Читать книгу Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek - Alexandra Fischer-Hunold - Страница 12
ОглавлениеPercy war immer noch stinkbeleidigt, als wir endlich im Little Treasures eintrafen. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, verkrümelte er sich in seinem Körbchen am knisternden Kamin und drehte mir demonstrativ den Rücken zu.
»Amy, wie gut, dass du da bist!« Tante Clarissas mit Mehl bestäubtes Gesicht tauchte hinter der Kuchenauslage auf.
Ich schnupperte und warf einen Blick auf die alte Standuhr. »Du backst? Um diese Uhrzeit?« Unser Tearoom hatte längst geschlossen.
»Amy, du glaubst nicht, was passiert ist!«, sprudelte Tante Clarissa los, während sie sich die Hände wusch. »Ich kann es immer noch nicht glauben.«
»Nun erzähl schon!« Hungrig inspizierte ich die ziemlich leergefutterte Kuchenauslage.
»Olivia war heute Nachmittag hier«, verkündete Tante Clarissa mit ehrfürchtig belegter Stimme und warf mir einen lauernden Blick zu.
Scheinbar unbeeindruckt umrundete ich die Theke und lud mir das letzte Stück Kirschkuchen auf einen Teller. »So, so. Du nennst sie also auch Olivia«, grinste ich.
»Genau«, seufzte Tante Clarissa glückselig. »Olivia und Maud! Und das verdanke ich alles nur dir. Du bist ja so ein Schatz!«
Glückselig streifte sie sich die Ofenhandschuhe über, tänzelte zum Backofen und zog ein Blech mit duftenden, knusprigen Blätterteigpastetchen aus dem Ofen.
»Ich?« Beinahe hätte ich mich verschluckt.
»Hättest du ihnen nicht vom Little Treasures erzählt, wären sie doch nie hier aufgetaucht.« Tante Clarissa stellte vorsichtig ein Pastetchen nach dem anderen zum Abkühlen auf einem Rost ab. »Sie sind so nett und so sympathisch. Alle beide! Und weißt du, was das Beste ist?«
»Noch besser, als dass du sie duzen darfst?« Überfragt schüttelte ich den Kopf.
»Sie waren so begeistert von unseren Kuchen, Scones und unserer edlen Teeauswahl, dass sie mich darum gebeten haben, jeden Tag für eure gesamte Theatertruppe frische Backwaren und Tee in die Schule zu liefern. Das ist ein Riesenauftrag. Ich weiß nur kaum, wie ich das alles schaffen soll. Jetzt, wo Andrew in den Urlaub gefahren ist und du Schule hast. Da muss ich eben noch ein paar Aushilfen mehr zusammentrommeln. Trotzdem, vor Sonntag wird das nichts. Aber das habe ich ihnen auch schon gesagt.«
Andrew Cox, ein ehemaliger Banker, der irgendwann von London und seiner Arbeit genug gehabt hatte und deshalb nach Ashford gezogen war, um Miteigentümer des Little Treasures zu werden, war ein Goldstück, wie Tante Clarissa immer sagte. Und das nicht nur, weil er der Einzige im Haus war, der sich mit Computern und unserem ständig muckenden Internetanschluss auskannte. Er fehlte uns sehr.
Tante Clarissa hob den Deckel des Kupfertopfes an, der bei niedriger Temperatur auf dem Herd köchelte. »Aber das hier ist für heute Abend.«
»Heute Abend?«, fragte ich überrascht nach und räumte Teller und Gabel in die Spülmaschine.
Meine Tante nahm den bereit liegenden Kochlöffel und begann mit ruhigen, kreisenden Bewegungen im Topf zu rühren. »Es ist zwar nicht der erste Dienstag im Monat, doch man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Nicht wahr?«
Hier muss ich schon wieder etwas erklären. Am ersten Dienstag im Monat trifft sich Tanta Clarissas Ashford-Crime-and-Murder-Club im Little Treasures. Ursprünglich hatte der Club mal aus meiner Tante, Meredith Dickinson, Dorothy Pax und noch drei weiteren Frauen aus Ashford bestanden. Allesamt sind sie total krimiverrückt und treffen sich, um gemeinsam ihre Leidenschaft auszuleben. Nun hatte der Club ein Mitglied mehr. Mich. Mir schwante, was jetzt kommen würde.
