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Hinterlassene Botschaften

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Selbst wenn Ihr Hund auf einem Spaziergang nicht unmittelbar einem anderen Hund hinterherschnüffeln kann, ist er trotzdem nicht um sein Riechvergnügen gebracht. Zum Glück haben nämlich andere Hunde einen ganzen Berg duftender Visitenkarten draußen hinterlassen. Jeder Schritt auf einer porösen Oberfläche hinterlässt Geruch und jedes Büschel Fellhaare, das ein Hundebesitzer ausgebürstet hat, enthält Öle und Sekrete aus den Haarfollikeln. Wir bringen die Gerüche anderer Hunde mit nach Hause, deren Besitzer wir besucht haben; die von melancholischen Hunden, die angebunden draußen vor Geschäften saßen und sich von uns die Ohren kraulen ließen; von überfreundlichen Welpen, die uns auf dem Gehweg begegnet sind und die uns von oben bis unten bepfötelt und beschlabbert haben.

Und dann gibt es da noch das Pipi. Jeder, der schon einmal viele Stunden auf Wiesen- und Rasenflächen verbracht hat, die bei Hunden beliebt sind, ist schon einmal Zeuge der tragischen Personenmarkierung geworden. Ein Hundebesitzer, dessen Aufmerksamkeit nachgelassen hat und vielleicht ein bisschen müde geworden ist, sitzt im Gras, während die Hunde um ihn herumlaufen und herumspielen. Plötzlich und ohne Vorwarnung löst sich ein Hund aus der Gruppe der Spielenden, nähert sich dem Sitzenden von hinten oder von der Seite, hebt ein Bein...und pinkelt.

Die Person wurde „markiert“. Sollte sie jetzt noch sitzenbleiben, würde es nicht lange dauern, bis sie von einem weiteren Hund gegenmarkiert würde. Aber sie bleibt nicht sitzen. Sie springt auf, während die anderen Menschen zwischen Mitleid, Beschimpfen der Hunde und Lachen schwanken. Aber natürlich betrachten die Hunde dies nicht als schlechtes Verhalten. Das Verhalten hat eine lange Tradition. Hunde tun es, Bienen tun es und sogar Nilpferde tun es.

Geruchsmarkierungen sind das Hinterlassen von Urin oder anderen Körpersekreten an einem Stein, Baumstumpf oder anderen aus der Landschaft hervorstehenden Gegenständen: Feuerhydranten an städtischen Straßen, Traktorreifen in landwirtschaftlicher Umgebung. Der markierte Gegenstand wird zu einem Geruchswegweiser: eine olfaktorische Flagge mit Informationen über den Markierer, bereit fürs Beschnüffeltwerden.

Klassischerweise sortiert man das Geruchsmarkieren unter Territorialverhalten ein. Klassischerweise ist es das auch bei den meisten Tieren. Wobei die Mittel und die Platzierung wesentlich komplizierter sind als unser menschliches Flaggenhissen. Bisamratten hinterlassen einen öligen Geruch an einem Grashalm; Biber deponieren ein sehr eigenartiges gelbliches Öl, das Castoreum oder Bibergeil, ganz oben auf einem Haufen Grundschlamm, den sie am Ufer aufgetürmt haben. Otter setzen noch einen drauf und erschaffen eine ganze Geruchsregion am Ufer dadurch, dass sie sich die Uferböschung herabrollen lassen und dann zur Krönung noch darüber koten. Schneeschuhhasen markieren sich sogar gegenseitig: In der Balz springt einer balettverdächtig über den anderen drüber, wobei er ihn mit Urin besprüht. Dikdik-Antilopen scharren einen gemeinschaftlichen Dunghaufen zusammen und geruchsmarkieren dann ihren Weg mit ihren Hufspuren; Tüpfelhyänen hinterlassen Analbeutelsekrete und Düfte von zwischen den Zehen und benutzen Gemeinschaftslatrinen am Rand ihrer Hyänenstadt. Eine Katze „bemalt“ einen Zaunpfosten mit ihrem Gesicht, wobei sie Geruch aus den Drüsen an ihrem Hals und Gesicht daran verreibt. Sowohl Nilpferd als auch Nashorn hinterlassen kraftvolle Urinmarken: Das Rhino schießt einen gezielten Pinkelstrahl in den Busch, den es gerade mit seinem Horn zu Spänen zerschreddert hat. Der Dachs presst Geruch mit seinem Hinterteil auf den Boden; von Mungo und weiblichem Waldhund weiß man, dass sie Handstände machen können, um ihren Urin oder ihre Analdrüsensekrete besser zu verteilen.

