?
Überprüfen Sie Ihre Meinung am tatsächlichen Verhalten der Person – und an den Ergebnissen.
Schauen Sie auf die ganze Bandbreite – Bestätigendes und Widerlegendes.
Überprüfen Sie Ihre Meinung häufiger einmal – und in verschiedenen Situationen!