»Französisches Kalbsragout Fin mit Champignons für die Pastetchen«, erklärte mir Tante Clarissa betont beiläufig den betörenden Duft, der in gekräuselten Dampfschwaden der Decke entgegenstieg. »Ich muss doch etwas Besonderes servieren, wenn Olivia und Maud heute Abend unseren Krimi-Club mit ihrer Anwesenheit beehren! Einfache Sandwiches wären für diesen Anlass nun wirklich viel zu gewöhnlich.«
Punkt zwanzig Uhr verkündeten die Türglöckchen vom Little Treasures die Ankunft von Maud und Olivia. Selbst die sonst so forsche Sophie Campbell, die Frau unseres Vikars, brachte die ersten paar Minuten vor lauter Ehrfurcht keinen Ton heraus. Und den anderen ging es nicht sehr viel besser. Also übernahm Tante Clarissa erst mal das Reden. Bei einem Begrüßungssekt (ich entschied mich für eine Apfelschorle) stellte sie alle vor und erzählte ihren Freundinnen, wie es zu dieser außerplanmäßigen Zusammenkunft mit den außergewöhnlichen Gästen gekommen war.
»Olivia Hartcastle und Maud Wilkins … Dass ich Sie einmal persönlich kennenlernen würde … das ist so … das ist so«, stammelte Calinda Bennett schließlich, »… so unglaublich.«
Calinda gehört der Friseurladen in Ashford und wenn sie nicht gerade den Leuten die Haare schneidet, färbt oder föhnt, dann liest sie, was nicht niet- und nagelfest ist. Krimis genauso wie die wichtigen Werke der Weltliteratur.
Endlich fand auch Sophie Campbell zu ihrer gewohnten Form zurück. Entschlossen zerrte sie ein Buch und einen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche und hielt beides direkt unter Olivias Nase. »Wenn Sie mir das wohl signieren könnten?«
Mord gehört dazu, las ich den Titel und darüber Olivia Hartcastle.
Erst seit einer Woche auf dem Markt und schon war Mord gehört dazu auf Platz eins der Bestsellerliste geschossen. Drei Mal darf geraten werden, von wem ich das wusste. Genau. Von Tante Clarissa.
»Oh, wenn Sie schon mal dabei sind …!« Auch Lydia Scott, die unseren Tante-Emma-Laden führte, hatte Olivias neuesten Krimi im Gepäck. »Den habe ich Meredith heute buchstäblich aus dem Schaufenster weggekauft«, strahlte sie und Meredith nickte bestätigend. Lydia hatte sich nicht nur den Krimis verschrieben. Zum besseren Einschlafen bevorzugte sie Liebesromane.
»Aber natürlich«, lächelte Olivia, ganz der Profi, und wollte gerade nach Buch und Kugelschreiber greifen, als Tante Clarissa dazwischenfunkte.
»Das kann doch warten!« Einladend deutete sie auf die lange Tafel, die sie und ich so schön arrangiert hatten. »Es gibt Ragout Fin mit Champignons und Pastetchen. Beides selbstverständlich selbst zubereitet!«
Nach dem Essen, das ein voller Erfolg gewesen war, wechselten wir zum Tee in die gemütliche Sitzecke am knisternden Kamin, wo Percy immer noch schmollte. Mit einem letzten Blick in die Runde vergewisserte ich mich, dass alle mit dampfendem Tee versorgt waren und dass das Schälchen auf dem Tisch gut mit unterschiedlichen Schoko- und Haferkeksen gefüllt war. Dann hockte ich mich neben Tante Clarissa auf die Armlehne ihres geblümten Lieblingssessels und sah Olivia dabei zu, wie sie auf dem Queen-Anne-Sofa uns gegenüber die Lesebrille auf ihrer Nase zurechtrückte und ein Exemplar von Mord gehört dazu nach dem anderen signierte.