Wenn sich Geruchsmarken am Rand der Territorien sozial lebender Tierarten befinden, in Bereichen, die oft kontrolliert und verteidigt werden, scheint es angebracht, sie auch als territorial zu bezeichnen. Wenn Sie Ihr Grundstück einzäunen, teilen Sie damit jedem, der den Zaun überwindet, mit, dass er ein Eindringling ist. Kein weiteres Schild ist hier nötig. Aber viele Geruchsmarken werden überhaupt nicht auf den Territorien der Tiere gesetzt, sondern etwa auf Spaziergängen in neuen Umgebungen oder in sozial geteilten Räumen. Markieren auf Lauf- oder Wechselpfaden, die gemeinsam genutzt werden, dienen nicht dem Zweck, den Weg für sich zu beanspruchen. In diesen Fällen vermittelt die Markierung möglicherweise soziale Informationen darüber, wer sie zurückgelassen hat und welche Art von Tier er oder sie denn war.

Nach dieser ersten Markierung setzen manche Tierarten Gegenmarkierungen: Sie urinieren über die Marke, die ein anderes Tier zurückgelassen hat oder reiben sich daran. Während Eau de Tüpfelhyäne auch gut über den Wind wahrnehmbar sein mag, bevorzugen es die meisten Tiere jedoch, ganz bis zur Zaunmarkierung hinzugehen und sie aus nächster Nähe zu inspizieren. Jede Gegenmarkierung kann als Herausforderung des Territorium-Inhabers betrachtet werden oder auch als eine Art Antwort an den Sender der sozialen Information: Ich war auch da. Wir wissen, dass Gegenmarkierungen nicht nur einfach territorial bedingt sind, weil sie nicht regelmäßig von territorialen Herausforderungen oder Revieraufgaben gefolgt werden. Sie haben auch etwas mit sozialer Konkurrenz zu tun: Unter Hausmäusen zum Beispiel ist der zuoberst markierende Gegenmarkierer meistens auch der beliebteste Hausmäuserich.

Wie ist es also bei Hunden? Sowohl Wild- als auch Haushunde markieren und gegenmarkieren sehr eifrig. Typischerweise erreichen sie das über ein manchmal geradezu akrobatisches Beinheben, indem sie auf drei Beinen balancieren und das vierte möglichst hoch in die Luft recken. Das nicht nur von Rüden, sondern manchmal auch von Hündinnen gezeigte Beinheben ermöglicht eine gezielte Lenkung des Urinstrahls, der auf einer senkrechten oder fast senkrechten Fläche landen soll (ob er das immer tut, ist eine andere Frage). Beachten Sie, dass Markieren nicht einfach nur irgendwie Pinkeln ist, sondern es geht darum, hier einen kleinen Sprühstoß oder dort einen Nebel zurückzulassen.*

Und hier kommt die Überraschung: Im Gegensatz zu den anderen markierenden Tieren markieren Haushunde nicht territorial. Ja, Sie haben richtig gelesen. Hunde „markieren nicht ihr Revier“. Woher wir das wissen? Einfach durch Beobachtung, wo Hunde pinkeln und wo nicht. Hunde, die einen Besitzer haben, markieren nicht die Außenmauern ihrer Häuser. In Wohnungen lebende Hunde pinkeln nicht an die Wände oder an die Türschwelle. (Ihrer etwa? Dann ist das ein anderes Thema ...) Hunde, die auf eingezäunten Grundstücken leben, markieren nicht ständig die Grundstücksgrenzen mit Urin. Forschungen in Indien an den dort häufig vorkommenden und großen Populationen freilaufender Hunde – Streuner, die sogar Heimatreviere haben könnten, welchen ständig die Einwanderung durch andere droht – haben ergeben, dass auch diese Hunde selten an Reviergrenzen markieren. Hunde, die gemeinsam mit anderen genutzte Pfade oder Parkflächen entlangwandern, können diese angesichts der nur gelegentlichen Nutzung nicht wirklich als ihr „Territorium“ bezeichnen, und tatsächlich zeigen sie keine begleitenden Verhaltensweisen, die darauf hinweisen würden, dass die Hunde den Pfad als „ihren“ betrachten.

Stattdessen sind Hunde große Laufwege-Markierer. Achten Sie einmal darauf, wo Ihr Hund pinkelt: Am Laternenmast am gemeinsam genutzten Weg, an einem kleinen Busch am Feldwegerand, am Müllhaufen an der Ecke der Hofeinfahrt, der gestern noch nicht da war. Vor allem verbringen sie viel Zeit mit dem Beschnüffeln aller denkbaren Markierungsstellen, setzen aber nicht über jede von ihnen eine Gegenmarkierung. Ein Schnüffeln kann von einem schnellen Umschauen gefolgt werden, von einem Kratzen auf dem Boden oder sogar von einem schnellen Aufeinanderklappern der Zähne, das Teil der Geruchswahrnehmung von Hormonen im Urin ist.

