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Kapitel 4 – Sophie und Lena in Jimmys Bar

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Zu Hause angelangt, stellt sie die Einkaufstasche auf den Küchentisch und geht sogleich ins Bad unter die Dusche. Während das warme Wasser auf Sophies Haut herunterprasselt, malt sie sich schon in Gedanken aus, wie sie nach dem Abtrocknen in aller Ruhe bei guter Musik und einer Tasse Kaffee die Fingernägel lackiert und dabei die ihre Lieblingsmodezeitung durchblättert.

Ein paar schöne Gedanken später steigt sie aus der Dusche heraus, als es unerwartet an der Haustür klingelt.

„Auch das noch!“

Gestern waren die Zeugen Jerosas da, da hat sie die Tür aber nicht aufgemacht. Heute passt es Sophie genauso wenig wie gestern, um mit denen zu sprechen, das Problem ist nur, die kommen so oft, bis sie jemanden antreffen, um ihre Botschaft zu verkünden. Schnell wickelt sie sich ein Handtuch um und geht widerwillig zur Tür. Beim Öffnen holt sie tief Luft, um ihrer Stimme genug Lautstärke zu verleihen. Sie hat absolut kein Bedürfnis, ihren Glauben zu wechseln. Statt den Zeugen Jerosas steht Alfred vor ihrer Tür.

Bevor sie etwas sagen kann, fängt Alfred zu erzählen an.

„Du kannst dir nicht vorstellen, was heute in der Werbeagentur noch los war, nachdem du gegangen bist!“

Ohne ihn hereinzubitten, geht Alfred einfach in Sophies Wohnung, so als wäre es seine eigene und obwohl er noch nie bei Sophie zu Hause war.

„Woher weißt du, wo ich wohne?“

Alfred ist wirklich der letzte, mit dem sie gerechnet hätte. Nachdem er sich in ihrem großen, breiten, weich gepolsterten Ohrensessel zurückgelehnt und die Füße hochgelegt hat, antwortet er ganz gelassen.

„Deine Adresse hab ich natürlich vom Chef. Er hat den Würstchen-Auftrag – du weißt schon, den Millionen-Deal mit Willis-Würstchen an Land gezogen, wenn wir bis Montagabend erste Entwürfe liefern können. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen. Stell dir nur mal vor, wie hoch da unsere Prämie wäre! Also worauf warten wir? Fangen wir an zu arbeiten!“

Sophie muss nun kurz ihre Gedanken sortieren. Alfred platzt in ihre Wohnung, die ihr heilig ist und platziert sich ganz cool auf ihrem Lieblingsplatz, auf dem sonst nur sie sitzen darf. Dann ist auch noch ihre Ruhe weg, arbeiten soll sie und ausgehen mit Lena und Peter steht auch noch auf dem Programm. Dann erst bemerkt sie, dass sie immer noch im Handtuch da steht und Alfreds Blick lässt erkennen, dass er es auch gerade erst bemerkt hat und er kann sich ein unverschämtes Grinsen nicht verkneifen. Ohne ein Wort, nur mit wütendem Schnauben macht Sophie auf dem Absatz kehrt und lässt Alfred kurzerhand sitzen. Im Badezimmer setzt sich auf die Badewannenkante, um zu überlegen, wie der heutige Abend weitergehen soll. Arbeiten möchte sie heute eigentlich nicht mehr, die Prämie könnte sie aber gut gebrauchen und was würde ihr Chef sagen, wenn sie am Montag nichts vorzuweisen hätten? Andererseits möchte sie mit Lena und Peter in Jimmys Bar gehen, die für ihre Longdrinks so bekannt sein soll.

Während sie sich abtrocknet und die Haare fönt, beschließt sie, Alfred mit in die Bar zu nehmen, dort eine Stunde mit ihm die Würstchen-Kampagne zu besprechen und dann ohne ihn den Abend noch mit Lena und Peter zu genießen.

Auf dem Weg vom Bad ins Schlafzimmer - immer noch mit dem Handtuch bekleidet - unterbreitet sie Alfred ihren Vorschlag, der immer noch in ihrem Lieblingssessel sitzt.

