Читать книгу Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek - Alexandra Fischer-Hunold - Страница 8
ОглавлениеObwohl Willow, Percy und ich pünktlich in den Theatersaal der Schule trudelten, waren die ersten Reihen schon voll besetzt und die anderen füllten sich schnell. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, hatten sich Poppy und ihre nervige, ältere Schwester Virginia die besten Plätze in der ersten Reihe gesichert.
»Hey, weitergehen!«, beschwerte sich ein Mädchen hinter mir, um mich dann einfach zur Seite zu schieben. Sie konnte nicht anders, denn von hinten quetschte sich ein nicht enden wollender Strom von Schülerinnen und Schülern durch die offen stehende Flügeltür.
»Los, komm, wir hocken uns schnell hier hin, bevor alles besetzt ist!« Willow zeigte auf zwei freie Plätze in der Mitte des Saals.
»Die können doch unmöglich alle bei dem Theaterstück mitmachen«, wunderte ich mich, während ich auf den mit rotem Samt bezogenen Klappsitz neben Willow glitt. Percy kroch anstandslos darunter und rollte sich zusammen, um noch ein Ründchen zu schlafen.
»Nö, aber die sind alle neugierig«, brummelte Willow und tauchte zu ihrem Rucksack ab. Aus der Flut ihrer braunen Lockenpracht drang ein gedämpftes: »Wo ist denn nur der Müsliriegel? Ich habe ihn doch eingepackt!«
Manchmal kommt Willow mir vor wie die Hobbits mit ihren fünftausend Mahlzeiten am Tag. Willow muss genauso häufig essen und am besten immer was Süßes. Ob Kuchen, Törtchen, Pralinen, Kekse, Müsliriegel oder dampfender Kakao. Manchmal behauptet Willow lachend, dass sie nur wegen des Little Treasures mit mir befreundet sei. Wie schon erwähnt, ist das Little Treasures Tante Clarissas kleiner Tearoom, in dem es auch meine Kuchen- und Tortenkreationen zu kaufen gibt, und natürlich bekommt Willow bei uns einen Freundschaftsrabatt von hundert Prozent. Aber auch wenn Willow jedes Kuchenstück bezahlen müsste, sie würde uns treu bleiben. Denn – und das soll jetzt nicht unbescheiden klingen – unsere Törtchen und Kuchen sind so yummy, dass sie locker mit den Edeltearooms in London mithalten könnten.
»Auch mal abbeißen?« Willow pustete sich eine gelockte Haarsträhne aus dem Gesicht und hielt mir den Müsliriegel mit der dicken Schokoladenschicht unter die Nase.
»Nee, danke«, schüttelte ich den Kopf. »Wie kannst du um diese Uhrzeit schon was Süßes essen?« Dass ich mich darüber noch wunderte!
Willow zuckte mit den Schultern, biss herzhaft in den Müsliriegel und zitierte glückselig: »Chocolate doesn’t ask silly questions. Chocolate understands!«
Plötzlich brummte es aus meiner Manteltasche. Schnell zog ich mein Handy hervor.
»Finn?«, schmatzte Willow mit einem blitzschnellen Blick auf mein Display. »Ich fass es nicht! Hast du den Idioten nicht blockiert?« Kurz entschlossen nahm Willow mir das Handy aus der Hand und drückte den Anruf einfach weg. »So, erledigt! Was denkt der eigentlich, wer er ist? Erst bricht er dir das Herz und dann ruft er auch noch mitten in der Unterrichtszeit an? Pffft!«
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich das Telefon zurücknahm und wieder in meine Tasche schob. Ich hätte ja schon gerne gewusst, was er gewollt hatte.
»Lass das!«, zischelte Willow mir von der Seite zu.
»Was denn?«, schnauzte ich ertappt zurück.
»Na, diesen verklärt sehnsuchtsvollen Ich-werde-ihn-für-immer-lieben-Blick! Du musst ihn vergessen, auch wenn es schwerfällt.« Aufmunternd stupste sie mich in die Seite. »Hey, auch andere Mütter haben nette Söhne!«
Ich zwang mich zu einem Lächeln. Ach, Finn, wärst du doch nur hier!