Was also teilen sich Hunde gegenseitig mit, wenn Sie einen Hydranten mit ganzen Schichten von Urin bedecken? Am wahrscheinlichsten ist, dass es um das Hinterlassen sozialer Informationen geht. Es als Pipi-Post zu bezeichnen trifft es von daher ganz gut. Sie teilen sich gegenseitig mit, wer sie sind und geben damit, gewollt oder ungewollt, auch eine Menge anderer Informationen preis: Ihr Geschlecht, ob sie als Weibchen im Östrus sind, was sie gefressen haben, wie sie sich fühlen, ihr Gesundheitszustand. Die wenigen Studien, die der Fragestellung nachgingen, wie und wann Hunde markieren, fanden heraus, dass unkastrierte Rüden mehr markierten, mehr gegenmarkierten und mehr mit den Zähnen klapperten als ihre kastrierten Brüder oder als Hündinnen. Aber alle tun es, auch wenn einige nur „Näherungsmarkieren“ betreiben und ihr Ziel – absichtlich oder nicht – weiträumig verfehlen. Schon allein die Menge an Zeit, die sich selbst überlassene Hunde mit Schnüffeln verbringen, deutet darauf hin, dass die Markierungen eine ganze Fülle an Informationen enthalten.

Aber die hündische Duftmarke ist auch das perfekte Graffiti: Man braucht einen geheimen Nasenschlüssel, um die besondere Botschaft zu knacken. Was menschliche Wissenschaftler bisher nicht geschafft haben – und das liegt sicher teilweise daran, dass wir die Hunde nicht fragen. Zwar geben uns nur wenige Tiere Antworten zu ihrem Verhalten in leicht verständlichen Sätzen, aber sehr oft liegt die Antwort darin, was sie nach dem Verhalten tun. Wenn ein Glühwürmchenmann drei Mal hintereinander blinkt und ein Dutzend Glühwürmchenfrauen angeschwirrt kommt, um sich mit ihm zu paaren, bekommen wir eine ziemlich gute Ahnung, was drei Mal blinken bedeuten könnte.

Aus dieser Überlegung heraus stellte ich bei der New Yorker Stadtparkverwaltung einen Antrag, ob ich ein Forschungsprojekt in ihren Parks durchführen dürfte. Es würde sie nichts kosten, keinen Lebensraum und kein Lebewesen stören und nicht intrusiv sein. Mein Vorschlag war, na ja, sagen wir ungewöhnlich: Ich wollte einen „Pinkelpfosten“ im Riverside Park aufstellen und sehen, was passieren würde. Wie viele Hunde würden an einem bepinkelten Pfosten schnüffeln? Wie oft würden sie dort übermarkieren? Wie hoch und wie genau würden sie zielen? Würden sie zurückkommen und ihre eigenen Kunstwerke nochmals überprüfen? Und was tun sie eigentlich nach dem Schnüffeln und Pinkeln?

Sechs Wochen später erfuhr ich, dass mein Vorschlag angenommen worden war. Ich hängte eine getarnte, bewegungsaktivierte Wildkamera in einer Platane auf. Sie schaute auf einen niedrigen Pfosten von der Höhe eines Standard-Zaunpfostens, der unübersehbar direkt an einem beliebten Hunde-Spaziergehweg platziert war.

Eine Woche lang wurde der Pfosten das Ziel neugieriger Nasen, und die Kamera hielt alles fest. Was sie aufzeichnete, waren Hunde, die entweder Informationsmarken aufnahmen und welche für andere zurückließen, aber selten die ganze Sache zu Ende durchführten. Hunde, die die Duftmarken abschnüffelten, schauten anschließend oft den Weg hinauf und hinunter, ob der Duftmarkensetzer vielleicht noch irgendwo zu sehen war. Falls dieser sich noch in der Nähe befand, zeigten sie Anstalten, ihm folgen zu wollen, aber als Spezies, deren Spaziergangsroutine meistens von einem Menschen bestimmt wird anstatt von ihnen selbst, wurden sie in der Regel durch eine Leine an der Verfolgung des gut riechenden Hundes gehindert. Gegenmarkierungen waren überraschend selten: Es wurde viel öfter geschnüffelt als markiert. Wenn ein Hund markierte, schien das eher stellvertretend für eine richtige Interaktion stattzufinden: Ich kann dich nicht persönlich beschnüffeln, ich lasse meine Visitenkarte für dich hier. Aber selbst unangeleinte Hunde kehrten nie zurück, um nachzusehen, ob ihre Nachrichten vielleicht überschrieben worden waren. Was genau die Hunde auf den Nachrichten lasen, die bald den Pfosten bedeckten wie Notizzettel ein Schwarzes Brett, bleibt ein Geheimnis. Auch ohne ein zu bewachendes Revier hissen sie kleine Geruchsflaggen, überprüfen allerdings nie, wer davor strammsteht.

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