„Aber ich dachte, wir würden hier bei dir in aller Ruhe arbeiten“, sagt er, in der Hoffnung einen Abend mit ihr in Zweisamkeit verbringen zu können. Im Schlafzimmer vor dem Kleiderschrank angelangt, antwortet sie zurück zu ihm ins Wohnzimmer:

„Nein, Alfred, tut mir leid, die Verabredung mit meinen Freunden für heute Abend steht schon seit einer Woche, ich werde nicht absagen! In einer halben Stunde treffen wir uns in Jimmys Bar. Entweder du kommst mit und wir arbeiten intensiv eine Stunde lang an der Würstchen-Kampagne oder du vergisst den Auftrag samt Prämie!“

Alfred ist unglücklich. Aufs Arbeiten wäre er ja auch nicht so versessen gewesen, aber mit Sophie Zeit alleine zu verbringen – welch unerfüllbarer Traum!

„Na klar, in der Bar können wir genauso gut arbeiten, vielleicht unterstützen uns deine Freunde mit ein paar guten Ideen.“

Sophie steht in ihrem begehbaren Kleiderschrank, welcher ein Schuhregal integriert, das bis zur Decke reicht. Sie zieht den Vintage-Jeansrock heraus, der bis knapp oberhalb der Knie reicht, hält ihn zu ihren schwarzen Stiefeln und stellt sich die neue schwarze Lederjacke im Bikerstil dazu vor mit einem engen weißen Top.

Perfektes Outfit!

Sie sieht sich im Spiegel an und dreht sich um ihre eigene Achse und nochmal um ihre andere Seite.

„Irgendwas passt nicht!“

Sie dreht sich ein drittes Mal und ist sich nicht mehr sicher.

„Irgendwie würde es seltsam wirken, wenn ich heute mit dem Jeansrock und den Stiefeln ausgehen würde. Nicht dass Alfred das Gefühl bekommt, ich würde mich für ihn extra schick machen. Nein, das passt heute wirklich nicht!“

Sie zieht den Rock und die Stiefel wieder aus, behält aber das weiße Top und die schwarze neue Lederjacke an und zieht sich eine Jeanshose und ihre schwarzen Stiefeletten an. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel und Sophie ist fertig.

„Los geht’s, wir müssen uns etwas beeilen, damit wir nicht zu spät kommen“, ruft sie ins Wohnzimmer zu Alfred, währenddessen sie vom Schlafzimmer Richtung Flur geht und nach ihrer Handtasche und dem Haustürschlüssel greift. Alfred springt schnell auf, als er realisiert, dass Sophie schon draußen vor der Wohnungstüre steht.

Während Sophie im Kleiderschrank war, blätterte er in der Frauenzeitschrift, die neben dem gemütlichen Sessel gelegen hatte. Ganz erstaunt war er über den Artikel „Wie Männer wirklich ticken“. Auf dem Weg in die Bar denkt Alfred immer noch über den Artikel nach.

Männer ab 30 verändern sich total, Männer ab 30 seien im Verhalten wie ihre eigenen Väter, Männer ab 30 seien in ihrer Denkweise umständlich und wenn sie dann schon Kinder hätten, würden sie auf absurde Verhaltensregeln bestehen, die sie selbst als Kind und in der Jugend abgelehnt haben - zum Beispiel dürfe zwischen dem Mittag- und Abendessen nichts mehr gegessen werden – nicht einmal Obst - oder wenn die Spielsachen nicht in fünf Minuten vom Fußboden weggeräumt wären, würden sie im Ofen landen.

„Wer denkt sich denn so was aus? Das ist ja total absurd!“

Am liebsten würde er Sophie fragen, was sie davon hält, aber irgendwas hält ihn davon ab. Möglicherweise ist doch etwas Wahres dran? Vielleicht stimmt sie dem Artikel zu oder sie lacht mich aus?

In der Bar angelangt, kann Sophie Lena und Peter nicht entdecken, was ihre Laune etwas drückt, nachdem Alfred schon den ganzen Weg zur Bar kein Wort gesprochen hat und sie jetzt mit ihm und seinem nichtssagenden Gesichtsausdruck alleine hier sitzen muss.

„Wo sitzen deine Freunde?“

„Ich habe sie noch nicht entdeckt. Sieht so aus, als wären wir zuerst angekommen. Wie wäre es, wenn wir uns einen Tisch aussuchen und gleich mal was zu trinken bestellen?“

Alkohol. Ich brauche Alkohol!

Sophie ist nie die erste, wenn es um Alkohol geht, aber in dieser unglücklichen Situation würde sie ein kleines Gläschen etwas entspannen.