Selbstverständlich musste sie uns dann auch ein Stückchen aus ihrem neuesten Werk vorlesen. Viel zu früh und natürlich an einer zum Zerreißen spannenden Stelle schloss Olivia den Buchdeckel.
»Großartig!«, klatschte Calinda Beifall. »Ganz großartig!«
Wir anderen fielen mit ein. Bescheiden lächelnd neigte Olivia den Kopf und legte das Buch beiseite. »So und jetzt kommt normalerweise der Moment, wo ich meinen Fans Rede und Antwort stehe. Hat jemand Fragen?«
Sophie schien nur darauf gewartet zu haben, denn sie feuerte ihre Frage wie einen Pistolenschuss ab. »Ich finde Ihre Freundschaft so bemerkenswert. Seit der Schule sind Sie doch unzertrennlich, nicht wahr? Eine ganz schön lange Zeit!«
Es war Maud, die das Antworten übernahm. »Seit zweiundvierzig Jahren.« Der Blick in die Vergangenheit schien sie traurig zu machen. Sie musste mehrmals kräftig schlucken, bevor sie weitersprechen konnte. »Durch Zufall kamen wir beide am ersten Tag auf das gleiche Zimmer.« Mit einem wehmütigen Lächeln und einem verräterischen Glanz in den Augen beugte sie sich zu ihrer Teetasse vor. »Von Anfang an haben wir uns blind verstanden. Zwischen uns passt kein Blatt. Natürlich streiten wir uns auch manchmal wie die Kesselflicker, aber nichts könnte unsere Freundschaft kaputt machen.«
»Und das, obwohl Sie auch noch zusammenarbeiten. Ich könnte das ganz bestimmt nicht.« Der Schokokeks schwebte vor Lydias Mund in der Luft, bevor sie krachend hineinbiss. »Wie machen Sie das nur?«
»Solange alles nach meiner Nase läuft? … Kein Problem«, scherzte Olivia grinsend und warf Maud über den Rand ihrer Teetasse einen schwer zu deutenden Blick zu.
»Denken Sie gerne an Ihre Zeit an der Bilton und Ihre alten Klassenkameraden zurück?« Meredith Dickinson angelte sich einen Haferkeks aus dem Schälchen.
»Oh, ja, sehr gerne sogar!«, schwärmte Olivia, beäugte die Keksschale, entschied sich dann aber doch gegen die Kalorien. »Vor allem in den letzten Jahren vor unserem Abschluss hatten wir eine richtig coole Zeit.« Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste breit. »Ich werde es nie vergessen: Betty O’Donald, Luke Portland, Neal Hillman, Reginald Travers und wir beide. Was hatten wir für einen Spaß!«
»Betty O’Donald ist die Richterin, oder?«, warf ich kurz ein.
»Genau die«, nickte Maud.
»Luke Portland, der Umweltpolitiker, ist mit euch zur Schule gegangen?« Kaum zu glauben, dass Tante Clarissa im Zusammenhang mit Olivia Hartcastle mal eine Wissenslücke hatte.
»Ja. Wer hätte gedacht, dass aus ihm mal so eine große Nummer werden würde?«, sagte Olivia. »Luke und Reginald kommen am Montag und ich freue mich schon so sehr auf sie. Denn im Gegensatz zu Mauds und meiner Freundschaft hat die Clique von damals die Jahre nicht überstanden. Wir haben sogar sehr schnell den Kontakt zueinander verloren. Von Lukes Politikerkarriere und Reginalds Aufstieg als Finanzgenie haben wir nur aus den Medien erfahren. Dabei waren wir zu Schulzeiten absolut unzertrennlich.«
»Besonders nachdem du diese wunderbare Idee mit dem Geheimbund der letzten Ritter hattest«, warf Maud von der Seite ein.
»Ein geheimer Ritterorden?« Interessiert lehnte ich mich vor.
