Читать книгу Glashauseffekt - Alexander Sperling - Страница 11

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Philly ist gekommen. Ist herabgestiegen aus dem hippen Leipzig in das provinzielle Nürnberg, in dem gerade der große Kampf Gut gegen Böse tobt. Nicht um teilzuhaben am Gemetzel – sondern wegen Oma Doros Neunzigstem.

Philly sitzt im Wohnzimmer, oder liegt dort eher, und hat die tadellos rasierten Beine über die nächste Stuhllehne geworfen. Don’t-care-Attitüde, sehr gewagter Ausschnitt, wild gefärbter Sidecut. Alles wie immer.

»Hey there, sweet Erica, how’s it going in the binary world?«

»Fine, fine.«

Sie schäkern ein wenig, Philly erzählt vom aufregenden Leben in Deutschlands In-Stadt. Erica hört mit halbem Ohr zu, dann erzählt sie vom Auftakt des unter internationaler Beobachtung stehenden Prozesses. Philly hört mit halbem Ohr zu und streicht sich durch den sehr gepflegten und akkurat getrimmten Bart. Dingo kommt ins Wohnzimmer, sagt Hallo, die beiden drücken sich, bussibussi.

Ihre Eltern, Tanja und Klaus, sind in der Küche und brühen koffeinierten Getreidekaffee auf. Die Stimmung ist angespannt, weil Philly sich weigert, Deutsch zu sprechen. Die deutsche Sprache sei, mehr noch als die englische, purer Gender-Faschismus. Die Folge ist ein bilinguales Kaffeekränzchen: »Want some more cake, Philly? Oder vielleicht du, Dingo?«

Durchaus mit Größe und Würde, wie Erica findet, nehmen ihre Eltern die wilden Erzählungen aus Leipzig zur Kenntnis, überwinden sich des Öfteren sogar zu einer höflichen Nachfrage. Philly berichtet ausufernd von dem erzkonservativen Nachwuchspolitiker einer Abschotter-Partei, mit dem Philly sich auf einer Party offenbar übel in die Wolle gekriegt hat. Klaus gluckst, er hat »Arsch-conservative« statt »arch-conservative« verstanden. Erica hat das Gefühl, dass Philly innerlich schon die Tage bis zur Abreise zählt.

Weil die Wohnzimmercouch einen Ruf als Wirbelsäulenkiller hat, wird Philly die nächsten Nächte oben schlafen, so wie früher. Das Lager ist schnell hergerichtet, und so sitzen Philly, Erica und Dingo auf dem Bett und der aufblasbaren Matratze und gönnen sich einen Begrüßungsjoint. Für den Abend haben sich ein paar von Phillys Freunden aus Nürnberger Zeiten angekündigt, da ist es schön, vorher ein wenig ausspannen zu können.

Dingo denkt wieder laut über passiven Widerstand gegen den Prozess nach, und Philly fragt hellhörig, wie das konkret aussehen könnte, bekommt aber keine Antwort. Stattdessen erkundigt sich Dingo, wie man eigentlich in Leipzig die ganze Sache sieht.

»In L., everybody agrees on the verdict Tod durch den Strang for all the accused persons as well as for the whole PfG.«

Philly lehnt sich zurück und nimmt genüsslich einen weiteren Zug, während Dingo fragt, ob man dieses Urteil dann nicht gleich über alle in irgendeiner Form am Prozess Beteiligten verhängen sollte. Philly zeigt ein erfreutes Gut-mitgedacht-Gesicht, sieht zu Erica hinüber und nickt eifrig.

Dann steht Philly auf und zieht sich – we’re all grown-ups, aren’t we – für die Party um. Die Tasche mit den Klamotten liegt im hinteren Winkel des Zimmers und so bekommt man vom Bett aus eher die Rückansicht. Erica blickt verstohlen zu Dingo, der verstohlen zu Philly blickt. Sie kann es ihm kaum verdenken.

Zwei Stunden später ist die Party in vollem Gange und hat alles, was eine gute Party braucht: motivierte Gäste, reichlich Alkohol und wenig Platz. Musik ist da schon zweitrangig, die zwei kleinen Boxen am Fußboden kämpfen aber wacker gegen den allgemeinen Lärmpegel an. Erica unterhält sich länger mit zwei von Phillys alten Freunden über chinesische Popmusik, und durch dieses Gesprächsthema angeregt, trinken sie zu dritt Maotai-Shots. Auch Philly ist bester Laune, aufgedreht, und flirtet alles an, was einen Puls hat. Besonders Dingo scheint an diesem Abend viel Puls zu haben.

Die meisten der Partygäste waren früher häufig, aber in den letzten Jahren kaum mehr im Dachgeschoss. Ein sentimentales Gefühl heizt daher die Partystimmung auf merkwürdige Weise an. Wo es früher so heiß herging, muss es heute mindestens genauso verrückt werden. Philly gibt Tabletten herum, die die Partygäste »Molocos« nennen. Dingo greift zu, Erica lehnt ab. Sie versucht, Dingo ein wenig aus dem Dunstkreis des heißblütigen Geschwisters zu bekommen, doch Philly durchschaut sie wie immer sofort und macht sich über ihre kleinbürgerlichen Sorgen lustig. Erica fragt, ob Philly nicht in Zukunft etwas weniger Testosteronpräparate einnehmen möchte, vielleicht so ungefähr gar keine mehr?

Weil sie zunehmend genervt und allmählich müde wird, nimmt Erica zwei Molocos. Um sich selbst zu beweisen, dass sie es nicht tut, um irgendjemandem etwas zu beweisen, nimmt sie sie heimlich. Tatsächlich ist die Wirkung zunächst sehr angenehm. Die gedämpfte Musik spürt sie jetzt eher, als sie zu hören, während sie barfuß auf Phillys Gästematratze tanzt. Irgendwann fragt Dingo spöttisch, ob es ihr gut gehe. Statt einer Antwort zieht sie ihn fest zu sich und küsst ihn ziemlich aggressiv. Sie spürt, dass er hart wird, spielt mit der Hand über die Stelle und flüstert: »Wait till they’re gone, baby!«

Dann sieht sie eine unbestimmbare Zeitspanne lang alles merkwürdig verzerrt. Dann bekommt alles einen starken Grünstich. Dann wird ihr übel. Dann wird sie unfassbar müde. Obwohl noch mehrere Gäste anwesend sind, legt sie sich einfach ins Bett und ist sofort weg.

Sie wacht auf, weil jemand aus dem Zimmer schleicht. Sie hat keinen Kater, aber einen eigentümlichen Geschmack im Mund. Es ist heiß und stickig, sie möchte dringend etwas trinken. Erst nach diesen Gedanken bemerkt sie, dass sie alleine im Bett liegt. Sie richtet sich halb auf und sieht, wie Dingo und Philly zu zweit auf der Ein-Mann-Gästematratze schlafen. Philly ist fast komplett zugedeckt, nur die Zehen lugen hervor. Dingo dagegen hat kaum Decke und schläft in Boxershorts, sein fitter, dunkler Oberkörper ist nackt.

Mit einem panikartigen Gefühl des Ertrinkens steigt Erica über einen alten Freund von Philly, der mit dem Gesicht nach unten bei der Tür liegt, und geht schnell treppab ins Badezimmer. Sie versucht sich zu beruhigen, doch es gelingt nicht.

Sie ist gar nicht sicher, wie Philly mittlerweile untenrum bestückt ist.


Glashauseffekt

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