Eigentlich mag sie Alfred ganz gerne – er ist der ideale Arbeitskollege – er ist immer freundlich, hat immer gute Laune, er ist pünktlich, er ist durch und durch ein Durchschnittstyp, auch was das Aussehen betrifft. Und er weiß den Chef auf höfliche Weise mit Humor zu nehmen – was nicht sehr einfach ist, aber Herrn Schmitt doch in vielen Situationen entspannter wirken lässt.

In letzter Zeit aber hält sich bei Sophie der hartnäckige Verdacht, dass sich Alfred in sie verliebt habe. Ihr ist schon aufgefallen, dass er sie manchmal länger als sonst ansieht, wenn sie miteinander sprechen bzw. wenn sie nicht miteinander sprechen, hat sie ihn schon dabei ertappt, wie er sie mustert und dabei lächelt, als wäre er in höheren Sphären gefangen. Als ihr das zum ersten Mal aufgefallen ist, dachte sie noch, er würde einfach ihre Stimmung abchecken, damit er weiß, wie sie so tickt. Alfred arbeitet ja erst seit wenigen Wochen mit Sophie zusammen, da ist es nicht ungewöhnlich, dass man sein Gegenüber analysiert, um zu wissen, mit wem man da überhaupt zusammen in einem Büro sitzt. Aber als sie diesen Blick in Kombination mit diesem Lächeln in letzter Zeit sehr gehäuft bei ihm gesehen hatte, wurde der Verdacht immer größer, dass vielleicht romantische Gefühle dahinter stecken könnten. Um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen, tat sie bisher so, als wenn es ihr nicht auffallen würde. Als Team funktionieren sie ja perfekt, das hat ihnen nun auch den Millionendeal mit Willis Würstchen verschafft.

Und jetzt – schon wieder dieser Blick, aber diesmal ist irgendetwas anders – Alfred holt tief Luft, was aber von der Kellnerin, die die Bestellung aufnehmen möchte, vereitelt wird. Alfred nutzt die Gelegenheit und bestellt einen „Sex on the Beach“ und wirft Sophie einen vielversprechenden Blick zu, den er unterstreicht, indem er seine Augenbrauen zwei Mal hochzieht. Sophie tut so, als wäre das nicht passiert und ordert einen „Long Island Ice Tea“.

Das kann sie doch nicht übersehen haben. Warum reagiert sie nicht? Ein kleines Lächeln vielleicht? … Gar nichts? Ich verstehe das nicht? Wir harmonieren doch perfekt!

„Tut mir leid für die Verspätung“, entschuldigt sich Lena und bemerkt dann erst den unerwarteten Gast.

„Schön, dass ihr hier seid! Darf ich euch vorstellen - das ist mein Arbeitskollege Alfred.“

Lena atmet auf und schickt insgeheim ein Dankeschön zum Himmel.

„Vorsicht, bitte!“

Schwungvoll stellt die Kellnerin die Drinks auf den Tisch und nimmt die Bestellung von Lena und Peter auf.

Sophie erklärt kurz, warum sie Alfred mitgenommen hat. Lena reagiert positiv, weil sie auf Ablenkung hofft, nachdem sie zu Hause mit Peter schon wieder mal einen Streit hatte. Peter hingegen ist total genervt, erst hatten sie daheim den Streit und jetzt soll er auch noch Würstchen-Ideen sammeln!

Nachdem alle Cocktails serviert wurden, drängt Sophie die anderen, sich Gedanken zur Würstchen-Werbung zu machen. Die eine Stunde, die sie Alfred versprochen hat, sollte doch relativ schnell vorbei gehen.

„Wie wäre es mit verschiedenen Personen, die zu verschiedenen Zeiten Würstchen essen, zum Beispiel Handwerker, die zur 10-Uhr-Pause Würstchen essen, dann zu Mittag die alte Oma, die sich nur kleine Mahlzeiten zubereitet oder an einem regnerischen Nachmittag werden im Altenheim Würstchen gegessen statt Kaffee und Kuchen – und dann natürlich in der Familie mit Mutter, Vater und zwei Kindern werden zum Abendbrot Würstchen serviert.“

„Nicht schlecht, Lena, aber es erinnert doch etwas an die Haarspray-Werbung, wo man eine Frau am Morgen, am Mittag und am Abend mit der gleichen Frisur glücklich an verschiedenen Orten und in verschiedenen Wetterzonen sieht. Allerdings ist der Chef von Willis Würstchen – also Willi Weber selbst – eher konservativ und deshalb behalten wir uns deine Idee mal im Hinterkopf.“

„Wie wäre es mit einem Bauer, der im Schweinestall steht und genüsslich ein Würstchen isst oder noch besser eine Freudendame in einem Bordell sagt in verführerischem Ton “ich liebe knackige Würstchen“?“

„Du willst doch wohl nicht ernsthaft eine Antwort für deine gute Idee, Peter?“

Sophie ist wütend, so werden sie sicher nicht weiterkommen.