Olivia zuckte mit den Schultern. »Ach, es war eine Spinnerei. Schon damals habe ich alles verschlungen, was zwischen zwei Buchdeckel passt. Meistens habe ich die Geschichten dann in meinem Kopf weitergesponnen oder ich habe mir einen anderen Schluss ausgedacht, wenn ich mit dem des Buches nicht zufrieden war. Die Nebel von Avalon, ach …« Meredith, Maud und Olivia stießen gemeinschaftlich einen schwärmerischen Seufzer aus … »jeder, wirklich jeder hat damals diese Geschichte um König Artus und seine Ritter der Tafelrunde in sich reingefressen. Ich auch.«
»Oh, die ist so toll«, rief Lydia. »Ich habe sie erst vor ein paar Monaten gelesen!«
»Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich den Roman heute immer noch so berauschend fände«, gestand Olivia. »Aber damals hatte ich die Idee: Wir mussten auch einen Ritterorden gründen. Unbedingt! Einen Geheimbund der letzten Ritter. Die anderen musste ich nicht lange überreden. Vor allem Neal nicht. Von Anfang an war es keine Frage, dass er unser König Artus und wir anderen seine Ritter sein würden.«
»Natürlich brauchten wir auch eine Burg wie König Artus’ Camelot. Die alte, verfallene Kirche im Wald kam uns da gerade recht«, spann Maud den Faden der Erinnerung völlig Feuer und Flamme weiter. Alle Trauer und Melancholie waren aus ihrem Gesicht verschwunden. »Selbstverständlich fanden unsere Treffen immer nachts statt. Wenn ich allein an den Nervenkitzel beim Raus- und Wiederreinschleichen denke! Und dann die alte Kirchenruine bei Nacht. Puh, die war schon für sich allein gruselig genug. Ich weiß gar nicht mehr, wie häufig ich mich vor einem von uns erschreckt habe, wenn er plötzlich im Ritterkostüm mit Kettenhemd und weißem Kittel vor mir stand.« Plötzlich kicherte sie. »Ab und an haben wir auch Liebespaare bei einem geheimen Stelldichein aufgeschreckt. Das war einigen ziemlich peinlich!«
»Ach, das Ganze war ein Riesenspaß!«, bestätigte Olivia.
»Und dann hatte Neal den Einfall mit dem Gral der Erkenntnis«, fuhr Maud mit der Erzählung fort und verdrehte amüsiert die Augen. »Neal hatte immer so verrückte Ideen. Der Gral der Erkenntnis war nichts anderes als eine antike Eisenkiste, die Neal auf irgendeinem Dachboden, ich glaube, es war der von seinen Großeltern, aufgestöbert hatte. Sie war wirklich schön und sah geheimnisvoll aus. Neals Idee war nun, dass jeder von uns sein größtes, düsterstes, schlimmstes Geheimnis auf einen Briefbogen aufschreiben und den in einen Briefumschlag stecken sollte. Der Umschlag sollte dann dem Gral der Erkenntnis anvertraut werden. Würde einer von uns jemals dem Geheimbund der letzten Ritter Schaden zufügen, so würde dessen Geheimnis erbarmungslos veröffentlicht werden.« Maud fröstelte. »Hach, die Erinnerung jagt mir heute noch einen Schauder über den Rücken!«
»Am Ende unserer Schulzeit beschlossen wir dann gemeinsam, den Gral, also unsere gesammelten Geständnisse, in einer feierlichen Zeremonie zu zerstören. Unsere Schulzeit war vorbei und damit trugen wir auch den Geheimbund der letzten Ritter zu Grabe. Die Mitglieder des Ritterbundes trafen sich also ein allerletztes Mal in Camelot, wo Neal vor unseren Augen alle Briefe verbrannte«, schloss Olivia ihren nostalgischen Bericht. Plötzlich sehr nachdenklich drehte sie ihre Teetasse auf der Untertasse hin und her. »Das ist es zumindest, was wir jahrzehntelang gedacht haben.«
Jetzt wurde Tante Clarissa neben mir hellhörig. »Stimmt das etwa nicht?«
»Neal ist vor ein paar Wochen verstorben. Wir hatten noch nicht mal geahnt, dass er schwer krank war. Wie denn auch. Wir hatten ja schon Ewigkeiten keinen Kontakt mehr«, sagte Maud mit sehr leiser Stimme. Sie musste sich räuspern, bevor sie weitersprechen konnte. »Bis dann vor einer Woche ein Brief von ihm eintraf. Wie wir jetzt wissen, hatte er seinem Anwalt den Auftrag erteilt, diesen Brief im Falle seines Todes an jeden der ehemaligen Ritter zu versenden.«