Ein Räuspern von der Bühne veranlasste uns, nach vorne zu blicken. Es kam von unserem Schuldirektor Mr Richard Plunkett, der Ruhe gebietend die Hände hob und diejenigen, die immer noch quatschten, mit strengem Blick zum Schweigen brachte. Als es endlich so leise war, dass Willow sich nicht mehr traute, das knisternde Stanniolpapier zu berühren, räusperte sich Mr Plunkett ein letztes Mal. »Guten Morgen, ihr Lieben! Ich will gar nicht lange um den heißen Brei herumreden. Wir alle wissen, warum wir heute Morgen hier sind. Nämlich, um unsere diesjährige Ehemaligenwoche mit der Theaterproduktion zu starten. Einen furioseren Start könnte ich mir gar nicht vorstellen, als jetzt die berühmte Krimi-, Film- und Theaterautorin Olivia Hartcastle und die nicht minder berühmte Regisseurin Maud Wilkins ganz herzlich in unserer und ihrer Schule begrüßen zu dürfen!«
Mr Plunkett klatschte laut Beifall und trat zur Seite, um den angekündigten Stars die Bühne zu überlassen. Erst bewegte sich nur der Vorhang, dann kamen sie. Olivia Hartcastle und Maud Wilkins. Freudestrahlend traten sie auf die Bühne und verbeugten sich vor dem tosenden Begrüßungsapplaus.
Wild klatschend reckte ich den Hals, um besser sehen zu können. Wie süß! Der arme Mr Plunkett! Total nervös schritt er jetzt auf die beiden Frauen zu. Als Direktor eines kleinen Internats an der Küste Cornwalls begegnete er eben nur selten richtigen Berühmtheiten.
»Guck mal!«, brüllte Willow mir über den Applaus hinweg ins Ohr. »Wie schüchtern Mr Plunkett ist!«
In der Tat. Mr Plunkett traute sich beim Händeschütteln noch nicht mal, Olivia Hartcastle richtig in die Augen zu schauen.
Ich erkannte natürlich sofort, dass die sportliche Frau mit den kurzen braunen Haaren die Krimiautorin war. Dafür hatte Tante Clarissa gesorgt. Zig Fotos hatte sie mir gezeigt und mir Mrs Hartcastles Lebensgeschichte in allen schillernden Farben nacherzählt. Deshalb wusste ich, dass die schlanke Frau in Jeans, dem legeren Pulli und den Stiefeletten die sportbegeisterte Olivia Hartcastle war, während die etwas fülligere Frau mit den blonden mittellangen Haaren, dem langem schwarzen Wollkleid und den derben Stiefeln Maud Wilkins sein musste.
»Herzlich willkommen, liebe Olivia, liebe Maud, in eurer ehemaligen Schule«, setzte Mr Plunkett an, um noch, bevor ich mich über die persönliche Anrede wundern konnte, hinzuzufügen: »Lange ist es her, dass wir hier die Schulbank gedrückt haben.«
Waaas?
»Lange her, aber unvergessen, Richard!«, lachte Olivia Hartcastle und schüttelte ihm herzlich die Hand.
»Wir freuen uns so sehr, hier sein zu dürfen.« Und so wie Maud Wilkins’ Augen leuchteten, glaubte ich ihr das sofort. »Zum Glück gibt es noch ein paar Orte auf dieser Welt, an denen alles so bleibt, wie es immer war. Aus jeder Ecke strömt einem hier noch der gleiche Geruch nach Schulbüchern, Putzmittel, Turnschuhschweiß und Kantinenessen entgegen. Und unsere alten Zimmer da oben im Turm sehen auch noch genauso aus wie damals, als wir hier unser Unwesen getrieben haben.« Sie lächelte verschmitzt. »Als ich gestern Abend die Pförtnerloge passiert habe, bin ich plötzlich wieder elf Jahre alt geworden. Wunderbar!«
»Aber nur in dem Wissen, das Abitur bestanden zu haben und nie wieder eine Klausur schreiben zu müssen!« Mit einem Schaudern schüttelte Olivia die Erinnerung an gruselige Prüfungen ab und kam dann ohne weitere Umschweife zur Sache. »Okay, liebe Leute, auf all diejenigen, die mit uns einen Mord in der Bibliothek begehen wollen, wartet eine ziemliche Menge Arbeit. Immerhin haben wir nur neun Tage Zeit, um ein ganzes Theaterstück auf die Beine zu stellen. Übernächsten Samstagabend wollen wir damit den Höhepunkt und Abschluss der Ehemaligenwoche feiern. Deshalb sollten wir keine Zeit verschenken. All diejenigen, die nur vorbeigeschaut haben, um uns zu begrüßen, bitte ich jetzt, den Saal zu verlassen. Danke, dass ihr gekommen seid!«
Missmutiges Gemurmel, dumpfes Hochschlagen der Sitzpolster gegen die Rückenlehnen und scharrende Füße erfüllten den Saal. Der Rechtskunde-Workshop begann erst am Nachmittag und die Workshops der anderen beiden Ehemaligen waren für nächste Woche angesetzt – ein Politiker wie Luke Portland und ein erfolgreicher Investmentbanker wie Reginald Travers hatten nun mal nicht unbegrenzt freie Zeit zur Verfügung.