„Heute ist wohl nicht sein produktivster Tag“, sagt Lena zu Sophie und zu Peter in übertriebenem süßlichem Ton „nicht wahr, mein Schatz?“

„Gut, wenn ihr meine brillanten Ideen nicht haben wollt, überlegt doch alleine!“

Peter klinkt sich aus dem Gespräch aus und schlürft beleidigt an seinem „Black Death“, während die anderen weiter überlegen.

Ein Arbeitskollege von Peter hatte Jimmys Bar wegen dem rustikalen Ambiente und den guten Cocktails empfohlen. Obwohl Peter nun richtig schlechte Laune hat, muss er doch feststellen, dass ihm die Einrichtung gefällt. Die aus Holz gebaute Bar hat im Hintergrund in den oberen Regalen nur Spirituosen-Flaschen und in den unteren Regalen eine große Auswahl verschiedener Gläser. Ein Spiegel befindet sich im Hintergrund, der die Bar optisch größer wirken lässt.

An der Theke stehen runde Barhocker, deren Füße aus Holz, aber die Sitzflächen aus schwarzem Leder sind. Der rustikale Dielenboden lässt die Bar insgesamt urig wirken, was durch die Bierfässer, die als Tische verwendet werden, unterstrichen wird. Gegenüber der Bar finden sich große Fenster, die mit Holzsprossen unterteilt sind und den Charakter eines alten Brauhauses haben. An den seitlichen Wänden hängen Schilder von verschiedensten Biermarken und Bilder von Pin-up-Girls aus verschiedenen Jahrzehnten.

Insgesamt schon ein Ort, an dem man etwas länger verweilen könnte, wenn die Laune doch etwas besser wäre.

„Peter? Natürlich bist du es! Peter!“

Als er so im Grübeln ist, hört Peter plötzlich, wie hinter ihm jemand seinen Namen ruft. Überrascht dreht er sich um, aber er kennt die Frau nicht, die freundlich winkt.

„Peter, welche Überraschung! Ich bin es, Larissa. Wir waren in der gleichen Schule, du warst mit meiner kleinen Schwester Annemarie in derselben Klasse, ich war zwei Klassen über euch. Du kannst dich doch bestimmt an mich erinnern?“, dabei zwinkert sie ihm neckisch zu.

„Es gibt Einiges, woran du dich erinnern könntest!“

„Wow, Larissa, du hast dich aber sehr verändert!“

Peter bleibt der Mund offen stehen. Aus dem leicht pummeligen Mädchen mit braunen Haaren wurde eine wunderschöne Blondine mit einer Figur, bei der sogar ein Kaplan schwach werden würde.

„Du kannst den Mund wieder zumachen, so sehr habe ich mich auch nicht verändert. Komm, setz dich doch ein bisschen zu mir an meinen Tisch und lass uns über alte Zeiten plaudern.“

„Na ja, eigentlich bin ich mit meiner Freundin, nein, äh, meiner Frau, äh, meiner Frau und ihrer Freundin hier …“

„Wie du siehst, sind sie in ihr Gespräch vertieft – und das – entschuldige bitte – hört sich nicht gerade sehr spannend an, die reden doch nur über Fleisch.“

„Es …, es geht …, es geht … um Werbung.“

Peter kann Larissas Blick nicht widerstehen, so geht er brav - wie ein Schaf zum Leitschaf der Herde und setzt sich an Larissas Tisch.

Indessen arbeiten Sophie, Alfred und Lena sehr eifrig an der Werbekampagne. Viele spontane Ideen haben sie gleich wieder verworfen, weil sie entweder zu langweilig waren, zu actionreich oder zu ähnlich mit schon dagewesenen Werbungen.

Zu neuer Ideenfindung bestellen sie sich eine zweite Runde Longdrinks, da erst bemerken sie, dass Peter nicht mehr am gleichen Tisch sitzt, so sehr waren sie im Gespräch vertieft. Lena stört das nicht unbedingt.