»Neal hat uns alle an der Nase herumgeführt«, brachte Olivia die Sache auf den Punkt. »Er hat den Gral der Erkenntnis damals nicht zerstört. Was er da vor unseren Augen in die Flammen gehalten hat, waren nichts weiter als leere Umschläge. Das schreibt er in seinem Brief. Neal war immer ein Spielkind, das Geheimnisse, Spiele, Tricks und doppelte Böden liebte. Er habe immer davon geträumt, irgendwann mal mit uns allen eine große, lustige Schatzsuche nach dem Gral der Erkenntnis zu veranstalten. Um der alten Zeiten willen. Nur, dass er nicht mehr daran würde teilnehmen können. Deshalb schickt er uns jetzt alleine los, um den Gral zu bergen. Natürlich hat er ihn irgendwo in Camelot versteckt. Das schreibt er. Und dass es unglaublich sei, was wir in dem Gral entdecken würden. Wirklich ganz unglaublich!« Olivia schüttelte fast ärgerlich den Kopf. »Das ist typisch Neal. Immer muss er maßlos übertreiben. Was, bitte, kann eine Handvoll Jugendlicher schon für unglaubliche Geheimnisse haben?«
»Die alte verfallene Kirche?«, wisperte Dorothy Pax und zerrte unwohl die Ärmel ihrer viel zu großen Strickjacke über ihre Hände. »Aber da treiben sich doch die Gespenster herum!«
»Gespenster?« Maud und Olivia tauschten einen überraschten Blick.
»Das ist aber ein seltsamer Zufall.« Es war Maud, die das gemurmelt hatte.
»Wenn es denn einer ist«, überlegte Olivia mit zusammengezogenen Augenbrauen und gespitzten Lippen.
»Wie meinst du das?«, fragte Maud irritiert nach.
»Vielleicht hält sich da auch jemand einfach nicht an unsere Abmachung. Eigentlich hatten wir verbliebenen Ritter ausgemacht, dass wir am Montag alle zusammen losgehen, um im Gedenken an Neal nach dem Schatz zu suchen«, erklärte uns Olivia. »Nur, wenn ich das gerade höre, dann beschleicht mich der Verdacht, dass da jemand einen Alleingang plant.« Sie drehte sich zu Maud um und legte die Stirn in tiefe Falten. »Komm schon, was die anderen können, das können wir auch. Der Wettbewerb scheint eröffnet. Morgen Nachmittag ziehen wir los!«
Maud zögerte. »Ach, ich weiß nicht, Olivia. Ich finde, das geht nicht. Außer Betty ist doch noch keiner hier. Wir haben es versprochen und sollten unser Versprechen auch halten.«
»Maud, du bist schon wieder päpstlicher als der Papst. Es ist ein Spiel. Nichts weiter. Neal hätte es amüsiert, wenn wir aus der Suche ein Wettrennen machten. Außerdem, wer sagt dir eigentlich, dass es unbedingt einer von uns sein muss, der da getarnt als Gespenst hinter unserem Gral her ist? Vielleicht hat Neal, das alte Plappermaul, sonst noch wem von unserem Gral erzählt. Also, ich geh morgen auf jeden Fall auf die Pirsch. Du kannst es dir ja noch überlegen, du alte Prinzipienreiterin! Manchmal bist du echt langweilig.«
»Dürfen Willow und ich mitkommen?« Ein Brummen aus dem Hundekörbchen erinnerte mich daran, dass ich jemand ganz Wichtigen vergessen hatte. »Und Percy natürlich auch.«
»Eine hervorragende Idee. Mit Percy werden wir dem Gral bestimmt schneller auf die Schliche kommen als die anderen«, freute Olivia sich händereibend. Sie stieß Maud in die Seite. »Komm, jetzt sei doch nicht so eine verdammte Spießerin!«
Maud hob schicksalsergeben die Schultern. Die Sache war also gebongt und ich hochzufrieden. Das waren die Mitglieder des Ashford-Crime-and-Murder-Clubs aber erst, nachdem sie die beiden noch mit vielen, vielen Fragen gelöchert hatten. Und bestimmt hätten sie damit noch bis weit nach Mitternacht weitergemacht, hätte Maud sich nicht irgendwann gähnend gestreckt und verkündet, dass sie jetzt dringend ins Bett müsste, weil sie sonst morgen die Probe verschlafen würde.