»Olivia und ich sind ja noch über eine Woche hier«, brüllte Maud gegen die Geräuschkulisse an, um die Unzufriedenen zu besänftigen. »Wir werden ganz häufig die Gelegenheit haben, uns zu unterhalten. Bei den Mahlzeiten, auf den Fluren, im Park … versprochen!«
»Dann will ich auch nicht länger stören und entschuldige mich.« Mr Plunkett wischte sich den Schweiß von der Stirn. Da vorne im Licht der Scheinwerfer musste es wirklich sehr heiß sein. Nachdem sich der Theatersaal geleert hatte, klatschte Mrs Hartcastle aufmunternd in die Hände.
»So, jetzt sind wir Theaterschaffende unter uns!« Sie lachte fröhlich. »Und da sich in Künstlerkreisen geduzt wird … sind wir für euch ab sofort nicht mehr Mrs Hartcastle und Mrs Wilkins, sondern einfach nur Olivia und Maud. Alles klar?«
Tante Clarissa würde in Ohnmacht fallen, wenn ich ihr heute Abend erzählte, dass ich ihre hochverehrte Mrs Hartcastle Olivia nennen durfte!
»Seitdem wir dieses Projekt gestartet haben, brenne ich darauf, meine Co-Autoren persönlich zu treffen. Also, kommt auf die Bühne und stellt euch vor!«, rief Mrs Hartcastle, äh, sorry, Olivia.
Die Sache war die … Für eine Schulproduktion mit so wenig Zeit wäre es natürlich viel zu aufwendig gewesen, einen von Olivias dicken Krimiwälzern umzuschreiben. Deshalb hatte sie sich für ihren Kurzkrimi Mord in der Bibliothek entschieden. Den hatte sie dann in den letzten Monaten zusammen mit einigen Schülern online so umgeschrieben, dass er als Theaterstück auf der Bühne aufgeführt werden konnte.
Wohnt man wie Willow und ich in Ashford-on-Sea, dann weiß man, wie es im Mittelalter gewesen sein muss. Ohne Internet. O.k., ich übertreibe. Wir haben schon Internet, aber eben leider nicht immer. Der Netzempfang lässt hier sehr zu wünschen übrig. Was für ein Glück, dass der in der Schule problemlos funktioniert, denn ansonsten wäre es mit dem gemeinsamen Schreiben Essig gewesen.
Als Nächste riefen Maud und Olivia diejenigen auf, die das Bühnenbild gestaltet hatten. Ganz fertig waren sie mit ihrer Arbeit zwar noch nicht, wie sie sagten, aber sie lagen gut in der Zeit und alles würde rechtzeitig bereit sein. Dann waren die Schüler an der Reihe, die die Kostüme nähen würden, die das Schminken der Schauspieler übernehmen wollten, und dann die, die für die Requisiten zuständig waren. Dann kamen die Beleuchter und die Leute vom Ton. Ganz zum Schluss, sozusagen als Tüpfelchen auf dem i, betraten die Schauspieler die Bühne. Weil das Projekt wie alle anderen auch Jahrgangsstufen übergreifend war, hatten sich natürlich Schüler der ganzen Schule um die Teilnahme beworben.
Willow stieß mir den Ellenbogen in die Seite, nickte in Richtung Bühne und verdrehte genervt die Augen. »Guck mal! Das war ja so was von klar.«
Und wie klar das gewesen war! Poppy und Virginia. Die Schwestern standen nicht nur in vorderster Reihe der Schauspieler, sondern sie schubsten auch jeden weg, der ihnen ihren Ehrenplatz neben Olivia und Maud streitig machen wollte. Sie grinsten hochmütig und fühlten sich wahrscheinlich jetzt schon wie Hollywoodstars.
Ich entdeckte noch einige andere aus unserer Klasse. Angus und Greg gehörten scheinbar zu den Bühnenbauern. Poppys Freundin Lucinda, wer hätte das gedacht, stand mit Schminkpalette und Pinseln bereit, um das erstbeste Opfer mit Puder, Rouge und Lippenstift zu malträtieren. Zoe bildete mit einem größeren Jungen das Ton-Team und Keira, aus der zehn, war die Einzige von der Requisite, mit der ich schon mal ein Wort gewechselt hatte.