„Soll er sich doch mit der Tussi unterhalten, dann haben wir wenigstens unsere Ruhe. Seine schlechte Laune kann er ruhig bei ihr abladen.“

Die drei stürzen sich wieder in die Arbeit und es scheint nun besser voran zu gehen, zumindest haben sie nun deutlich mehr Spaß daran und amüsieren sich über die eher einfallslosen Ideen, die sie vorher schon beiseitegeschoben haben.

„Ich stelle mir eine glückliche Fleischhacker-Familie vor, ein Vater, eine Mutter, beide so um die 35 bis 40 Jahre alt, mit zwei Kindern so 10 bis 12 Jahre alt, die glücklich in ihrem eigenen Fleischereifachgeschäft stehen und die Würstchen anpreisen – voller Stolz und Zufriedenheit, so, als wenn es nichts Wichtigeres im Leben geben würde. Und auch die Kinder sollten in einem Satz – am besten im Chor - sagen, dass Willis Würstchen ihre Lieblingsspeise sind. Dann beißen alle gleichzeitig in ein Würstchen und lächeln bis über beide Ohren – und dann Cut.“

„Konservativ ist es ja, so wie von Willi Weber gewünscht, Alfred, aber meinst du nicht, dass es etwas lockerer auch gehen würde? Das ist ja total verklemmt – die glückliche Fleischhackerfamilie! So wie in den 80er Jahren die Zahnpasta-Werbung mit der Zahnarzt-Frau – wenn man die zum ersten Mal sieht, denkt man doch schon „um Gottes Willen“, wer hat sich denn das ausgedacht? Es sollte schon ein bisschen realitätsnahe sein.“

„Liebe Sophie, bis jetzt ist meine Idee, die beste, die wir haben! Wenn dir nicht bald etwas „Lockeres“ einfällt, werden wir meinen Vorschlag am Montag dem Schmitt und Willi Weber präsentieren, ob es dir gefällt oder nicht!“

„Alfred hat Recht, Sophie, etwas bieder könnte es schon sein, aber kombiniert mit Modernität. Ich denke da zum Beispiel an glückliche Hausfrauen, die gerne Kleiderschürzen tragen, aber in modernen Häusern – vielleicht in einer Reihenhaussiedlung oder noch besser in einer etwas nobleren Gegend, in der schöne Häuser stehen, gut erzogene Kinder Fahrrad fahren und die Mütter den ganzen Tag die Kleiderschürze tragen, weil sie vor dem Mittagessen noch einen Kuchen backen und nach dem Mittagessen Früchte zu Marmelade einkochen, aber am ultramodernen E-Herd.“

„Ein Lieferservice würde gut zu deiner Idee passen. Wenn es perfekte Hausfrauen sind, sind sie doch den ganzen Tag zu Hause zum Kochen, Backen und Kinder erziehen, was in unserem Fall nichts ausmacht, denn wir zeigen in unserem Spot einen gekühlten Lieferwagen, der Willis Würstchen direkt zu den Frauen an die Haustüre bringt. Frische Ware, die gleich verarbeitet und gegessen werden kann. Sobald die Würstchen zu Hause ankommen, bereitet die gute Hausfrau das Abendessen für die Kinder und den fleißigen Mann zu, der sodann mit Anzug und Krawatte völlig erledigt vom Büro nach Hause kommt – und natürlich will er abends nur Willis Würstchen essen.“

„Perfekt, da lässt sich ein biederes konservatives Bild kreieren, indem aber viel Hightech gezeigt wird, angefangen vom E-Herd bis hin zum brandneuen Auto, was für die Zuseher unbewusst die heutige Zeit widerspiegelt und somit ein breiteres Publikum anspricht.“

Alfred muss zähneknirschend zugeben, dass diese Idee um Klassen besser ist als seine glückliche Fleischhackerfamilie. Er gibt klein bei und verabschiedet sich nach einiger Zeit. Er fühlt sich fehl am Platz, weil ihn die beiden Frauen nicht mehr beachten. Sie zerkugeln sich vor Lachen bei der Vorstellung, sie selbst würden zu perfekten Hausfrauen mutieren.

Der zweite Cocktail ist fast leer getrunken, als Lena auffällt, dass Peter schon länger als eine Stunde bei der fremden Frau sitzt. Sophie sieht das Unheil kommen, als sie Lenas Blick Richtung Peter folgt.

Kurze Auszeit für mich.

