Читать книгу Verwischt - Alexander von Plato - Страница 27
Walter Friedrichsen über Paul Z. (nach Marie Lentes Aufzeichnungen vom 20. Januar 1989)
ОглавлениеEs handelt sich im Folgenden um die Aufnahmen oder Zusammenfassungen, die Marie Lente von den Gesprächen am 20. Januar 1989 mit Walter Friedrichsen machte (die Herausgeberin):
Wir hatten uns für das Mittagessen bei ihm verabredet. Ich kam etwas zu spät. Er war deshalb leicht verschnupft, denn er hatte etwas Besonderes gemacht, was es in der DDR nicht alle Tage gibt, wie er lachend erklärte. Bananen umwickelt von Schinkenscheiben in einer Käse-Curry-Sauce überbacken, dazu Reis. Schon beim Essen fragte ich ihn, was er eigentlich heute von Paul Z. hielte.
Walter F.: Er ist ein sehr gebildeter Mann. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, so viel zu lesen – ohne eine wirkliche Ausbildung. Er ist ein Autodidakt, und ab und zu merkt man das. Er ist zum Beispiel immer sauer auf Leute, die eine Universitätsausbildung hinter sich haben, aber zu irgendetwas Wesentlichem in den Augen von Paul nichts sagen können, auch wenn es gar nicht in ihr Feld gehört. Ein Studierter muss eigentlich alles wissen, sonst hat er sein Studium verfehlt. Das war und ist seine Ansicht.
Marie L.: Ich habe auch so einen Zug. Ich vermute bei allen Kindern aus besseren Schichten, dass sie vielleicht nicht alles, aber doch viel mehr wissen müssen als ich, die Tochter eines versoffenen Bauarbeiters und einer angelernten Verkäuferin. Aber ich bin im Gegensatz zu Paul Z. froh, wenn es sich als falsch herausstellt.
Walter F.: Er kann Leute überzeugen, gewinnen oder mitreißen, das ist wohl das Wesentliche. Und er ist unerschrocken, kennt keine Hindernisse, vielleicht auch keine Hemmungen. Nur vor einigen Genossen im Politbüro kuscht er.
Marie L.: Wie passt denn das zusammen? Unerschrocken, aber vor den big numbers kuschen?
Walter F.: Tja, wenn ich das wüsste. Vor Mielke, unserem obersten Geheimpolizisten zum Beispiel. (Dieses Mal schaute ich erschrocken an die Decke.) Das ist eigentlich schon ganz lange so, wenn ich genauer darüber nachdenke. Von einigen Juden weiß ich, dass sie nach den Slánský -Prozessen Angst bekamen, dass es einen Antisemitismus in der SED geben könne, der sich auf einen Antisemitismus in der Bevölkerung der DDR stütze. Aber bei Paul war es eigentlich gleich nach 1945 so. Warum weiß ich nicht.
Marie L.: Ich habe gerade von irgendwem gehört, dass Paul Z. ein Zyniker sei, der seinen Glauben an die Sache verloren habe und Überzeugungen nur noch als Maske vor sich her trage.
Walter F.: Wer sagt denn so was? Nein, ich glaube, er ist überzeugter Sozialist, fühlt nur manchmal, dass das heute nicht mehr reicht, dass wir etwas falsch machen, den Sozialismus mit Rechtstaatlichkeit verbinden müssen. Zyniker wird er nur, wenn es um die Wirtschaftspläne geht. Der Bürokratismus, der dabei entsteht, ersticke jede Initiative und verhindere dynamisches Wachstum.
Marie L.: Na, das ist ja grundsätzlich. Da müsste er doch Gorbatschow-Anhänger sein.
Walter F.: Ach was, er hält Gorbatschow für den Totengräber des Sozialismus und für einen heimlichen Sozialdemokraten.
Marie L.: Eigentlich wollte ich Dich schon länger fragen, ob Du unbefangen über Paul Z. reden kannst. Immerhin war er der Lover Deiner Mutter, in gewisser Weise wie ein junger Vater zu Dir. Und dann nimmt er Dir die Frau weg.
Walter F.: Na, was hast Du denn für Ansichten über den Besitz von Frauen in der Ehe? Ich dachte, damit hätten die Achtundsechziger und die Feministinnen bei Euch aufgeräumt. (Ich sagte nichts) Also, Gabi hatte mich schon vor Paul satt. Ich weiß nicht warum, aber ich fürchte, dass sie mich für einen Opportunisten ohne Rückgrat hielt. Sie hatte von mir als jungem „wilden“ Regisseur gehört, sie machte fast zeitgleich eine Ausbildung als Dramaturg (Dramaturgin, warf ich ein, was er überhörte). Sie mochte mich, meine Theaterarbeit, auch dass ich mich vom Schatten meines Vaters befreit hatte. Aber sie machte mir immer Dampf, wenn ich mich von irgendeinem Parteibonzen wie am Nasenring durch die Manege führen ließ, bei jedem Zensureingriff, wie sie meinte. Und das stimmte leider. Ich gewann erst nach ihrem Weggang größere Sicherheit und mehr Mut auch gegen Parteieingriffe. Lange Jahre hatte ich diesen Mumm nicht. Manchmal habe ich gedacht, ich habe als Jude eine gewisse Grundangst.
Marie L. (etwas boshaft nach dieser grundsätzlichen Selbsterklärung): Und dann kam Paul Z.
Walter F.: Ja, dann kam Paul. Und der ließ sich nicht gängeln, war witzig, frech – und hatte Macht. Und konnte meistens die Zensur überzeugen, wenn es Gabi betraf.
Marie L.: Vielleicht hast du dir das alles von Paul gefallen lassen oder es zumindest hingenommen, weil du ihn gerade wegen der Eigenschaften schätztest, die auch Gabi an ihm bewunderte und bei Dir vermisste.
Walter F. (schaute mich an): Ja, das stimmt wohl, leider. Du gehst ja heute ganz schön ran.
Ich stand auf, stellte mich hinter ihn und massierte seinen Nacken.): Du hast recht. Entschuldige. (Ich küsste sein linkes Ohr)