»Och, guck mal, der da ist aber süß«, schmatzte Willow, während das letzte Stück des Müsliriegels in ihrem Mund verschwand. »Ein echtes Sahneschnittchen!«
Ich folgte ihrem Blick und entdeckte in der Gruppe der Schauspieler einen Jungen, der wirklich ganz nett aussah. Aber kümmerte mich das? Ich war raus aus dem Spiel. Ich hatte mich längst dafür entschieden, als verrückte Alte mit einem Stall voller Hunde einsam und allein zu sterben. So wie Dorothy Pax, die beste Freundin meiner Tante.
Bevor ich noch völlig im Selbstmitleid zerfließen konnte, beschattete Maud ihre Augen und spähte in den fast leeren Publikumsbereich. »Und was ist mit euch beiden?« Sie meinte natürlich uns. Denn sonst war ja kein anderer mehr übrig.
»Ich bin neu«, erklärte Willow. »Die Bewerbungsfrist war schon abgelaufen, bevor ich überhaupt wusste, dass ich auf die Bilton wechseln würde. Könnte ich trotzdem noch mitmachen?«
»Hmm, das wird schwierig«, brummte Maud und warf Olivia einen Hilfe suchenden Blick zu.
Olivia verschränkte die Arme vor der Brust und überlegte kurz. »Die Souffleuse!« Sie schlug sich die Hand vor die Stirn. »Wir haben glatt vergessen, eine Souffleuse einzuplanen, Maud!«
»Was für ein Ding?«, wisperte Willow mir ratlos ins Ohr.
»Jemanden, der den Text mitliest und den Schauspielern aus der Patsche hilft, wenn sie vergessen haben, wie es weitergeht«, erklärte Maud, als ob sie Willows Frage gehört hätte.
»Oh, das wäre was für mich!«, freute sich Willow.
»Gut. Dann ist …« Maud sah sie auffordernd an.
»Willow. Willow Harris.«
»Willow ist dann also unsere Souffleuse. Und du …« Ihr Blick schwenkte zu mir.
»Amy Fern. Ich bin der Hund.« Ich bin der Hund? Was war denn in mich gefahren? Das amüsierte Gelächter hatte ich echt verdient. Aber nicht das hämische Gegacker von Poppy, Lucinda und Virginia, das ich nur allzu deutlich heraushören konnte.
»Ich meine … Also, ich bin natürlich nicht der Hund. Ich habe ihn nur mitgebracht. Denn Mr Plunkett hat gesagt, dass ein Spürhund für den Detektiv benötigt wird, und er meinte, Percy könnte das übernehmen. Percy ist nämlich schlau und sehr gelehrig.«
Kaum hatte Percy seinen Namen gehört, kroch er unter meinem Stuhl hervor und wünschte, präsentiert zu werden. Also stand ich auf und ging mit ihm zur Bühne. Hinter mir hörte ich, wie Willow das Stanniolpapier zusammendrückte.
»Oh, mein Gott, ist der süß!«, riefen Maud und Olivia wie aus einem Mund.
»Ein Irish Terrier, nicht wahr?«
»Aber das sieht man doch, Maud! Und was für ein schöner!« Wenn ich die beiden nicht schon von Anfang an so nett gefunden hätte, spätestens jetzt wäre ich von ihnen begeistert gewesen.
»Das ist mein Percy.«
»Ein Hund aus Gold. Außen wie innen, oder so ähnlich hat es doch der Abenteuerautor Jack London formuliert«, kramte Maud aus ihrem Gedächtnis hervor.
»Und der musste es wissen. Er hatte schließlich eine Menge unterschiedlicher Hunde«, ergänzte Olivia.
Irgendwie waren die beiden wie ein altes Ehepaar.
»Ja, Percy, dann sollten wir dich jetzt mit deinem Bühnenherrchen bekannt machen.« Olivia schaute sich suchend um und winkte einen Jungen aus der Gruppe der Schauspieler heraus. »Damian oder besser Mr Isaac Davenport, der berühmteste Detektiv Londons.«
Damian war ausgerechnet der Junge, den Willow mir vorhin gezeigt hatte. Ob ich wollte oder nicht, ich musste schon zugeben, dass der ziemlich süß aussah. Er ging vor Percy in die Knie und streckte ihm die Hand entgegen, damit Percy sie beschnuppern konnte. »Na, Percy, wir beide rocken das hier, oder?«
Anstelle einer Antwort schleckte Percy ihm die Finger ab und das bedeutete in Percys Sprache: »Ich mag dich. Läuft!«
»Toller Hund, Amy!«, nickte Damian mir anerkennend zu.
