Читать книгу Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek - Alexandra Fischer-Hunold - Страница 7

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Mal ehrlich! Ich hätte es nicht im Traum für möglich gehalten, dass mich das neue Schuljahr gleich mit vollem Karacho in den nächsten Mordfall katapultieren würde. Wie hätte ich auch? Wo mir doch der Mord an meiner Klavierlehrerin und alles, was danach kam, immer noch tief in den Knochen steckte. Angefangen hatte das Schuljahr sehr verheißungsvoll, nämlich mit dem Auftauchen von Willow. Sie war neu an der Bilton Boarding School und in meiner Klasse. Wie ich war sie eine externe Schülerin aus Ashford-on-Sea, und das, obwohl sie mir noch nie zuvor im Dorf begegnet war.

»Wie das sein kann?«, schmatzte sie zwischen den Bissen, mit denen sie einen Heidelbeermuffin genüsslich verputzte. »Ganz einfach. Scheidungskind, das hauptsächlich bei seiner Mutter in London lebt, wenn es nicht gerade im Internat in Schottland weilt. Mutter Museumskuratorin, die schrecklich viel zu tun hat und meistens auf der Jagd nach Kunstwerken durch die Weltgeschichte jettet. Vater bodenständiger Tierarzt, der sich nach langen Jahren allein in eine Hausärztin aus Ashford verliebt und diese vom Fleck weg heiratet. Das Ergebnis: eine Tierarztpraxis für Ashford, …« (Anmerkung von mir: dass wir seit Neuestem über einen eigenen Tierarzt verfügten, hatte der Dorfklatsch natürlich schon verkündet und ich fand das super, denn bisher hatte Tante Clarissa meinen Irish Terrier Percy und mich immer über die Küstenstraße zu dem alten, brummigen Tierarzt nach St Austell fahren müssen) »… eine voll nette Stiefmutter, ein neues Zuhause und hoffentlich eine neue Freundin, mit einer großen Leidenschaft fürs Backen. ICH habe dich nämlich schon mal gesehen, auch wenn du mich nicht bemerkt hast. Dazu warst du viel zu sehr mit deinem Wutanfall über das bockige Internet beschäftigt. Das war kurz vor den Sommerferien, als ich für ein Wochenende zu Besuch hier war, um mir mein zukünftiges Zuhause anzusehen. Mein Pa hat mich ins Little Treasures geschleift, so heißt doch euer Tearoom, nicht wahr? Dort habe ich die Zitronentarte gekostet. Ein wundervolles Zusammenspiel zwischen süß-sauer und erfrischend. Da hätte ich mich glatt reinsetzen können! Ein Traum von einem Sommerkuchen!« Muffinkrümel blitzten zwischen Willows Zähnen auf, als sie mich mit glitzernden Augen angrinste. »Ich gestehe es besser gleich: Ich bin ein totaler Süßigkeitenjunkie mit Vorliebe für Liebesromane und ein Fashion Victim bin ich noch dazu!«

Ab dem Tag waren wir unzertrennlich. Die unrühmliche Rolle, die meine Schokomousse-Erdbeer-Torte in dem ersten Mordfall gespielt hatte, den Ashford-on-Sea seit über achtzig Jahren gesehen hatte, war Willow natürlich bekannt. Aber von meinem Finn wusste sie nichts. Genauer gesagt: von Finn und mir. Finn Pears und Amy Fern. Als leidenschaftliche Liebesromanleserin lauschte sie mit großen Ohren und glühenden Wangen, als ich ihr davon erzählte, dass die gute Seite an der ganzen schrecklichen Sache die war, dass Finn und ich jetzt zusammen waren. Nachdem ich ihr dann aber ausführte, dass Finn seit dem Sommer in London lebte, um dort Musik zu studieren, verdüsterten Unheil verkündende Wolken ihr Gesicht.