Den ganzen Abend hatte ich mich darüber gewundert, dass Meredith so außergewöhnlich still gewesen war. Nun war sie nie so forsch wie zum Beispiel Sophie Campbell oder Calinda Bennett. Ganz im Gegenteil. Sie war eher schüchtern und von der zurückhaltenden, bedachten Sorte, aber sooo still? Das war selbst für sie ungewöhnlich. Sie war auch die Einzige, die sich kein Buch hatte signieren lassen. Und das als Buchhändlerin und Krimiliebhaberin! Stattdessen hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt, jedem Wort der beiden Freundinnen gelauscht und sie eingehend gemustert. Dabei hatte sich ab und an ein amüsiertes Lächeln auf ihr Gesicht gestohlen.
Als die anderen gingen, blieb sie, um uns beim Aufräumen zu helfen. Und während ich die Tische, die Tante Clarissa und ich zu der großen Tafel zusammengeschoben hatten, wieder auf ihre angestammten Plätze wuchtete, wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie uns etwas sagen wollte. Bis zum Schluss spannte sie mich auf die Folter. Erst als sie in ihren Mantel schlüpfte, rückte sie mit der Sprache heraus.
»Ich weiß gar nicht … habe ich euch mal erzählt, dass ich auch auf die Bilton gegangen bin?«
»Mit keinem Wort«, gab Tante Clarissa etwas beleidigt zurück und nahm die Hand wieder von der Türklinke.
»Zusammen mit unseren beiden Ehrengästen von heute Abend«, ergänzte Meredith.
Mir blieb die Spucke weg. »Du warst …?«
Meredith nickte, während sie ihren Mantel zuknöpfte. »… mit der edlen Ritterschaft in einer Klasse. Ja! Und immer noch bin ich Luft für sie. Damals wie heute. Aber, na ja, sie waren auch ein eingeschworener Kreis, der sich für die anderen in der Klasse nicht interessierte. Mir hat es nicht viel ausgemacht, dass ich für sie quasi nicht vorhanden war. Schon damals war mir die Gesellschaft guter Bücher wichtiger. Aber Richard Plunkett, der hat richtig gelitten.«
Ich tippte mir an die Brust. »Unser Mr Plunkett? Ich meine, unser Direktor? Der war auch mit euch in einer Klasse. Echt?«
»Rumgedienert hat er bei ihnen wie ein unterwürfiger Hund. Doch er hatte nicht den Funken einer Chance. Er war ihnen einfach nicht cool genug. Der arme Tropf! Dabei könnte ich schwören, dass er unsterblich in Olivia verliebt gewesen ist. So wie er ihr immer hinterhergeschmachtet und jeden Wunsch von den Augen abgelesen hat. Manche Dinge ändern sich eben wirklich nie. Aber ich muss dringend ins Bett.« Schon in der Tür schlug sie ihren Mantelkragen hoch, drückte uns noch mal herzlich und versicherte: »Es war ein hochinteressanter Abend. In vielerlei Hinsicht. Und wie immer werde ich morgen mindestens ein Kilo mehr wiegen, Clarissa. Habt vielen Dank für alles!«