„Ich gehe mal eben an die Bar und hole mir ein Wasser.“

Lena hört das nur am Rande, weil sie schon in Gedanken damit beschäftigt ist, eine Todesart für Peter auszuwählen. Sie steht auf und geht zu ihm und der schönen Unbekannten.

„Peter, möchtest du mir deine Bekanntschaft nicht vorstellen?“

„Äh, natürlich, mein - äh – Schatz. Larissa, das ist meine äh Frau – äh …“

„Lena, mein Name ist Lena!“

Sie setzt sich ohne zu zögern neben Larissa, was dieser nicht zu gefallen scheint.

Sophie steht unterdessen schon an der Bar. Der Barkeeper flirtet mit einem jungen hübschen Mädchen am anderen Ende der Bar, was Sophie einerseits nervig findet, weil er keine Anstalten macht, sich loszureißen, anderseits ist es auch egal, so schnell möchte sie nicht wieder zurück zum Tisch. Wenn Lenas Wut verraucht ist, ist es immer noch früh genug.

Sophie sieht sich in der Bar um, das Ambiente gefällt auch ihr sehr gut. Mittlerweile ist es auch ganz schön voll geworden. Sie waren so in die Werbung vertieft, dass ihr gar nicht aufgefallen ist, dass es schon nach 23 Uhr und die Bar ziemlich voll geworden war. Als sie nun mit dem linken Arm an der Bar lehnt, wandert ihr Blick durch die Menschenmenge -- als sie plötzlich ihn bemerkt, genau vor ihr – jung, groß, etwas muskulös, aber nicht zu sehr, sportlich eben, dunkelbraune Haare in attraktivem Kurzhaarschnitt – alles in allem jemand, den man nicht übersehen kann. Da bemerkt sie erst, dass er sie ansieht. Schnell sieht sie weg und im gleichen Moment ärgert sie sich über sich selbst. Eigentlich ist sie gar nicht schüchtern, ein bisschen vielleicht. Während sie sich noch über sich selbst ärgert, sieht sie noch mal zu ihm hin und bemerkt, dass er sie immer noch ansieht. Ein ungewollter Reflex zwingt sie jedoch, wieder weg zu sehen und sie ärgert sich daraufhin noch viel mehr.

Was der jetzt wohl von mir denkt?! Himmel, Arsch und Zwirn!! Jetzt muss ich schon aus Prinzip nochmal hinschauen, nicht aus Interesse! Dann schau ich aber nicht mehr weg!

Sie wagt also noch einen Blick und konzentriert sich mit aller Kraft.

Wenn er dich noch ansieht, schaust du jetzt nicht weg! Nicht wegschauen! Nicht wegschauen!

Und tatsächlich sieht er sie immer noch an.

All ihre Gedanken sind verschwunden und sie versinkt in seinen Augen, alles andere verschwimmt - sein Mund, sein Körper, die Stimmen der anderen Gäste, die Musik, die ganze Bar mit all ihren Geräuschen. Es scheint so, als würde nichts mehr existieren, nur mehr die Augen dieses geheimnisvollen Mannes – und welch schöne Augen das sind! Rehbraun, scheinbar endlos tief, mit langen, vollen, schwarzen Wimpern! Sophie kann sich nicht mehr losreißen. Es existieren nur noch diese Augen. Sie merkt im Unterbewusstsein, dass Zeit vergeht, nur wie viel ist ihr nicht klar. Sekunden, eine Minute, vielleicht aber auch schon mehrere Minuten.

Mit einem Mal durchfährt ein Blitz ihren Körper, der neben ihrem Hals einschlägt und auf dem Weg durch den ganzen Körper bis hinunter zu den Zehen ein Prickeln, Vibrieren und Zucken verursacht, dass Sophie sich instinktiv an der Bar festhält, damit sie nicht umgeworfen wird. Trotzdem können ihre Augen den Blick von ihm nicht lösen, es scheint unmöglich und für den Augenblick einer Sekunde hat sie das Gefühl, dass auch er den Blick von ihr nicht lösen kann. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, geht er einen Schritt auf sie zu und neigt dabei seinen Kopf. Auch Sophie neigt ihren Kopf zur Seite und etwas nach vorne, die Augen schon halb geschlossen, die Lippen ganz leicht geöffnet. Nur mehr wenige Zentimeter sind seine Lippen von ihren entfernt, als jemand an Sophies Schulter tippt und sie sich erschrocken umdreht.

Der Mensch denkt - Paul lenkt

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