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Gabi Z. (über den 19. Januar 1989 in einem Brief an die Journalistin Barbara Köhler von 2009)
ОглавлениеIch hatte schon von meinem ersten Mann gehört, dass Marie Lente ihn interviewt hatte. Er war ganz begeistert von ihr, so begeistert, dass ich daran zu zweifeln begann, dass es bei wissenschaftlichen Interviews geblieben war. Da hatte ich also ein gutes Werk getan. Ich war erstaunt, dass sie den Mut fand, noch einmal zu uns nach Hause zu kommen. Dieses Mal ließ ich sie herein, die Berichte meines ersten Mannes hatten mich neugierig gemacht. Sie schien mir auch nicht mehr so hochnäsig wie beim letzten Mal, eigentlich sogar ganz natürlich und offen. Ich fragte sie aus nach ihrer Arbeit, ein bisschen auch nach ihrer Herkunft. Die Arbeit über die VVN machte sie im Auftrag der VW-Stiftung; ich fragte mich allerdings, was das Volkswagenwerk für ein Interesse an Antifaschisten in der DDR haben konnte. Sie bemerkte mein Nachdenken darüber und stellte richtig, dass das eine Stiftung zur Förderung der Wissenschaft sei und dass das VW-Geld dafür nach der britischen Besatzungszeit überwiegend an das Land Niedersachsen gegangen wäre. Das VW-Autowerk habe also nichts mehr damit zu tun. Sie erklärte das alles ohne jeden besserwisserischen Ton. Sie kam übrigens wirklich aus der Arbeiterklasse, während bei uns ja jeder vorgab, ein Arbeiterkind zu sein. Ich schaute sie mir genauer an. Sie hatte in der Tat etwas Besonderes, vor allem für Männer, wie ich annahm. Schade, dass sie keine Schauspielerin war, dennoch fragte ich sie aus reiner Routine, ob sie ein Instrument spiele, ob sie mal Sprachunterricht genommen habe und so weiter, aber nichts von dem.
Als ich ihr einen Kaffee, Tee oder sonst etwas anbot, sagte sie, nein keinen Kaffee oder Tee, sie hätte heute schon genug Koffein zu sich genommen. Vielleicht wollte sie auch nur unseren Kaffee nicht. Als sie zögerte, meinte ich etwas ironisch, sie könne auch Säfte haben, zum Beispiel Birne-Orange oder Sanddornsaft, worauf sie ganz begeistert sagte, ja, sehr gerne, ich liebe Birne-Orange, aber auch Sanddorn. Ich glaubte, sie nähme mich auf den Arm, denn sie wusste bestimmt, dass Birne-Orange bei uns nur eingeführt worden war, um den Orangensaft zu verlängern, um nicht zu sagen: zu panschen. Aber nein, sie mochte ihn wirklich und hatte schnell eine dreiviertel Flasche ausgetrunken. Wir lachten beide.
Ich wimmelte sie also nicht ab, sondern gab ihr sogar die geheime Telefonnummer meines Mannes, obwohl ich dessen Vorliebe für solche Frauen kenne, aber er wurde ja nun auch langsam etwas ruhiger mit seinen über siebzig Jahren. Mein Gott, ich bin fast 30 Jahre jünger, aber er war immer noch energiegeladener als ich.