Tja, sie hat es eben gleich geahnt und auch gesagt, dass Liebe auf Entfernung in unserem Alter nicht halten kann. Hat sie auch nicht. Leider! Nach vier Wochen – nach nur vier Wochen! – hat Finn mir erklärt, dass er nicht so häufig nach Hause kommen kann, weil er sich ganz auf sein Studium konzentrieren muss, und dass er fair sein will und sich deswegen von mir trennt.

Wie konnte er mir so was antun? Die Tränen standen ihm in den Augen, als er mir sagte, dass er diese Entscheidung aus Liebe trifft. Aber wenn man jemanden liebt, dann tut man ihm doch nicht weh!! Ich liebe ihn und deshalb wäre es mir gleichgültig gewesen, wie häufig wir uns gesehen hätten. Hauptsache, wir wären zusammen gewesen. Schöne Liebe!

Bitte, dann soll er doch in London bleiben und sich die Finger wundspielen!

Willow hat mich in den Arm genommen und gesagt, der erste Liebeskummer sei der schlimmste. Ich hoffte sehr, dass sie recht damit behält. Ansonsten müsste ich nämlich alles tun, um mich niemals, absolut niemals wieder zu verlieben. Denn mein kleines Herz schreit mit jedem Schlag verzweifelt nach Finn, der nicht kommt, um es zu trösten, und das tut schrecklich weh.

Vor drei Wochen bin ich vierzehn geworden. Endlich. Feiern wollte ich aber nicht. Ohne Finn gab es für mich keinen Grund zu feiern. Nie wieder!

Wie gut, dass ich Percy hatte. Der war immer für mich da, hörte sich mit großen, treuen Hundeaugen mein Gejammer an, legte seine Pfote auf meinen Schoß und schleckte mir die Tränen vom Gesicht. In Hundesprache hieß das: »Ich hab dich lieb! Ganz schrecklich lieb! Und dieser Finn ist ein ausgemachter Idiot!« Percy würde mich niemals verlassen oder mir wehtun. Niemals!

Aber Finn war einfach … ach … Finn war perfekt.

Verdammt! Ich musste aufhören, so etwas zu denken, und mich ablenken. Genauso, wie es mir auch Tante Clarissa geraten hatte.

Zum Glück stand die Ehemaligenwoche unmittelbar bevor, sodass ich etwas hatte, in das ich mich voll reinstürzen konnte, um meine zerschmetterte große Liebe zu vergessen.

»Natürlich hast du keine Ahnung davon, wie sen-sa-tio-nell die Ehemaligenwoche immer ist, Willow. Wie man hört, kommst du ja von so einem Internat mit Massenbetrieb. Da gab es so ein klei-nes, aber fei-nes Event bestimmt nicht. Und ich kann dir versprechen, dieses Jahr wird voll meeee-ga!«, hatte Poppy Pankhurst Willow gleich an ihrem ersten Tag auf der Bilton erklärt. Und da war schon der Beweis, dass Willow und ich zu Seelenverwandten bestimmt waren. Denn eins war für uns beide klar wie Kloßbrühe: Selbst wenn Poppy Pankhurst das einzige Mädchen in unserer Klasse gewesen wäre, niemals käme sie als Freundin infrage! Hielt Poppy das eigentlich für besonders cool, wenn sie mit gespreizten Fingern die Worte in ihre Bestandteile zerpflückte? Poppy war schön wie ein Filmstar und genauso führte sie sich auch auf. Wie in einer Haarshampoo-Werbung schleuderte sie ihre langen schwarzen Pferdehaare in einer gekonnten Bewegung über die Schulter, bevor sie ihre großen Scheinwerferaugen auf mich richtete und kicherte: »Wenn unsere Amy hier weiter so im Dreck anderer Leute wühlt wie die Trüf-fel-schwei-ne, dann wird sie noch zu einer richtigen Be-rühmt-heit werden und wer weiß … vielleicht wird sie dann auch eines Tages bei einer Ehemaligenwoche ihre tri-um-pha-le Rück-kehr an die Bilton feiern und als le-ben-dig gewordene Miss Marple ihren Ruhm genießen. Darauf wetten würde ich allerdings nicht! Schließlich findet ein blindes Huhn sel-ten mehrmals ein Korn.«