Poppys Mund stand vor Neid so weit offen wie die Einfahrt zu einer Tiefgarage.
»Prima, dann wollen wir mal! Erster Akt. Erste Szene. Die Schauspieler bleiben auf der Bühne, bitte. Der Rest … runter mit euch«, rief Maud und klatschte in die Hände.
Wie sich herausstellte, spielte Poppy die Assistentin von Damian. Sie war gewissermaßen sein weiblicher Watson und bildete sich natürlich eine Menge darauf ein. Immerhin hatte sie damit eine der Hauptrollen ergattert.
Ich muss gestehen, es tat mir gar nicht leid, dass ihr großer Auftritt durch die Leute vom Bühnenbau verzögert wurde. Die hatten nämlich eine Überraschung für Maud und Olivia vorbereitet. Die deckenhohe Bücherwand, die im Stück ein wichtiger Bestandteil von Lord Willsboroughs Bibliothek sein würde, war schon fertig. Hinter dem Vorhang wartete sie darauf, von Angus mit einem feierlichen »Tatatataaaa!« enthüllt zu werden.
Natürlich war die Wand aus Spanplatten zusammengezimmert und das edle Holzregal war genauso aufgemalt wie die vielen, vielen Buchrücken, aber es sah wahnsinnig echt aus. Wirklich echt waren sogar die altmodischen Leuchter, die links und rechts und in der Mitte des aufgemalten Regals angeschraubt worden waren. In ihnen steckten künstliche Kerzen mit spitzen Glühbirnen, die gespenstisch flackerten. Jetzt rollte Greg noch einen Orientteppich davor aus und schob einen Ohrensessel aus weinrotem Leder dazu. Als krönender Abschluss fehlte nur noch das kleine Beistelltischchen, das Angus hinter dem Vorhang hervorzauberte und neben dem Sessel platzierte.
»Fantastisch!«, rief Olivia und legte sich die gefalteten Hände gegen die Lippen. »Kinder, das ist ja profimäßig!!! Wow! Genau so hatte ich es mir vorgestellt.«
»Und spätestens am Sonntag ist auch der Kamin mit allem Drum und Dran fertig«, verkündete Greg. Der Stolz stand ihm und den anderen vom Bühnenbau buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Und das völlig zurecht. Diese Bibliothek konnte sich sehen lassen!
»Dann sollten wir jetzt aber wirklich loslegen. Nicht dass die Kulisse für unsere Mordszene fertig ist und die Schauspieler gar nicht wissen, was sie zu tun haben«, entschied Maud.
»Oh, ja, ich bitte darum, zügig ermordet zu werden, und mit Rücksicht auf meine Knie möchte ich auch nicht häufiger als nötig zu Boden sinken müssen.« Als Olivia unsere überraschten Gesichter sah, erklärte sie: »Falls ihr es noch nicht wisst, ich spiele die Florence und damit die Leiche. Mein Leben lang habe ich mir gewünscht, auch mal das Mordopfer in einem meiner Filme oder Stücke zu geben, und jetzt mache ich es einfach wahr.«
»Tja, Anthony!« Mit gespielt mitleidig hochgezogenen Augenbrauen betrachtete Maud einen Jungen aus der elf, der ziemlich überrascht aus der Wäsche guckte. »Du hast die Ehre, die berühmte Krimiautorin Olivia Hartcastle ins Jenseits zu befördern.«
Stundenlang hätte ich Maud, Olivia und den anderen bei der Arbeit zugucken können. Wie Maud zum Beispiel mit kleinen überkreuz angebrachten Klebebandstreifen die genauen Positionen der Schauspieler auf der Bühne markierte. Oder wie Olivia, obwohl Maud lachend meinte, das sei ja wohl ihr Job, Poppy erklärte, wie sie es anstellen musste, laut und deutlich in Richtung Publikum zu sprechen und es trotzdem so aussehen zu lassen, als ob sie Damian, und zwar nur Damian, etwas zuflüsterte. Oder welche unterschiedlichen Stimmungen die Beleuchter durch die Einstellung der Schweinwerfer erreichen konnten. Alles irre interessant!
Wir hatten kaum angefangen, da war es schon Zeit zum Mittagessen.