Das war wieder mal so typisch Poppy! Als Tante Clarissa und ich anfingen, im Fall Rubinia Redcliff zu ermitteln, war das von meiner Seite aus alles andere als freiwillig und mir ging es bestimmt nicht um Ruhm. Ganz im Gegenteil! Ich hätte alles dafür gegeben, hätte ich mich da fein raushalten können. Es gab aber nun mal Gründe, hauptsächlich einen namens Finn. Seinetwegen habe ich mich da eingemischt und nicht, weil ich zur Dorfberühmtheit von Ashford-on-Sea aufsteigen wollte. Doch genau das war passiert.

Okay, ich würde lügen, würde ich behaupten, dass ich nicht stolz bin und dass ich es mittlerweile nicht cool finde, wenn die Leute mich für eine jugendliche Version von Miss Marple halten. (Oh Gott, ich bin doch wohl keine Schrulle, oder? Das muss ich Willow fragen!) Aber ich brauche das nicht. Ganz im Gegensatz zu Poppy, die gerne im Rampenlicht steht. Hübsch und wahnsinnig gut in der Schule, wie sie ist. All das bin ich leider so gar nicht. Trotzdem hat sie mich als Konkurrenz eingestuft und weil die Detektivarbeit das einzige Feld ist, auf dem sie mich nicht schlagen kann, hat sie beschlossen, wo sie es nur kann, sich darüber lustig zu machen. Und Willow fällt für Poppy ganz offensichtlich unter die Kategorie Sippenhaftung.

Aber nicht nur Poppy fieberte der Ehemaligenwoche entgegen, die ganze Schule war erfüllt von einer flirrenden Aufregung wie die Luft über schwarzem Asphalt im Hochsommer. Und das lag an den Ehemaligen, die dieses Jahr die Schule besuchen würden, um uns von ihrer Arbeit zu erzählen, Vorträge zu halten oder Workshops zu veranstalten. Einer von ihnen war Luke Portland, ein superbekannter Abgeordneter des Unterhauses, dem man große Chancen auf das Amt des Umweltministers voraussagte. Zumindest behauptete Tante Clarissa das.

Die Jungs waren alle total scharf auf die Vorträge von Reginald Travers. »Der Typ ist Finanzberater und hat Millionen mit Aktiengeschäften gemacht. Nicht nur für seine Kunden, sondern auch für sich«, erklärte mir Julian Rush aus unserer Klasse mit tellergroßen Augen. »Mann, wenn ich von dem lernen könnte, wie das geht …!«

Aber das absolute Highlight waren die berühmte Krimiautorin Olivia Hartcastle und ihre Freundin und Regisseurin Maud Wilkins und das Theaterstück, das sie mit einigen Schülern einstudieren würden. Seitdem Tante Clarissa davon wusste, hatte sie vor Aufregung kein Auge mehr zugetan. Olivia Hartcastle kam bei ihr gleich hinter Agatha Christie und P. D. James. Jeden Tag seufzte sie mindestens einmal sehnsüchtig in meine Richtung: »Wie ich dich beneide!«

Das rief sie mir auch an diesem Donnerstagmorgen hinterher, als ich mich auf mein Rad schwang, um Willow zu treffen und mit ihr zur Schule zu fahren.

»Heute Abend erzähle ich dir alles, Tante Clarissa. Haarklein! Versprochen!«, rief ich zurück, bevor ich mit Percy im Fahrradkorb um die Ecke von Meredith Dickinsons Buchhandlung flitzte. Natürlich war das Mitbringen von Tieren an der Bilton normalerweise strengstens verboten. Doch weil Percy die Rolle des Detektivspürhundes übernehmen würde, chauffierte ich ihn, während sich seine Ohren im Fahrwind aufrichteten, zu seinem ersten Engagement.

Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek

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